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Flugsicherung: Blindekuh in der Luft

320mal meldeten Piloten 1975 im bundesdeutschen Luftraum Beinahe-Zusammenstöße, und meist waren Militärmaschinen beteiligt. Doch nun will Bonn handeln. Ein Bündel von Sicherheitsvorkehrungen, das die zuständigen Staatssekretäre letzte Woche vorlegten, sieht separate Übungsräume, Umorganisation und Tempolimit in der Luft vor. Doch das Hauptrisiko besteht weiter: Die Kontrolle der Militärflüge bleibt auch künftig unvollständig.
aus DER SPIEGEL 7/1976

Der Pilot preßte »mit beiden Händen den Steuerknüppel bis zum Anschlag runter«, »ein abruptes Steuermanöver« -- und schon war der eben noch unvermeidlich scheinende Zusammenprall mit der Jäger-Rotte vermieden.« Im Sturzflug schoß die vollbesetzte Passagiermaschine vom Himmel«, hinab in sichere Luftschichten. Gerettet.

Von »FAZ« bis »Bild«, einhellig rühmten die westdeutschen Zeitungen die »Meisterleistung des Flugkapitäns«, nachdem Ende Oktober letzten Jahres die 100 Insassen einer Lufthansa-Boeing 737 im Raum über Würzburg knapp dem Zusammenstoß mit Fiat-Jägern entronnen waren. Wenn alle Sicherungen brechen, so las sich"s, dann ist da immer noch der Mensch. Jedoch, wie wenig Grund für derlei Zuversicht bestanden hatte, wie dicht statt dessen die Katastrophe in Wirklichkeit gewesen war, zeigt die Rekonstruktion des Falles von Würzburg:

Nur zwölf Sekunden waren zwischen Sichtkontakt und Begegnung vergangen. Die Jäger, zunächst als scheinbar fixe Punkte registriert, wuchsen in der Schlußphase der Annäherung »raketenschnell« (Pilotenaussage) heran -- nicht mehr auszumachen, wo sie den Passagier-Jet passieren würden. Im Reflex verriß der Pilot das Höhenruder, seine Boeing tauchte durch einen »Nicker« um ein paar Meter und geriet dabei nur zufällig unter den Kurs der Jäger -- statt etwa mitten hinein. Zur Rettung per Steuermanöver durch Sturzflug oder sonst eine Meisterleistung bestand jedenfalls keine Chance mehr: Das Annäherungstempo betrug über 500 Meter in der Sekunde.

320 gefährliche Begegnungen im Luftraum ("Near Misses") wurden letztes Jahr über der Bundesrepublik registriert, und angesichts des Gedränges im westdeutschen Luftraum ist das noch glimpflich: Da starten und landen im Jahr 1,2millionenmal Passagier-Jets auf deutschen Flughäfen und ebensooft Militärmaschinen. Das macht zusammen mit den reinen Überflügen -- alle 30 Sekunden fliegt einer herein, einer heraus -- 11 000 Flugbewegungen, die tagtäglich dem deutschen Himmel anvertraut werden.

Dort tummeln sich zudem Sport- und Segelflieger, deren Starts noch niemand zu zählen vermochte, und in die verbleibenden Lücken am Firmament pfeifen täglich Hunderte von Kampfflugzeugen. 1974 absolvierten Bundeswehrpiloten insgesamt 145 000 Einsatzstunden, meist nicht koordiniert mit zivilen Kontrollstellen.

Wer da oben wen lenkt, das durchschaut ohnehin der Flugpassagier längst nicht mehr -- vielleicht auch besser so. Zuständig sind, oft wechselweise während eines Fluges, Lotsen der Bundesanstalt für Flugsicherung, Eurocontrol oder eine der zahlreichen Militärleitstellen in- und außerhalb der Landesgrenzen -- getrennte Institutionen, die von den Maßnahmen der anderen oft genug nichts wissen können, oder dürfen.

Militärmaschinen sind laut Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS) an

* Militär- und Zivillotsen in der gemeinsamen Leitstelle »Rhine-Control«, Frankfurt.

etwa 70 Prozent aller Beinahe-Kollisionen beteiligt. Und die Fast-Bruchpiloten von Würzburg lieferten gleich eine ganze Musterlese von Near-Miss-Ursachen: Sie navigierten inmitten der Luftstraße nach Sichtflugregeln -- unnötigerweise, denn es war ein einfacher Überführungsauftrag, und auch noch verbotenerweise, da es ohne Begründung oberhalb der seinerzeit gültigen Sichtfluggrenze geschah.

