FDP-Wähler für Zukunft ohne Bangemann
Zum zweitenmal in diesem Jahr gab es einen Wechsel der Mehrheit in der Meinung über ein wichtiges Thema, und wieder stellten ihn als erste die Emnid-Demoskopen bei ihren Umfragen für den SPIEGEL fest.
Dieser zweite Wechsel ist sogar noch überraschender als der erste.
So schnell wie nach der Jahrhundert-Katastrophe von Tschernobyl die Mehrheit für Atomkraftwerke zur Minderheit schrumpfte, so schnell änderte sich nun die Volksmeinung darüber, ob wegen des stark angestiegenen Stroms der Asylanten das Grundgesetz geändert werden soll: Im August waren noch 53 Prozent dafür, im September sind 59 Prozent dagegen.
Das stellten die Interviewer des Bielefelder Instituts fest, als sie vom 4. bis 21. September 2000 Männer und Frauen, repräsentativ für die 44 Millionen wahlberechtigten Bundesbürger, befragten.
Diesen Umschwung konnten sogar diejenigen nicht voraussehen, deren Beruf es ist, das politische Klima zu beobachten.
Denn so wie sich das Asylanten-Problem dem Durchschnittsdeutschen darstellte, war eher zu erwarten, daß sich die Mehrheit für einen Eingriff in die Verfassung noch vergrößerte.
Nahezu Tag für Tag berichteten (und berichten noch immer) die Zeitungen und TV-Sender vom Andrang der Fremden an den Grenzen; von den Gegenmaßnahmen, die Politiker aller Parteien (ausgenommen der Grünen) verlangen, vorbereiten oder beschließen; von den Reaktionen ganzer Gruppen von Bürgern, die sich gegen Sammellager und Notunterkünfte in ihrer Nähe zur Wehr setzen. Und oft war von der Gefahr die Rede, das neue Problem werde wohl die alte Ausländerfeindlichkeit vieler Deutscher wiederbeleben.
Wer den Parteienstreit um den einschlägigen Artikel des Grundgesetzes verfolgt, findet überdies Fürsprecher einer Korrektur der Verfassung in nicht geringer Zahl. Politiker der bayrischen CSU verlangen sie mit starken Worten, in der CDU wird pro und contra argumentiert, Kohl selbst ist wie andere Spitzen seiner Partei mal dafür und mal dagegen. Die »Süddeutsche Zeitung« warf ihm vor, in dieser heiklen Frage »mit zwei Zungen« zu reden.
Zum Meinungsumschwung binnen weniger Wochen kam es, obwohl das Asylanten-Problem
für weitaus die meisten Bundesbürger nur ein Medienereignis ist. Der Strom der Asylanten ist bislang nur in die Lebensbezirke relativ weniger Bundesbürger gesickert.
Die Mehrheit scheint sogar noch größer zu werden. Um Trends möglichst früh zu entdecken, befragt Emnid jeden Monat nacheinander in zwei Wellen je 1000 Männer und Frauen. Und die Mehrheit lag in der ersten Welle bei 55, in der zweiten bei 63 Prozent.
Die Deutschen haben sich ihre Meinung nicht unabhängig von ihrer politischen Einstellung gebildet. Nahezu alle Wähler der Grünen und der FDP (87 und 86 Prozent) und die meisten Wähler der SPD (61 Prozent), hingegen nur 46 Prozent der CDU/CSU-Wähler sind gegen eine Änderung des Grundgesetzes.
Würden die Wahlstrategen der Union das Asyl-Thema in den Wahlkampf tragen, so würden sie die eine Hälfte ihrer eigenen Wähler gegen die andere Hälfte hetzen.
Andere Fragen, die Emnid zum Asyl-Thema stellte, belegen, daß die Asylanten nur von einer Minderheit strikt abgelehnt werden.
Das wurde zum Beispiel deutlich, als Emnid danach fragte, wie viele Asylsuchende aufgenommen werden sollten. 19 Prozent würden die Grenzen am liebsten ganz zusperren. Hingegen wollen 26 Prozent, daß »viel weniger« Asylanten ins Land kommen (wie es auch zahlreiche Unionspolitiker als ihr Ziel verkünden). 52 Prozent sprachen sich dafür aus, die Zahl maßvoll zu vermindern oder sogar so hoch wie bisher zu lassen.
