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HUMOR / BILEK Fr., ein weibliches Wesen

aus DER SPIEGEL 38/1950

Das Buch hat einen liebevollen Titel. »Lieber Olaf - Liebe Franziska« wird es heißen und im Herbst bei Hans Dulk in Hamburg herauskommen. Ein Briefwechsel zwischen den beiden Zeichnern Olaf Gulbransson und Franziska Bilek.

Olaf, Simplicissimus-Zeichner seit 1903, eine Wucht von Gestalt, ein Walroß auch an Gleichmut, aber weiser, und darum gemütlicher und liebevoller, und darum so herzlich und herzhaft an seinem genau das Schwarze unterm Nagel treffenden Spott - Olaf Gulbransson, Norweger von Haus her, wohnt hoch überm Tegernsee auf seinem alten Hof.

Franziska, Simplicissimus-Zeichnerin seit 1936, von den Vorfahren her bäuerlicher Abstammung, wurde geboren zu München, wohnte immer da, lebt dort und - »da geh im Leben auch nicht raus«.

Ihr Leben kann sie sich ohne München und die Berge nicht vorstellen. Das schrieb sie auch dem 67jährigen Professor Joseph Hagenbarth, als er ihr anbot, seine Nachfolgerin an der Dresdner Hochschule der bildenden Künste zu werden. Mit Schwabing allerdings kann sie nichts anfangen. »Ich kann nur in der Früh' zeichnen, und wenn ich mir in der Nacht bis 2 Uhr den Kopf mit Rauch und Genie vollstopfe, bin ich am andern Tag erledigt.«

Alles, was sie sieht und hört - und sie sieht und hört sehr genau und sehr geschwind - muß sie »rausspucken«, immer einfallsreich, immer lustig, in der Unterhaltung oder im Brief. »Ich schreib leidenschaftlich gern Briefe«, sagt Franziska.

Dem Olaf schrieb sie viele Briefe, die vollgespickt sind mit vergnügten Zeichnungen, mit Hilfe von Zeigefinger, Spucke und Buntstiften gemalt. Im Laufe der Zeit wurde es ein Berg Briefe. Er lag in Olafs Wohnraum auf dem Flügel.

Besucher bekamen sie in die Hände und lachten sich in alle Windrichtungen kaputt. Es wurde ernst, als jemand meinte, man solle diese Briefe und die Olafs - denn Franziska ihrerseits hatte ein Hügelchen Briefe von ihm - in die Oeffentlichkeit bringen. Verleger Hans Dulk griff die Idee bei einer Flasche Boxbeutel auf. Unter vielen norwegischen Skal und deutschen Pröstchen wurde der Bund geschlossen.

Franziska nahm einen Teil ihrer Briefe an Olaf mit nach Hause, schrieb sie neu in »Schönschrift«, zeichnete und malte neu, kramte in ihren Erinnerungen nach lustigen Begebenheiten - »ich habe einen Vorrat, der für zehn Bücher reicht«.

Auch Olaf schrieb und zeichnete heitere Begebenheiten aus seinem langen, tüchtig gelebten Leben. Er tat es so, wie er auch mündlich erzählt: jede Geschichte voller Spannung und jede mit Päng!-Pointe.

Franziska, die im Briefwechsel fast nur farbig zeichnet, sagte ihm einmal: »Olaf, du solltest eigentlich auch ein bißchen Farbe verwenden.«

Er kniff die tibetanischen Aeuglein zusammen und sagte: »Weißt du, Franziska, deine Zeichnungen sind kraftvoll und haben Saft, aber meine Zeichnungen sind weise, weise, weise - die brauchen keine Farbe.«

Olaf liebt beim Zeichnen die ruhige, ausgeglichene Bewegung - so, wie wenn man einen Berg hinaufkraxelt. Franziska liebt die rasche, heftige, dabei scharf und sicher gezeichnete Bewegung - so, wie wenn man einen Berg in langen Sätzen hinunterspringt.

Gezeichnet hat sie schon mit sechs Jahren, am liebsten Mausburgen. »So im Querschnitt. Man hat da Vorratskammern gesehen, Schlafzimmer, Bad, Wohnzimmer, Turnhalle und lauter Mäuse drin, Mama, Papa, Kinderchen. Dann bin ich kühner geworden, ich hab' Zwergerl, Hexen und Nixen gezeichnet. Die Nixen waren alle ohne Busen, die Schmutz-und-Schund-Wächter hätten ihre Freude daran gehabt.«

In der Schule bekam sie für Zeichnen nur einen Dreier, einmal sogar einen Vierer. Obwohl sie alles, was in ihrem Hirnkasterl spazierenging, aufs Papier brachte, auch auf die Löschblätter und in die Schulbücher.

