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Artikel 23 / 75

BEAMTEN-BESOLDUNG Flagge gestrichen

aus DER SPIEGEL 30/1963

Zehn von elf westdeutschen Bundesländern sind gewillt, sich selbst zu entmachten.

Während sie ihre Rechte gegenüber der Bonner Zentrale gemeinhin erbittert verteidigen, haben sie auf einer ihrer solidesten Schanzen, dem Beamtenrecht, die föderative Flagge unvermittelt gestrichen.

Das Kapitulationspapier wird derzeit in dem von Bundestag und Bundesrat beschickten Vermittlungsausschuß redigiert: Die Parteien wollen einheitliche Besoldungsrichtlinien für die Staatsdiener des Bundes und der Länder sowie eine feste Höchstgrenze für alle Beamten-Klassen festlegen.

Das Projekt kommt einer planvoll angelegten Revolution gleich. Denn bislang sahen die Länder in ihren Regierungsräten und Inspektoren stets den handgreiflichsten Ausdruck ihrer Eigenstaatlichkeit und praktizierten in Sachen Besoldung hemmungslosen Föderalismus: Jedes Land gab sich nach 1945 sein eigenes Besoldungsgesetz, während für die Bundesbeamten das alte Reichsbesoldungsgesetz von 1927 in Kraft blieb.

Folge: Die Dienste eines hamburgischen Beamten wurden großzügiger entgolten als die eines gleichrangigen Kollegen in München oder Bonn.

Nachdem die meisten Bundesländer die Gehälter ihrer Beamten um sechs Prozent erhöht hatten, erhielt zum Beispiel am 1. Oktober 1962 ein baden württembergischer oder rheinland-pfälzischer Oberinspektor mit einem monatlichen Endgrundgehalt von 1041 Mark genau 117 Mark und ein nordrheinwestfälischer Oberinspektor mit einem Gehalt von 1102 Mark sogar 178 Mark mehr als sein Oberinspektor-Kollege in Bundesdiensten.

Währenddessen mußte sich ein Mittelschullehrer in Bremen bei einem Endgrundgehalt von 1108 Mark mit 105 Mark weniger begnügen als ein Mittelschullehrer in Stuttgart, der wiederum 55 Mark weniger einkassierte als sein Kollege in Düsseldorf.

Schon einmal hatte der Bund versucht, die Beamtengehälter für den öffentlichen Dienst des Bundes und aller Länder auf einen Nenner zu bringen. 1951 berief sich die Bundesregierung auf den Artikel 75 des Grundgesetzes, der dem Bund das (wenig weitreichende) Recht zum Erlaß von Rahmenvorschriften über die Rechtsverhältnisse der Landesbeamten einräumt, und bestimmte in einem »Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts«, daß die Bezüge für die Beamten und Richter des Bundes »Höchstbeträge für die Bemessung der Bezüge der entsprechenden und gleichzubewertenden ... Beamten und Richter der Länder« seien.

Im Gegensatz zu ihrem bisherigen Besoldungs-Egoismus waren die meisten Länder mit dieser Regelung durchaus Einverstanden: Wenn die heimischen Beamtenbünde neue Forderungen anmeldeten, brauchte die Landesregierung nur auf die von Bonn festgelegte Höchstgrenze zu verweisen.

Das Bonner Sperrgesetz, das mithin die Beamtengehälter in den Ländern und Gemeinden auf Bundesniveau einfrieren sollte, war jedoch der Lohn-Preis-Spirale nicht gewachsen.

Unter Mißachtung der Sperrklausel und unter Hinweis auf die höheren Lebenshaltungskosten in Nordrhein -Westfalen verabschiedete der Düsseldorfer Landtag im Juni 1954 ein Gesetz, mit dem er seine Beamten gegenüber denen des Bundes um durchschnittlich sieben Prozent, in einzelnen Besoldungsgruppen sogar bis zu 30 Prozent besser stellte.

Prompt zog die Bundesregierung gegen die Aufsässigen aus Düsseldorf vor das Bundesverfassungsgericht mit dem Erfolg, daß die Karlsruher Richter das Bonner Sperrgesetz noch im gleichen Jahr für verfassungswidrig und somit für nichtig erklärten.