So war ein Routineflug zum Horrortrip geraten, wieder mal, denn wie die zwei Fiat-Jäger fliegen massenweise Militärflugzeuge

* ohne zwingenden Grund außerhalb der zivilen Flugsicherung,

* nach Sichtflugregeln inmitten instrumentengelenkter, bodenkontrollierter Airliner.

Für den Fluglotsen Ludwig Abelshauser ist das, »als ob man Rennwagen durch den Berufsverkehr einer Großstadt rasen ließe«. Auf Strecke sind die Phantoms, Hunters und Mirages aus acht Nato-Staaten. Und unter Kontrolle der militärischen Flugsicherung sind dabei nur operationelle Flüge nach Instrumentenregeln. Die Sichtflüge werden überhaupt nicht vom Boden aus gelenkt oder aber, »kreuz und quer durch jeglichen Verkehr« (Abelshauser), von den Radarleitstellen der Luftverteidigung, die keinerlei Kontakt zur zivilen Flugsicherung haben**. * Szene aus dem US-Spielfilm »Giganten am Himmel« (1975>.

** Der kontrollierte ("untere") Luftraum reicht von Flugfläche 25 (2500 Fuß = 762 Meter) bis Flugfläche 245 (7472 Meter). Sichtflug ist seit November 1975 oberhalb Flugfläche 100 (3050 Meter) verboten. Für Militärflüge gelten Ausnahmeregelungen je nach Dringlichkeit.

Berufsflieger nennen es »Blindekuh in der Luft«, wenn die Militärpiloten außerhalb ihrer Sperrzonen Übungspensum bewältigen, Formationsflug, Luftkampf oder Abfangen drillen. Oft genug stoßen sie quasi blind empor, etwa beim Alarm-Start: Dann fauchen Jäger, die mit vorgewärmter Elektronik einsatzbereit geparkt sind, knapp vier Minuten nach Abruf in Gefechtshöhe« steil in die Luft und durch alle Flugflächen.

Meist preschen sie nicht allein, sondern zumindest in der (Zweier-)Rotte und stiften Schrecken in zivilen Cockpits. »Ist die erste vorbei«, berichtet ein Flugkapitän, »denkt man automatisch, gleich knallt einem die zweite aufs Dach.« Und zivile Fluglotsen beobachten gelegentlich auf ihren Schirmen, wie Militärmaschinen an die Luftstraße herankurven und gegen den nächstbesten Zivil-Jet ein Abfangmanöver proben.

Die meisten der in drei Near-Miss-Kategorien unterteilten Luftbegegnungen (Gruppe A: unmittelbare Gefahr, Gruppe B: mögliche Gefahr, Gruppe C: keine Gefahr) werden der Bundesanstalt für Flugsicherung gar nicht erst gemeldet; etwa weil die Vorfahrts- und damit die Schuldfrage nicht mehr eindeutig ist oder weil der Pilot den Sichtkontakt als unproblematisch eingestuft oder aber, bedingt durch das enge Gesichtsfeld vor der Cockpitscheibe, das andere Flugzeug überhaupt nicht ausgemacht hat.

Auf die Sehschlitzperspektive des Verkehrsjet-Piloten buchen Militärflieger es auch, wenn ihre Zivilkollegen »neurotisch reagieren« und als Beinahe-Katastrophe weitermelden, was aus der Sicht des Jägers nicht einmal Grußnähe war. Jägers Faustregel besagt oft genug, daß eine Begegnung ungefährlich ist, solange zumindest einer der Piloten sie bemerkt und ein Hundertmeter-Abstand gewahrt bleibt.

Im gesamten kontrollierten Luftraum unterliegen allgemeine Luftfahrt (mit Sport- und Segelfliegerei) sowie Linien- und Militärverkehr laut Luftverkehrsgesetz grundsätzlich der zivilen Flugsicherung. Daß hiervon in der Praxis keine Rede ist, liegt nicht nur am Ausnahmebegriff der »hoheitlichen« Funktion -- der auf nahezu die gesamte Militärfliegerei ausdehnbar ist.

Vielmehr: Ohne jede Koordination durch Bodenstellen vollzog sich, außerhalb der Sperrgebiete und Flughafenzonen, bisher im Sichtflug-Luftraum aller allgemeine Flugverkehr nach Augenmaß. Vorfahrt hat das Flugzeug mit der schlechteren Manövrierbarkeit, im übrigen gilt rechts vor links; hier müßte, genaugenommen, notfalls der Jumbo-Captain die einmotorige Cessna von rechts oder den Segelflieger von links respektieren.