Und weit mehr als eine Zwei-Drittel-Mehrheit hält die Maßnahmen, die Bonn beschloß oder ankündigte, für ausreichend (55 Prozent) oder sogar schon für zu weitgehend (16 Prozent).
Etwa 1800 von 2000 Männern und Frauen waren schon befragt worden, als am 18. September die SPD und die Bonner Regierung eine noch wirksamere Gegenmaßnahme ankündigten: Die DDR-Führung wird vom 1. Oktober an Asylsuchende nur noch dann über Ostnach West-Berlin befördern, wenn sie ein bundesdeutsches Visum vorzeigen. Wäre dies schon zu Beginn der Umfrage bekanntgegeben worden, hätte eine noch größere Mehrheit die Gegenmaßnahmen für ausreichend erklärt. Von
zwei weiteren wichtigen innenpolitischen Ereignissen der letzten Wochen konnte das eine sich auf die Meinungen der von Emnid Befragten auswirken, das andere nicht: Der Nürnberger SPD-Parteitag endete sechs Tage, bevor die Interviewer ausschwärmten, aber erst am vorletzten Umfragetag wurde publik, daß die Gewerkschaften die Neue Heimat an den Berliner Brotfabrikanten Schiesser verkaufen. Da waren nur noch einige Dutzend Fragebögen leer.
Der Wahl- und Sozialforscher Klaus-Peter Schöppner, der bei Emnid die SPIEGEL-Umfragen leitet, glaubt nicht, daß diese neue Affäre sich auf die Wahlchancen der gewerkschaftsnahen SPD auswirkt. Schöppner: »Die Neue Heimat ist seit gut vier Jahren ein Thema. Aber so sehr es die Leute beschäftigt und zur Zeit stärker noch als sonst - es ist ein altes Thema. Schon längst haben sich hierzu feste Ansichten gebildet. Sie können nur noch gefestigt, kaum noch verändert werden.« Lediglich der Vertrauensverlust der Gewerkschaften könne sich wohl noch vergrößern und zu »irreparablen Schaden in den eigenen Reihen« führen.
Wie in den vorangegangenen acht Monaten stellte Emnid im September neben aktuellen Fragen, etwa zum Asyl-Thema, auch die Standardfragen, die allmonatlich wiederholt werden und Vergleiche ermöglichen.
Nicht alle Ergebnisse halten logischer und politischer Überprüfung stand. Als die Interviewer die Namen von 20 Politikern nannten und fragten, welchen für die Zukunft eine »wichtige Rolle« gewünscht werde, gab es bei den SPD-Politikern einen kaum zu erklärenden Kontrast. Obwohl weder der Bonner Fraktionschef Vogel noch der Saar-Regierungschef Lafontaine in den letzten Wochen sonderlich hervortraten, gewann der eine und verlor der andere weit stärker an Popularität als die anderen Spitzengenossen.
Aber solche Schwächen lassen sich hinnehmen, weil diese Frage im großen und ganzen plausible Ergebnisse liefert und insbesondere Trends deutlich macht.
Dafür gibt es zwei Beispiele: den positiven Trend für die CDU-Multiministerin Rita Süssmuth (zuständig für Familie, Jugend, Frauen, Gesundheit) und den negativen für den FDP-Chef Martin Bangemann.
Schon jetzt steht Rita Süssmuth als die Aufsteigerin des Wahlkampfjahres 1986 fest, niemand kann ihr in den letzten Monaten diesen Erfolg noch streitig machen. Sie begann im Januar auf Platz 13, kam nahezu von Monat zu Monat voran und ist im September nun auf Platz 5 in der Spitzengruppe angelangt.
Sie ist das einzige Mitglied des Kohl-Kabinetts, dem die meisten SPD-Wähler eine »wichtige Rolle« wünschen. So weit haben es nicht mal Stoltenberg und Genscher gebracht.
Rita Süssmuth und Stoltenberg sind die einzigen Unionspolitiker, über die es unter den jüngeren Wählern zwischen 18 und 30 Jahren fast so viele positive wie negative Meinungen gibt.
