»Feiner Kerl«
Der Leutnant hielt am Schluß einer langen Fahrzeugkolonne, die an einer Straßensperre In Fort Benning routinemäßig kontrolliert wurde. »Ihren Führerschein und Ihren Personalausweis, bitte«, bat der Militärpolizist. Er blickte kurz auf die Papiere und dann auf den Fahrer. »Oh, Leutnant Calley«, sagt er. »Sie brauche ich nicht aufzuhalten. Sie sind ein feiner Kerl.« Mit diesen Worten winkte der Militärpolizist Calley aus der Kolonne heraus und ließ ihn passieren.
Dieser Vorfall verdeutlicht, welche Sympathie und Unterstützung Oberleutnant William Calley in dem Militärlager und auch anderswo genießt, seit sein Prozeß vor dem Militärgericht begann. Calley: »Alle sind so fabelhaft zu mir. Sie geben mir das Gefühl, ich sei eine wichtige Persönlichkeit.«
In der Tat ist Calley in der Gegend von Columbus (Georgia) eine Berühmtheit geworden. Die Restaurant-Besitzer bieten an, ihn kostenlos zu bewirten. Seine Kameraden bestehen darauf, ihn zu Champagner einzuladen. ("Ich hasse Champagner«, sagt Calley, »aber ich trinke ihn, um sie nicht zu enttäuschen.")
Calleys Post, gegenwärtig etwa zwanzig Briefe täglich, Ist überwältigend positiv. Selbst einige seiner schärfsten Kritiker scheinen ihre Meinung geändert zu haben. Eine Dame aus dem Mittleren Westen, die Calley geschrieben hatte, er verdiene es, gekreuzigt zu werden, erhielt von Ihm eine Antwort und war darüber so gerührt, daß sie ihm eine Weihnachtskarte mit einem Scheck über 25 Dollar für seinen Verteidigungsfonds schickte. Vor Gericht hört Calley, auf der Kante seines gepolsterten Lederstuhls sitzend, aufmerksam zu und zeigt selten eine Regung. In den Pausen trinkt er schwarzen Kaffee und raucht Pall Mall. Nach der täglichen Sitzung zieht Calley sich mit einigen Freunden in ein bescheidenes, aber gemütliches Quartier am Arrowheard Drive in Fort Benning zurück. Dort trägt er Jeans und Pullover, mixt Drinks an einer kleinen Wohnzimmer-Bar (Bourbon für sich selbst) und verfolgt unter einem Plakat mit der Aufschrift »No More War« täglich Berichte über den -- Prozeß auf dem Bildschirm eines Farbfernseh-Geräts ...
Abends ißt Calley oft in »Emmy"s Schnitzel-House«, einem einfachen deutschen Restaurant in Columbus, wo er vor kurzem für seine schlanke, attraktive Freundin Ann eine Geburtstagsparty gegeben hatte. Die Schnitzel hinterließen ihre Spuren: Der pausbäckige Leutnant nahm seit dem Ende seiner Dienstzeit in Vietnam etwa 13 Pfund zu.