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HACKFRUCHTERNTE Feld der Ähre

aus DER SPIEGEL 48/1961

Nach vorbereitendem Trommelfeuer in den Parteizeitungen gab Gerhard Grüneberg, Chef-Agrarier der SED, das Signal zum Angriff: Die Elite der DDR-Landwirtschaftsfunktionäre schwärmte aus, um den Sieg in der Hackfrucht-Schlacht doch noch an das Banner der Planstrategen zu heften. Parole: »Die Knollen müssen rollen!«

Ulbrichts letztes Aufgebot wurde mobilisiert, weil die Genossenschaftsbauern der Sowjetzone am 31. Oktober, dem Plantermin für die vollständige Ablieferung der Kartoffelernte, erst 68 Prozent ihres Knollen-Solls erfüllt hatten.

Die ideologischen Erntehelfer aus der Hauptstadt konnten die Bilanz nicht wesentlich verbessern. Am 9. November meldete das SED-Zentralblatt »Neues Deutschland": Von den 15 DDR -Bezirken habe lediglich das landwirtschaftlich unbedeutende Ostberlin sein Soll zu 100 Prozent erfüllt. Die anderen Bezirke dagegen hätten nur Ablieferungsergebnisse zwischen 51,8 Prozent (Erfurt) und 89 Prozent (Chemnitz) erreicht.

Grünebergs Kartoffel-Kämpfer jedoch gaben die Bataille noch nicht verloren. Zwar verzichteten sie darauf, sich eigenhändig an der Kartoffellese zu beteiligen; um so intensiver aber suchten sie nach den Ursachen für die landwirtschaftliche Plan-Misere.

Sie entdeckten alsbald, daß die Genossenschaftsbauern die vor 18 Monaten beendete Zwangskollektivierung noch immer mit passiver Resistenz beantworten.

Stichproben in den Privatkellern der Landleute erwiesen, daß die Kolchosbauern sich zunächst selbst eingedeckt und nur das Quantum an den Staat abgeliefert hatten, das nach Abzug ihres auf reichlichen Viehzuwachs berechneten Eigenbedarfs übriggeblieben war. In rund 13 000 von insgesamt 19 000 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) wurden nämlich vorerst nur die Äcker kollektiviert; den Genossenschaftsbauern blieb die sogenannte »individuelle Wirtschaft«, die neben dem gesamten Vieh auch Weiden und Inventar sowie 0,5 Hektar Acker je LPG-Mitglied umfaßt.

Bei der Inspektion von Genossenschaftsäckern entdeckten die Partei-Agronomen außerdem, daß sich die Bauern die mühsame Hand-Nachlese der Felder erspart hatten. Überschlägiger Verlust: 200 000 Tonnen.

Die Kartoffeln, die von den mitteldeutschen Kolchosniki privat gehamstert wurden oder auf den Feldern verfaulen, fehlen in den DDR-Städten. Werkskantinen mußten dazu übergehen, kartoffelfreie Mahlzeiten zu servieren. Viele Familien konnten sich nur einen kärglichen Wintervorrat beschaffen.

Angesichts dieser unerfreulichen Konsequenzen setzte sich der ZK-Genosse Grüneberg selbst an die Spitze seiner Hackfrucht-Instrukteure und fuhr in den besonders ablieferungsschwachen Bezirk Neubrandenburg.

Räsonierte Grüneberg im Dörfchen Wulkenzin: »Manche Genossenschaftsbauern sind mit ihrem Herzen noch in der Einzelwirtschaft, mit den Augen schielen sie etwas zum Sozialismus, aber die Ohren sind voll Rias-Dreck.«

Beweis: Etliche Bauern bezögen nur 20 Prozent ihres Einkommens aus der Arbeit in den LPG-Brigaden, 80 Prozent hingegen aus ihrer noch privaten Wirtschaft. Grüneberg: »Diese Genossenschaftsbauern denken nur an ihr persönliches Ich, aber nicht an die genossenschaftliche Produktion.«

Der ZK-Sekretär empfahl den Wulkenzinern, sich durch gründliches Studium der Reden und Beschlüsse des XXII. Parteitags der sowjetischen KP jenes ideologische Rüstzeug zu erwerben, das allein erst den genossenschaftsbewußten Landmann zu Heldentaten auf dem Felde der Ähre befähige.

Daß durch schleuniges Studium der Parteitagsdokumente das Kartoffel -Ablieferungsergebnis noch verbessert werden kann, wagt freilich auch der ZK-Experte Grüneberg nicht mehr zu hoffen. Um wenigstens die größten Versorgungslücken schließen zu können, hat die Parteiführung deshalb die Lichtung der bäuerlichen Privatvorräte sowie Importe aus Polen angeordnet.

Auch für die noch nicht abgeschlossene Zuckerrübenernte genügt den SED-Agronomen die stimulierende Wirkung des XXII. Parteitags nicht. Da der Winter nah, Moskau aber fern ist und die Landpartien der Ostberliner Funktionäre allenfalls lokalen Schrekken verbreiten, beorderte das SED -Zentralkomitee den Deutschen Fernsehfunk an die Kolchosfront.

Mit Hilfe der volkseigenen Televisionäre errichtete Grüneberg einen DDR-weit sichtbaren Pranger; erste Opfer waren die Bauern der LPG »Märkische Volksstimme« in Falkenrehde bei Nauen, die vor den Fernsehkameras verhört und abgekanzelt wurden.

Unterdessen konnten die DDR-Genossenschaftsbauern der parteiamtlichen »Neuen Deutschen Bauern-Zeitung« entnehmen, daß die Falkenrehder Fernseh -Exekution keineswegs als einmaliges Exempel gedacht war. Die Bauern -Zeitung kündigte vielmehr für die nächste Zeit einen Erziehungsfeldzug an, mit dem die SED-Agrarpädagogen den Bauern ihren Hang zum privaten Viehstall austreiben wollen.

Frotzelte die SED-Landpostille: »Manche Genossenschaftsbauern sind nur mit dem halben Hintern in die LPG eingetreten, mit der anderen Hälfte sitzen sie noch in der Einzelwirtschaft. Die Hauptaufgabe wird es darum in den nächsten Wochen sein, diese eigenartige und unbequeme Lage mancher Genossenschaftsbauern zu verbessern.«

Eulenspiegel, Ostberlin

»Wer behauptet da, daß wir unsere Hauswirtschaften bevorzugen? Sogar der letzte Halm kommt in die LPG-Scheune!«

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