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GRIECHENLAND Ferien und Feiern

In keinem EG-Staat wird weniger gearbeitet als in Griechenland. *
aus DER SPIEGEL 47/1985

Nur dünn klang der Applaus beim Jugendfest von Griechenlands Regierungspartei im »Friedens- und Freundschaftsstadion« bei Piräus.

Sozialistenchef und Ministerpräsident Andreas Papandreou hielt seinen jungen Genossen eine Standpauke. Sie sollten sich von »unzeitgemäßen Forderungen« trennen und eine »neue Moral in der Produktion« zeigen, so redete er seinen Zuhörern ins Gewissen.

Das war wenige Wochen, bevor Massenstreiks gegen Papandreous neue Austerity-Politik begannen, weite Teile des öffentlichen Lebens zu lähmen (SPIEGEL 44/1985).

Noch ist kein Ende der Arbeitskämpfe abzusehen, ist nicht zu schätzen, wie viele Arbeitsstunden der Volkswirtschaft verloren gehen, doch soviel steht fest: Auch ohne große Streiks war die Produktivität in den letzten Jahren auf 44 Prozent des EG-Durchschnitts zurückgegangen, bedingt vor allem durch die ständig schwindende Arbeitslust der Griechen.

Daß es so weit kam, ist aber auch die Schuld der Athener Regierungen, die sich die Dankbarkeit des Wahlvolks mit großzügigen Geschenken sichern wollten. Um die Fünftagewoche, die Wochenarbeitszeit von 40 Stunden und den einmonatigen Jahresurlaub brauchten Griechenlands Werktätige, anders als ihre Kollegen im übrigen Europa, nicht erst groß zu kämpfen.

Einmalig in Europa ist auch, was die Griechen im Laufe des Jahres sonst noch an freier Zeit herausschinden. Noch vor sechs Jahren arbeitete die Industrie etwa 308 Tage im Jahr. Heute sind es kaum noch 220 Tage, und die Tendenz zum weiteren Abbau nimmt zu.

Denn mit beträchtlichem Erfindungsreichtum verstehen es Griechenlands Arbeitnehmer, immer neue Feiertage einzuführen. »Weltpioniere« nannte der nordgriechische Industrieverband ironisch die griechischen Feiertagsspezialisten.

Sollte Griechenland EG-Niveau erreichen wollen, rechnete die angesehene Wirtschaftswochenzeitung »Oikonomikos Tachydromos« ihren Lesern vor, müßte es seine Arbeitsproduktivität mit einem Jahrestempo von neun Prozent steigern. Dazu aber fehlt es nicht nur am Leistungswillen, sondern - wegen der vielen Festtage und Arbeitspausen - auch an der notwendigen Zeit.

So leisten sich die Griechen zum Beispiel nicht nur einen, sondern gleich zwei Nationalfeiertage: am 25. März zur Erinnerung an ihre Unabhängigkeit von den Türken im Jahre 1821 und am 28. Oktober zum Gedenken an den Kriegseintritt gegen die Italiener im Jahre 1940. Arbeitsfrei ist jedoch nicht nur der jeweilige Nationalfeiertag, sondern schon am Vortag ruht in öffentlichen Dienststellen und Unternehmen die Arbeit, damit patriotische Reden zur Würdigung des (kommenden) Tages angehört werden können.

Selbst die Obristendiktatur lieferte einen Anlaß zur Arbeitsruhe. An Universitäten und Schulen wird für zwei bis drei Tage der Lehrbetrieb unterbrochen, wenn der 17. November naht, der Tag, an dem des Studentenaufstands gegen die Militärs im Jahre 1973 gedacht wird.

Zu den Nationalfeiertagen kommt ein System lokaler Festanlässe. So feiern Städte und Gemeinden nicht nur ihre

Schutzheiligen, sondern auch ihre jeweilige Etappe der Befreiung vom türkischen Joch oder des Abzugs der deutschen Besatzungstruppen. In nordgriechischen Städten ruht die Arbeit sogar wegen des Gedenkens an die Befreiung von den Bulgaren.

Darüber hinaus finden alljährlich Gedenkfeierlichkeiten zur Erinnerung an die Exekution von Widerstandskämpfern durch die deutschen Besatzer statt. Neuerdings gibt es auch Feiertage zum Gedenken der Kämpfe kommunistischer Partisanen während des Bürgerkrieges. An allen solchen Tagen bleiben Ämter, Büros und Läden geschlossen.

Offiziell sind für den öffentlichen Dienst 14 gesetzliche Feiertage festgelegt. Hinzu kommen aber weitere vier sogenannte Halbfeiertage, etwa die Tage vor Weihnachten oder Neujahr, die faktisch voll als Freizeit genutzt werden.

Fällt ein gesetzlicher Feiertag auf Sonnabend oder Sonntag, lassen sich die Beamten dafür einen anderen Werktag als Ausgleich geben. Erst in diesem Jahr ging die Regierung daran, diese Ersatzleistung allmählich zu streichen.

