»Feinde des Wiederaufbaus«
Der Text ist nur zwei Seiten lang, aber er ist ein Schlüsseldokument in der Affäre um das Bombardement nahe Kunduz. Auf diesen zwei Seiten begründet der deutsche Oberst Georg Klein, warum er den Befehl zum Abwurf zweier Bomben auf mehr als hundert Afghanen und zwei entführte Tanklaster gegeben hat. Es ist bis heute die einzige ausführliche Erklärung von Klein dazu, obwohl der Oberst sie bereits am Tag nach dem Bombenabwurf, dem 5. September, zu Papier gebracht hat. Bisher waren daraus nur Fragmente bekannt. Und es ist das Dokument, mit dem der heutige Verteidigungsminister maßgeblich seinen Sinneswandel begründet. Seit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Kleins Rechtfertigung gelesen hat, hält er den Militärschlag nicht mehr für »militärisch angemessen«, sondern für einen Fehler.
Guttenbergs Umfeld begründet den Meinungsumschwung damit, dass Klein davon spricht, er habe nicht nur die Tanklaster, sondern auch die Aufständischen selbst, in der Militärsprache INS (für »Insurgents") genannt, »vernichten« wollen. Wörtlich heißt es: Am 4. September 2009 »entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. Septembers 09 auf der LOC PLUTO durch INS entführte Tanklastwagen sowie die an den Fahrzeugen befindlichen INS durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten«.
Es ist allerdings nicht klar, warum Guttenberg durch die Lektüre dazu gebracht worden sein will, den Luftschlag seitdem »militärisch nicht angemessen« zu nennen. Der Nato-Untersuchungsbericht, der dem Minister schon vorher vorlag, liest sich weitaus schonungsloser als der Bericht Kleins. Denn der deutsche Kommandeur versucht, von sich selbst das Bild eines umsichtigen, vorsichtigen und zurückhaltenden Soldaten zu zeichnen, der alles unternahm, um das Leben von Unschuldigen zu schützen. Er habe »fast zwei Stunden zur Entschlussfassung« gebraucht, weil er »absolut sicher gehen wollte, nicht in eine mögliche Falle des Informanten zu gehen«. Gemeint ist jener afghanische Zuträger, der in der Nacht des Bombardements in regelmäßigem Telefonkontakt mit einem deutschen Hauptmann stand und Lageberichte durchgab.
In der offenbar hastig niedergeschriebenen Mitteilung, die das Einsatzführungskommando bei Potsdam angefordert hatte und die »nur für Deutsche!« bestimmt ist, stellt sich Klein als denjenigen dar, der die amerikanischen Kampfbomber gezügelt habe. Er sei es gewesen, der »gegen die Empfehlung der B-1B- und F-15E-Piloten kleinere Wirkmittel einforderte« - in der Sprache der Militärs sind damit Bomben gemeint. Weiter behauptet der deutsche Oberst, er habe »den Waffeneinsatz gegen den Antrag der Piloten nur auf die Tanklastzüge und die sie umringenden Personen und nicht gegen weitere am Flussufer beiderseits aufgeklärte Personen und Kfz freigegeben« sowie »den Waffeneinsatz gegen ausweichende Personen verboten«. Die Bomben seien ausschließlich über der Sandbank abgeworfen worden, »um Kollateralschäden zu benachbarten Ortschaften definitiv auszuschließen«.
Klein resümiert, wie schwer ihm der Befehl gefallen sei, wie er »lange um die Entscheidung zum Einsatz gerungen habe, um Kollateralschäden und zivile Opfer nach bestem Wissen und Gewissen auszuschließen«. Er habe letztlich das Kommando gegeben, weil er nach Lage der Dinge davon ausgehen konnte, »durch den Einsatz eine Gefahr für meine anvertrauten Soldaten frühzeitig abwenden zu können und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit dabei nur Feinde des Wiederaufbaus Afghanistans zu treffen«.
Dem Dokument wird im Untersuchungsausschuss eine zentrale Bedeutung zukommen, weil es zu einer Schlüsselfrage der Debatte des Afghanistan-Einsatzes führt: Sollen und dürfen Deutsche am Hindukusch gezielt töten?
Klein hat das ungewohnt offen mit dem Begriff »vernichten« in Worte gefasst. Guttenberg wird erklären müssen, was er für »militärisch angemessen« hält und warum es diese zwei Blatt Papier sind, die seine Sicht auf das Desaster bei Kunduz änderten. HOLGER STARK