Die Verfassungsrichter stellten nicht nur fest, daß der Bund seine im Artikel 75 des Grundgesetzes umrissenen Kompetenzen als Rahmengesetzgeber bei der Festsetzung von Höchstgrenzen für die Besoldung der Landesbeamten überschritten habe, sie postulierten darüber hinaus:

- »Die Ordnung der Rechtsverhältnisse der Landesbeamten und damit auch ihrer Besoldung fällt im Bundesstaat grundsätzlich in die Kompetenz der Länder.«

- »Es müßte ohne rechtliche Wirkung bleiben, wenn etwa die im Bundesrat vertretenen Landesregierungen bei ihrer Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung auf Zuständigkeiten der Landesgesetzgeber verzichten wollten.«

- Gegenüber den Wünschen der Beamtenschaft müssen sie (die Länder) selbst verantworten, was der Finanzkraft des Landes entspricht. Dieser Pflicht genügen sie nicht, wenn sie den Bund veranlassen, seinerseits durch gesetzgeberische Maßnahmen die Freiheit ihrer Entscheidung zu beschränken.«

Die meisten Bundesländer taten nunmehr genau das, wovor das Bundesverfassungsgericht sie am dringlichsten gewarnt hatte: Sie regten den Bund an, ihre Freiheit durch gesetzgeberische Maßnahmen zu beschränken.

Auf Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Rheinland -Pfalz und Schleswig-Holstein brachte der Bundesrat im Frühjahr 1957 gegen den Widerstand von Nordrhein-Westfalen und Bayern im Bundesrat einen Initiativgesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetz-Artikels 75 ein. Danach sollte in diesem Artikel künftig ausdrücklich festgelegt werden, daß der Bund als Rahmengesetzgeber Mindest - und Höchstbeträge für die Entlohnung der Landesbeamten vorschreiben dürfe.

Dieser Antrag war das Ergebnis streng fiskalischer Überlegungen: Ein bundeseinheitlicher Tarif für die Beamtenbezüge würde die Finanzminister besonders der finanzschwachen Länder fortan der Sorge entheben, sich mit ihren von Gewerkschaften und Beamtenbünden bedrängten Parlamenten wegen der Beamtenbesoldung herumzuschlagen. Um den Schwarzen Peter loszuwerden, brauchten sie beim Auftauchen neuer Gehaltswünsche nur noch auf die Alleinzuständigkeit des Bundes zu verweisen.

Der Bundesratsantrag auf Änderung des Artikels 75 blieb jedoch im Parlamentsbetrieb liegen.

Das neue Bundesbesoldungsgesetz, das der Zweite Deutsche Bundestag noch zustande brachte, hielt sich an den Spruch der Karlsruher Verfassungsrichter und legte für die Landesbeamten nur allgemeine Besoldungsmaßstäbe, nicht aber Höchst- und Mindestsätze fest.

Fortan konnten sich die Regierungen dem Druck der Volksvertreter, die ihrerseits von den Beamtenbünden bedrängt wurden, nicht mehr mit dem Hinweis auf eine Bonner Sperrklausel entziehen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hoben sodann die Bezüge an, und die anderen Länder, die sich nicht lumpen lassen wollten, folgten dem Beispiel der finanzstarken Schrittmacher.

Da jedes Land seine Beamten ursprünglich anders besoldete, blieben die Gehaltsunterschiede bestehen, zumal die Bezüge teilweise generell erhöht wurden. Als die Beamtenverbände im Winter 1959/60 nach einer allgemeinen Gehaltsanhebung riefen, offerierten Bund und Länder ihren Bediensteten zunächst übereinstimmend eine Erhöhung von vier Prozent.

Im Frühjahr 1960 erklärten die Vertreter von Hamburg und Hessen bereits, diese vier Prozent reichten nicht aus. Darauf beschloß der Bundestag, die Gehälter der Bundesbeamten zum 1. Juni um sieben Prozent zu erhöhen. Die Mehrheit der Länder ließ es sich darauf nicht nehmen, ihren Beamten diese sieben Prozent schon mit Wirkung vom 1. April zu geben.

Als schließlich zum 1. Januar 1961 die Beamtengehälter in Bund und Ländern erneut um acht Prozent heraufgesetzt wurden und sich dadurch zwar nicht die relativen, aber doch die absoluten Gehaltsdifferenzen innerhalb der Bundesrepublik weiter vergrößerten, fand Bundesinnenminister Höcherl das Besoldungs-Durcheinander so »unerträglich«, daß er zur Tat schritt.

Er beauftragte eine aus Vertretern des Bundes und der Länder gebildete Kommission, ihm einen Entwurf für ein neues Besoldungsgesetz - das »Harmonisierungsgesetz« - auszuarbeiten, das die Grundgehaltssätze der Bundes - und Landesbeamten einander angleichen soll.

