Terroristen Feldpost aus dem Untergrund
Es war eine Runde voller Frohsinn und guter Laune. Ein paar junge Leute saßen beisammen, um den Geburtstag einer älteren Freundin zu feiern. Die rüstige Seniorin nahm die besten Wünsche für eine glückliche Zukunft entgegen und prostete der Gästeschar zu. Dann gab es Sauerbraten nach rheinischer Art.
Das Rindfleisch hatte eine Frau mariniert, die seit Jahren als Terroristin gesucht wurde: Birgit Hogefeld. Mit am Tisch saß, vermuten Staatsschützer, ihr Freund Wolfgang Grams.
Das festliche Menü wurde zu Ehren von Marianne Hogefeld ausgerichtet. Die Mutter der mutmaßlichen Top-Terroristin war 70 Jahre alt geworden.
Wie deutsche Revolutionäre Geburtstagsfeiern begehen, wissen die Ermittlungsbehörden seit der Schießerei von Bad Kleinen. Da ist Hogefeld verhaftet, Grams im Feuergefecht mit GSG-9-Polizisten getötet worden.
In einem Rucksack, den Hogefeld in einem Schließfach auf dem Bahnhof von Wismar vor ihrer Fahrt nach Bad Kleinen deponiert hatte, fanden die Fahnder Beweise und Belege für das Treiben im Untergrund.
Fast ein Jahrzehnt lang war es der Roten Armee Fraktion (RAF) gelungen, bei Anschlägen Spuren zu verwischen. Die Terrorismusfahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) tappten im dunkeln, welche Guerrilleros zu den Kommandos der RAF gehören. Fehlanzeige auch bei der Suche nach den Terroristen, welche die Anschläge auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen (1989), und Innen-Staatssekretär Hans Neusel (1990) vorbereitet und verübt hatten.
Besorgt hatte BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert noch im April, nach dem Anschlag auf den Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt, von »niederschmetternden Informationsdefiziten« über Struktur wie Handeln der RAF gesprochen.
Der Rucksack-Fund machte die Fahnder nach eigenem Bekunden »sprachlos«. Mehr als 20 Briefe, die meisten von Birgit Hogefeld und ihrer Mutter geschrieben, und etliche Tonbandkassetten geben Einblick in das Innenleben der RAF. Zumindest zwei Mitglieder der Kommandoebene nahmen ein bürgerliches Familienidyll so wichtig, daß sie ungewöhnliche Risiken auf sich luden.
Der in Wismar ausgehobene »Pharaonenschatz« (ein Ermittler) gibt der Bundesanwaltschaft, dem Bundeskriminalamt und dem Verfassungsschutz Aufschluß über *___die mutmaßliche Zugehörigkeit von Ernst-Volker Staub ____und Daniela Klette zur Kommandoebene der RAF; *___eine Beteiligung Birgit Hogefelds und Wolfgang Grams' ____beim Anschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt; *___den Plan für einen neuen Anschlag, der mit ____Unterstützung des RAF-Umfeldes vermutlich bereits ____vorbereitet wird.
Die einsamen Kämpfer der RAF haben anscheinend Probleme mit der selbstgewählten Isolation. Sie suchen die Nähe zu ihren Eltern, selbst wenn die, wie im Falle der Familie Grams, den bewaffneten Kampf ihres Sohnes entschieden ablehnen.
»Völlig perplex« waren die Fahnder nach eigenem Bekunden darüber, daß mehrere Mitglieder der Kommandoebene regelmäßig Briefe und besprochene Tonbandkassetten an ihre Eltern schickten.
In der ersten und zweiten Terroristengeneration hatte das Dogma gegolten, wer in den Untergrund abtauche, müsse mit der bürgerlichen Vergangenheit brechen und sich von Verwandten lossagen. Nicht einmal die zum vorgezogenen Ruhestand in die DDR übergewechselten RAF-Kämpfer wie Silke Maier-Witt hatten Kontakt zu ihren im Westen lebenden Angehörigen.
Aus dem Hogefeld-Rucksack förderten die Ermittler zutage, was sie bisher für unvorstellbar gehalten hatten: Es gab offenbar mehrere Treffen zwischen gesuchten Terroristen und ihren Verwandten. Zu Geburtstagen wurden Glückwünsche per Tonbandkassette übermittelt. Auch gab es von der RAF gebackenes Früchtebrot oder eingemachte Heidelbeermarmelade aus selbstgepflückten Früchten.
