Verbrechen Feine Nuancen
Die Tat nimmt sich aus, als habe der »Pate« Pate gestanden: Mit Würgegriffen und Handkantenhieben streckte der Mörder sein Opfer zu Boden, rollte es, von einer Komplicin assistiert, in einen Teppich und deponierte das Bündel drei Tage lang im Kofferraum eines Autos. Dann wurde die Leiche mit Salzsäure entstellt und schließlich im Wald vergraben.
So jedenfalls rekonstruierte die Staatsanwaltschaft in Frankfurt die Horrorszene, und sie verdächtigt seit 26 Monaten den israelischen Staatsbürger Yossef Ezra Levy, 35, dieser Bluttat schuldig zu sein.
Nun endlich - nachdem Levy-Anwalt Egon Geis wegen der überlangen Untersuchungshaft seines Mandanten Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt hat - wurde das Verfahren einem Schwurgericht zur Verhandlung überwiesen. Mitwirkende und Milieu, Ablauf und Aufklärung des Verbrechens werden dem Prozeß Spektakuläres geben.
Himmelfahrt-Spaziergänger hatten am 7. Mai 1970 im Wald auf dem »Königstuhl« bei Heidelberg eine nackte. verweste und zerfressene Frauenleiche ohne Gesicht entdeckt. Knochenprellungen und Rippenfrakturen, Schädelverletzungen und das gebrochene Zungenbein ließen auf eine Gewalttat schließen. Täterspuren fand die Polizei jedoch nicht.
Als sechs Monate später in der ZDF-Fahndungsschau »Aktenzeichen XY ... ungelöst« eine mit blonder Perücke versehene Plastik-Nachbildung des Kopfes der Toten gezeigt wurde, erkannte der Österreicher Friedrich Gruber in Oberwölz seine Tochter Berthilde Gruber, 29. Der Kriminalkommissar Moritz Furtmayr vom hessischen Landeskriminalamt in Wiesbaden hatte nach dem von ihm entwickelten »Koordinaten-Diagramm-Verfahren, den Skelettkopf der Toten vom Königstuhl mit Plastikmasse ausmodelliert und behaart.
Ein Zahnbild gab letzte Gewißheit. der Rest war Routine: Die attraktive Berthilde Gruber, auch »Betty« oder »Berthi« genannt und seit 1965 als Bardame in der Bundesrepublik, hatte in der Frankfurter Taunusstraße 37, mitten im Nepp- und Nuttenviertel beim Hauptbahnhof, »Hedi's Bierbar« betrieben. Gewohnt und geschlafen hatte sie im Röderbergweg 120c, im Appartement des Bar-Geschäftsführers Yossef Levy, im Milieu als »Karate-Joschi« bekannt.
Der Israeli Levy aus Haifa, einst Fallschirmjäger im Sinai-Krieg und in seiner Heimat wegen Eigentumsdelikten und Zuhälterei vorbestraft, war 1967 illegal nach Deutschland gekommen und seither der Betty Gruber geschäftlich wie menschlich verbunden gewesen.
»Sie ist seit Februar verschwunden, ich weiß von nichts«, sagte Levy bei seiner ersten Vernehmung und verließ zunächst als freier Mann das Frankfurter Polizeipräsidium.
Dann aber lieferte eine Schwester Berthilde Grubers das letzte Lebenszeichen der Verschwundenen, einen Brief vom 5. Februar 1970, worin sich Betty über ihren Liebhaber Levy beschwerte: »Er hat mich mißhandelt. Ich will jetzt mein Geld zurückhaben und mich von ihm trennen.«
»Joschi« hatte sich bereits getrennt: Seine Favoritin war längst die Gruber-Kollegin Ilke Mira Petersen, 30, geworden, die als »Jasmin« in »Hedi's Bierbar« animierte. Nun erst bekam die Monate zurückliegende Aussage eines Heidelbergers Bedeutung, der am 10. Februar, dem Faschingsdienstag 1970, auf dem Königstuhl einen roten Mercedes 230 SL mit einer blonden Frau gesehen hatte-. »Jasmin« besaß einen Wagen dieses Typs. Kennzeichen F - IB 8.
