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FDP: Nachhilfe für Parteichef Genscher

Nicht nur Bundeskanzler Helmut Schmidt hat Ärger mit seiner Partei. Auch Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher, der seit Wochen die Unberechenbarkeit des Koalitionspartners beklagt, gerät unter Beschuß seiner Liberalen. In der Bonner FDP-Fraktion hat sich vor allem Unmut über die geplanten Waffen-Exporte an Saudi-Arabien aufgestaut.
aus DER SPIEGEL 6/1981

In der Sitzung der SPD-Fraktion meldete sich am Montag letzter Woche als erster der Abgeordnete Rudolf Schöfberger zu Wort, einer von 24 Genossen, auf deren Antrag die Verteidigungsausgaben um eine Milliarde Mark gekürzt werden sollten.

Er habe seine Eltern gefragt, so Schöfberger, was sie denn gegen Hitlers Machtergreifung unternommen hätten. Und er wolle nicht, fuhr er fort, daß die Kinder später fragen: »Was habt ihr denn getan, um den Rüstungswahnsinn in den 80er Jahren zu stoppen?«

Helmut Schmidt schwieg. Aber alle im Saal merkten, daß der Kanzler nur mühsam seine Erregung zügelte.

Nach Schöfberger trugen weitere Gegner der hohen Militärausgaben ihre Sorgen und Ansichten vor. Ex-Juso-Chef Gerhard Schröder klagte, die Abrüstungsverhandlungen würden vernachlässigt. Der Bundestags-Neuling Freimut Duve mahnte, die Handlungsspielräume müßten tiefer ausgelotet werden. Peter Conradi zweifelte sogar an der Entschlossenheit des Kanzlers, Friedenspolitik zu treiben: »Ich habe keine Zeichen gesehen, in denen sich meine Wähler wiedererkennen können.«

Da war Schmidts Geduld zu Ende. »Ich lasse mich nicht in die Nachbarschaft des Dritten Reiches rücken«, wies er Schöfberger zornig zurecht.

Conradi fuhr er an: Belege für seine Friedenspolitik brauche er nicht zu liefern. Alles, was er nach der Sowjet-Invasion in Afghanistan unternommen habe, sei »Beweis genug«. Schmidt: »An meinem Friedenswillen zweifelt niemand in Ost und West.«

Dann erteilte er den Kritikern eine Lehre in Sachen Außenpolitik, garniert mit Literaturhinweisen.

In zahlreichen Büchern habe er seine Theorie des globalen Gleichgewichts als Grundlage des Friedens ausführlich beschrieben. Jetzt aber sehe er, wie sich das Gleichgewicht ständig zugunsten Moskaus verschiebe.

Unentwegt rüste die Sowjet-Union auf; Woche für Woche werde eine weitere SS-20-Rakete fertig. Und der Waffenexport der Ostblockstaaten in die Dritte Welt, vor allem nach Afrika, nehme ständig zu.

So kam der Kanzler immer mehr in Fahrt. Die Herren Kritiker sollten sich gefälligst ein grundlegendes Bild der Lage verschaffen. Politik, befand er, sei »nicht nur Sache des Gemüts«. Schmidt: »Ich wünsche mir mehr Fleiß, hier sind ja fast alle Studierte, die können sich die Zahlen besorgen. Das ist ja kein Geheimnis.«

Die Genossen, auch manche Skeptiker, waren beeindruckt. Erleichtert S.18 stellten viele fest, daß der Regierungschef derzeit keineswegs resigniert wirkt. »Wenn die Leute kiebig werden«, weiß der Kanzler-Freund Klaus Bölling, »zeigt er denen schon, was eine Harke ist.«

Eine Demonstration von Stärke und Führungskraft schien schon deshalb angebracht, weil der Vorsitzende der Freidemokraten privat wie öffentlich seinen Kummer über die angebliche Handlungsunfähigkeit des Kanzlers ausbreitet.

Schon seit Wochen klagt Hans-Dietrich Genscher, der Widerstand vieler Sozialdemokraten gegen die Regierung in zentralen Fragen wie der Kernenergie oder der Mitbestimmung, vor allem aber der Verteidigungspolitik mache den großen Koalitionspartner für ihn wie für seine FDP allmählich »unberechenbar«. Dabei läßt sich der Außenminister mit gefurchter Stirn und besorgter Miene über eine erlahmende Wehrfreudigkeit unter Sozis besonders gerne und ausführlich aus.

