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RENTEN Fiktive Werte

Im »Jahr der Frau« geht es vor dem Bundesverfassungsgericht um Gleichberechtigung für Männer. Anlaß sind Absurditäten im Rentenrecht.
aus DER SPIEGEL 1/1975

Ein deutscher Generaldirektor, verheiratet mit einer Beamtin, maximiert seinen Profit, wenn die Ehefrau stirbt. Er empfängt Witwer-Pension -- wie viel er auch immer verdient oder besitzt.

Ein deutscher Vorarbeiter, verheiratet mit einer Verkäuferin, zahlt drauf, wenn ihm das gleiche Schicksal widerfährt. Er muß sich und vielleicht seine Kinder mit dem durchbringen, was er schon immer in der Tüte hatte -- sofern er vorher den Familienunterhalt »überwiegend« bestritten hat.

Ob solche und andere Unterschiede Rechtens sind, darüber berät gegenwärtig das Bundesverfassungsgericht (BVG): Sieben Witwer, die sich von Staats wegen betrogen fühlen, streiten um die Gleichberechtigung des hinterbliebenen Mannes. Denn die sieben leiden nicht allein. Rund 200 000 Renten, die von verwitweten Frauen bezogen werden, stehen derzeit nur gut 7000 Witwerrenten gegenüber. Pflichtet Karlsruhe den Klägern bei, kommen auf Bonn Belastungen in Milliardenhöhe zu.

Gemessen an der bisherigen Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts, stehen die Chancen unentschieden. Auszuräumen ist ein Votum von 1963, das »Differenzierung« zwischen Mann und Frau für legitim hielt. Zugunsten der Beschwerdeführer könnte hingegen ein Beschluß von 1967 sprechen, mit dem eine fast gleichlautende Regelung im Beamtenrecht für verfassungswidrig erklärt worden war.

Seit der zweiten Karlsruher Entscheidung gibt es jedenfalls vielerlei Recht: Alle Pensionsvorschriften des Bundesbeamtengesetzes »gelten entsprechend für den Witwer«. Dagegen erhält nach den Klauseln der Sozialversicherung ein Ehemann (wiederum anders als die Ehefrau, die immer Anspruch hat) nur Witwerrente, »wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat«.

Zu- oder Absage von Renten geraten allemal zum Rechenexempel. Überwiegend heißt: »Mehr als die Hälfte«. Doch zu berücksichtigen ist dabei zusätzlich der »wirtschaftliche Wert der Leistungen als Mutter, Hausfrau und Mithelfende« -- ein fiktiver Wert, für den es keine einklagbare Norm gibt. Und welche Absurditäten solches Renten-Recht erlaubt, demonstrierte die »Neue Juristische Wochenschrift« ("NJW") an drei Beispielen:

* Nettoverdienst des Mannes 1000 Mark im Monat; letzte Einkünfte der Frau im Jahr vor dem Tode waren 700 Mark Krankengeld plus Anrechnungswerte für Haushaltsführung und Kinderbetreuung. »NJW": »Hier hat die Ehefrau den Unterhalt überwiegend bestritten.«

* Derselbe Mann würde leer ausgehen, wenn sich das Krankenlager der Ehefrau und Mutter länger hingezogen hätte. Nach 78 Wochen Arbeitsunfähigkeit wäre sie »ausgesteuert« worden. Sie hätte keinen Anspruch mehr auf Krankengeld gehabt, der Mann somit den »Unterhalt überwiegend« bestritten.

* Ein Student heiratet eine Angestellte, die 1200 Mark netto verdient; er ist ohne Einkommen. Stirbt sie Anfang Januar nach halbjähriger Ehe und macht er noch im Todesmonat sein Examen »und verdient von da ab 2500 Mark«, so erläutert das Fachblatt, erhält der Witwer nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Rente.

Es ist ein Recht voller Widersprüche. Der Bedürftige mit Kind und geringem Einkommen erhält nichts, der Aufsteiger bekommt noch draufgezahlt -- eingebettet in ein System, das Beamte bevorzugt, Sozialversicherte benachteiligt und generell Männer anders behandelt als Frauen.

Die »NJW« qualifiziert diese Zurücksetzung der Männer gar als »enteignungsgleichen Eingriff«. Denn: Die Beiträge der Frau zur Rentenversicherung seien »der gemeinsamen Lebensführung der Ehegatten entzogen worden«. Wäre dieselbe Summe aber in eine private Lebensversicherung eingezahlt worden, würde sie dem Mann zu-gute kommen.

Solcher Logik allerdings mochte sich Staatssekretär Heinz Eicher vom Bundesarbeitsministerium nicht aufschließen. Renten, so argumentierte er vor den Karlsruher Richtern, seien »kein Äquivalent für eingezahlte Beiträge«. Und in der Tat hatte 1963 auch das Verfassungsgericht befunden, daß in der Sozialversicherung »die einen die Beitragslast für die Familienversorgung der anderen mittragen«. Berücksichtigt würden, so Karlsruhe damals, mit gutem Grund nicht nur die Beiträge, sondern auch »versicherungsfremde«, nämlich »soziale« Gesichtspunkte.

Die der neuen Verfassungsprüfung gestellte Frage, ob eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse neue rechtliche Wertungen gebiete, hat Eicher schon verneint. Nach wie vor sei die »soziale Schutzbedürftigkeit von Mann und Frau verschieden«. Das »Einkommen des Mannes« -- Gehalt oder Rente -- »fließt unverändert fort«; die Frau, so sieht es der Bonner Staatssekretär, stehe demgegenüber meist mittellos da.

Wenn Karlsruhe sein Urteil am 12. März verkündet, dann ist nicht nur über ein Stück Gleichheit vor dem Gesetz entschieden, sondern auch über einen Posten künftiger Bundeshaushalte: Die Gleichberechtigung der Witwer würde allein im ersten Jahr 1,5 Milliarden Mark zusätzlich kosten. Diesen zusätzlichen Finanzbedarf, so Eicher, müßten entweder die Beitrags- oder die Steuerzahler aufbringen.

Für den Fall, daß die Verfassungsrichter der Klage stattgeben, ist allerdings vorgesorgt. Eine gesetzliche Neuregelung, so beteuerte der Staatssekretär, erfordere »mehrjährige Vorarbeiten«.

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