AFRIKA / SÜDWEST-MANDAT Flüsse von Blut
Wie ein Preisboxer beim Betreten
des Rings, schüttelte Südafrikas Uno-Vertreter die Hände über dem Kopf. Sein Land, so kündete das Boxer-Zeichen der Uno-Vollversammlung, ist zum Kampf bereit.
Der Gegner: ein Block von 114 Ländern aus Afrika und Asien, Europa und Amerika. Ihre Uno-Delegierten stimmten einer von 54 afroasiatischen Staaten eingebrachten Resolution zu, die den Südafrikanern ihr Mandat über Südwestafrika aberkennt. Die Heimat der Hottentotten und Hereros soll »der direkten Verantwortung der Vereinten Nationen unterstellt« werden.
Seit 46 Jahren wird die einstmals deutsche Kolonie Südwestafrika von Südafrika verwaltet. Seit beinahe 20 Jahren ist sie der am heftigsten umstrittene Zankapfel zwischen der Apartheid-Republik und ihren schwarzen Nachbarn, die auch für Südwest die volle Unabhängigkeit fordern.
450 000 Farbige werden - so argumentieren die Politiker Schwarzafrikas von 74 000 Weißen majorisiert. Ohne Rechtsgrundlage habe Südafrika seine
Apartheid-Doktrin auch im Mandatsgebiet eingeführt. Getrennt nach ethnischen Gruppen sollen die Farbigen in »Heimatländern« zusammengefaßt werden.
Die deutliche Uno -Niederlage der Südafrikaner - nur Südafrika selbst und das befreundete Portugal stimmten gegen die
Resolution; England, Frankreich und Malawi enthielten sich der Stimme - versetzte die Afrikaner in Euphorie. »Die Uno braucht unser Land nur zwei Jahre lang zu verwalten«, erklärte Herero-Sprecher Clemens Kapuuo in Südwest, »dann sind wir imstande, ohne die Weißen fertig zu werden.«
Mit sich selbst werden sie wahrscheinlich nicht fertig werden. Denn Südwestafrika ist - wie die meisten Staaten Schwarzafrikas - ohne Rücksicht auf Stammesgrenzen und Stammesfehden geschaffen worden. Eine plötzliche Unabhängigkeit, so fürchten die Apartheid-Politiker in Pretoria, würde dieselben blutigen Folgen haben wie 1960 die Selbständigkeit des einstmals belgischen Kongo: einen unerbittlichen Kampf der Schwarzen untereinander und zwischen Weiß und Schwarz.
Südafrika verweigert daher Südwest die Unabhängigkeit und betont: Nirgendwo in Afrika werden die Schwarzen so gefördert wie in Südwestafrika, nirgendwo geht es ihnen so gut.
Deutsche Südwest-Reisende bestätigen diese Lesart. Von 211,23 Mark im Jahre 1920 stieg das Pro-Kopf-Einkommen der Südwestafrikaner bis zum vergangenen Jahr auf 1201,72 Mark. Mit Sonne und Diamanten reich gesegnet, exportieren sie jährlich Waren im Wert von 600 Millionen Mark - hauptsächlich Edelsteine, Fische, Kupfer, Metalle und wertvolle Felle von Karakul-Schafen.
Und sofern nicht eine Dürre das Land plagt, floriert auch die Landwirtschaft - mit 1,5 Millionen Ziegen, 2,3 Millionen Rindern und 6,5 Millionen Schafen.
»Nirgends in Afrika«, so berichtet der deutsche Publizist Hans Jenny in seinem
Buch »Südwestafrika"**, »(habe ich) besser genährte und gekleidete Menschen angetroffen als gerade in Südwestafrika ... In ihren gutsitzenden europäischen Anzügen, sauberen Hemden und gewichsten Schuhen wirkten sie alle (die Ratsmänner der Hereros) wie vornehme schwarze Gentlemen.«
Auf der Kaiserstraße Windhuks, der wichtigsten Geschäftsstraße der Stadt, begegnete Jenny Schwarzen im dunklen Anzug, mit weißem Kragen und Schlips. »Man sieht hier auch Schwarze in Autos und Weiße auf Fahrrädern.«
Und man sieht immer noch Weiße in Lederhosen. Denn das Gesicht der Städte ist weder südafrikanisch noch afrikanisch, es ist immer noch deutsch geprägt.