Kaum waren die Berliner Koalitionsrisse durch Hans-Jochen Vogels Einsatz in Schöneberg gekittet, sah der FDP-Chef in Bonn wieder neuen Anlaß für seine alten Befürchtungen. Dem Antrag der 24, die weniger rüsten und mehr gegen den Hunger in der Welt unternehmen wollen (Text: »Unser Antrag soll ein Anfang sein"), folgten unmittelbar die Angriffe des SPD-Linksabweichlers Karl-Heinz Hansen und seiner Freunde Manfred Coppik und Klaus Thüsing gegen den Kanzler, gegen Nachrüstung und Waffenexport. Hansen in der Zeitschrift »Konkret": »Schweinerei.«

Genscher hat freilich wenig Grund, sich über vermeintlich mangelnde Partnertreue bei den Sozialdemokraten zu erheben. Während er sich allenthalben über die Standfestigkeit der anderen mokierte, hatte sich in seiner eigenen Partei schon ähnlicher Unmut wie in der SPD aufgestaut. Am Montag vergangener Woche kam der Ärger in der FDP-Fraktion hoch, bei einer Diskussion über Rüstungsexporte.

»Es war kaum noch zu ertragen«, so der Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Hölscher, »als ob nur Teile der SPD sensibilisiert seien. Das läuft bei uns doch seit Wochen genauso.«

In der vierstündigen Debatte entzündete sich der Streit an einem von Jürgen Möllemann verantworteten »Positionspapier der FDP-Fraktion«. Vor allem eine Passage unter Ziffer 2 erregte allgemeinen Unmut.

Dort hatte der oft vorlaute Möllemann notiert, nach welchen Kriterien künftig Waffen exportiert werden sollten: »Anstelle des Kriteriums 'Spannungsgebiet' sollen a) die Förderung von Frieden und Stabilität in der Region, b) die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik die für eine Genehmigung relevanten Entscheidungsgrundlagen sein.«

Obwohl Genscher schon zu Beginn der Diskussion darum bat, nicht über die von Saudi-Arabien gewünschten Panzerausfuhren, sondern ganz allgemein über Maßstäbe für den Rüstungsexport zu reden, argwöhnten viele, eine Zustimmung zum Möllemann-Vorschlag werde am Ende als Plazet für das Geschäft mit den Saudis gewertet.

So entrüsteten sich viele, auch Fraktionschef Wolfgang Mischnick, allein schon deshalb, weil der smarte Abgeordnete seine Ideen als FDP-Papier ausgegeben hatte. Obendrein erweckte Möllemann auch noch den Eindruck, als ob alle Gegner des Waffenhandels schlicht in linke Spinner oder Israel-Lobbyisten zu unterteilen seien.

»Es war eine Stunde der Parlamentarier«, schwärmte Helga Schuchardt hinterher, »am Ende war klar, daß der Begriff Spannungsgebiete nicht aufgeweicht werden darf« -- aus historischen, moralischen und außenpolitischen Gründen. Frau Schuchardt: »Genscher hat eine Menge gelernt.«

Die Nachhilfe kam besonders nachdrücklich von seiner AA-Staatsministerin, Hildegard Hamm-Brücher, die an die Lehren aus der jüngsten Vergangenheit erinnerte: Nach dem Krieg habe es sie bedrückt, sich »als Deutsche nie wieder mit erhobenem Haupt in der Welt zeigen zu können«. Wenn die Bundesrepublik nun Waffen an die Feinde Israels liefere, könne sie sich »nicht mehr im Spiegel in die Augen sehen«.

Schon jetzt, sagte die bayrische Liberale erregt, sei die deutsche Nahost-Politik nicht mehr ausgewogen, sondern »fragwürdig«, weil sie sich zu sehr der Araber-Position angenähert habe.

»Ich weiß«, fügte die Genscher-Helferin hinzu, »was ich sage, kann Konsequenzen für mich haben.« Darauf der Außenminister: »Ich kann Ihnen intellektuell nicht mehr folgen.«

Auch Burkhard Hirsch, Düsseldorfer Ex-Innenminister, sprach von der »geschichtlichen Verantwortung": Ihn bewegt, daß deutsche Waffen gegen Überlebende aus deutschen Konzentrationslagern eingesetzt werden könnten.

