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CDU Flinker Wechsler

Wenn die Union ihren Kanzlerkandidaten wählt, spielt ein Mann eine Schlüsselrolle, der vor allem an die eigene Karriere denkt: Kurt Biedenkopf.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Der CDU-Generalsekretär war schon ein Jahr im Amt, als der Christdemokrat Norbert Blüm ihn immer noch nicht recht einzuschätzen wußte: »Den kann man nicht so einfach in die linke oder rechte Ecke stellen.«

Kurt Biedenkopf, von 1973 bis 1977 Chef-Manager der Christdemokraten, ist in der Tat schwer einzuordnen -- er steht Immer dort, wo es seiner Karriere nützlich scheint. Wenn sich der Trend ändert, wenn sich Mehrheiten verschieben, dann wechselt auch der agile Professor seinen Standort.

Es ist noch nicht lange her, da zählte der Strauß-Verbündete von heute zu den schärfsten Gegnern des CSU-Chefs in der Union, Vehement trieb er 1975 die CDU, Helmut Kohl vorzeitig zu ihrem Kanzlerkandidaten auszurufen. Doch als drei Jahre später der Stern seines Wunschkandidaten gesunken war, stand Biedenkopf längst in der ersten Reihe der Anti-Kohl-Front.

Einerseits konnte Biedenkopf während der Mitbestimmungsdebatten heftig die Forderung der CDU-Sozialausschüsse nach Parität bekämpfen, andererseits aber auch das -- mild sozialistische -- »Ahlener Programm« der CDU von 1947 für verbindlich erklären und Kritiker daran erinnern, »daß die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln in Artikel 15 des Grundgesetzes vorgesehen ist unter ganz bestimmten Bedingungen. Dieses Grundgesetz wird ja schließlich von uns getragen«.

Dann wiederum, als die Linke, in der Partei an Einfluß verlor, konnte Biedenkopf so überzeugend Unternehmer-Interessen vertreten, daß ihm die Sozialausschüsse vorwarfen, er wolle »eine Veränderung des Systems nach rückwärts«.

Der gefeierte Partei-Intellektuelle, stellvertretende CDU-Vorsitzende und Anführer des Landesverbands Westfalen-Lippe, wußte immer rechtzeitig, wo"s langgeht. Wenn sein Aufstieg in einer Sackgasse zu enden drohte, wechselte er flink den Job: in 13 Jahren vier Karrieren.

Mit 28 Jahren war er Doktor der Rechte, mit 34 Professor, mit 37 Rektor der Ruhr-Universität Bochum, damals der jüngste Rektor einer deutschen Hochschule. Mehr konnte Biedenkopf im Wissenschaftsbetrieb nicht mehr werden.

So suchte sich der ehrgeizige Jurist Ende der 60er Jahre als Hochschulpolitiker zu profilieren, merkte aber bald, daß er mit der spröden Materie allenfalls unter Insidern zu Ruhm kommen würde. Der Bildungspolitiker Biedenkopf trat ab, um unverzüglich in der Rolle des Wirtschaftspolitikers wieder aufzutauchen.

1970 wurde der Ordinarius für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht prominent: Als Vorsitzender der 1968 von der Bundesregierung der Großen Koalition eingesetzten Mitbestimmungskommission legte er ein Gutachten vor, das unter dem Kürzel »Biedenkopf-Gutachten« in die Diskussion einging.

Als Wissenschaftler auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt, setzte er, mit 40 Jahren, 1971 zu einer neuen Laufbahn an und stieg als Manager bei dem Düsseldorfer Waschmittelkonzern Henkel ("Persil") ein, um, wie er begründete, »in der Praxis zu vollziehen, was ich bisher gelehrt habe«. Der Versuch scheiterte.

Zum einen dämpfte die Anonymität eines Großunternehmens arg des Professors Lust an Selbstdarstellung. Zum anderen wurde dem Henkel-Geschäftsführer bald klar, daß er es auch in dieser Karriere nicht viel weiter bringen würde.

Denn in dem Familienkonzern konnte er nie an die Spitze gelangen. Zudem war die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis doch größer, als Biedenkopf sich das vorstellte. Dem brillanten Wirtschaftstheoretiker, zuständig für die Bereiche Sozial-, Personal- und Rechtswesen sowie internationale Unternehmensbeziehungen, wurden nach und nach Kompetenzen gekappt.

Nach zweieinhalb Henkel-Jahren, im Juni 1973, setzte der Professor dann zu seiner dritten Karriere an: Helmut Kohl, gerade zum CDU-Vorsitzenden gewählt, machte den Mann mit dem Manager-Image und der wissenschaftlichen Reputation zum Generalsekretär.

Er wolle nicht nur »Organisator und Administrator« sein, versprach Biedenkopf, sondern »auch Initiator, Beweger, Anreger innerhalb der Parteiorganisation«. Was der CDU-Generalsekretär binnen kurzem leistete, brachte ihm beim politischen Gegner, der SPD, den Ruf des gefährlichsten Vordenkers der Bonner Opposition ein. Biedenkopf machte aus dem schlaffen Parteiapparat eine schlagkräftige Organisation, forcierte eine überaus erfolgreiche Mitgliederwerbung und gewann schnell den Ruf des Parteistrategen.