Und als die Interviewer die Namen von Kohl und vier Ministern nannten und darum baten, deren Leistungen zu beurteilen, erhielt die Ministerin von den besonders strengen Grün-Wählern mit 3,9 die beste Note. Wallmann bewerteten sie mit »mangelhaft«, Kohl steht aus grüner Sicht sogar zwischen »mangelhaft« und »ungenügend«.
FDP-Chef und Wirtschaftsminister Bangemann ist nach dem CSU-Innenminister Zimmermann schon der zweite Absteiger. Zimmermann verlor nach Tschernobyl, damals noch für Umwelt und Atom zuständig, Sympathien und Vertrauen, weil er erst die Ängste der Deutschen nicht ernst nahm und dann von Kohl zugunsten des neuen Umweltministers Wallmann abgetakelt wurde.
Bangemann hingegen wurde nicht das Opfer eines Ereignisses oder ranghöherer Gewalt. Er ist vom Volke auf der Emnid-Waage politisch gewogen und als zu leicht befunden worden.
Bangemann begann mal auf den Plätzen 10 und 12, hielt sich dann einige Zeit auf etwas schlechteren und ist nun auf Platz 17 zurückgefallen.
So unpopulär wie Bangemann erwies sich im September sein Parteifreund Lambsdorff, der trotz des Vorab-Freispruchs vom Vorwurf der Bestechlichkeit und trotz eifriger Eigenwerbung für ein neues Amt nach Volksmeinung ein Mann von gestern geblieben ist (nur 36 Prozent wünschen ihm künftig eine »wichtige Rolle"). Und hinter den beiden liegen lediglich noch CSU-Zimmermann und der grüne Minister Fischer.
Nicht nur die Bundesbürger insgesamt halten Bangemann für ein politisches Leichtgewicht. Noch schlimmer für diesen schwächsten aller bisherigen FDP-Chefs ist, daß sogar die Anhänger seiner eigenen Partei überwiegend dieser Meinung sind. Nur 46 Prozent der FDP-Wähler sprachen sich im September dafür aus, daß er künftig eine »wichtige Rolle« spielt, aber 53 Prozent dagegen.
Der Vorsitzende ist nicht das einzige und wahrscheinlich nicht mal das größte Problem der FDP. Sie kann mit den Emnid-Ergebnissen dieses Monats weniger zufrieden sein als die drei anderen Parteien.
Zwischen 73 und 65 Prozent der Wähler der CDU/CSU, der SPD und der Grünen sind »fest entschlossen, diese
Partei zu wählen«. Aber nur die Hälfte der FDP-Wähler gab diese Antwort. 40 Prozent werden »wahrscheinlich« bei der FDP bleiben. 10 Prozent halten einen Wechsel für »gut möglich«.
Die Anhänger keiner anderen Partei äußern sich so kritisch über das politische Klima. 80 Prozent der Unionswähler, 73 Prozent der SPD-Wähler und auch 47 Prozent der Grün-Wähler meinen, die Stimmung sei »besonders günstig« für ihre Partei. Nur 26 Prozent der FDP-Wähler sagen dies von der Pünktchen-Partei.
Diesen negativen Zahlen stehen andere, positive gegenüber. 79 Prozent der Bundesbürger sind überzeugt, daß die FDP die Fünf-Prozent-Hürde nimmt und in den nächsten Bundestag kommt. Etwa so viele Wähler glauben. daß die CDU/ CSU die FDP braucht: Eine absolute Mehrheit der Unionsparteien halten 77 Prozent für »unwahrscheinlich« oder »ausgeschlossen«.
Wird die »Sonntagsfrage« gestellt, so liegt die FDP im September nun schon zum viertenmal hintereinander bei 6 Prozent. Und mit dem früheren Parteichef Genscher besitzt die FDP einen Politiker, der seit der ersten Emnid-Umfrage im Januar konstant auf Platz 2 oder 3 zu finden ist, also wie Stoltenberg und Rau stets an der Spitze steht.
