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STUDENTEN Flucht zum Pfarrer

aus DER SPIEGEL 41/1966

Berittene Polizisten sprengten in die

Kathedrale von Ribeirao Prêto in Brasilien. Im Gotteshaus verprügelten die Ordnungshüter Studenten, die gegen die Staatsgewalt demonstriert hatten.

Polizisten schossen auf Studenten, die ins Benediktinerkloster von Salvador da Bahía geflüchtet waren; Studenten, die sich in einer Kirche verbarrikadiert hatten, schossen auf Polizisten.

Wie in Brasilien marschierten auch in den Universitätsstädten Argentiniens die Studenten gegen die Diktatur, trieben die Polizisten die Jung-Akademiker mit Gummiknüppeln, Karabinern, Tränengas und Hunden von den Straßen.

In Brasilien wie in Argentinien stehen die Studenten nicht allein: Die liberalen Priester beider Länder - in Brasilien die Geistlichkeit einschließlich der Bischöfe, in Argentinien vorwiegend der niedere Klerus - sind von den Militärregimes Castelo Branco und Onganía abgerückt und sympathisieren mit den Studiosi.

Wohlwollend hatte die katholische Hierarchie im April 1964 in Brasilien und im Juni 1966 in Argentinien zugesehen, wie die Militärs die Demokratie abtöteten. Seit der Eroberung Lateinamerikas war der Klerus eine Stütze der Regierenden und Reichen gewesen.

Jetzt aber, ermutigt durch die Beschlüsse des Hl. Vatikanischen Konzils, traten fortschrittliche Geistliche in Brasilien offen auf die Seite der Machtlosen und Armen. Voran schritt der »rote Erzbischof« von Recife und Olinda, Dom Hélder Câmara, Koordinator der lateinamerikanischen Bischofskonferenz, den Papst Paul VI. auf dem Konzil einmal mit den Worten begrüßte: »Guten Tag, mein kommunistischer Bischof.« Hélder ermahnte seinen Klerus: »Der Platz der Kirche ist beim Volk.«

Nirgendwo in Brasilien braucht das Volk einen Fürsprecher so dringend wie

im Nordosten des Landes, wo Dom Helder Erzbischof ist. 25 von 80 Millionen Brasilianern - die Ärmsten im Land leben dort. In dieser Region sterben von 1000 Säuglingen 285; 50 Prozent der Männer werden nicht älter als 30 Jahre.

Ausgebeutet von Zuckerplantagen - und Fabrikbesitzern oder vertrieben von der Dürre in der Dornbuschsteppe des Sertao, strömen sie in die Mocambos, die Slums von Recife. Das Haus des Erzbischofs steht ihnen offen; ohne die Insignien seiner Würde, ein einfaches Holzkreuz an eiserner Kette um den Hals, empfängt sie der Metropolit.

Marschall Castelo Branco hatte seinern Volk eine »Revolution mit Gott, für die Freiheit« versprochen. Als jedoch Geistliche und Kirchenbeamte den Notstand im Nordosten kritisierten, wurden sie von reaktionären Militärstatthaltern verhaftet oder ins Exil geschickt.

Ende Juli erklärten dann Dom Hélder und 16 andere Bischöfe des Nordostens in einem Manifest, daß sie es vorziehen, »auf der Seite derjenigen zu bleiben, die Opfer des Hungers und des Elends sind«.

Auch im wohlhabenderen Süden Brasiliens regt sich kirchlicher Widerstand gegen das totalitäre Regime. Hohe Kleriker erklärten sich mit ihren Brüdern im Norden solidarisch: Agnelo Rossi, Kardinal-Erzbischof von Sao Paulo, 85 Priester seiner Kirchenprovinz, die Bischöfe von Copacabana und Santa Maria, der Generalvikar von Rio und Madre Maria Rosa de Vitergo, die Provinzial-Oberin der Franziskanerinnen.

Als Castelo Brancos Polizisten die Studenten niederknüppelten, die gegen das Verbot oppositioneller Studentenverbände protestierten, standen die Priester den Scholaren bei. Dominikaner-Prior Francisco de Araujo aus Sao Paulo rief von der Kanzel: »Wir protestieren gegen ein Polizeiregime und gegen die Einschränkung der menschlichen Freiheiten.« Die Novizen der Franziskaner, Salesianer und Dominikaner machten sich marschfertig, um mit den Studenten zu demonstrieren.

In Argentinien protestierten Studenten und Professoren gegen den Versuch des Staates, den Universitäten ihre Autonomie zu nehmen. Die Polizei prügelte. 72 Studenten und Studentinnen suchten Schutz in der Kirche »Cristo Obrero« (Christus, der Arbeiter) in Córdoba und ließen sich in dem Gotteshaus fast einen Monat lang zum Hungerstreik nieder.

Hausherr Pfarrer Nelson Dellaferrera: »Die Sache (der Studenten) verdient unsere Unterstützung!« Der Bischof von Córdoba verweigerte der Polizei die Erlaubnis, die frierenden Akademiker aus ihrem Asyl herauszuholen.

Argentiniens Staatspräsident General Onganía weiß, daß er sein Land nicht ohne Unterstützung der Kirche regieren kann. Ein anderer General vor ihm, Juan Perón, verlor seinen Einfluß, dann seinen Posten als Staatschef, als er sich mit dem Klerus anlegte.

Auch Brasiliens Castelo Branco will den Bruch mit der Kirche nicht riskieren. Denn am 3. Oktober wird der neue Präsident, am 15. November der neue Kongreß gewählt.

Die Opposition stellte sich vor die Seelenhirten und Studenten. Der Staatschef trat den Gang nach Recife an, um mit Erzbischof Helder Câmara Frieden zu schließen.

Doch der Freund der Armen trat jetzt offen auch noch auf die Seite der Studenten: Dom Hélder einen Monat nach der Visite: »Die Jugend hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, öffentlich zu demonstrieren.«

Brasiliens Präsident Castelo Branco (l.), Bischof Hélder*: »Der Platz der Kirche ...

... ist beim Volk": Polizei-Einsatz gegen Studenten in Rio de Janeiro

* Beim Versöhnungsversuch in Recife am

14 August.

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