Allerdings ereignet sich das Gros der gefährlichen Begegnungen nicht nur dort, wo das Hobbygerät waghalsiger Sportpiloten knattert oder Segelflieger beim Verfolgen einer Thermik unversehens auf die Luftstraße geraten. Das Chaos liegt just auf einem Gebiet, das dank geballtem Aufwand von Elektronik und Organisation im Griff sein müßte -- trotz hoher Technisierung ist es bislang nicht gelungen, militärischen und zivilen Flugverkehr sicher aneinander vorbeizuleiten.

Dabei fehlt es nicht an den Voraussetzungen. Der Luftraum ist in der Draufsicht schnittmusterhaft aufgeteilt -- in Luftstraßen, Nahverkehrsbereiche und Sperrzonen -- und im Höhenschnitt noch einmal: Über Tiefflugbahnen lagern Sicht- und Instrumentenflugflächen, säuberlich voneinander getrennt.

Die Überwachung von Flugbewegungen ist der komplizierten Dreidimensional-Schachtelung des Luftraums angepaßt: Vertikal und horizontal sind die Kontrollbefugnisse der einzelnen Sicherungsstellen genau definiert. Flugbetrieb müßte dabei selbst dann noch sicher zu regeln sein, wenn militärische und zivile Kontrolle in zwei getrennten Apparaten untergebracht sind.

Doch in der Praxis klappt es nicht, meist nicht einmal dort, wo militärische und zivile Lotsen in ein und derselben Dienststelle sitzen, etwa in Bremen. Dort haben beide Zweige ihren eigenen Bereich organisiert, sind aber von Kooperation weit entfernt. Einziges Resultat der Nachbarschaft, laut Lotsenerfahrung: »Die Luft im Turm ist schlechter geworden.«

Auch die verantwortlichen Bonner Ministerien kamen nicht zueinander, und das nicht nur als Folge von Eifersüchteleien und Prestigeempfindlichkeit zwischen Ämtern. Denn die Synchronisierung von Verkehrssicherheit und Verteidigungsbereitschaft ist im engen Luftraum der Bundesrepublik kaum zu lösen.

Die Unlust beider Seiten, Abstriche zu machen, zeigt sich bis ins Detail: Noch immer nicht haben Militär- und Zivillotsen, die gemeinsam amtieren sollen, die gleiche Ausbildung; und die Bundeswehrmaschinen wurden nur allmählich mit Sekundärradar bestückt, das seit langem in Verkehrsflugzeugen gebräuchlich ist und den Zivillotsen die zur Überwachung nötigen Fluginformationen im DERD-Verfahren* auf dem Schirm einblendet.

Wie wenig Elan Militärs und Zivilbeamte bislang zeigten, ihre Flugsicherung aufeinander abzustimmen, belegt auch die Vielfalt der gegenwärtig praktizierten militärisch-zivilen Kooperationsmodelle. Mal wird, wie im Bereich der Regionalkontrolle München, der gesamte Flugverkehr, einschließlich der nichtoperationellen militärischen Einsätze, von Zivilstellen gelenkt. Mal sitzen Soldaten mit Beamten der Bundesanstalt für Flugsicherung gemeinsam auf dem Turm und koordinieren die jeweiligen Programmhälften -- funktionsfähig wie in Frankfurt oder unzulänglich wie in Bremen. Dabei zählen zum Bremer Bereich immerhin die beiden Dollpunkte »Eider« und »Weser«, Militärsperrbezirke, wo sich Luftstraßen quer durch den Tummelplatz der Überschalljäger ziehen.

Die brisante Gemengelage am bundesdeutschen Himmel ist aber letztlich das Resultat langjähriger Konfliktscheu der Regierenden in Bonn. Keine Regierung mochte sich grundsätzlich

* »Digital Extrabierte Radar-Daten": wichtige Betriebsdaten wie Flughöhe. Flugnummer oder Kurs werden von einem an Bord eingebauten elektronischen Geber abgerufen und erscheinen auf dem Lotsen-Radarschirm neben dem Standortpunkt des Flugzeuges.

entscheiden zwischen Notwendigkeiten ziviler Flugsicherung und militärischen Kompetenzansprüchen.