Andere Freidemokraten bezweifelten, daß Panzer den Frieden im Nahen Osten erhalten. Hölscher fragte spitz, ob die Bundesrepublik im Spannungsfall militärisch eingreifen solle, um die Region zu stabilisieren: »Wenn jetzt die Sicherung der Ölquellen zur Debatte steht, landen wir am Ende noch beim Kakao.«

Immer wieder gab es Proteste, wenn Genscher oder Mischnick die Redebeiträge zusammenfaßten. Das Fazit schien den Kritikern zu vage, der Wunsch nach strikter Exportbeschränkung nicht klar genug. Als Ingrid Matthäus-Maier schließlich wissen wollte: »Es ist also klar, Punkt zwei des Möllemann-Papiers fällt weg?«, fragte Genscher verärgert zurück: »Mißtrauen Sie mir etwa?« Antwort: »Ich habe meine Erfahrungen mit mündlichen Zusammenfassungen.«

Mit solchem Widerstand hatte der FDP-Chef nicht gerechnet. Genscher S.20 beteuerte, er wolle nicht als einer dastehen, der nun unbedingt Waffen verkaufen möchte. Und er machte, ohne Schmidt hervorzuheben, klar, er sei jedenfalls bei niemand im Wort: »Ich fühle mich innerlich und äußerlich frei.«

Auch nach der stürmischen Debatte ist aber manchem Liberalen noch rätselhaft, was der Parteivorsitzende nun von dem Panzergeschäft mit Saudi-Arabien hält. Er beteuert: »Ich betreibe diese Sache nicht«; er stehe zur bisherigen Exportpraxis, die sich »im großen und ganzen bewährt« habe.

Er stimmte auch stumm zu, als der linke Abgeordnete Klaus Gärtner befand: »An den Grenzen der Nato muß unser Waffenexport enden.« Doch Genschers Beamte im Auswärtigen Amt geben ganz andere Schilderungen dessen, was ihr Amtsvorsteher wirklich denkt.

Die Diplomaten haben den sicheren Eindruck, daß der Außenminister die Rüstungsexporte unter dem Etikett einer veränderten deutschen Interessenlage gutheißen und sich für die Tilgung des Begriffs »Spannungsgebiet« stark machen wird.

An den Vorarbeiten zu einer künftigen Export-Doktrin für Rüstungsgüter war maßgeblich der Genscher-Intimus Klaus Kinkel, heute Chef des Bundesnachrichtendienstes, beteiligt. Schon vor zweieinhalb Jahren legte Kinkel, damals Planungschef im Auswärtigen Amt, eine Expertise vor, die etliche »Openings« (AA-Jargon) aufzeigt, Schlupflöcher, durch die Waffen-Ausfuhren leichter gehandhabt werden können.

Nach den AA-Planspielen soll der Begriff »Spannungsgebiet« für untauglich erklärt werden, weil es, so Genscher, doch »kein Gebiet ohne Spannungen« gibt.

Mehr noch: Wo die Sowjet-Union mit ihren Rüstungslieferungen erst Spannungen schaffe, wie etwa an den Grenzen des Saudi-Nachbarn Südjemen, muß nach der AA-Philosophie im Interesse des globalen Gleichgewichts die Balance »stabilisiert« werden.

Außerdem könne Bonn nicht ständig die Staaten der Dritten Welt in Kategorien von Spannung und Entspannung pressen: »Wir können uns doch nicht zum Praeceptor mundi aufwerfen«, urteilt ein Diplomat.

Es scheint, als könne ein Scherz zur Doktrin der Bonner Sicherheitspolitik erhoben werden. Wenn man schon Waffen liefere, witzelte der Bonner Tokio-Botschafter Günter Diehl, dann ausnahmslos in Spannungsgebiete, weil sie nur dort sinnvoll verwendet werden könnten.

Wo immer das regionale Gleichgewicht auf der Welt gefährdet scheint, will sich der Westen arbeitsteilig engagieren. Die Rolle der Bundesrepublik erscheint nach dem Kinkel-Konzept eindeutig, wenn sie schon keine Soldaten außerhalb des Nato-Bereiches einsetzt: Waffenlieferungen aus deutscher Produktion sollen als Vehikel einer westlichen Stabilisierungs- und Eindämmungspolitik dienen.