Der Wagen war just am Tag der »XY«-Sendung verkauft und umgemeldet worden. Und vier Tage nach der ZDF-Kopfjagd war Ilke Petersen unter ihrem Mädchennamen Hampe in die USA geflogen - samt Sohn Sven, 9. sowie 70 000 Mark und 500 Dollar. die sie von ihrem Bar-Konto abgehoben hatte.
Am Strand von Miami erfuhr »Jasmin«, daß sie über Interpol mit einem Haftbefehl wegen Mordverdachts gesucht würde. Levy war inzwischen unter Mordverdacht verhaftet worden. und er hatte Ilke Petersen schwer belastet: Sie habe Betty bei einer Auseinandersetzung im Februar gewürgt, er selbst habe die Ex-Geliebte nur geprügelt.
Sofort engagierte die l-leimatvertriebene den Münchner Rechtsanwalt Rolf Bossi und kehrte freiwillig nach Frankfurt zurück - wo Ilke Petersen von schwerbewaffneten Polizei- und Grenzschutz-Beamten aus einer Lufthansa-Boeing eskortiert wurde. Die Frankfurter Justiz hatte befürchtet, Unterweltskumpel von Yossef Levy würden die mutmaßliche Belastungszeugin mundtot machen.
Ilke Petersen aber bestätigte Levys Aussage - wennschon mit feinen Nuancen. Betty Gruber sei in der Frühe des 7. Februars in den Röderbergweg gekommen, wo auch sie, Ilke, genächtigt habe. Betty habe Yossef eine Eifersuchtsszene gemacht und - so das Vernehmungsprotokoll - geschrien: »Du Scheißjude« Hitler hat vergessen, dich zu vergasen!« Dann habe Levy blind vor Zorn auf Betty eingeschlagen, während sie selbst zwei Begleiter einen Mann und ein Mädchen aus dem Bahnhofsviertel - fortgeschickt habe. Gewürgt oder geschlagen habe sie Betty jedoch nicht.
Die zwei Zeugen, die aus Angst vor Levy und Kumpanen Frankfurt umgehend verlassen hatten, bekundeten inzwischen: »Durch den Spalt der angelehnten Wohnungstür sahen wir Berthi am Boden liegen. Levy schlug und trat auf sie ein.« Beide wollen aus Bettys Mund das Wort »Saujude« gehört haben.
Die Staatsanwaltschaft drückte sich deutlicher aus: Levy habe Berthilde Gruber »aus niedrigen Beweggründen grausam durch Handkantenschläge. Fußtritte und Würgegriffe getötet, weil sie geliehenes Geld von ihm wiederhaben wollte. Danach hätten »Jasmin« und »Joschi« die tote - oder erst bewußtlose - Freundin in einen Teppich gewickelt und in den Kofferraum des Mercedes gelegt. der in der Tiefgarage stand: Drei Tage später fuhren sie laut Staatsanwaltschaft nach Heidelberg. kauften Salzsäure. die sie über die Leiche schütteten, und verscharrten Betty Gruber unter Bäumen.
Ilke Petersen muß sich neben Levy wegen Begünstigung vor demselben Schwurgericht verantworten. Daß sie nicht separat angeklagt und dann als Zeugin im Levy-Prozeß geladen wird, werten die Verteidiger Geis und Bossi -verstärkt durch Rechtsanwalt Baruch Shifman aus Haifa - als Vorteil. Denn als Mitangeklagte darf Ilke Petersen schweigen oder gar lügen.
Möglicherweise aber kann »Jasmin« gar nicht verurteilt werden. Offensichtlich gut beraten, nutzten Ilke und Yossef bürgerliche Konventionen: Sie gaben im Januar 1972 überdies ihr Verlöbnis zu Protokoll. Ilke: »Seit der Weihnachtszeit 1969 bin ich mit dem Joschi verlobt.« Und Levy: »Ich bin noch mit Ilke verlobt.«
Verlobte aber dürfen die Aussage verweigern, und Begünstigung bleibt straflos, wenn das Verlöbnis bereits zur Tatzeit bestand.