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Die Araber im israelischen Kernstaat solidarisieren sich zunehmend mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Wir waren überrascht. Soviel Haß hatten wir nicht erwartet«, erschrak Israels Premier Jizchak Schamir. Araber im israelischen Kernstaat waren in den Generalstreik getreten. Mit einem »Tag des Friedens« hatten sie am 21. Dezember letzten Jahres Solidarität mit ihren in den besetzten Gebieten revoltierenden Brüdern demonstriert.

Zum erstenmal hatten auch Israels arabische Bürger - bisher eine »Luxusminorität« (so ein arabischer Fernsehjournalist) - die Fahne des Aufstands gehißt. Sie blieben jeder Arbeit fern, schlossen Schulen und Ämter, demonstrierten in Nazareth und Umm el-Fahm, randalierten auf Durchgangsstraßen. Über hundert Protestler wurden verhaftet, mehrere zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt.

Parallel zur »intifada« (Beben) in den besetzten Gebieten - mit bisher 100 Toten und über 1000 Verletzten - gärt es seither auch in Israels arabischem Sektor. Entlang der wichtigen Wadi-Ara-Verkehrsader im Herzen des Landes prasseln regelmäßig Steine gegen israelische Fahrzeuge. »Fenster zu und Augen auf,« laute die Parole, erklärt ein Autobus-Chauffeur.

In Akko wurden jüdische Geschäfte mit Hakenkreuzen beschmiert, obwohl die Stadt mit gemischter Bevölkerung noch vor zwei Jahren einen Preis als »Hüterin der Toleranz« erhalten hatte. In Kfar Rama wurden Sprüche wie »Tod den Kollaborateuren« auf Häusermauern

gesprüht, bei Schfaram 200 Olivenbäume entwurzelt. In Nazareth wurde eine Brandbombe neben ein Restaurant geworfen, das stolz den Namen »Schalom« (Frieden) trägt.

Steinbarrikaden blockierten die Einfahrt in arabische Dörfer wie Taibe und Sachnin. Sogar in Haifa und Jaffa kam es mehrmals zu Schlägereien zwischen Juden und Arabern, wehten PLO-Fahnen im Wind.

»Angesichts der Leiden unserer Brüder, mit denen sich die ganze Welt solidarisiert, dürfen wir nicht weiter schweigen«, erläutert Nimr Murkos, Vorsitzender des Ortsrats von Kfar Jassif.

Diese Woche könnte es noch schlimmer kommen. Am 30. März jährt sich der »Tag der Erde«, an dem Israels Araber traditionell ihre Unzufriedenheit auf die Straße bringen.

An diesem Tag vor zwölf Jahren hatten Kundgebungen gegen Landenteignungen in Galiläa zu blutigen Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften geführt. Sechs Araber wurden damals getötet, eine langjährige jüdisch-arabische Symbiose in der gemeinsamen Heimat wurde beschädigt.

Nach Israels Staatsgründung im Mai 1948 waren nur 150 000 Araber, meistens Landarbeiter, im jüdischen Staat geblieben. Ein Großteil der arabischen Bevölkerung, vor allem ihre politische und intellektuelle Führung, war geflüchtet. Nach einem ihnen damals sicher scheinenden späteren Sieg der arabischen Heere über die Juden wollten sie in eine befreite, judenreine Heimat zurückkehren. Doch die arabische Niederlage im Krieg 1948/49 verurteilte sie zu einem miserablen Flüchtlingsdasein, das für die meisten bis heute andauert.

Die verbliebenen Araber - 1988 aufgrund einer mehr als doppelt so hohen Geburtenrate wie bei den Israelis schon auf 750 000 angewachsen, davon 70 Prozent sunnitische Moslems, der Rest Christen und Drusen - wurden formal gleichberechtigte, im Parlament vertretene Bürger, genossen politische Freiheiten und einen relativen wirtschaftlichen Wohlstand. Sami Samocha, Soziologe an der Haifaer Universität, entdeckte bereits »eine Israelisierung der arabischen Gesellschaft«.

