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LANDWIRTSCHAFT Feuer unterm Dach

Bonns Regierende wollen den Bauern mit weiteren Subventionen helfen. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Wo immer Franz Josef Strauß in der vergangenen Woche Gerhard Stoltenberg traf, stets hatte er ein paar unfreundliche Worte parat.

Auf die Idee, noch kurz vor der Wahl die europäischen Währungen neu zu bewerten und damit die Bauern zu verunsichern, müsse ja wohl ein vorwitziger Staatssekretär gekommen sein, hänselte der CSU-Chef am Dienstag in der Sitzung des Fraktionsvorstandes. Diese Entscheidung habe er getroffen, stellte sich der Finanzminister. Wenn schon, grummelte Strauß, dann hätte man das viel früher oder erst nach der Wahl machen müssen.

Einen Tag später, als sich die Union auf die in dieser Woche beginnenden Koalitionsverhandlungen mit den Liberalen vorbereitete, war der Bayer schon wieder beim Thema. Den knappen Wahlsieg im Juni in Niedersachsen habe man ihm, Strauß, zu verdanken. Er sei es gewesen, der Stoltenberg gezwungen habe, rechtzeitig zum Wahltermin einige hundert Millionen Mark für die Bauern lockerzumachen. Mit »zitternder Stimme« (ein Teilnehmer) verbat sich der Finanzminister den Anwurf; dazu habe ihn niemand zwingen müssen.

Strauß sucht einen Schuldigen für ein Problem der Union, das schon vor der Bundestagswahl deutlich geworden war. Auf die deutschen Bauern, traditionell christdemokratisch, ist kein rechter Verlaß mehr. Auf dem Lande, das hat die Bundestagswahl bestätigt, gärt es weiter.

Die Signale waren deutlich: *___In seinem ländlichen Wahlkreis Steinfurt II mußte der ____CDU-Abge ordnete und Präsident des Deutschen ____Bauernverbandes, Constantin Frei herr von Heereman, ____büßen, er verlor 8,1 Prozentpunkte der Erststimmen; *___in Rheinland-Pfalz, wo am 17. Mai die nächste Wahl ____ansteht, brach die Union in den ländlichen Bereichen ____ein, in Bitburg zum Beispiel mit einem Stimmenrückgang ____von 8,4 Pro zentpunkten; *___in Niedersachsen verlor die CDU in vier Jahren 254000 ____Stimmen, davon allein 110000 in 13 agrarisch be ____stimmten Wahlkreisen; *___in Bayern gingen nur 81,8 Prozent der Wahlberechtigten ____zur Wahl, so wenig wie seit 1949 nicht mehr.

Lautstark hatten schon in der letzten Kabinettssitzung vor der Wahl Bonner Minister die schlechte Stimmung beim Landvolk beklagt. In ihren Gesprächen mit den Bauern, berichteten Verkehrsminister Werner Dollinger und Familienministerin Rita Süssmuth, würde heftige Klage geführt gegen die Bonner Agrarpolitik. Die Lage der Landwirtschaft, setzte Straußens Bonner Statthalter, Innenminister Friedrich Zimmermann, noch einen drauf, habe sich dramatisch verschlechtert. Zimmermann: »Es herrscht Feuer unter dem Dach.«

Im CDU-Präsidium berichtete Frau Süssmuth, als Kandidatin im Wahlkreis Göttingen, mit engem Kontakt zur Scholle, habe sie gespürt, wie die schlechte Stimmung den gesamten ländlichen Raum erfaßt habe. In ihrem Bemühen um die Großstädte habe die Union das flache Land auch kulturell sträflich vernachlässigt. Die Ministerin: »Wir brauchen eine Offensive im ländlichen Raum.«

Die müßte schnell laufen: In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, wo am 13. September gewählt wird, hängt der Wahlsieg der CDU und mithin deren Mehrheit im Bonner Bundesrat an den Bauern (siehe Seite 34).

Die miese Stimmung trifft die Unionisten um so stärker, als noch nie so viel Geld an die Landwirte verteilt worden ist wie unter christdemokratischer Regentschaft. Allein im vorigen Jahr brachte der Finanzminister 19,2 Milliarden Mark auf - mehr, als die Bauern mit ihrer Arbeit erwirtschafteten.

Auch sonst wurden die Landwirte unter Kohl nicht eben streng behandelt. Im Durchschnitt zahlte jeder Vollerwerbsbetrieb im Vorjahr 1947 Mark Steuern kassierte aber 27000 Mark direkte Subventionen - den Steuerverzicht der Vorsteuerpauschale nicht gerechnet. Am Geld allein kann es also nicht liegen, wenn die Landwirte mosern und die Union bei Wahlen strafen.

CDU und CSU werden Opfer ihrer eigenen Versprechen. CSU-Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle versichert den Agrariern immer noch, er werde ihr Eigentum und ihre Selbständigkeit garantieren. Das aber wird nicht gelingen - selbst wenn der Schleswig-Holsteiner Stoltenberg noch mehr Geld unsinnig aufs Land pumpt: Die Deutschen und ihre kleinen Betriebe können auf Dauer nicht mithalten. 84 Prozent der britischen und 54 Prozent der französischen Landwirte beackern mehr als 30 Hektar - in Deutschland nur ein Viertel.

Recht hilflos fiel die erste Bilanz der Unionspolitiker vorige Woche aus. Kiechles Ansatz, mit noch mehr Geld Landwirte zur Produktionseinschränkung zu bewegen oder aus Landprodukten Energie zu gewinnen, wird das Überschußproblem in der Europäischen Gemeinschaft nicht lösen; was die Deutschen weniger auf den Markt bringen, liefern andere.

Der Bauer, trug der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth im CDU-Präsidium vor, müsse langsam umerzogen werden. Nicht mehr der bäuerliche Familienbetrieb, der Getreide und Milch verkauft, sei gefragt die Zukunft gehöre dem Dienstleistungsbetrieb, der ökologische Aufgaben erfüllt und sauberes Wasser erzeugt.

Die Runde hörte es gern. Doch Späths Langfristanalyse wird nicht helfen, wenn im Frühjahr die Preise für die Agrarprodukte und damit die Einkommen der Landwirte nicht angehoben werden können, weil die EG-Kassen leer sind.

Vorsichtshalber sprachen die Bonner Bauernfürsorger letzte Woche schon mal über neues Geld: Die Vorsteuerpauschale, die vom nächsten Jahr an ausläuft, könnte verlängert werden. Das kostet den Finanzminister rund drei Milliarden Mark jährlich, ändert aber nichts an den Problemen der Landwirtschaft.

»Die Sorgen mit den Bauern«, so resümierte vorige Woche ein Teilnehmer, »werden uns in dieser Legislaturperiode begleiten.«

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