In einem Brief vom Sommer 1992, der in den Asservatenkammern der Ermittlungsbehörden unter der Registriernummer 1.3.11.3.4.20 abgelegt wurde, beschreibt Marianne Hogefeld ihre Freude über ein Treffen, das offenbar kurz zuvor mit ihrer Tochter Birgit, Grams und möglicherweise weiteren Terroristen stattgefunden hatte: _____« Hallo Du, Ihr alle. Es war so schön und Ihr habt » _____« alles so lieb gemacht und ich glaube wir haben viel » _____« gelernt, auch das Umgehen mit so vielem. Ihr seht gut » _____« aus, trotz allem was war und noch vor Euch ist. Das » _____« Letztere sehe ich als großes Problem. Dabei ist es so » _____« wichtig daß was getan wird. »
Auch andere Familien kümmern sich um ihre in der Illegalität lebenden Töchter und Söhne.
Im April fragte Marianne Hogefeld ihre Tochter in einem Brief (Asservatennummer 1.3.11.3.4.19), ob die Guerilla denn die Geburtstagsanzeige gelesen habe, die Familie Callsen am 18. März für ihre als Terroristin gesuchte Tochter in der Tageszeitung veröffentlichen ließ.
Unter der Rubrik »Grüße&Küsse« war dort »An Sabine C.« zu lesen: _____« Zu Deinem Geburtstag gratulieren wir Dir mit den » _____« Versen von Hilde Domin: »Keine Katze mit sieben Leben ist » _____« so zäh wie der Mensch, den man in die Sonne von Liebe und » _____« Hoffnung legt. Mit den Brandmalen auf seinem Körper, und » _____« den Narben der Wunden, verblaßt ihm die Angst. Sein » _____« entlaubter Freudenbaum treibt neue Knospen, selbst die » _____« Rinde des Vertrauens wächst langsam nach.« Diese » _____« Sonnenstrahlen schicken Dir in Liebe Deine Eltern, Brüder » _____« und Omi! »
Bisher gingen die Ermittler davon aus, daß sich nahe Verwandte aus Solidarität für humane Haftbedingungen einsitzender Guerrilleros oder deren vorzeitige Freilassung engagieren und dafür schon mal, wie zuletzt im April in Bonn, vor die Presse gehen. Die Angehörigen wurden in den letzten Jahren, mit einer Ausnahme, weder abgehört, noch wurde ihre Post heimlich gelesen.
Ein Ermittlungsverfahren hat die Bundesanwaltschaft bisher nicht gegen Verwandte von mutmaßlichen RAF-Mitgliedern eingeleitet. Rechtlich sind Angehörige nicht dazu verpflichtet, über ihre im Untergrund lebenden Töchter und Söhne Auskunft zu geben - etwa über ein Treffen oder den ihnen bekannten Aufenthaltsort.
Aus den Briefwechsel zwischen Mutter und Tochter Hogefeld wissen die Ermittler vom regen Kontakt mancher Verwandter zu den sogenannten Nahtstellenpersonen, die Verbindung zwischen den in den Untergrund abgetauchten RAF-Mitgliedern und ihrem in der Legalität lebenden Umfeld herstellen.
Als etwa der Anschlag auf das Gefängnis im hessischen Weiterstadt verübt wurde, saßen Verwandte einiger Terroristen beim Kaffee zusammen. Darüber schreibt Marianne Hogefeld (1.3.11.3.4.19) an ihre Tochter: _____« Da waren wir schon beim Kaffee da ruft mich Gisel zu » _____« sich und sagt sie wolle es mir sagen, dann machte es » _____« schnell die Runde und es kam ein riesen Jubel auf. Bei » _____« mir natürlich viel Angst. Da wurde ich getröstet bis » _____« Daumen gedrückt und auf einmal war ich froh, auch weil » _____« alle es so gut fanden. Jede Stunde wurde der Fernseher » _____« eingeschaltet und die Freude wurde immer größer. Es war » _____« ein schönes Fest. »
Ein paar Wochen später beruhigt Birgit Hogefeld ihre Mutter: Sie brauche sich wegen solcher Anschläge wie in Weiterstadt keine Sorgen zu machen. Wenn die Fahnder nicht innerhalb weniger Stunden nach dem Anschlag zugreifen könnten, sei das Schlimmste vorüber. Daß Grams sich länger nicht bei seinen Eltern gemeldet habe, hänge mit der »Aktion« zusammen.
Offenkundig war Birgit Hogefeld dabei, als der Gefängnisneubau gesprengt wurde. Keinen Zweifel läßt sie daran, so die Ermittler, daß das Konzept der Deeskalation nicht ein Ende des bewaffneten Kampfes bedeute.
Marianne Hogefeld, die mit dem SPIEGEL über den Briefwechsel mit ihrer Tochter nicht sprechen wollte, ist offenbar empört darüber, wie staatliche Behörden inhaftierte Terroristen behandeln.