Doch darüber, wieviel dieser Spitzenplatz Genschers für die FDP wert ist, läßt sich streiten. Es hat schon mal einen anderen Politiker gegeben, der sogar noch weit populärer war, als es Genscher heute ist, und trotzdem den Niedergang seiner Partei nicht aufhalten konnte: Helmut Schmidt. Der stand auch in seinen letzten Kanzlertagen vor vier Jahren auf der Sympathieskala ganz oben, während seine Partei auf 32 Prozent abgesackt war.
Einiges spricht dafür, daß sich auch die Popularität Genschers für seine Partei nicht mehr auszahlt.
Sieht man von Genscher ab, so gibt es in der FDP keinen einzigen populären Politiker. Als Emnid bei früheren Umfragen nach dem Ex-Minister Gerhart Baum, nach dem Justizminister Hans Engelhard und nach dem Generalsekretär Helmut Haussmann fragte, landeten sie allesamt auf den letzten Plätzen.
Und des Wähleranteils von sechs Prozent kann die FDP keineswegs sicher sein, wie sich bei näherer Betrachtung der Parteizahlen zeigt.
Im Juli und August glich die sogenannte Parteienlandschaft noch einem Friedhof, so wenig bewegte sich. Für drei der vier Parteien ermittelte Emnid in beiden Monaten die gleichen Werte wie schon im Juni, nur die SPD verlor ein Prozent.
Nun aber, im September, änderten sich die Zahlen von drei der vier Parteien. Die beiden großen gewannen, die Grünen verloren Wähler.
Zwar ging es jeweils nur um ein Prozent. Aber Zu- und Abnahmen von einem Prozent bedeuten den Wechsel von beinahe einer halben Million Wähler. Und für die kleinen Parteien rückt bei Verlusten dieser Größenordnung die Grenze zwischen Leben und Tod schon nahe.
Werden die beiden Wellen von je 1000 Befragten getrennt ausgewertet, so zeigt sich noch klarer, daß nach dem flauen Sommer die Wähler zu wandern beginnen. Die SPD kam in einer Welle schon auf 42 Prozent, die FDP fiel in einer Welle auf 5 Prozent zurück.
So tief hat sie im Wahlkampfjahr 1986 bislang nur ein einziges Mal gestanden, als Tschernobyl ihren Politikern die Sprache verschlagen hatte und fast nur noch Stammwähler wußten, warum sie sich für diese Partei entscheiden sollten.
Schrecken muß die FDP-Politiker auch, daß ihre Partei ausgerechnet in den Altersgruppen, auf die es ihnen besonders ankommt, besonders schwach ist. Unter den Bundesbürgern zwischen 40 und 60 Jahren gibt es nur vier Prozent FDP-Wähler. Nach den Erfahrungen aller bisherigen Bundestagswahlen braucht die FDP trotzdem nicht zu fürchten, am 25. Januar 1987 an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Wie schwach sie auch sein mochte, notfalls verhalfen der FDP bislang immer die Zweitstimmen von Wählern der größeren Regierungspartei - 1983 der CDU/CSU, früher der SPD, noch früher der CDU/CSU - in den Bundestag.
Doch diesmal ist das nicht mehr so sicher wie sonst. Die eigene Kraft der FDP wird von vielen Bundesbürgern überschätzt, die sogar zunehmende Schwäche dieser Partei bleibt fast verborgen.
Anders gesagt: Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte die FDP mehr Hilfe brauchen, als Unionswähler ihr zu geben bereit sind.