Jahrelang forderten denn auch Fluggesellschaften, Lotsen und Piloten vom Gesetzgeber einheitliche Kontrollen unter einheitlicher Organisation, vergebens. »Erlassen wurde immer nur«, klagt der Verband Deutscher Flugleiter, »was den jeweiligen Angriffen die Spitze nahm.«

Erst der Beinahe-Unfall von Würzburg löste in Bonn Aktivität aus. Dem zunächst verhängten generellen Sichtflugverbot oberhalb der 10 000-Fuß-Grenze (3050 Meter) folgt nun ein Paket von Sicherheitsmaßnahmen« das die Staatssekretäre aus Verkehrs- und Verteidigungsministerium letzte Woche verabschiedeten; es soll vom 1. April dieses Jahres an gelten. Die Kernstücke des Sanierungsprogramms:

* Dem Militär wird ein Tiefflugband zwischen 240 und 580 Meter Hohe reserviert; außerdem werden acht Übungsräume eingerichtet, die bei militärischem Bedarf für den übrigen Verkehr gesperrt werden.

* Die Obergrenze des kontrollierten Luftraums wird von Flugfläche 245 auf Flugfläche 350 (rund 10 700 Meter) angehoben.

* Im Flugbereich unter 3050 Meter gilt Spitzentempo 250 Knoten (etwa 460 km/h).

Eine Sofortlösung der Malaise im Luftraum ist freilich auch vom neuen Bonner Konzept nicht zu erhoffen. Die Tiefflugbahnen müssen erst mit den Regierungen der Bundesländer ausgehandelt werden. Noch komplizierter, so fürchten Experten, wird es beim Abstecken der acht Sperr-Räume hergehen. Deren luftverkehrsgerechte Anordnung und Größe müßte die Militärs einengen, eine Anlage nach vorwiegend militärischen Gesichtspunkten wiederum würde für die Zivilseite Umleitung und Lenkaufwand bedeuten. Nicht vor Ende dieses Jahres, glaubt BFS-Sprecher Peter Graf, sei mit Schaffung der Übungsräume zu rechnen.

Allerdings könnte auch optimales Zusammenspiel in Bonn nur einen Teil des Dilemmas beheben. Denn gegenüber ihren Alliierten drangen die Deutschen mit Beschränkungen in der Vergangenheit nur selten durch. Die fliegerischen Aktivitäten der Nachbarländer sind nicht einmal immer zu belegen: Ob mal eben eine belgische Abfangrotte den Kölner Nahverkehrsbereich durchstößt, holländische Starfighter den Boeing-Flug Hamburg-Düsseldorf gekreuzt oder in England gestartete Jäger ihren Luftkampf zu Häupten der Ostfriesen ausgetragen haben -- es bleibt ohne Folgen für die meist unerkannt entkommenden Täter.

Ein hoher Bonner Ministerialer macht zwar Anstalten zum Machtwort ("Den Herren muß mal gesagt werden, daß die Besatzungszeit vorbei ist"). Doch das Tacheles-Reden funktioniert schon kaum bei den militärischen Amtsbrüdern auf der Hardthöhe.

So ändert auch das neue Bonner Sicherheitspaket nichts daran, daß die Bundeswehr Zahl. Zeit und Ziel ihrer Luftverteidigungsflüge verschweigt. Folge: Wo und wann Einsatzpiloten der Bundeswehr im Luftraum mitgemischt haben, erfahren die Frankfurter BFS-Beamten nicht einmal hinterher für die Statistik. Sprecher Graf: »Da sind wir vollkommen blank.«

Und zivile Flieger wie Flugsicherer argwöhnen, daß manche Reibung im Umgang mit den uniformierten Luftnachbarn nicht nur sachbedingt entsteht. Weil etwa an Wochenenden, Feiertagen und zur Mittagspause der militärische Flugverkehr meist schlagartig zurückgeht, sieht ein hoher Bonner Flugsicherer althergebrachte Fliegerherrlichkeit im Spiel: »Das ist wie bei der Reichsluftwaffe -- heute machen wir das Kasino zu und fliegen alle mal.«

Solche Rittmeisterart freilich, wo immer im Schwange, könnte sich künftig kaum mehr entfalten: Der unrationellen Nutzung der reservierten Lufträume ist vorgebeugt, da die neu geplanten Sperrzonen nur unter Sichtflugbedingungen sowie von montags bis freitags beansprucht werden dürfen.