Der »kleine General«, wie er wegen seines napoleonischen Wuchses genannt wurde, imponierte durch kluge Analysen und brillante Konzepte, auch wenn er zuweilen nur akademisches Schaumgebäck servierte, Gesellschaftspolitik etwa als »Ordnungspolitik« definierte »im Sinne der Beschreibung der Gesamtzusammenhänge zwischen den einzelnen Bereichen einer im hohen Maße wissenschaftlich-technologisch und arbeitsteilig interdependenten Gesellschaft«. Seinem Chef Kohl intellektuell allemal überlegen, schien Biedenkopf der Partei Impulse geben zu können.

Kritiker verblüffte der ehemalige Henkel-Direktor, der nun über die »Sozialbindung des Eigentums« dozierte, »Kräuselwellen« gesellschaftlicher Probleme ausmachte und forderte, die Union müsse mehr zur »Partei der Arbeitnehmer werden« -- ein Mann nach dem Geschmack Kohls und der Sozialausschüsse.

Nur: Biedenkopf merkte wieder, daß er zwar politische Führungsfigur, aber gleichwohl nur Angestellter der Partei war. Die Doppelrolle General und Sekretär vertrug sich schlecht mit dem Ehrgeiz des CDU-Managers.

Wie cool der Professor eine Parteikarriere anging, bewies er schon Ende 1975. Biedenkopf strebte ein Bundestagsmandat an, und zwar auf Platz 1 der nordrhein-westfälischen Landesliste. Dort stand Rainer Barzel, der Vorgänger Kohls im Amt des Parteichefs.

»So kann man mit mir nicht umgehen«, empörte sich Barzel, als er von dem Plan hörte. Ungerührt drückten ihn, angestiftet von Biedenkopf, die beiden Landesvorsitzenden Heinrich Köppler (Rheinland) und Heinrich Windelen (Westfalen) weg. Zwei Jahre später sollte Windelen selbst Opfer der Machtansprüche Biedenkopfs werden.

Der Spitzenkandidat auf der NRW-Liste irritierte seine vermeintlichen Freunde von den Sozialausschüssen, als er im Wahlkampf 1976 die totale Konfrontation mit den Gewerkschaften suchte. Mit seinen Attacken auf die »Verfilzung« zwischen Gewerkschaften und SPD machte er Schlagzeilen, aber keine Stimmengewinne: In seinem Bochumer Wahlkreis wie in den anderen Arbeiter-Hochburgen kam der kleine Professor -- intellektuell und arrogant, feingekleidet, »Dunhill«-Pfeife, »Dunhill«-Feuerzeug -- nicht an.

Nach der letzten Bundestagswahl begann der Generalsekretär, sich auch von dem Wahlverlierer Kohl abzuseilen. Je stärker in der Union der Trend gegen Kohl einsetzte, desto deutlicher rückte Biedenkopf von seinem Parteichef ab, der mehr und mehr über »Eigenmächtigkeiten« seines Sekretärs klagte. Der Bruch war unvermeidlich -- im März 1977 gab Biedenkopf das Amt ab. Als Diener der Partei, hatte er richtig erkannt, war keine Spitzen-Karriere in der Union zu machen. Biedenkopf nahm den nächsten Anlauf.

Kaum als Generalsekretär zurückgetreten, meldete er seinen Anspruch auf den Vorsitz des Landesverbandes Westfalen an. Chef Windelen, seinem Kontrahenten nicht gewachsen, gab kampflos auf und überließ Biedenkopf die Führung des zweitgrößten CDU-Landesverbands. Mit dieser Hausmacht im Rücken gelang dem neuen westfälischen CDU-Chef der Sprung in Vorstand und Präsidium der Partei.

An dem machtbewußten Aufsteiger fanden die Unionsrechten bald Gefallen, allen voran CSU-Chef Strauß. Hatte der Bayer über den früheren Kohl-Parteigänger gehöhnt: »Dem Bürscherl hätte man rechtzeitig Kunstdünger in die Schuhe schütten müssen«, so lobte er bald seinen einstigen Widersacher als politisches Talent. Der alerte Professor hatte schließlich letzten September eine taktische Meisterleistung geboten, als er sich mit Helmut Kohl aussöhnte.

Biedenkopf brauchte Kohls Plazet, um wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zu werden. Der Pfälzer nahm das Friedensangebot an und ließ Barzel, den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses, fallen. Drei Monate später, kurz vor Weihnachten, holte Biedenkopf zum entscheidenden Schlag gegen seinen einstigen Vertrauten aus, der Kohls Ende als Kanzlerkandidat einläuten sollte: In einem Memorandum forderte Biedenkopf die Trennung von Partei- und Fraktionsvorsitz, da Kohl überfordert sei.

Der Frondeur hatte sich zuvor Beistand geholt und Heinrich ("Heini") Köppler, Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag und Vorsitzender des Landesverbands Rheinland, eingeweiht. Als Gegenleistung versprach er, Köppler als NRW-Ministerpräsidenten-Kandidaten zu unterstützen. Zusammen mit seinen neuen Verbündeten verfügt Biedenkopf nun über die beiden mächtigsten Landesverbände der Partei, die über ein Drittel der Delegierten stellen.

In Wahrheit kümmert den Taktiker Biedenkopf Köpplers Zukunft wenig. Denn mit Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidaten der Union, das weiß er genau, ist eine Mehrheit an der Ruhr nicht zu holen. Strauß-Freund Biedenkopf setzt vielmehr auf eine Karriere in Bonn, als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Das, so hat sich der Parteistratege ausgerechnet, sind ihm die Strauß-Anhänger -- sollte der Bayer tatsächlich zum Kanzlerkandidaten der Union aufsteigen -- schuldig.

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