Doch Israels Araber sind in Wahrheit allenfalls geduldete Bürger zweiter Klasse. Zwar bleibt ihrer Jugend Israels dreijähriger Militärdienst erspart, weil sie ja nicht »für mein Land gegen mein Volk« kämpfen können. Aber gerade deshalb werden sie auch Opfer vielfacher Diskriminierung. Auf alle den Ex-Soldaten gewährten Beihilfen und Vergünstigungen beim Wohnungsbau, bei staatlichen Investitionen in den Dörfern oder auf leitende Funktionen im öffentlichen Dienst müssen sie verzichten.

»Wir sind gleich-, die Juden aber bessergestellt«, sagt ein arbeitsloser Jugendlicher in Nazareth. Nur 40 Prozent der Juden Israels bejahen gesellschaftliche Kontakte mit ihren arabischen Mitbürgern, ergab eine Untersuchung des Soziologen Efraim Jaar von der Tel Aviver Universität. Ebenfalls 40 Prozent meinten, der Staat solle eine freiwillige Abwanderung der Araber begünstigen.

Auch Israels Araber haben mit den Juden wenig im Sinn. Ein Bericht der Zeitschrift »Koteret Raschit« kam vergangene Woche zu dem Schluß, bei der arabischen Minderheit gebe es einen Konsens: ohne Israel. Will heißen, ihr Ziel bleibe ein palästinensischer Staat nicht neben, sondern anstatt Israel.

Zwar erkennt Mahmud Abu Nimr aus Galiläa, daß es eine gewisse Assimilierung gegeben hat. Aber letzten Endes sei das »nicht mein Staat und nicht meine Fahne«. Zwischen Mittelmeer und Jordan sei nur ein Staat, ein säkulares Palästina mit einer jüdischen Minorität, existenzberechtigt.

79 Prozent der israelischen Araber bezeichnen sich als Palästinenser und propagieren die Bildung eines palästinensischen Staates. Mit dem Aufbegehren in den besetzten Gebieten - wo fast alle Familienangehörige haben - glauben sie sich identifizieren zu müssen, »genau wie die Juden mit ihren Verwandten in der Sowjet-Union«.

Die meisten betrachten außerdem die PLO als Alleinvertreterin eines künftigen Klein-Palästinas, »das in spätestens fünf Jahren entstehen wird«, so ein kommunistischer Anwalt in Nazareth.

Jetzt soll der »Tag der Erde« nicht nur in Israel, sondern gleichzeitig auch solidarisch in den besetzten Gebieten mit Streiks und Massendemonstrationen begangen werden. Das könne »ein Lackmustest für Israels Araber werden«, glaubt die »Jerusalem Post«. Denn, so ein arabisches Sprichwort, »nichts gedeiht schneller als Haß«.

Zwar beteuern arabische Notabeln, der kommende »jaum silmi« (friedlicher Tag) werde als stiller Protest, würdig und ruhevoll verlaufen, »vorausgesetzt, die Sicherheitskräfte greifen nicht ein«. Doch Extremisten wie die der »Ibn el-Balad«-Bewegung (Sohn des Landes) versuchen, die Bevölkerung der 132 arabischen Ortschaften und 32 Beduinenstämme Israels zu gewaltsamer Revolte zu treiben. Einer ihrer Sprecher drohte: »Das wird ein wahrer Krieg werden.«

Israels chauvinistische Fanatiker argwöhnen, diese Kräfte unter den Arabern im Kernstaat könnten zur »fünftesten aller Kolonnen« werden. Also müsse Israel schon jetzt wie in den besetzten Gebieten auch im eigenen Kernstaat eine Politik der eisernen Faust betreiben, forderte der Knesset-Abgeordnete David Danino. Ultras verlangen sogar eine Massenausweisung »aller antistaatlichen Elemente«.

Auf beiden Seiten des Grabens, der sich im Land aufgetan hat, glauben nur wenige Zweckoptimisten, die Krise könne noch ein gutes Ende nehmen. Denn, so ein kürzlich nach 20 Dienstjahren pensionierter arabischer Polizist: »Aus Mist kann man kaum Buttermilch machen«.

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