WEIHNACHTSGELD Festgeschenk mit Vorbehalt
Die Richter des 5. Senats beim Kasseler Bundesarbeitsgericht (BAG) haben den bundesdeutschen Unternehmern noch rechtzeitig zum Weihnachtsfest einen wertvollen Fingerzeig gegeben. Während die Arbeitgeber bisher nicht umhin könnten, dem Arbeitnehmer seine Weihnachtsgratifikation uneigennützig zu gewähren, dürfen sie - nach einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 505/58) - das Weihnachtsgeld fortan auch für sich selbst nutzbar machen: Sie können ihre sozialen Fest-Geschenke mit Bedingungen verknüpfen.
Dieses Recht danken die Arbeitgeber der 45jährigen Edith Moritz, über deren Klage das oberste Arbeitsgericht unlängst letztinstanzlich entschied. Frau Moritz war als deutsch-spanische Stenotypistin und . Fakturistin bei der mit Eisen handelnden Hamburger Firma Dobbertin & Co. beschäftigt und hatte ihrem Senior-Chef Carl Dobbertin über 14 Jahre lang treue Dienste geleistet.
Als sie jedoch am 31. März, dem Tage, an dem sie aus der Firma ausscheiden wollte, ihr letztes Gehalt in Empfang nahm, fand sie in der Lohntüte 162,40 Mark zu wenig vor. Gleichzeitig forderte der Hamburger Eisen-Exporteur weitere 182,60 Mark von seiner scheidenden Fakturistin. Damit verlangte er die gesamte Weihnachtsgratifikation in Höhe von 345 Mark wieder zurück, die er ihr am Ende des vorhergehenden Jahres so großzügig gewährt hatte.
Der Edith Moritz wollte die kleinliche Handlungsweise ihres Chefs nicht recht einleuchten. Von ihrem Rechtsanwalt und Namensvetter Dr. Helmut Moritz ermuntert, beschloß sie, dem Geschäftsmann das einbehaltene Weihnachtsgeld mit gerichtlicher Hilfe wieder zu entreißen.
Anwalt Moritz war nach genauem Studium der einschlägigen arbeitsgerichtlichen Spruchpraxis zu dem Schluß gekommen, seine Mandantin habe zum Ende des Kalenderjahres einen einklagbaren Rechtsanspruch auf die Gratifikation gehabt. Seit Jahren galt nämlich als herrschende Meinung, daß die Arbeitnehmer auf ihr Weihnachtsgeld einen solchen Anspruch geltend machen können,
- wenn dies zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbart worden ist,
- wenn der Arbeitgeber die Gratifikation in einem einzelnen Arbeitsvertrag zugesichert hat oder
- wenn innerhalb eines Unternehmens die »betriebliche Übung« entstanden ist, Weihnachtsgeld zu zahlen.
Von betrieblicher Übung, so hatten die Bundesarbeitsrichter in Kassel-Wilhelmshöhe 1956 entschieden, könne noch keine Rede sein, wenn der Unternehmer seine Angestellten nur zweimal freiwillig mit einer Gratifikation bedacht habe. Nach dreimaliger Weihnachts-Zahlung - darin sind sich die deutschen Arbeitsrichter einig - verwandelt sich die freiwillige Leistung unversehens in eine Art innerbetriebliches 'Gewohnheitsrecht, und die Firma ist dann verpflichtet, ihren Arbeitnehmern das Weihnachtsgeld auf den Gabentisch zu legen.
Der-Hamburger Eisenhändler Dobbertin zahlte nun schon seit über zehn Jahren Gratifikationen, machte der Fakturistin Edith Moritz gegenüber jedoch geltend. betriebliches Gewohnheitsrecht könne in seiner Firma dennoch nicht entstanden sein, so daß Frau Moritz die 345 Weihnachts-Mark verschmerzen müsse.
Die Eisen-Kompanie hatte nämlich alles getan, das Weihnachtsgeld nicht obligat werden zu lassen: In einem Rundschreiben teilte Dobbertin den Betriebsangehörigen Jahr für Jahr mit, »daß es sich (bei der Weihnachtsgratifikation) um eine einmalige freiwillige Leistung handelt aus der keine Rechtsansprüche für spätere Jahre abzuleiten sind«.
