EUROPA »Flotter debattieren«
Jürgen Trumpf, 66, Generalsekretär des EU-Rates, über die Osterweiterung der Gemeinschaft
SPIEGEL: Herr Trumpf, wenn beim EU-Gipfel diese Woche in Luxemburg wirklich geheim abgestimmt würde, gäbe es keine Mehrheit für die Erweiterung der Gemeinschaft. Das glaubt jedenfalls Helmut Kohl - Sie auch?
Trumpf: Nein. Meine Voraussage ist, daß der Rat die Erweiterung beschließt, aber offenläßt, wie sie finanziert und wie die Agrar- und Strukturpolitik geändert werden soll - mit der Begründung, daß die Kommission noch keine hinreichend konkreten Vorschläge gemacht hat. Die Sorgen in einigen südeuropäischen Ländern, die bei der Osterweiterung mit noch ärmeren Staaten teilen müssen, sind ein großes Problem.
SPIEGEL: Alle wollen in die EU, aber die EU will nicht alle. Wird es eine Lösung geben, zwischen den Kandidaten zu unterscheiden, ohne einige zu beleidigen?
Trumpf: Das Ziel ist ganz klar: Wir wollen alle zehn mittel- und osteuropäischen Länder und dazu Zypern aufnehmen. Keinem der Kandidaten möchten die Staats- und Regierungschefs den Eindruck vermitteln, er sei aus dem Erweiterungsprozeß ausgeschlossen. Aber es wird differenziert. Verhandlungen mit dem Ziel eines baldigen Beitritts beginnen im Frühjahr 1998 mit den fünf Staaten, die nach dem Urteil der Kommission hinreichend qualifiziert sind, also Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien und Estland. Und es wird mit Zypern verhandelt.
SPIEGEL: Wann werden die fünf Vollmitglieder sein?
Trumpf: Nach den bisherigen Erfahrungen dauert das bis zu zehn Jahre. Vom Datum des Beitrittsantrags an gerechnet wären wir also etwa um 2005 soweit.
SPIEGEL: Wie soll eine Gemeinschaft aus bis zu 26 Mitgliedern noch funktionieren - zumal sich schon die bisherigen Staaten der Union bis heute nicht auf eine Reform ihrer Institutionen verständigen konnten?
Trumpf: Eine Reform ist vor dem ersten neuen Beitritt fällig. Ohne mehr Mehrheitsentscheidungen geht es nicht. Aber es wird Ausnahmen geben. Jetzt muß man doch mindestens ein Jahrzehnt Geduld haben, bis Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Deutschland bereit sind, etwa die Asyl- und Einwanderungspolitik wirklich zu vergemeinschaften und mit Mehrheit darüber entscheiden zu lassen.
SPIEGEL: Schon jetzt sind die Ministerratssitzungen oft quälend lange Veranstaltungen. Wird dieses System bei einer erweiterten Union nicht unerträglich?
Trumpf: Der Rat muß seine Gewohnheiten ändern, nicht seine Geschäftsordnung. Im deutschen Bundesrat geht es ja auch zügiger voran. Da geht man in die Ausschüsse, da hat man Papiere vorliegen und stimmt über die einzelnen Absätze ab. Wenn wir bei 26 Mitgliedern nicht flotter debattieren, sieht es schlecht aus.
SPIEGEL: Gleichzeitig müssen jetzt auch die Verhandlungen über einen Beitritt Zyperns aufgenommen werden - wegen der Teilung der Insel ein schwieriger Fall.
Trumpf: Politisch ist das wirklich ein Problem. Aber wir haben Zypern nun einmal die Zusage gegeben, sechs Monate nach Abschluß von Maastricht II mit den Beitrittsverhandlungen zu beginnen - und zwar ausdrücklich ohne die förmliche Vorbedingung, daß die Teilungsfrage vorher gelöst werden muß.