Im 15. Jahrhundert hatten portugiesische Seefahrer die Küsten Südwestafrikas entdeckt. Vier Jahrhunderte später machte das kaiserliche Deutschland das Gebiet zu seiner Kolonie. 1883 schickte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz den Schoner »Tilly« in die Bucht von Angra Pequena - die heute Lüderitzbucht heißt. Ein Freund des Kaufmanns, Heinrich Vogelsang, wurde schnell mit dem Hottentotten-Häuptling Joseph Fredericks handelseinig: Für 100 Pfund Sterling und 200 Gewehre erstand er die Bucht von Angra Pequena, für weitere 500 Pfund in Gold und 60 englische Gewehre die Küste von der Mündung des Oranje-Flusses bis hinauf zum 26. Breitengrad.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die deutsche Kolonie südafrikanisches Mandatsgebiet. 1920 erteilte der Völkerbund Südafrika ein sogenanntes C-Mandat. Auflage: Der Mandatsträger müsse Wohlergehen und sozialen Fortschritt der Bevölkerung« nach Kräften fördern.
Die einstigen Kolonialherren wurden von den neuen Administratoren zuvorkommend behandelt. Ihre Häuser im Jugendstil blieben erhalten, die deutsche Sprache wurde als gleichberechtigt anerkannt, noch heute leben zwischen 20 000 und 25 000 Deutsche in Südwestafrika. In der Hauptstadt Windhuk - der einzigen Großstadt im Süden Afrikas mit weißer Bevölkerungsmehrheit
- gibt es noch eine Göringstraße, nach
einem Kolonialbeamten der Bismarck -Zeit benannt, dem Vater des NS-Luftmarschalls.
Mit dem Ende des Völkerbunds hielt Pretoria auch das Ende des Mandats für gekommen und zählte Südwestafrika fortan zur Republik.
Doch die nach 1960 unabhängig gewordenen schwarzafrikanischen Staaten brachten das Thema Südafrika vor die Uno und vor den Internationalen Gerichtshof. Unterstützt von den Hereros, die immer wieder Freiheitstelegramme an die Weltorganisation schickten, erwirkten sie insgesamt 73 Uno-Resolutionen gegen das schwarze Wohlstands -Land, das nur einen Makel hat: seine weiße Oberschicht (die andererseits den Wohlstand garantiert). Der Haager Gerichtshof aber lehnte - nach sechsjähriger Beratung - ein Urteil über die Apartheid ab.
Forderte Peter Nanyemba, nationalistischer Südwestneger im Exil Tansania: »Wir müssen jetzt auf unserem Marsch in die Freiheit viele Flüsse voll Blut überqueren.« Seine Freunde in Schwarzafrika nutzten die 21. Uno-Vollversammlung, um die Resolution gegen Südafrika durchzudrücken.
Doch der Weg zum Vollzug des Uno -Beschlusses, etwa mit einer internationalen Streitmacht, ist lang und schwer. Die Regierung in Pretoria ließ sich deshalb auch von der 74. Anti-Südafrika -Resolution nicht einschüchtern. Premier Vorster: Das Votum der Weltorganisation sei »illegal, verfassungswidrig, lächerlich und gar nicht durchzusetzen«.
Im Rausch ihres Erfolgs werden die schwarzen Afrikaner möglicherweise schon jetzt Saboteure nach Südwest einschleusen. Im nächsten Jahr könnte dann eine - notfalls rein afrikanische - Uno-Streitmacht folgen.
Aber Premier Vorster fürchtet die schwarzen Afrikaner nicht: »Die vernaschen wir zum Frühstück.«
** Hans Jenny: »Südwestafrika«. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart; 300 Seiten; 24 Mark.
Traditionsverein in Windhuk*: Lederhosen auf den Straßen
*Vor dem Denkmal des Gründers der Stadt, des deutschen Schutztruppen-Hauptmanns Kurt von Francois.