»Wenn ein Arbeitgeber«, so bestätigte ein vier Jahre altes BAG-Urteil diese Ansicht, »nur immer mit diesem Vorbehalte zahlt, kann ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten nicht entstanden sein.« Die Gewährung des Weihnachtsgelds bleibe so lange freiwillig, wie der Unternehmer sie für einmalig erkläre.
Die scheinbar spitzfindige Differenzierung zwischen einklagbarem und nicht einklagbarem Weihnachtsgeld - die mittlerweile zur herrschenden Ansicht avanciert ist - hat rechtlich ihre Bedeutung: Wird die Weihnachtsgabe freiwillig gezahlt, bleibt es der unternehmerischen Phantasie des einzelnen Arbeitgebers - aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit - überlassen, auch den Zweck seiner Zuwendung selbst zu bestimmen.
Bis zum Jahre 1956 waren die Arbeitsgerichte davon ausgegangen, daß die Weihnachtsgratifikation eine Anerkennung »für die in der Vergangenheit geleisteten Dienste« und daher als ein Teil des Jahresentgelts anzusehen sei.
Diese Version, 1954 erst vom 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts in einer Entscheidung bestätigt, durch die erstmals Licht in das Dickicht gratifikation§rechtlicher Normen gefallen war, wurde jedoch bereits 1956 durch ein höchstrichterliches Urteil desselben 2. Senats wieder unterhöhlt:
Ein Arbeitgeber hatte denjenigen seiner Arbeitnehmer das Weihnachtsgeld versagt, die zum Ende des Kalenderjahres ausschieden. Er gab damit zu erkennen, daß er mit dem Weihnachtsgeld nicht nur treue Dienste in der Vergangenheit entgelten, sondern die Angestellten gleichzeitig moralisch verpflichten wollte, der Firma auch im neuen Jahr treu zu bleiben. Die Abwanderer hätten indes einen solchen Wunsch nicht erfüllen können; sie mußten deshalb leer ausgehen. Die Kasseler Bundesrichter gaben dieser Rechtsmeinung ihr Plazet.
Auch Carl Dobbertin hatte, durch dieses Urteil der Weihnachtsgeld-Richter gedeckt, seinen zum Jahresende ausscheidenden Arbeitnehmern die Weihnachtsgratifikation verweigert. Doch bald darauf interpretierte er das Wesen seiner Gratifikation noch weiter ausladend:
Der Eisenmann ließ seine Arbeitskräfte einen Revers unterschreiben, durch den »diejenigen Firmenangehörigen, die bis zum 1. April 1958 das Arbeitsverhältnis kündigen, sich zur Rückzahlung der erhaltenen Weihnachtsgratifikation« verpflichteten. Das Festgeschenk wurde von Dobbertin also unter der Bedingung gewährt, daß seine Angestellten ihm für mindestens weitere drei Monate Treue schworen.
Betriebs - Veteranin Edith Moritz hatte unter diese Klausel arglos ihren Namen gesetzt, zumal der Revers ihr als einzige Quittung für das Weihnachtsgeld vorgelegt worden war. Als sie dann zum 1. April den Dobbertin-Betrieb verließ und dagegen protestierte,
daß ihr Festgeschenk wieder einbehalten wurde, berief sich der Arbeitgeber auf ihre Unterschrift.
Die Fakturistin und ihr Anwalt hielten-diese Unterschrift jedoch für rechtlich unwirksam. Sie bemühten deshalb das Hamburger Arbeitsgericht, das der Frau Moritz das von Dobbertin requirierte Weihnachtsgeld wieder zusprach. Der Eisenhändler ging daraufhin in die Berufung.
Aber auch die Hamburger Landesarbeitsrichter hielten für fraglich, ob an eine vorweihnachtliche Gratifikation überhaupt Bedingungen geknüpft werden dürfen, und fanden zu dieser Rechtsfrage ein höchstrichterliches Urteil aus dem Jahre 1954, das auf den Streit Moritz kontra Dobbertin haargenau zugeschnitten schien:
Mit einer Gratifikation, so hatte sich der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts damals vernehmen lassen, könne nicht das Ziel verbunden werden, daß der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber verbleibt. Die Ungewißheit, ob der Arbeitgeber die Weihnachts-Zuwendung behalten kann oder ob er sie vielleicht »wegen eines erst später eintretenden Umstandes« (wie einer unvorhergesehenen Kündigung) zurückzahlen muß, bezeichneten die Bundesrichter im Jahre 1954 als eine unzulässige Kündigungserschwerung, die dem Wesen der Gratifikation widerspreche und deshalb »nicht tragbar« sei.
