Flurbereinigung versäumt
(Nr. 41/1974, Entwicklungshilfe)
Die These, die Ihr Report über unsere Entwicklungshilfe beweisen sollte, ist simpel: Konzept vorbildlich, Durchführung miserabel. Niemand weiß besser als ich, wie steinig der Weg von einem richtigen Kabinettsbeschluß bis zur richtigen Projektpraxis ist. Einige Hindernisse haben Sie selbst genannt -- wir haben mit 90 souveränen Regierungen zu tun, mit Ressorts- und Wirtschaftsinteressen im eigenen Land. Nun ist es Ihr gutes Recht, diesen Abstand zwischen Konzept und Praxis aufzuzeichnen, auch wenn der SPIEGEL mich vor Jahren als Streithammel darzustellen beliebte, der mit aller Welt Krach anfängt, um sein Konzept lupenrein zu realisieren. Aber statt einfach zu fragen, wo ich Kompromisse machen mußte, wo etwas nicht klappt, hat der SPIEGEL »recherchiert«. Der Erfolg ist niederschmetternd. Nicht für uns, sondern für den SPIEGEL. -- Das OECD-Prüfungsergebnis, das laut SPIEGEL »im Hause Eppler sorgsam unter Verschluß gehalten wird«, hat das BMZ am 5. Oktober 1973 in einer Pressemitteilung veröffentlicht, zumal der Umfang unserer Hilfe kritisiert, ihre Qualität gelobt wurde. Ich selbst habe dazu Interviews gegeben. Darüber hinaus haben wir eine Broschüre dazu veröffentlicht. Fast alle Projekte, die Sie als Beweis für meine Inkonsequenz anführen, wurden beschlossen, ehe ich Minister war. Der Schlachthof in Saigon wurde 1966, die Gewerbeschule in Mexico-City 1966, das Hospital im Senegal 1961, die Fernsehstation in Neu Delhi 1966, von der Bundesregierung beschlossen. Dies bedeutet nicht, daß alle diese Projekte schlecht wären, aber für Ihre These werfen sie nichts ab. Daß es im übrigen leichter ist, ein Projekt anzufangen, als
* Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Madras (Indien) im November 1973.
es wieder abzubrechen, wird auch der SPIEGEL nicht bestreiten. Die genannte Klinik in Addis Abeba wurde nicht von Deutschen, sondern von Jugoslawen gebaut. Wir haben uns nie bereit erklärt, auch nur für Teile der laufenden Kosten des Krankenhauses aufzukommen, die übrigens nicht 75 Prozent, sondern zirka 20 Prozent des äthiopischen Gesundheitsetats ausmachen. -- Besonders pikant ist, daß Sie mir Polizeiprojekte in die Schuhe schieben. Am 24. 6. 1970 habe ich die Weisung gegeben, keine neuen Polizeiprojekte zu beginnen. Das haben wir, nicht ohne manche Rauferei, durchgehalten. Richtig ist, daß wir drei Polizeiprojekte noch nicht auslaufen lassen konnten. Das ruandische Projekt (Beschluß 1967) wird bis Anfang 1975 auslaufen, das afghanische (Beschluß 1960) bis Ende 1976, das algerische (Beschluß 1964) bis Ende 1975 auslaufen. Andere gibt es nicht mehr. -- Wie wäre es, wenn der SPIEGEL, statt unter mehreren tausend Projekten nach einigen mißlungenen zu suchen, sich den wirklichen Schwierigkeiten dieses »teuflischen Jobs« zuwenden würde?
Bonn ERHARD EPPLER Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
1. Der SPIEGEL zitierte aus einem internen Papier des OECD-»Development Assistance Committee« vom 13. September 1973 mit der Überschrift »Restricted to Participants«. Dieser kritische, neun Schreibmaschinenseiten lange Bericht wurde vom Eppler-Ministerium nicht veröffentlicht.
2. Für den Schlachthof Saigon genehmigte Eppler am 4. Oktober 1973 (Projektvorlage Nr. 103/T2032 Südvietnam/15970) eine Aufstockung der Hilfe um 2.059.000 Mark für die »Entsendung von Personal zur Betriebseinführung und -anleitung des einheimischen kaufmännischen Personals für je zwei Jahre«.
3. An der Gewerbeschule in Mexico City arbeiteten letztes Jahr 22 deutsche Experten mit einem geschätzten Kostenaufwand von 100 000 Mark pro Kopf, ohne daß Änderungen der Zulassungsbedingungen bisher geplant sind.
4. Für das Hospital im Senegal, laut Bericht des Bundesrechnungshofs von 1973 ein Musterbeispiel für die aufwendige Ausstattung deutscher Klinikprojekte in der Dritten Welt, machte der SPIEGEL Eppler nicht verantwortlich, wohl aber für die während seiner Ministerzeit 1971 und 1973 genehmigten Krankenhäuser in Brasilien und Peru.
5. Zwar wurde das Fernsehprojekt Neu Delhi schon 1966 beschlossen, die Projekte Bombay und Poona aber erst am 29. Oktober 1969, als Eppler schon ein Jahr im Amt war, und noch im Juni 1973 einigte sich Eppler mit den Indern auf ein weiteres Regierungsabkommen, das beispielsweise »Hilfe bei der Einrichtung eines Fernseh-Lehrstudios« oder »Materiallieferungen für die Ausdehnung des Versorgungsbereichs des Senders Neu Delhi bis Mussoorie« vorsieht.
6. Was die Klinik in Addis Abeba anbelangt, hat Eppler recht.
7. Die Polizeiprojekte hat der SPIEGEL nicht Eppler »in die Schuhe geschoben«, sondern ausdrücklich Innenminister Hans-Dietrich Genscher ("gleichwohl drängte Innenminister Genscher immer wieder ...") angelastet. Red.
Wenn Sie Herrn Eppler kritisieren, weil er sein erhabenes Versprechen, die Kluft zwischen arm und reich zu schließen, nicht erfüllt, kann ich über Sie und Herrn Eppler nur lachen, weil Sie ebenso töricht und wie Indira Gandhi, die einst vor einem europäischen Fernseh-Publikum erklärte, sie würde in Indien das Kastenwesen ausrotten.
Frankfurt BHALARONI SHENOY
Die deutlich hochgespielten Feststellungen des Bundesrechnungshofes sind Teil einer gezielten Kampagne reaktionärer Kreise gegen eine fortschrittliche Entwicklungspolitik.
Mannheim DR. DIETER BRICKE
Entwicklungshilfe ist etwas, das nicht geht und auch nicht gehen kann. Auch Minister Eppler weiß das. Man sollte ihm dankbar sein, daß er mit Einsatz und Experimentierfreude versucht hat, hier etwas zu realisieren.
München DR. ANDREAS LOMMEL
Museumsdirektor
Jene anachronistische Staatsbeamte, die als Geburtspaten des Entwicklungshilfeministeriums bis heute einen Platz an der Sonne gefunden haben, sind wesentlich an dieser Mißwirtschaft beteiligt. Eppler hat es eben versäumt, nach seiner Amtsübernahme, eine innerbetriebliche Flurbereinigung vorzunehmen.
Maxemiliansau (Rhl.-Pf.) ERWIN BEHRINGER