Die Mama packte eines Tages einen Stoß Zeichnungen zusammen, nahm ihre kleine Tochter an die Hand und ging zu dem Maler Eduard Grützner, der so gerne die heiteren Mönche mit Weinfässern und Weingläsern malte. Er wohnte hinterm Maximilianeum in einer stillen Straße in einem altdeutsch verwinkelten Butzenscheibenhaus, sah sich die Zeichnungen an und schrieb dann einen Brief, der bestätigte: Franziska kann wirklich zeichnen.

Als sie fünfzehn war, ging sie auf die Kunstgewerbeschule und steckte sich die Haare hoch. Dies, um älter auszusehen und Akt zeichnen zu dürfen. Das durfte man erst ab sechzehn.

Die Zeichnerin Franziska Bilek hat nie recht einen Lehrer gehabt. Das kam daher, daß sie in den Kunstschulen so viel Gaudi trieb.

Der Ernst der Schule wollte ihr nicht eingehen, sie machte »Gaudi«, die Professoren nahmen's übel und warfen sie hinaus. Zu Hause sagte Franziskachen, die Professoren seien so zufrieden mit ihr, daß sie ihr geraten hätten, die Kunstakademie zu besuchen. Dort machte sie wieder Gaudi.

Der erste Redakteur, der ihre Zeichnungen annahm und ihr so Mut machte, war Arnold Weiß-Rüthel von der »Jugend«. Franziska hat es ihm nie vergessen. Honorar bekam sie allerdings keines.

Die »Jugend«, bei den Tausendjährigen unerwünscht, war kein großes Geschäft mehr. Wenn Franziska um Geld kam, öffnete der Kassenverwalter zwei, drei Schubladen, schaute hinein, zuckte bedauernd die Schultern und sagte: »Da is nix drin, ich kann Ihnen nix geben.« Franziska fand das furchtbar komisch.

Dann kamen Illustrationen für Knorr & Hirths Münchner »Abendblatt«. Schließlich brachte sie dem »Simplicissimus«, auch Verlag Knorr & Hirth, ein ganzes Paket Zeichnungen. Den »großen Kollegen« Olaf Gulbransson, Karl Arnold und Wilhelm Schulz gefielen sie. Olafs Meinung gab den Ausschlag: Franziska Bilek wurde angenommen. »Das war der schönste Tag meines Lebens«, sagt Franziska.

Gulbransson war dann auch einer der Künstler, die Franziska Bilek künstlerische Entwicklung beeinflußten. Sie bewundert seine grandios-einfache Linienführung und seine »Viechereien«.

Zuerst hatten die Zeichnungen Alfred Kubins gewaltigen Eindruck auf sie gemacht. »Ich wußte nicht, was Kunst ist. Mit einem Brett vor dem Hirn bin ich einmal in eine Kubin-Ausstellung gegangen, und als ich wieder rausgegangen bin, war das Brett runtergefallen.«

In einem trifft sich die Karikaturistin Fr. Bilek mit dem Karikaturisten Olaf Gulbransson: auch ihre Art, sich lustig zu machen, tut nicht weh. Es ist dabei zuviel Liebe im Spiel. trotz oder wegen des scharfen Blicks, der dafür sorgt, daß die Pfeile sitzen.

In einem unterscheiden sich die Karikaturisten Fr. Bilek und Olaf Gulbransson. Franziska zielt nicht so sehr auf das aktuelle Persön liche, auf die aktuelle Situation, auf eine Eleonora Duse, einen Gerhart Hauptmann etwa oder auf den Rohrstock in bayerischen Schulen. Ihr Gebiet ist eher das allgemeine kleine Menschliche. Sie hat keine politische Ader.

In der Zeit Hitlers hat sie kein einziges politisches Blatt gezeichnet. Abteilungen des Propmin forderten, unabhängig voneinander, »taktvoll« zu intensiver Mitarbeit auf. Sie schrieb jedesmal zurück: »Ich kann nicht. Ich bin ein weibliches Wesen. Politik verstehe ich nicht.«

Das Propmin hatte an Herrn Bilek geschrieben. Man war - überrascht, daß Fr. eine Franziska war. Da ließen sie es sein.

Die Simplicissimus-Leser haben viele Jahre nicht gewußt, daß sich hinter »Fr. Bilek« ein weibliches Wesen verbirgt. Sie hat sehr viele Leser-Briefe gekriegt, und alle waren an Herrn Fr. Bilek gerichtet. Ihren Strich traute niemand einer Frauenhand zu.