Die Hamburger Landesarbeitsrichter folgten hierin ihren erfahreneren Kasseler Kollegen und erklärten Dobbertins Bindungs-Klausel kurzerhand für rechtsunwirksam.
Der an einer grundsätzlichen Klärung der verworrenen Gratifikations-Usancen interessierte Hamburger Arbeitgeberverband, der den Dobbertins juristischen Beistand leistete, wollte sich mit dem arbeitgeberfeindlichen Urteil des Hamburger Landesarbeitsgerichts nicht zufriedengeben und beantragte Revision beim Kasseler Bundesarbeitsgericht, dessen 5. Senat mittlerweile für Gratifikations-Fragen allein zuständig ist.
Der 5. BAG-Senat unter Vorsitz des Senatspräsidenten Professor Dr. Dr. Boldt konnte sich nicht dazu entschließen, die Rechtsprechung des 2. Senats aus dem Jahre 1954 zu übernehmen, sondern entschied genau gegenteilig: Wenn es einem Arbeitgeber - wie Dobbertin -»freisteht, ob er überhaupt eine Gratifikation zahlt, dann steht es ihm ... auch frei einen entsprechenden Rückzahlungsvorbehalt zu vereinbaren«.
Hatte der 2. Senat zu Kassel unter Mitwirkung desselben Präsidenten Boldt noch im Jahre 1956 entschieden: »Die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß die Kündigung einseitig mit wirtschaftlichen Nachteilen zu Lasten des Arbeitnehmers gekoppelt ist«, so kümmerte den 5. Senat auch diese mittlerweile als herrschende Ansicht anerkannte höchstrichterliche Norm wenig. Er leistete seinen Beitrag zur arbeitsrechtlichen Unsicherheit, indem er auch diese Entscheidung des 2. Senats in ihr Gegenteil verkehrte.
Befand der Boldt-Senat im Moritz-Verfahren: Edith Moritz müsse den »Nachteil« in Kauf nehmen, der ihr aus der Zurückzahlung der 345 Mark für den Fall der Kündigung zum 1. April erwachse, denn das sei ja »nichts anderes, als der Verkauf einer einzigen Kündigungsgelegenheit«.
Der Gedankengang des 5. Senats gipfelte in der Empfehlung: »Der Arbeitnehmer, der glaubt, ihm sei es aus Konjunkturgründen mehr wert, jederzeit kündigen zu können ... muß es unterlassen, solche... Gratifikationen anzunehmen.«
Andererseits leistet dieser Spruch jenen Arbeitgebern Schützenhilfe, die unter der Fluktuation ihrer Arbeitskräfte zu leiden haben und versuchen, sie durch zusätzliche soziale Leistungen auch für die Zukunft an sich zu binden...
Assessor Dr. Becker vom Hamburger Arbeitgeberverband des Groß- und Außenhandels, der als Dobbertins Rechtsbeistand den Muster-Prozeß in Kassel durchgefochten hat, wertet seinen Erfolg als erste Bestätigung des von den Arbeitsrechtlern frisch erfundenen Schlagworts vorm Arbeitgeberschutz - Becker: »Lassen Sie das Wort einmal auf der Zunge zergehen« -, den sie angesichts des zunehmenden Arbeitskräftemangels für unumgänglich halten.
Durch das BAG-Urteil ermutigt, läßt sich die Eisenhandlung Dobbertin dieses Jahr einen Revers unterzeichnen, in dem sie die Bedingungen für die Gewährung ihrer Christfest-Gabe konsequent ausbaut: Die Betriebsangehörigen müssen nun geloben, der Firma mindestens bis zum 30. Juni des nächsten Jahres treue Dienste zu leisten.
Arbeitnehmerin Moritz
Wer kündigt, muß zurückzahlen
Boldt
Eisenhändler Dobbertin
Neue Lösung: Arbeitgeberschutz