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POLITIKER IM SEPTEMBER: RITA SÜSSMUTH VOR KOHL Wie in den Monaten Januar bis August nannten die Interviewer des Bielefelder Emnid-Instituts auch im September 20 Namen von Politikern. Die meisten standen in allen Monaten auf der Liste. Erstmalig wurde nach den SPD-Politikern Hans Apel und Volker Hauff gefragt, wieder aufgenommen wurde der Hamburger SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, nach dem zuletzt im Juli gefragt worden war. Im September nicht wieder auf der Liste standen Ernst Albrecht, Kurt Biedenkopf und Hans Koschnick. Gefragt wurde, ob die Politiker den Befragten bekannt waren, und: »Würden Sie es gern sehen, wenn dieser Politiker im Laufe der kommenden Jahre eine wichtige Rolle im politischen Leben der Bundesrepublik spielen würde, oder würden Sie das nicht so gern sehen?« Die Zahl der Befragten (in Prozent), die gern sähen, wenn der jeweils genannte Politiker künftig »eine wichtige Rolle spielen würde": Gerhard Stoltenberg 60 »wichtige Rolle« seltener gewünscht als im August: (-4) »Dieser Politiker ist mir unbekannt": 0 Johannes Rau 59 0 Hans-Dietrich Genscher 58 0 Lothar Späth 57 6 Rita Süssmuth 55 »wichtige Rolle« häufiger gewünscht als im August: (+4) 9 Norbert Blüm 54 (+4) 0 Helmut Kohl 54 0 Franz Josef Strauß 50 0 Hans-Jochen Vogel 44 (+3) 0 Hans Apel 43 8 Willy Brandt 43 0 Walter Wallmann 41 17 Volker Hauff 40 20 Klaus von Dohnanyi 38 15 Heiner Geißler 38 (+4) 3 Oskar Lafontaine 37 (-7) 11 Martin Bangemann 36 (-3) 5 Otto Graf Lambsdorff 36 3 Friedrich Zimmermann 31 5 Joschka Fischer 30 (-3) 13 Veränderungen bis zu +/- 2 liegen bei Fragen nach Personen im Zufallsbereich. Sie werden deshalb nicht ausgewiesen. PARTEIEN IM SEPTEMBER: PLUS NUR FÜR DIE GROSSEN Von Januar 1986 an erforscht das Bielefelder Emnid-Institut für den SPIEGEL allmonatlich die politische Meinung der Bundesbürger. Im Dezember, einen Monat vor der nächsten Bundestagswahl, wird die Reihe der SPIEGEL-Umfragen enden. Jeden Monat wird die Sonntagsfrage gestellt: »Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?« CDU/CSU 45 45 44 43 44 45 45 45 46 48,8 SPD 40 41 41 41 42 41 41 40 41 38,2 Grüne 7 7 8 8 8 7 7 7 6 5,6 FDP 7 7 7 7 5 6 6 6 6 7,0 1986 Jan. Febr. März Apr. Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Bundestagswahl 6. März 1983 An 100 fehlende Prozent: andere oder keine Angaben (gilt für alle Graphiken) GRÜNE: UMWELTMINISTER »MANGELHAFT« Anhand von Schulnoten von 1 ("sehr gut") bis 6 ("ungenügend") sollten die Befragten aussagen, »wie zufrieden oder unzufrieden« sie mit dem Bundeskanzler und vier Ministern sind. Insbesondere sollte festgestellt werden, in welchem Maße die Leistungen der fünf Regierungsmitglieder von Anhängern der beiden Oppositionsparteien kritischer als von den Anhängern der beiden Regierungsparteien beurteilt werden. Die Durchschnittsnoten: CDU/CSU-Wähler FDP-Wähler SPD-Wähler Grün-Wähler Außenminister Genscher 2,5 1,8 3,3 4,1 Kanzler Kohl 2,1 3,1 4,3 5,3 Finanzminister Stoltenberg 2,0 2,1 3,5 4,2 Jugend-, Familien-, Frauenministerin Süssmuth 2,5 2,6 3,3 3,9 Umweltminister Wallmann 2,8 3,3 3,9 5,0 SPD NUR 1973 MAL VORN, 1985 MAL GLEICHAUF Die beiden großen Parteien in Umfragen seit 1973 Hat die SPD eine Chance, bei der Bundestagswahl im Januar 1987 mehr Stimmen zu bekommen als die CDU/CSU und stärkste Fraktion zu werden? Dieses Ziel hat sie bislang nur bei einer von zehn Bundestagswahlen, am 19. November 1972, erreicht. Wie schwer es für die SPD wäre, die CDU/CSU wieder zu