Für verstärkte Animositäten wird dagegen in Zukunft die Skepsis der Militärflieger sorgen, ihren Betrieb über den zivilen Sicherungsapparat abzuwickeln: Lenkung des gesamten Flugverkehrs in einer -- zivilen -- Hand wird zwar in der Regionalkontrolle München schon seit 1965 praktiziert. Aber auf das von Fluglotsen als modellhaft gepriesene (und durch unterdurchschnittliche Near-Miss-Bilanz bestätigte) süddeutsche Verfahren reagieren Bundeswehrführer skeptisch: Erinnerungen an diverse Bummelaktionen der Zivil-Controler nähren ihre Zweifel an der unerschütterlichen Einsatzbereitschaft eines zivil geführten Flugbetriebs.

Kürzlich erst bekräftigte Luftwaffeninspekteur Gerhard Limberg in Bonn, wie das Verteidigungsministerium sich die Integration am Himmel allenfalls vorstellt: Militärbeteiligung »auf allen Ebenen« der Flugsicherung, von der Gerätewartung bis zur Anflugkontrolle. Laut Plan der Staatssekretäre soll er sie jetzt bekommen.

Zivilen Insidern wie Graf aber schwant eingedenk solcher Ansprüche nichts Gutes. Schon beim Gedanken ans Tower-Miteinander »der einen, die auf Befehlsbasis, und der anderen, die auf Verfügungsbasis mehr legerer Art arbeiten« (Graf), scheint beiderseits, wie gehabt, die Stimmung vorgeheizt.

So begründet ein Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums das Beharren auf militärischer Turm-Präsenz mit der Besorgnis vor dem »Ernstfall, wenn die Zivillotsen sich weigern sollten, ihren Beitrag zum Dritten Weltkrieg zu leisten«. Und umgekehrt: Den Zivillotsen klingt noch im Ohr, wie beim Go-slow 1973 der öffentliche Ruf nach uniformierten Streikbrechern laut wurde. Ein Lotsen-Sprecher: »Wir wollen die im blauen Rock nicht« -- wegen der »Gefahr, daß sie eines Tages falsch eingesetzt werden«.

Dabei markieren Reibereien und Mißtrauen keineswegs die einzigen Bruchstellen, die das nun bundesweit angestrebte Mischkontrollsystem bislang schon zutage gebracht hat -- in der Regionalkontrolle Bremen. Das dortige Kooperationsmodell nämlich wurde, mangels Bereitschaft und Kompetenz für Zusammenarbeit, schon bald nach seinem Start (1974) zur Reformruine.

Nach ursprünglichen Planungen sollte Bremen unter ziviler Regie den unteren Luftraum ganz Norddeutschlands überwachen und dabei auch die Militär-Bereiche »Eider« und »Weser« fuhren.

Doch nach dem letzten Bummelstreik blieb »Eider-Control« gänzlich ausgegliedert, und die schon für Bremen geheuerten zusätzlichen Zivillotsen kamen gar nicht erst zum Zug. Denn »Weser-Control«, vormals Oldenburg. brachte gleich auch sein uniformiertes Sicherungspersonal (Lotsen-Schmäh: »Die Trachtengruppe") mit. »Zusammenarbeit ist keine«, konstatiert Zivillotse Kummerfeld nach zwei Jahren Gemeinschaftspraxis, »die militärische Komponente hat sich vollkommen eingeigelt.« Und diese Kommunikationsprobleme sind sachlich bedingt, vor allem durch die unterschiedliche Ausbildung der Controler. Folge: Wenn sie ihre Zivilflüge auf den Straßen »Red 1« und »Green 10« durch die umliegenden Jagdgründe dirigieren, verfahren Kummerfeld und Kollegen nach der Sprechfunkdevise: »Lieber sag"s dreimal, damit es erstens hinterher deutlich auf Band ist und damit zweitens das Flugzeug so fliegt, wie du es gerne möchtest.«

Die Aussichten auf ein verläßlich geregeltes Nebeneinander von Jäger und Jetliner sind auch künftig nicht optimal. Denn an den schlimmsten Gefahrenquellen ändert auch das Papier der Staatssekretäre nichts -- Nato-Flüge und Luftverteidigungsbetrieb der Bundeswehr.

Und ein Lenksystem à la Bremen wäre, selbst ohne Bremer Schwächen, kaum mehr als eine bürokratische Patentlösung: Zwar Wird die Konkurrenz zweier Kontrollsysteme beseitigt, die Flugsicherung integriert; doch eines bleibt programmiert -- die Zusammenstoßgefahr.

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