Fehlgeleitet, kleingemacht
Wir waren ein fehlgeleitetes und kleingemachtes Volk«, resümiert der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz, 47, aus Halle. In seinem Buch »Der Gefühlsstau« zeichnet der Klinikchef, der unmittelbaren Einblick in die Krankengeschichte vieler seiner Landsleute hat, ein »Psychogramm der DDR«, das schwere Deformationen analysiert, die auch den vereinten Deutschen aufs Gemüt schlagen könnten.
Maaz erörtert den »schädigenden Einfluß« der totalitären SED-Herrschaft, dem sich »keiner entziehen konnte«. Er verweist aber auch auf autoritäre Charakterstrukturen in der Bevölkerung, die das Regime stabilisierten: »Keiner kann sich auf eine Tribüne stellen, wenn es nicht ein Volk gibt, das willig defiliert.«
Nur wer sich tagtäglich oder ein für allemal anpaßte, wer »seine spontane Lebendigkeit« aufgab, blieb unbehelligt. Wer aufmuckte, wurde so lange bearbeitet, bis »äußerer Zwang« in »innere Unterdrückung« umschlug, »Selbstversklavung« und »Selbstzerstörung« gesichert waren.
Permanente staatliche wie gesellschaftliche Repression erzeugte einen »Gefühlsstau«, der, diagnostiziert der Psychotherapeut, zu »Entfremdung von der Natürlichkeit« - Unsicherheit, Mißtrauen, Angst -, »Blockierung der Emotionalität« und »Spaltung der Persönlichkeit« führte.
In Kenntnis der massen- wie individualpsychologischen Störungen der ehemaligen DDR-Bürger sorgt sich Maaz auch um das Zusammenwachsen von Ossis und Wessis: »Haben wir uns gerne dumm, hilflos und versorgungsbedürftig gezeigt«, gibt er zu denken, »so müssen wir uns jetzt . . . tüchtig, dynamisch, selbstbewußt und konkurrenzfähig zeigen": »Zur Unfreiheit genötigt, sollen wir jetzt Freiheit ausfüllen und genießen.«
Maaz hält, nach der »friedlichen Revolution«, die nur die Oberflächen touchierte, eine »psychische Revolution« für dringend geboten - damit nicht eines Tages der »soziale Druckkessel« explodiert.