überholen, zeigten die seither von Emnid allmonatlich ermittelten Ergebnisse der »Sonntagsfrage«. Nur in neun Monaten des Jahres 1973 erzielte die SPD höhere Werte als die CDU/CSU, lediglich in zwei Monaten des Jahres 1985 lagen die beiden großen Parteien gleichauf. Rücktritt Brandt, Schmidt Bundeskanzler Anschlag auf Lufthansamaschine (Mogadischu) Bruch der sozialliberalen Koalition Rau-Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen Zum Vergleich: Bundestagswahl-Ergebnisse (Prozent der gültigen Zweitstimmen) ASYL-PROBLEM: MEHRHEIT WECHSELTE Vier Fragen widmete Emnid dem Asyl-Problem. Eine Frage hatte das Institut schon im August gestellt. Es hatte auf die Forderung verwiesen, »das Grundgesetz zu ändern, um zwischen politisch Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen besser als bisher unterscheiden zu können«, und gefragt, ob »eine Änderung des Grundgesetzes die derzeitigen Probleme lösen könnte«. Ergebnis: Nicht mehr eine Mehrheit, sondern nur noch eine Minderheit befürwortet eine Änderung des Grundgesetzes. Die Zahlen: Von je 100 Befragten entschieden sich für die Antwort im August 1986 im September 1986 »Grundgesetzänderung könnte 53 39 derzeitige Probleme lösen« »Bin nicht dieser Meinung 46 59 Mit einer weiteren Frage wurde die Volksmeinung darüber erforscht, in welchem Umfang der Strom der Asylbewerber vermindert werden soll. Es bejahen von je 100 Befragten das Ziel »Im nächsten Jahr sollten höchstens genauso viele Asylbewerber aufgenommen werden wie in diesem Jahr, aber nicht mehr« 19 »Es sollten nicht mehr so viele Asylbewerber aufgenommen werden« 33 »Es sollten viel weniger Asylbewerber aufgenommen werden« 26 »Es sollten möglichst keine Asylbewerber mehr aufgenommen werden« 19 Eine dritte Frage galt den Maßnahmen der Bundesregierung. Der Text der Frage: »Zu den Maßnahmen, die die Bundesregierung kürzlich beschlossen hat, gehört insbesondere, daß die deutschen Botschaften im Ausland und die Grenzbehörden strengere Maßstäbe anlegen und daß das Personal an den Grenzen und in den Überprüfungsausschüssen verstärkt wird, um die Entscheidung über die Anträge zu beschleunigen.« Drei Antworten standen zur Wahl, von je 100 Befragten entschieden sich für die Antwort »Maßnahmen gehen zu weit« 16 »Halte Maßnahmen für richtig« 55 »Maßnahmen gehen nicht weit genug« 28 Schließlich wurde gefragt, ob »für Ausländer, die aus Ländern des Ostblocks, zum Beispiel aus Polen, kommen«, die Sonderregelung aufrechterhalten werden soll, »daß sie auch dann in der Bundesrepublik bleiben dürfen, wenn sie nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen ihr Land verlassen haben«. Von je 100 Befragten antworteten »Es soll bei dieser Sonderregelung bleiben« 46 »Es soll kein Unterschied mehr zwischen Ausländern aus dem Ostblock und anderen Ausländern gemacht werden« 53 KANZLER/KANDIDAT IM SEPTEMBER: KOHL VOR RAU Emnid stellt seit Januar 1986 allmonatlich die sogenannte Kanzlerfrage: »Angenommen, Sie könnten den Bundeskanzler direkt bestimmen und hätten zwischen Helmut Kohl als dem Kandidaten der CDU/CSU und Johannes Rau als dem Kandidaten der SPD zu wählen - für welchen von beiden würden Sie sich entscheiden?« Die Ergebnisse von Januar bis September 1986 (in Prozent): Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Kohl 48 47 46 44 45 45 48 47 47 Rau 47 48 50 51 48 48 48 47 45 MEINUNGSKLIMA IM SEPTEMBER: DIE KLEINEN UNTER DRUCK Seit April 1986 stellt Emnid zwei Fragen nach dem Meinungsklima. Die eine: »Für welche der im Bundestag vertretenen Parteien ist die politische Stimmung im Augenblick wohl besonders günstig?