STRAFVOLLZUG Flotter Dreier
Wenn sich der Strafgefangene Werner Alexander Fischer, 40, in der Haftanstalt Werl an seine acht Hamburger Knastjahre erinnert, gerät er fast ins Schwärmen - über die gute Stimmung bei den Häftlingen, den freundschaftlichen Umgangston der Aufseher und die schöne Freizeitgestaltung für die Gefangenen. Fischer: »Woanders hätte ich nicht so gut durchgehalten.«
Statt in einer kargen Einzelzelle für den Mord an einer Prostituierten zu büßen, soll Fischer ein Leben in Saus und Braus geführt haben - mit allem was in Haftanstalten verboten ist: Alkohol, Drogen und Sex.
Wie toll es Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel ("Santa Fu") getrieben haben sollen, geht aus geheimen Protokollen eines Untersuchungsausschusses _(Vor dem Hamburger Untersuchungsausschuß ) _(1986, mit seiner damaligen Anwältin ) _(Isolde Oechsle-Misfeld, die derzeit ) _(wegen Verstrickungen in die ) _(Pinzner-Affäre in Untersuchungshaft ) _(sitzt. )
der Bürgerschaft hervor. Danach muß der Strafvollzug dort ein bundesweit einmaliger Hort von Bestechung und Bestechlichkeit, Lust und Laster gewesen sein.
Die strengvertrauliche Ausschußakte war Ende Juli an die Öffentlichkeit gelangt. Die Affäre bot konservativen Politikern und der Tagespresse aus dem Springer-Verlag, die in Hamburg den Markt beherrscht, Gelegenheit, wieder mal den liberalen Strafvollzug für alles verantwortlich zu machen. »Bild« etwa prangerte »Sex auch im Pastorenzimmer« an und kommentierte die Zustände in Santa Fu: »Unfaßbar, aber amtlich.«
In Verruf geraten war Santa Fu schon vor Jahren, als die Staatsanwaltschaft gegen Vollzugsbeamte ermittelte. Justizbedienstete sollen versucht haben, drogenabhängige Häftlinge als Spitzel einzusetzen. Aufregung gab es auch, als sich jüngst herausstellte, daß der St.-Pauli-Killer Werner Pinzner, schon vor Jahren mal in Fuhlsbüttel eingebuchtet, Freigänge für Gewalttaten genutzt und sich in der Haft unbehelligt mit Rauschgift versorgt hatte.
Tatsächlich geht es innerhalb der Gefängnismauern von Fuhlsbüttel freizügiger zu als in den meisten Justizvollzugsanstalten. In den Abteilungen können sich die Häftlinge tagsüber auf den Fluren frei bewegen. Auch ihre Möglichkeiten zu Kommunikation, Sport und Ausbildung sind größer als anderswo.
Nach außen jedoch ist Fuhlsbüttel mit seinen 550 Häftlingen, darunter zehn Prozent Lebenslängliche, nicht weniger gesichert als vergleichbare Gefängnisse. Ausführungen mit Wärter und Urlaub ohne Bewachung werden Hamburger Häftlingen nicht früher und nicht häufiger bewilligt als üblich. Die Quote der Hafturlauber, die nicht zurückkehren, liegt unter dem Bundesdurchschnitt.
Dennoch mußte die Hamburger Bürgerschaft 1985 einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß berufen. Wiederholt waren schwere Jungs, darunter auch Fischer, vom Knasturlaub nicht zurückgekehrt, einige hatten in den freien Tagen neue Verbrechen begangen.
Die christdemokratische Opposition klagte über den Schlendrian im Strafvollzug. Der SPD-dominierte Untersuchungsausschuß allerdings kam im Herbst letzten Jahres zu einem völlig anderen Urteil. Nach den »unbestrittenen Tatsachenfeststellungen«, so das Fazit des Ausschußvorsitzenden, nehme der Hamburger Strafvollzug »im Bundesvergleich eine Spitzenstellung ein« und sei »zu Unrecht ins Kreuzfeuer der Kritik geraten«.
CDU-Politiker ergingen sich schon damals in dunklen Andeutungen über eine »drückende Fülle bemerkenswerter Tatsachen«. Die Protokolle der Häftlingsbefragungen im Ausschuß blieben unter Verschluß, angeblich um »die Betroffenen vor Vorverurteilungen zu schützen« (Justizbehörde).
Publik wurden die Aussagen von Fischer und Kollegen erst, als »Bild« kürzlich eine der etwa zwanzig Akten zugesteckt bekam. Das geheime Dokument, 224 Seiten stark, hatte angeblich der Besitzer einer Vorort-Disko bei Umbauarbeiten in der Garderobe entdeckt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg führt bereits Vorermittlungen wegen des Verdachts auf »Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht«, um herauszufinden, wer die Akte verschlampt oder an die Presse lanciert haben könnte.
Nach den Veröffentlichungen muß Santa Fu wahrlich ein fideler Knast gewesen sein. Schließerinnen schmuggelten Alkohol und ließen sich mit Gefangenen ein. Aufpasser handelten mit Drogen oder brachten Häftlinge auf Freigang zu Callgirls und ließen sich bisweilen mit ihren Schutzbefohlenen auf gemeinsame flotte Dreier ein. Wer selbst nicht raus durfte, berichtete Fischer vorige Woche, bestellte sich Prostituierte die sich als Familienangehörige ausgaben, in den Knast.
Zwar wiegelte die Justizbehörde Ende letzter Woche ab, »zahlreiche falsche Behauptungen« würden »als Tatsache« hingestellt. Zudem sei bei manchen Aussagen »Geltungssucht« im Spiel.
Aber Justizsenator Wolfgang Curilla räumte ein, daß »nach Bekanntwerden der Mißstände« bereits 19 dienstrechtliche und 14 strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Erst Montag letzter Woche verurteilte ein Hamburger Amtsgericht eine ehemalige Santa-Fu-Beamtin wegen Bestechlichkeit.
Auch dem Häftling Fischer, der einen Santa-Fu-Urlaub zu einer mehrwöchigen Griechenland-Reise ausgedehnt hatte und deshalb nach Werl verlegt worden war, droht ein neuer Prozeß. Die Anklage wirft ihm unter anderem Bestechung von Wärtern und Rauschgifthandel in Santa Fu vor. Dem SPIEGEL bestätigte Fischer freilich nur, daß er Prostituierte besucht habe und Beziehungen zu Beamtinnen hatte. Fischer: »Ich beschmutz'' doch nicht mein eigenes Nest.«
Letzte Woche schließlich wurde eine neue Affäre publik. Diesmal entdeckten die Justizbehörden einen Abhörskandal.
Im Büro einer Abteilungsleiterin im Gefängnis Fuhlsbüttel hatten Unbekannte einen Dreifachstecker mit einer Abhörwanze präpariert - zu welchem Zweck, ist bisher nicht geklärt.
Anstaltsleiter Wolfgang Sarodnick sieht dennoch keinen Grund zur Aufregung: »Das kann auch in jeder anderen Anstalt passieren.«
Vor dem Hamburger Untersuchungsausschuß 1986, mit seiner damaligenAnwältin Isolde Oechsle-Misfeld, die derzeit wegen Verstrickungen indie Pinzner-Affäre in Untersuchungshaft sitzt.