Mit Hingabe verteidigen zahlreiche Beamtengruppen die ihnen seit Jahrzehnten zugestandenen »Berufsfeiertage«. Post- und Elektrizitätsbeamte, Lehrer und Polizisten suchten sich einen Heiligen, um dessen Gedenktag als zusätzlichen Urlaubstag verbuchen zu können. Auch die Streitkräfte machen da keine Ausnahme: Zusätzlich zum »Tag der Armee« feiern Infanterie und Marine, Luftwaffe und Artillerie ihre eigenen Schutzpatrone.

Als Griechenlands führende Freizeitstrategen erweisen sich die Justizbeamten und Erzieher. Richter gehen am 1. Juli in Ferien und erscheinen erst Mitte September wieder. Während dieser Zeit gibt es in den Gerichten nur einen Notdienst.

Lehrer kommen nicht nur in den Genuß der zweieinhalb Monate langen Sommerferien, sondern können sich zusätzlich auch zu Weihnachten und Ostern für jeweils zwei Wochen vom Unterrichten erholen. Dazu kommen die vielen schulfreien Feiertage, vermehrt noch durch besondere Anlässe. So werden, wenn Parlaments- und Kommunalwahlen stattfinden, die Klassenzimmer für einige Tage geräumt, damit sie als Wahllokale dienen können.

Erziehungsminister Apostolos Kaklamanis rechnete den Pädagogen vor, in den meisten europäischen Ländern summiere sich der Unterricht auf 40 Wochen pro Jahr, Griechenland dagegen komme nur auf 25 bis 30 Unterrichtswochen. Als aber der Minister darangehen wollte, die Superferien zurechtzustutzen, drohten die Lehrer mit Streik.

Die reichlich bemessene Freizeit gehört, neben Arbeitsplatz-Sicherheit und gemächlichem Arbeitstempo, zu jenen Privilegien, die einen Job beim Staat für junge Griechen attraktiver erscheinen

lassen. Laut Umfrage würden 64 Prozent der Griechen bis 25 Jahre lieber den öffentlichen Dienst wählen als die private Wirtschaft. In den anderen EG-Ländern wollten dagegen nur 26 Prozent der gleichaltrigen Befragten in Staatsdienste treten.

Doch auch Griechenlands Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft bleibt noch reichlich Zeit zur Erholung. Die Arbeitsgesetzgebung schreibt Privatunternehmen vor, bestimmte religiöse Feiern und Nationalfeiertage sowie Lokal- und Berufsfeste einzuhalten. Diese Vorschrift wird von der Belegschaft so großzügig ausgelegt, daß aus den 6 gesetzlichen Feiertagen in der Praxis 12 bis 14 arbeitsfreie Tage bei vollen Bezügen werden.

Industriearbeiter, die an solchen Tagen aus betrieblichen Gründen zum Dienst erscheinen müssen, erhalten einen Lohnzuschlag von 75 Prozent. Bei den letzten Parlamentswahlen im Juni mußten Privatunternehmen auf Anordnung der Regierung ihren Mitarbeitern bis zu einer Woche vollbezahlten Sonderurlaub gewähren, damit diese in ihrem Heimatbezirk zur Wahl gehen konnten.

Einmal gewährte Freizeit lassen sich Griechenlands Arbeitnehmer nicht so ohne weiteres wieder nehmen, auch wenn der Anlaß für die arbeitsfreien Tage längst nicht mehr besteht. So erhielten die Elektrizitätsbeamten einen Ersatztag für den nach der Abschaffung der Monarchie gestrichenen Feiertag anläßlich des Namenstages von König Konstantin, ebenso wie die im Mineralölhandel Beschäftigten für den Wegfall des schon seit der Zeit des Konstantin-Vaters König Paul gefeierten Apostel-Paul-Tages am 29. Juni.

Die Freude an Feiern und Ferien »wäre nicht so schlimm«, meinte Nikos Analytis, Präsidiumsmitglied des griechischen Industrieverbands, »wenn zumindest an den Arbeitstagen gearbeitet würde«. Klagt ein Minister: »Die öffentliche Verwaltung produziert nebenher alles mögliche, dazu gehören Telephonate und Strickwaren.« Die Chefin einer in Griechenland sehr bekannten Pullover-Firma gibt gern zu, daß sie das Stricken in ihrer Zeit als Bankbeamtin gelernt und den florierenden Handel damals begonnen habe.

Daran werden auch Griechenlands Parlamentarier so leicht nichts ändern - aus Zeitmangel. Denn die Volksvertreter sind Spitzenreiter im Ferienmachen.

Neben längeren Arbeitspausen billigten sich die Parlamentarier einen mehrmonatigen Jahresurlaub zu. Von Mitte Juni bis Anfang Oktober ist in Athen allenfalls ein Drittel der Abgeordneten anzutreffen.

Ende Oktober, am Tag des heiligen Dimitrios, wurde eine Parlamentssitzung suspendiert, weil angeblich zu viele der am Betrieb der Volksvertretung Beteiligten ihren Namenstag feiern mußten.

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