« Die andere: »Und für welche Partei ist sie wohl besonders ungünstig?« Im September meinten von je 100 Bundesbürgern: Die politische Stimmung ist besonders günstig für die ungünstig 47 CDU/CSU 24 39 SPD 18 5 FDP 28 11 Grünen 34 Wegen vereinzelter Mehrfachnennungen machen die Antworten mehr als 100 Prozent aus Zum Vergleich die Ergebnisse von April bis September 1986: Es erklärten jeweils, die politische Stimmung sei »besonders günstig« für die CDU/CSU SPD FDP Grünen 31 30 31 37 48 47 54 52 44 45 36 39 5 6 5 6 8 5 7 14 23 15 13 11 A M J J A S A M J J A S A M J J A S A M J J A S Den Wahlkampf kann jede Partei am besten führen, wenn die Stimmung unter ihren eigenen Anhängern optimistisch ist. Dann lassen sie sich motivieren und mobilisieren. Es erklärten, die politische Stimmung sei für die Partei ihrer Wahl »besonders günstig« von je 100 CDU/CSU-Wählern 80 SPD-Wählern 73 FDP-Wählern 26 Grün-Wählern 47 NUR JEDER VIERTE SPD-WÄHLER GLAUBT AN RAUS EIGENE MEHRHEIT Im September bat Emnid wie schon in einigen früheren Monaten um eine Prognose über den Ausgang der nächsten Bundestagswahl, weil die Antworten Aufschluß über die für den Wahlkampf mitentscheidende Stimmung der Bundesbürger geben. Daß SPD und Grüne mehr Stimmen erhalten als CDU/CSU und FDP, halten von je 100 Bundesbürgern für »unwahrscheinlich oder ausgeschlossen« 65 62 44 56 57 60 60 »sicher« oder »wahrscheinlich« 34 36 53 43 43 40 39 Jan. Feb. Mai Juni Juli Aug. Sept. Die Einschätzung des Kräfteverhältnisses hängt stark von der eigenen politischen Einstellung ab. Das Ergebnis »SPD und Grüne erhalten mehr Stimmen als CDU/CSU und FDP« halten für »sicher« oder »wahrscheinlich« von je 100 CDU/CSU-Wählern 8 SPD-Wählern 72 FDP-Wählern 21 Grün-Wählern 71 Zusätzlich fragte Emnid nach den Chancen für eine absolute Mehrheit der CDU/CSU oder der SPD, nach dem voraussichtlichen Kräfteverhältnis zwischen den beiden großen Parteien sowie nach den Chancen für die beiden kleineren Parteien, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Es halten für »sicher« oder von je 100 Befragten insgesamt für »unwahrscheinlich« »wahrscheinlich« oder »ausgeschlossen« 21 »Die CDU/CSU erhält 77 die absolute Mehrheit« 11 »Die SPD erhält die 87 absolute Mehrheit« 67 »Die CDU/CSU erhält mehr 32 Stimmen als die SPD« 79 »Die FDP kommt wieder 20 in den Bundestag« 81 »Die Grünen kommen 19 wieder in den Bundestag« Wie denken jeweils die eigenen Anhänger über die Chancen »ihrer« Partei? Es erklärten für »sicher« oder »wahrscheinlich« von je 100 CDU/CSU-Wählern: »Die CDU/CSU erhält die absolute Mehrheit« 39 SPD-Wählern: »Die SPD erhält die absolute Mehrheit« 25 CDU/CSU-Wählern: »Die CDU/CSU erhält mehr Stimmen als die SPD« 96 SPD-Wählern: »Die CDU/CSU erhält mehr Stimmen als die SPD« 35 FDP-Wählern: »Die FDP kommt wieder in den Bundestag« 89 Grün-Wählern: »Die Grünen kommen wieder in den Bundestag« 96 FDP MUSS UM WÄHLER BANGEN Wie sicher können die Parteien sein, daß ihre jetzigen Anhänger (ermittelt durch die »Sonntagsfrage") bei ihrer Entscheidung bis zu den Bundestagswahlen im Januar 1987 bleiben und nicht zu einer anderen Partei überwechseln? Emnid stellte drei Antworten zur Wahl. Es erklärten von je 100 73 49 71 65 22 40 35 29 5 10 4 6 CDU/ CSU- FDP- SPD- Grün Anhängern »Bin fest entschlossen, »Halte es für wahrscheinlich, »Halte es für gut möglich, diese Partei zu wählen« daß ich diese Partei wähle« daß ich mich für eine andere Partei entscheide«
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