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Kalifornien Fast trocken

Die Wasserkrise in Kalifornien spitzt sich zu. Viele Landkreise müssen den Verbrauch um 50 Prozent kürzen.
aus DER SPIEGEL 10/1991

Vier Jahre haben sie es verdrängt, im fünften hat es sie erwischt: Kaliforniens Bürger, zwischen Swimmingpools und Sprinkler-Anlagen, müssen sparen, wo es sie am meisten trifft.

»Die Tage des billigen Wassers«, so Katherine Crawford, Präsidentin des besonders heimgesuchten Water District Board von Goleta an der Zentralküste, »sind in Kalifornien vorbei.« Was vergangenes Jahr noch wie ein unwirklicher Alptraum aussah (SPIEGEL 30/1990), vom 1. März an wurde es Wirklichkeit.

Um 75 Prozent wird den Farmern des volkreichsten US-Staats das Wasser abgekniffen. 50 Prozent ihres früheren Verbrauchs müssen die Bewohner vieler Landkreise sparen, und auch die Großstädter sind dran: San Francisco mit rund 30, Los Angeles mit etwa 25 Prozent Kürzung des Verbrauchs.

Für den Sonnenstaat am Pazifik dämmert, unabweisbar, das Ende liebgewordener Gewohnheiten herauf. Denn tiefer als je zuvor sind die Wasserstände der Reservoirs gefallen - während die Bevölkerungszahl gestiegen ist. Bei der siebenjährigen Dürre von 1928 bis 1934 gab es 6 Millionen Kalifornier, inzwischen sind es 30 Millionen.

Viele davon hängen schon jetzt am Tropf: Der Lake Gibralter und der Lake Cachuma etwa, einzige Reservoirs der Küstenstadt Santa Barbara, sind fast trocken. In Morro Bay, einer 10 000-Einwohner-Siedlung an der Zentralküste, drohen die vier verbliebenen Grundwasserpumpen leerzulaufen. Morro Bay würde dann zur Ghost Town.

Alte Geisterstädte, einst überflutet von Stauseen, kehren ans Tageslicht zurück. Im Calaveras-See im Santa Clara County gab der sinkende Wasserspiegel ein seit fast 40 Jahren vermißtes Privatflugzeug frei.

Auf der Edwards Air Force Base, Landeplatz der Space Shuttle, ist die Erdkruste aufgerissen und weggesackt, an einer Stelle neben der Rollbahn sogar vier Meter tief, auf eine Breite von zwölf Metern: Die unterirdischen Wasserkavernen brechen zusammen, weil das Grundwasser verschwunden ist.

Kaliforniens neuer Gouverneur Pete Wilson setzte gleich bei Amtsantritt ein Signal für den Ernst der Lage. Mit einem Glas Chardonnay aus dem Napa Valley in der Hand bekannte er: »Am Ende werde ich daran gemessen, ob ich aus Wein Wasser machen kann.« _(* Air-Force-Ingenieur Larry D. Plews. )

Im fünften Jahr der großen Dürre fürchten selbst die Wachstumsfanatiker des Pazifikstaats, daß sorgsamer Umgang mit den natürlichen Ressourcen vonnöten ist - die mußte Kalifornien sich von immer weiter her besorgen und durch immer brutalere Eingriffe ins ökologische Gleichgewicht sichern.

Kalifornien und der Westen wären Wüsten und Halbwüsten geblieben, hätte nicht das 1902 gegründete »Bureau of Reclamation« (Landerschließungsbehörde) 322 große Dämme und Stauseen, 24 150 Kilometer Kanäle, 54 740 Kilometer Nebenkanäle, 348 Kilometer Wassertunnel durchs Gebirge, 174 Pumpstationen und 25 000 Kilometer Drainage-Kanalisation bauen lassen - ein gigantisches Wasserverteilersystem, das auf Knopfdruck funktioniert.

Über die großen Aquädukte (Colorado-, Los-Angeles- und California-Projekt) wird Wasser über Hunderte von Kilometern an die Verbrauchszentren gepumpt, teils über hohe Gebirgspässe hinweg. Doch immer deutlicher wird sichtbar, daß Kaliforniens Wassersystem der Natur zuwiderläuft - und den Staat in Interessenzonen teilt, deren Bewohner sich im Krisenfall bekämpfen.

Massive Wasserableitungen aus dem Sacramento-River haben den Spiegel im San-Francisco-Delta so weit gesenkt, daß vom Pazifik her Salzwasser hereindrückt und die Süßwasserkulturen zerstört. Jahrzehntelanger Entzug durch den Los-Angeles-Aquädukt hat die Seenlandschaft des Owens Valley an der Grenze zu Nevada ausgetrocknet.

Auch der Mono Lake am Yosemite-Park, eine der schönsten Landschaftsregionen Kaliforniens, droht dem Wasserdurst von Los Angeles zum Opfer zu fallen. Der Pegel des Sees sank seit 1972 um 13 Meter, sein Salzgehalt verdoppelte sich. Seltene Vogelarten wie die Kalifornische Möwe sind vom Aussterben bedroht. Der See, sagen die Ökologen, werde demnächst kippen.

Die Öko-Politiker und Verfechter eines gebremsten Wirtschaftswachstums ("Slow Growth") im kalifornischen Norden weigern sich nun, noch mehr Wasser aus den waldreichen Gegenden des Staates nach Süden zu führen - schon gar nicht in das Central Valley, dessen Landwirtschaft der absurdeste Wasserverschwender im Staate ist.