Um die Gehälter in den Ländern auch in ihrer absoluten Höhe festlegen zu können, kramte Hächerl die alte Bundesrats-Vorlage der Länder aus dem Jahre 1957 über die Änderung des Grundgesetz-Artikels 75 aus der Schublade und arbeitete sie zu einem eigenen Gesetzentwurf um, indem er die Begründung für die erforderliche Grundgesetzänderung fast wörtlich übernahm.

Als sich das Bundeskabinett mit den beiden Gesetzentwürfen befaßte, standen in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen vor der Tür. Fünf Tage vor den Wahlen verabschiedete die CDU -Regierung, die auf die Stimmen der 145 000 Beamten und 62 000 Versorgungsempfänger des Landes erpicht war, einen Gesetzentwurf über die Erhöhung der nordrhein-westfälischen

Beamtengehälter um sechs Prozent zum 1. Juli.

Damit war das Startzeichen für ähnliche Blitzaktionen auch in den anderen Bundesländern gegeben. Sofort nach der Entscheidung von Düsseldorf kapitulierten die Finanzminister Hessens und des Saarlandes vor den Forderungen der Beamten. Anfang Juli beschlossen die Kabinette von Hannover und Mainz eine sofortige sechsprozentige Gehaltserhöhung. Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und Schleswig-Holstein folgten wenig später.

Am 12. Juli, als Bürgermeister Brandt versicherte, auch Berlin werde seine Beamtengehälter »bundeskonform« erhöhen, braute sich im Bundesrat ein Ungewitter zusammen.

An diesem Tage standen in der Ländervertretung die Beamten-Novellen des Bundes, insbesondere Höcherls Gesetzentwurf für eine Änderung des Grundgesetz-Artikels 75, zur Beratung an. Die Finanzminister, die sich gegenüber ihren Beamten so generös gezeigt hatten, stellten sich jetzt geschlossen, einschließlich der bayrischen Vertreter, gegen den Unruhestifter Nordrhein -Westfalen.

Vergeblich warnte Düsseldorfs Vertreter, der heutige Justizminister Dr. Artur Sträter, davor, das Grundgesetz zu ändern. Sträter: »Nachdem, meine Herren Kollegen, Ihre Länder sich beeilt haben, die Besoldungserhöhung als gerecht und richtig mitzumachen, können Sie doch nicht ohne weiteres eine Grundgesetzänderung gutheißen, die das in Zukunft unmöglich machen würde.« Und: »Käme es zu den Höchstsätzen, wie sie nach der angestrebten Änderung des Grundgesetzes zu erwarten wären, so wäre es zu Ende mit dieser Betätigung der Eigenstaatlichkeit der Länder.«

Niemand meldete sich nach der Rede Sträters im Bundesrat zu Wort. Allein Nordrhein-Westfalen lehnte die geplante Änderung des Artikels 75 ab. »Die Länder haben zugestimmt, überwältigend zugestimmt«; konnte Bundesinnenminister Höcherl dann im Bundestag verkünden.

Inzwischen wurde im Innenausschuß des Bundestages über die beiden Gesetzentwürfe abgestimmt. Die Vertreter von CDU und FDP gaben der beabsichtigten Änderung des Grundgesetz-Artikels 75 ihren Segen, damit Bonn für alle Beamten Höchst- und Mindestgehälter festlegen kann und die Volksvertreter in den Ländern vom Druck ihrer Beamten-Lobby befreit werden.

Im Plenum des Bundestages reichte diese Mehrheit freilich nicht aus. Die SPD-Abgeordneten, ohne deren Hilfe die Verfassung nicht geändert werden kann, argwöhnten, daß die SPD -Kollegen in den Länderregierungen noch gar nicht gemerkt haben, wie gefährlich das von ihnen selbst betriebene Vorhaben ist, den Druck der organisierten Staatsdiener von den Länderkassen auf die Bundeskasse umzulenken. Sie stimmten gegen die Verfassungsänderung.

Prophezeite SPD-MdB Hermann Schmitt-Vockenhausen, Vorsitzender des Bundestags-Ausschusses für Inneres: »Klar, was kurz vor den Bundestagswahlen 1965 passiert, wenn es zu einer Einheitsbesoldung kommt: Dann wird die Bundesregierung die Gehälter für alle Beamten im Bund und in den Ländern einheitlich erhöhen und auch die Lorbeeren dafür kassieren.«

Protestierende Beamte in Bonn. Beamtengehälter werden ...

Düsseldorfer Minister Sträter ... vor den Wahlen erhöht

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