NACHRUF Frank Sinatra
Er wuchs heran auf der falschen Seite des Flusses, in Hoboken, New Jersey, als ein dünner Junge mit großen Ohren, einziger Sohn seiner Mutter Dolly. Als er sich mit 13 ein Foto von Bing Crosby ins Zimmer stellte, warf sie mit einem Schuh und nannte ihn einen »Penner«.
Ein paar Jahre später sammelten die Mädchen auf der richtigen Seite des Flusses, in Manhattan, seine Fußspuren, die er im Schnee hinterlassen hatte, und stellten sie zu Hause in den Eisschrank: Als die anderen an der Front kämpften, war er das größte Popidol seit dem Schauspieler Rudolph Valentino geworden. Denn er brüllte nicht mehr wie die meisten Sänger durch ein Megaphon, er benutzte ein Mikrophon, und er umschmeichelte diese neue Erfindung wie ein Mädchen, das er gerade küssen wollte: Zart sang er von Rosen und vom Mondlicht, und dabei phrasierte er manchmal so scharf, als halte er ein Messer in der Hand.
Seine Stimme war überall, und sie wurde sein Name: »The Voice«. Aber schon Anfang der fünfziger Jahre schien es mit seinem Ruhm vorbei zu sein, und er sah zum ersten Mal so etwas wie den letzten Vorhang.
Seine Plattenfirma wollte ihn loswerden, seine Frau Ava Gardner wollte ihn aus dem Haus jagen, in Hollywood wollten sie nichts von ihm wissen, und das Schlimmste: Wenn er die Straße langging, fielen die Mädchen nicht mehr automatisch in Ohnmacht.
Es war wahrscheinlich das Beste, was ihm je passiert ist. Denn aus dieser Niederlage entstand der neue Sinatra, der Bursche, der reif geworden war, ohne steif zu werden; lässig eben und entschieden, und trotzdem voller Herz. Und »Ol' Blue Eyes« hat mit diesem neuen Image des Erwachsenwerdens die populäre Kultur dieses Jahrhunderts geprägt wie sonst nur noch Elvis, Marilyn und Mickey Mouse.
Aber erst einmal mußte er wieder von vorne anfangen. Für 8000 Dollar Gage spielte er den Soldaten Maggio in »Verdammt in alle Ewigkeit«, bekam einen Oscar. Er wechselte zur Plattenfirma Capitol, mußte die Produktionskosten selbst zahlen, nahm das Album »In the Wee Small Hours« auf, und danach wußte die Welt, warum die Langspielplatte erfunden worden war.
In seinen Songs und in seinen Filmen gab Sinatra meist einen, der hatte mitansehen müssen, wie andere auf seinen Träumen herumgetrampelt waren, einen Loser, der lieber unterging, als ein Spiel mitzuspielen, das ihn nicht interessierte. Einen Burschen, der cool war und bei dem man nie sicher sein konnte, was er einem als nächstes brechen wollte: das Herz oder die Nase.
Natürlich hatte so einer auch Swing, und viele seiner Songs erzählten voller Zuversicht, daß alles möglich ist, wenn einer nur wirklich will: »Now I prove again / That I can make life move again / Mmm - I'm in a groove again / Taking a chance on love«, sang er, und man will bis heute dazu die Koffer packen und mitkommen, egal, wohin.
Sinatra hat, wie es sich für einen, der italienisches Blut in den Adern hat, gehört, eine Menge Unsinn angestellt. »Sein Paradies, das wären jede Menge Frauen und keine Journalisten«, sagte sein Freund Humphrey Bogart einmal. Und wirklich, Sinatra mußte mit all den Damen in Hollywood Affären haben, von denen Glanz und Gefahr ausgingen: Joan Crawford, Marlene Dietrich, Lauren Bacall, Judy Garland, Marilyn Monroe und Natalie Wood.
Großzügig und machtbesessen, wie er war, hat er nicht nur für die Bosse der Mafia gesungen, er hat sich auch mit ihnen fotografieren lassen. Und er hat John F. Kennedy, den er nur »Chicky Boy« nannte, Mädchen besorgt, den Wahlkampf mitfinanziert und für ihn auf seinem eigenen Grundstück einen Hubschrauberlandeplatz bauen lassen. Als Kennedy ihn dann wegen der MafiaGerüchte nicht mehr besuchen kam, wechselte Sinatra zu Nixon.
Überhaupt: Die sechziger Jahre waren nicht mehr wirklich seine Sache. Als die Studenten gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gingen, ging Sinatra mit seinem Freund Dean Martin in eine Bar in Las Vegas und demonstrierte mit einem Schild, auf dem stand »Free Broads« - »Bräute für alle«. Seine vorletzte Frau Mia Farrow sagte über die beiden: »Alles, was sie können, ist dreckige Geschichten erzählen, Möbel zertrümmern, den Kellnerinnen in den Hintern zwicken und auf Pferde wetten.«
In den letzten Jahren ist der Mann alt geworden. Aber mit dem Singen auf der Bühne wollte er nicht aufhören. Vielleicht stieg er da noch immer rauf, um den Leuten zu erzählen, daß er den Song »Strangers in the Night« für ein Stück Dreck hielt. Oder um zu erzählen, daß er nur noch hier oben stehe, damit sein Sohn Frank Jr., der Bandleader, weiter einen Job habe.
Vielleicht wollte er auch einfach nur singen, wie das so ist mit dem Mondlicht in Vermont. Egal, er hat gern gesungen und noch lieber gelebt. Sonst sagt einer nicht einfach: »You gotta love living, baby. Dying's a pain in the ass.«