»Kaliforniens Wassersystem«, höhnte die New York Times, »könnte von einem Sowjet-Bürokraten im LSD-Rausch ersonnen worden sein": Mit subventionierten Wasserpreisen, durch Mengenrabatte zur Verschwendung gereizt, sprüht der reiche Obst-Nährstand im Central Valley flächendeckend Tag und Nacht. Weil das meiste Wasser dabei verdunstet, statt die Pflanzenwurzeln zu erreichen, steigt der Salzgehalt des Bodens unablässig.

Der Nährstand, geschützt durch 40 Jahre alte und erst in diesem Jahrzehnt kündbare Wasserrechte, sprüht zu einem Zwanzigstel des Wasserpreises, der von Privathaushalten und Gewerbe bezahlt werden muß. In die Landwirtschaft strömen deshalb 85 Prozent des kalifornischen Wassers.

Bizarrerweise bevorzugen die Farmer den Anbau von Nutzpflanzen, die besonders viel Wasser brauchen. Hauptexportgut der kalifornischen Landwirtschaft ist die Monsunpflanze Reis. Sie wird, hochsubventioniert und künstlich bewässert, dorthin geliefert, wo sie eigentlich herstammt: nach Asien, vorwiegend nach Japan.

Ein Fünftel des kalifornischen Wassers, weit mehr, als im nicht-agrarischen Teil des Staates insgesamt verbraucht wird, wird für das Futtermittel Alfalfa verschleudert, mit dem Kaliforniens gleichfalls subventioniertes Rindvieh ernährt wird. Ein Zehntel geht für Baumwolle drauf, auch nicht gerade eine Wüstenpflanze.

Gegen den Farmer-Wahn ist der Rest des Staates bislang wehrlos. Denn die Farmbetriebe sind vorwiegend Großkonzerne, deren Manager die Wahlkampffonds der Lokalpolitiker füllen. Es wäre billiger, so der Ökologe Tom Wolf aus Wyoming in der Los Angeles Times, diesen »Cowboy-Klüngel-Sozialismus« durch Frühpensionierung loszuwerden, statt ihn weiter auf Kosten des Steuerzahlers und der Natur durchzuschleppen. Wolf: »Kauft die Bastarde raus!«

Mit einer »Task Force Wasser« versucht Gouverneur Wilson nun zum erstenmal in Kaliforniens Wasser-Geschichte eine Trendwende in Gang zu setzen. Rückendeckung bekommt er dabei nicht nur von den Slow-Growth-Anhängern um San Francisco, sondern auch von den Wachstumsfreunden um Los Angeles.

Die Farmer, rechnet Jack Kayser von der Handelskammer Los Angeles vor, schaffen mit 85 Prozent des kalifornischen Wasserverbrauchs nur 2,5 Prozent des Sozialprodukts. Industrie und Gewerbe dagegen produzieren mit 6 Prozent des Wassers 97,5 Prozent. Wenn die Industriebetriebe zu knapp gehalten werden, könnte Kaliforniens High-Tech-Branche - wie beispielsweise die auf hohen Wasserverbrauch angewiesenen Fabriken für Computer-Chips - einen Rückschlag erleiden und in andere Regionen der USA abwandern.

Die Farmer, fordert die Industrie deshalb, sollten ihre Bewässerungssysteme intelligenter nutzen und den Anbau allzu verschwenderischer Kulturen einschränken. Damit wäre rasch mehr Wasser zu sparen, als Industrie und Haushalte zusammen verbrauchen.

Solche Rechnungen machen Eindruck in Sacramento, der Hauptstadt des Bundesstaates Kalifornien, deren Steuereinnahmen vorwiegend aus den großen Ballungszonen um San Francisco und Los Angeles stammen. Ohne erheblich umzudenken, werde Kalifornien die Krise weder wirtschaftlich noch sozial meistern, warnt der (noch mit Geldern der Farmlobby ins Amt getragene) neue Gouverneur Wilson. Inzwischen ersann er eine Art »Wasser-Bank«, über die bedrängte Landkreise von anderen Wasser kaufen können.

Die aktuelle Krise erweist sich als weit schlimmer und dauerhafter, als es noch im vergangenen Jahr schien. Nach Auskunft des sogenannten Palmer-Index, einer Art Meßlatte für den Gefährlichkeitsgrad einer Trockenheit, sieht es in Kalifornien verheerend aus. Der Index, in den außer Niederschlagswerten auch eine Reihe von anderen meteorologischen sowie geologischen Daten eingehen, erklärt alles vom Stand minus 4,0 abwärts zur erheblichen Dürre. Kalifornien liegt bei minus 6,2.

Besonders betroffene Gebiete wie manche Orte an der Zentralküste, die keinen Zugang zu den Aquädukten haben, die also nur von Schmelz- oder Regenwasser leben, wollen trotz aller Kosten auf Nummer Sicher gehen. Santa Barbara und San Luis Obispo planen Meerwasser-Entsalzungsanlagen, Goleta verhandelt mit Kanada über Importwasser, das von British Columbia per Supertanker herangeschafft werden soll.

Denn selbst wenn demnächst Schnee oder Regen in lange entbehrten, normalen Mengen fallen sollten, ist der Sonnenstaat aus dem gröbsten noch lange nicht heraus. »Was wir brauchten, Leute, um da rauszukommen«, erklärt Garry Stone, Wassermeister am 2000 Meter hoch gelegenen Reservoir Lake Tahoe, »wäre ein Jahr mit 15 Metern Schnee.« o

* Air-Force-Ingenieur Larry D. Plews.

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