Wütend schreibt sie ihrer Tochter, wie die Behörden mit der inhaftierten Christa Eckes umgingen, als deren Mutter im August 1991 starb: _____« Als man merkte, daß es mit der Frau zu Ende ging » _____« veranlaßte man, daß Christa (dorthin) geflogen wurde. 2 » _____« Schließerinnen mit ins Sterbezimmer man lockerte die » _____« Handschellen, aber macht sie nicht ab. Wir Mütter waren » _____« alle sehr empört. Ich habe angerufen wen ich nur kannte » _____« und es erzählt und hoffe nur, daß abgehört wurde und sie » _____« wissen, was wir über sie denken. 20 Min nach Christas » _____« Eintreffen starb die Mutter. »
Auch Eltern, welche die Ideologie der RAF ablehnen, bemühen sich, den Kontakt zu ihren in der Illegalität lebenden Söhnen und Töchtern nicht abreißen zu lassen.
Zwischen Grams und seinen Eltern hatte es erhebliche Spannungen gegeben - unter anderem, weil die den Anschlag in Weiterstadt ablehnten. Marianne Hogefeld vermittelte nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden im Streit. Vater Grams schrieb darauf seinem Sohn (2.3.1.2.6.6): _____« Du hast Dich ja im Brief fast nur mit Deiner Mutti » _____« auseinandergesetzt, ich kam nur in den letzten Zeilen » _____« dran. Dass auch Du im Schreiben nicht gerade der » _____« Schnellste bist, hast Du wohl von mir übernommen . . . » _____« Nach nun wohl 9jährigem, bestimmt nicht leichtem, » _____« Abtauchen von Dir, nehme ich Deine Lebensentscheidung, » _____« nämlich Deinen Teil dazu beizutragen, dass das System » _____« aufhört zu existieren, nicht erst seit Deinen letzten » _____« Zeilen ernst . . . Allerdings sehe ich bei den » _____« Wiederaufbaukosten von Weiterstadt, dass da die Falschen » _____« zur Kasse gebeten werden. Die Brandschaden-Versicherungen » _____« werden nämlich allgemein die Beiträge nicht unerheblich » _____« erhöhen. »
Deutlich wird in den Briefen, wie schwer der RAF die erstmals in einer Erklärung vom April 1992 formulierte Deeskalation im Kampf mit dem Staat gefallen ist. In einem im März dieses Jahres formulierten Brief Birgit Hogefelds an ihre Mutter heißt es: _____« Das schlimme find ich, wie viele von drinnen (Anm.: » _____« in den Gefängnissen) und auch leute draußen damit » _____« umgehen. eigentlich findet ja überhaupt keine produktive » _____« diskussion statt, wo man zusammen was rauskriegen will » _____« und antworten auf fragen sucht. ich hab oft das gefühl, » _____« daß manche ihre ganze kraft reinstecken, um z.b. » _____« nachzuweisen, wie blöde wir sind und da gibts kein halten » _____« vor bewußten entstellungen unserer texte und auch nicht » _____« vor persönlichem in den dreck ziehen . . . mit »neue » _____« beziehungen unter den Menschen« hat das überhaupt nix zu » _____« tun. »
Nach dem Fund im Wismarer Schließfach konnten die Fahnder erstmals wieder Teile der konspirativen Kommunikationsstränge zwischen den Illegalen und ihrem Umfeld offenlegen - auch wenn nahezu alle Namen und Ortsangaben in den Briefen codiert sind.
Die Briefe werden von Boten befördert. Verabreden sich Kämpfer der Kommandoebene mit den Nahtstellenpersonen, um Neuigkeiten auszutauschen, wird die »Feldpost« (ein Ermittler) ausgetauscht.
In einem wochenlangen Puzzle haben Experten des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern wohl mehr als 50 Details über Personen aus der RAF-Szene, die in den Briefen zwischen Marianne und Birgit Hogefeld erwähnt werden, mit ihren Erkenntnissen verglichen. Überraschendes Ergebnis: Dutzendfach muß es in den vergangenen Monaten zu Treffen zwischen den Kommandos und ihren Unterstützern gekommen sein.
Die Fahnder rätseln nun, ob die RAF einen neuen Anschlag vorbereitet. In einem Brief aus der Unterstützerszene an die Kommandoebene ist von einem konspirativen »Projekt« die Rede.
Die »Motivation« dafür sei vorhanden, es fehle aber noch die Möglichkeit, »an die richtigen Leute zu kommen«. Ein Bekannter sei eingeweiht worden, der Leute kenne, »die uns da den Weg evtl. etwas ebnen könnten«. Die Angelegenheit müsse »allerdings sehr vorsichtig angegangen werden, ist ja klar«. Y