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Sambia Fischen für den Markt

Ein weiterer afrikanischer Despot mußte abtreten: Nach dem Ende der Ära Kaunda sollen Privatunternehmer das bankrotte Land retten.
aus DER SPIEGEL 46/1991

Ein Sambia ohne Korruption« versprach der neue Präsident, Frederick Chiluba, seinen jubelnden Anhängern beim Amtsantritt in der Hauptstadt Lusaka. Nur zwei Tage später, am vergangenen Montag, befahl er eine erste spektakuläre Säuberungsaktion: Kurz vor Arbeitsbeginn ließ er das Hauptquartier des Bergbaukonzerns Zambian Consolidated Copper Mines von paramilitärischen Polizeieinheiten umstellen.

Hunderte verdutzter Angestellter konnten das riesige Gebäude unweit der Cairo Road nicht betreten und mußten zusehen, wie die Sicherheitskräfte stundenlang Aktenordner fortschleppten. Ein leitender Manager wurde festgenommen, als er versuchte, mit einem Koffer voller Unterlagen aus einem Hinterausgang zu fliehen.

Chiluba, 48, Sohn eines Kumpels und jahrelang Gewerkschaftsführer, hatte dort zugeschlagen, wo Korruption und Vetternwirtschaft der alten Funktionärsmafia dem afrikanischen Land am meisten geschadet hatten - beim Hauptexportgut Kupfer, das trotz des weltweiten Preisverfalls immer noch rund 90 Prozent aller Ausfuhrerlöse bringt.

Schon vor Monaten hatte die Oppositionszeitung Weekly Post enthüllt, was Sambier seither nur noch »Coppergate« nennen: Getarnt durch dubiose Geschäfte mit einer südafrikanischen Scheinfirma, sollen Politiker und Manager 40 Millionen Dollar in ihre eigenen Taschen geleitet haben. Hartnäckig weigerte sich die alte Regierung, einen Untersuchungsausschuß über das Geschäftsgebaren des mehrheitlich staatseigenen Konzerns einzurichten.

Die Selbstbedienung der Funktionäre ist jetzt vorbei. Die bis Ende vergangenen Jahres einzig zugelassene Staatspartei Unip schrumpfte bei den Wahlen Ende Oktober zu einer nur noch regional starken Splittergruppe. Lediglich 22 Unip-Kandidaten gelangten in das 150köpfige Parlament - 19 von ihnen aus der Ostprovinz des Landes, einer traditionellen Hochburg der Partei.

Sambias erste demokratische Wahlen seit 23 Jahren beendeten auch die Herrschaft eines der letzten großen Alten Afrikas: Kenneth Kaunda, 67, der sein Land 1964 in die Unabhängigkeit geführt hatte und es seitdem zunehmend autoritärer und selbstherrlicher beherrschte, mußte sein Amt niederlegen. Der Herausforderer Chiluba erhielt fast doppelt so viele Stimmen wie der einst so beliebte Patriarch. Ein sambischer Kommentator beschrieb Kaundas Absturz als »politischen Vatermord«.

Daß Kaunda, der sich dem Demokratiewunsch seines Volkes lange widersetzt hatte, seinem Bezwinger nach der Wahl artig gratulierte, daß sich der Machtwechsel insgesamt friedlich und diszipliniert vollzog, wird Auswirkungen in ganz Afrika haben.

Als »Kulturschock« empfand Achille Mbembe, Ökonom aus Kamerun, das eindeutige Wahlergebnis: »In den Augen vieler Afrikaner ist jetzt die erste Phase unserer Unabhängigkeit endgültig vorüber.« Und die zweite Phase - der Kampf gegen Afrikas korrupte Alleinherrscher - hat bereits in mehr als 20 Ländern begonnen. Der Kontinent wird von einer Demokratiebewegung erfaßt.

In Äthiopien stürzte nach 14jähriger Diktatur der Kommunist Mengistu; in den westafrikanischen Staaten Mali und Niger sollen Politiker an Runden Tischen eine demokratische Zukunft aushandeln.