Der aus solchen Skizzen aufscheinende Verdacht, Bonn sei bereit, im Gleichschritt mit der neuen US-Regierung die Entspannungspolitik ratenweise aufzukündigen, treibt vor allem die Sozialdemokraten um. Die Genossen erregen sich nicht nur über Waffenexporte, sondern auch über die geplante Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen in Westeuropa.

Wenn die Amerikaner nicht ernsthaft mit den Sowjets über Rüstungskontrolle verhandelten, prophezeite die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Marie Schlei vor Ronald Reagans Amtsantritt, »wird es in der SPD bald donnern und qualmen«.

Letzte Woche war das Gewitter schon aufgezogen. Einen Tag nach dem Streit in der Fraktion über den Antrag, eine Milliarde aus der Rüstung in die Entwicklungshilfe zu stecken, alarmierte eine Meldung des Deutschen Depeschen Dienstes den Fraktionsvorstand. Der Abgeordnete Hansen, hieß es dort, habe in der neuesten Nummer der Linkszeitschrift »Konkret« den Bundeskanzler scharf angenommen. Sofort schickte Herbert Wehner nach dem Blatt und empörte sich über Hansens Polemik gegen den »stellvertretenden Parteivorsitzenden alias Bundeskanzler Schmidt«.

Zusammen mit Willy Brandt, dessen Nähe er sonst nicht sucht, formulierte der Onkel einen scharfen Tadel und ließ die Rüge samt dem Hansen-Stück an die Parlamentarier verteilen.

Helmut Schmidts treue Vasallen in der Fraktion, die Kanalarbeiter um den Innerdeutschen Minister Egon Franke, sahen ihre Chance gekommen, auf einen Schlag die renitenten Partei-Linken zu erledigen.

»Den kochen wir weich«, triumphierte Franke, und der Berliner Abgeordnete Peter Männing forderte: »Jetzt muß gehandelt werden, sonst ist Ende der Fahnenstange.«

Im sogenannten Friedrich-Kreis, einer Kanalarbeiterrunde für gehobene Ansprüche um den fränkischen SPD-Vorsitzenden Bruno Friedrich, verabredeten sich Frankes Freunde und verlangten von Wehner eine Sondersitzung der Fraktion. Wehner, der es ursprünglich bei der Rüge hatte bewenden lassen wollen, gab nach. S.21

Die Sitzung mißriet zum Tribunal. Kaum hatte der Fraktionschef begonnen, schrie der rechte Chemie-Gewerkschafter Hermann Rappe: »Abstimmen, abstimmen!« Erregt hielt der frühere Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder dagegen: »Ich will, daß Hansen gehört wird.«

Darauf Wehner brüllend: »Was gibt es da noch zu hören? Es kann ja wohl jeder beurteilen, um was es hier geht.« Hansen solle die Partei verlassen, rief Horst Ehmke, und ein anderer: »Du hast noch kein Zuchthaus von innen gesehen.«

Das Urteil des Schnellgerichts: Mit 155 Stimmen mißbilligte die Fraktion Hansens Kanzler-Schelte in »Konkret«, elf Abgeordnete enthielten sich, die einzige Gegenstimme kam vom Sünder selbst.

18 Linke schickten am Freitag letzter Woche ihrem Genossen einen Sondertadel hinterher. Kernsatz ihres Briefes an den »lieben Karl-Heinz": »Du hast durch Deinen Aufsatz die Diskussion über die Inhalte nicht erleichtert, sondern Du hast sie erschwert. Du hast damit unserem gemeinsamen politischen Anliegen keinen Dienst erwiesen.«

Verständlich ist der Vorwurf schon. Denn nach Hansens »Lümmelei« (Helmut Schmidt) könnte sich die Frage an sozialdemokratische Parlamentarier, wo sie denn in der Diskussion über Rüstung und Verteidigung stehen, rasch zum Streit darüber zuspitzen, wie loyal ein jeder den Bundeskanzler unterstützt.

»Jetzt wird noch einige Zeit ins Land gehen«, glaubt Regierungssprecher Kurt Becker. »Nach einer Phase moralischer Entrüstung kommt die Phase des Nachdenkens.«

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