Es mag mit ihren barock ausschweifenden Frauengestalten zusammenhängen, daß man ihr, hatte man einmal erfahren, daß sie eine Frau ist, mindestens zwei Zentner Körpergewicht, Schnurrbart und Baßstimme zuschrieb. Dagegen sträubte sie sich: »Ich bin 1,62 groß, 112 Pfund schwer, Schnurrbart hab' ich keinen, esse gern Süßigkeiten, habe - obwohl geborene Münchnerin - noch niemals Bier getrunken und weiß auch nicht, wie's schmeckt.«

Fr. Bilek kam in den Verdacht, männlichen Geschlechts zu sein, wahrscheinlich auch deswegen, weil man einer Frau nach landläufiger Anschauung nicht so viel Humor zutraut, wie in Fr. Bileks Zeichnungen zu finden ist. Franziska zu diesem Punkt: »Die Frauen sind gar nicht so, die haben viel mehr Humor, als man denkt.«

Für die exaltierte Emanzipation der Frau hat sie jedoch nichts übrig. Auch nichts für einen sogenannten weiblichen Humor, wie er manchmal von ihr verlangt wird. Franziska zu diesem Punkt: »Humor ist wie ein Stück Brot - von dem kann sich jeder eine Scheibe runterschneiden. Die Scheibe wird dadurch um nichts männlicher oder weiblicher.«

Als eine Zeitschriftenredaktion wieder »etwas spezifisch Weibliches« von ihr wünschte, schrieb sie zurück: »Ich werde Ihnen drei Zwetschgenknödel und ein Dutzend gestopfte Strümpfe schicken. Da haben Sie was spezifisch Weibliches!«

Die Zeichnerin Fr. Bilek zeichnet ohne künstlerisches Dogma, weder »bewußt« satirisch, noch »bewußt« originell, noch »bewußt« humorvoll. Das würde sie nur als »Krampf« ansehen. So wie sie die abstrakte Kunst mit leichtem Mißtrauen betrachtet: »Ja, wenn die könnten, wie sie wollten! Aber sie quetschen's meistens mühselig aus ihrem Hirn heraus, und mit dem Hirn kann man nicht malen.«

Franziska arbeitet sichtlich mit viel Herz. Sie beobachtet scharf, sie ist den Schwächen der Mitmenschheit sofort auf der Spur, aber sie findet deshalb diese Mitmenschheit nicht verächtlich oder womöglich hassenswert. Nur liebenswert putzig. Sie sieht Komisches, Heiteres, Lustiges - mit einem gehörigen Schuß tiefere Bedeutung - überall, bei Mensch und Tier.

Der Kreis ihrer Themen umfaßt Märchen und griechische Götter, die kleinen alltäglichen Begebenheiten, den Sport (den sie selbst gar nicht mag), den ganzen Tierpark der Erde (sie ist eine große Tiernärrin), einschließlich des homo sapiens mit der ganzen Skala seiner unterhaltsamen Schwächen.

Sie kann aber auch anders: mit Schwung hingeworfene Akte und elegante Modekarikaturen. Und illustrieren, z. B. den demnächst erscheinenden heiteren Kriminalroman »Adrian und Oliver« des Holländers Leonhard Huizinga oder die »Hetärengespräche« des alten Griechen Lukian. Die sollen mit ihren Zeichnungen neu herauskommen, ebenso der »Heitere Olymp«, Franziskas größter Bucherfolg - 50000 Auflage.

Doch die Hauptsache sind ihr die »Gaudi« und das »Derblecken«, harmlos und ohne jemand zu beleidigen. Aus Gaudi zeichnete sie eines Tages etwas besonders Rundliches, Nudeldickes, und da war es da: das »kleine Weiberl«.

Diese hauptsächlich aus Schwellungen bestehende Frauensperson mit riesenlangem Haarschopf wurde eine Standardfigur. Franziska liebt sie, und für sie fallen ihr tausendundeine Geschichten ein. Sie hat sie auch in Wachs modelliert und in einem Glaskasten stehen.

Franziska Bilek zeichnet nicht nur sicher, sie zeichnet auch schnell. Im Gafè, im Zirkus, in der Eisenbahn versteckt sie ein Blatt Papier hinter ihrer Handtasche und zeichnet fix mit wenigen Strichen. Mit der linken Hand.

Als Franziska noch auf der Schiefertafel herumkritzelte, nahm die Mutter ihr den Griffel aus der Hand und sagte: »Du mußt mit der schönen Hand zeichnen.« Und meinte die rechte.

Es nützte nichts. Franziska zeichnete und zeichnet nur mit der linken Hand. Sie beherrscht die Spiegelschrift wie die gewöhnliche, kann Spiegelschrift auch rückwärts und ganze Sätze gleichzeitig mit beiden Händen zugleich schreiben. Manche Leute bringt sie zum Wahnsinn, wenn sie ihnen seitenlange Briefe in Spiegelschrift schreibt. Aus Humor. Franziska ist sehr für Humor.

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