Die ehemals sozialistischen Staaten Angola und Mosambik wollen mit einer Liberalisierung der Wirtschaft das Elend ihrer Völker beheben. In Südafrika steht die Teilhabe der schwarzen Bevölkerungsmehrheit an der Macht bevor.

Afrikas »Klub der Despoten«, so das Nachrichtenmagazin Jeune Afrique, wird dagegen immer kleiner: Im Sambia benachbarten Malawi hält der Greis Kamuzu Banda noch immer starr an der Macht fest; im Nachbarland Zaire stürzt Diktator Mobutu Sese Seko den Staat ins Chaos, weil er nicht abtreten will; in Kenia, dem einstigen Musterland der Briten, verbannt Staatschef Daniel arap Moi heute jeden Dissidenten hinter Gitter.

Für den Übergang zur liberalen Demokratie haben die afrikanischen Reformer von den reichen Industrieländern des Nordens viel Lob erhalten. Ob der Wandel kurzfristig auch einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere des Kontinents bietet, bleibt dagegen zweifelhaft. »Wir haben Kaunda abgewählt, weil wir unsere Familien nicht mehr ernähren konnten«, erklärt der Gelegenheitsarbeiter Simon Mulenga aus Lusaka seine Stimme für Chiluba. »Jetzt hoffen wir, daß die Preise fallen.«

Doch zunächst wird wohl genau das Gegenteil eintreten. Der neue Präsident, der sich gern mit Polens Lech Walesa vergleicht, will mit den Rezepten der Marktwirtschaft und strikter Reprivatisierung das mit 13 Milliarden Mark verschuldete Land wirtschaftlich sanieren.

Selbst in seinen feurigsten Wahlreden hat Chiluba die viel zu hohen Erwartungen seiner Landsleute immer wieder gedämpft: »Ich bin kein Politiker, der schöne Worte macht.« Chiluba, ein wiedergeborener Christ, appellierte stets an die »Opferbereitschaft und die Arbeitsmoral« seiner Anhänger.

Er beschwor sie, nicht jede Hochzeit oder Beerdigung eines entfernten Verwandten zum Anlaß für eine mehrtägige Reise in das Heimatdorf zu nehmen, und forderte, täglich lieber zehn Minuten früher zur Arbeit zu erscheinen. Doch der Appell erreichte allenfalls jene, die einen Arbeitsplatz haben.

Als Sambia unabhängig wurde, hatten etwa 360 000 Menschen einen festen Job - bei weniger als vier Millionen Einwohnern. Inzwischen hat sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt, die Zahl der Arbeitsplätze dagegen um 10 000 verringert.

Akashambatwa Lewanika, Finanzexperte der neuen Regierungspartei MMD, sieht nur eine Lösung: »Wir müssen Privatinitiative stärken und die Menschen ermutigen, nicht nur für den eigenen Kochtopf zu fischen, sondern für den Markt.«

Gleichwohl wird die Zahl der Arbeitslosen unter der neuen Regierung zunächst steigen. Die Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) verpflichten auch Sambia zu einer drastischen Verkleinerung der Bürokratie. Einem Großteil der 130 000 staatlichen Angestellten droht nun die Kündigung.

Kenneth Kaunda, der sich auf seine Farm bei Chinsali im Norden Sambias zurückziehen will, kann dort mit Genugtuung beobachten, daß sein Nachfolger gleichfalls nicht umhinkommen wird, den Maismehlpreis zu erhöhen.

Bisher wurde das Grundnahrungsmittel mit jährlich 300 Millionen Mark subventioniert. Die Bauern jedoch erhielten für ihren Mais keine kostendeckenden Preise und schmuggelten erhebliche Teile der Ernte in die Nachbarländer.

Eine Streichung der Zuschüsse kann aber auch für die neue Regierung gefährlich werden. Bereits zweimal - 1986 und 1990 - hatten sich Hungerunruhen ausgebreitet, als Kaunda auf Anweisung des IWF den Maispreis verdoppelte.

Der Pragmatiker Chiluba hatte bereits im Wahlkampf in zahllosen Reden gedroht: »Es kommen schwere Zeiten auf uns zu.« Und: »Sambia hat ein langes Koma hinter sich. Wir sind schwach, aber wir sind aufgewacht.« o

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