FRANKREICH / KULTURPOLITIK Französisch für Mao
Die Trikolore ist das Symbol für alle Völker, die für ihre Unabhängigkeit kämpfen«, begeisterte sich der Schweizer Bernard Varrin, Führer der frankophilen Separatisten-Partei »Bélier«.
»Föderalismus oder Anschluß an Frankreich«, forderte der belgische Parlamentarier Professor François Perin, Chef der wallonischen Nationalisten.
»Aus vollem Herzen feierte ein unterdrücktes und geprelltes Volk den General de Gaulle«, bekundete François Acquin, franko-kanadischer Parlamentarier und Autonomist.
»Helfen Sie Schottland, der britischen Herrschaft zu entrinnen«, telegraphierte der schottische Nationalist William MacLellan an den General im Elysee.
Nationalisten, Autonomisten und Separatisten scharen sich um das Banner Frankreichs, seit Staatschef Charles de Gaulle im kanadischen Montreal den Separatisten-Slogan »Vive le Quebec libre« rief und die Franko-Kanadier aufforderte, ihre »nationale Persönlichkeit« zu entfalten.
Franzosen, Frankophile und Frankophone in aller Welt horchten auf, als de Gaulle seiner Außenpolitik einen neuen Akzent setzte und das Schlagwort von der » francit&« erfand. Weder der Große Larousse noch der Littré, die Standard-Nachschlagewerke der französischen Sprache, kennen den Begriff »francité«, der am ehesten als »Französischtum« übersetzt werden kann.
»Le Monde«-Direktor Beuve-Méry fürchtet denn auch, »daß unsere Freunde und Gegner sich fragen werden, oh die »francité', so wie sie im Elys& konzipiert worden ist, nicht eine Analogie darstelle... zu dem, was das »Deutschtum'* einst für das Dritte Reich war«.
Gemeinsames Band des Franzosentums im Ausland ist die französische Sprache. »Zuverlässig, gesellig, vernünftig«, so ihr Hohepriester, der Sprach-Professor Antoine de Rivarol, »ist sie nicht nur die französische Spra-
* Beuve-Mery benutzt das deutsche Wort.
che, sondern die menschliche Sprache schlechthin.«
Etwa eine Milliarde Mark investiert Frankreich jährlich in seinen Kultur-Kreuzzug, mit dem es die Logik Descartes, die Formstrenge Mallarmés und die Klarheit Voltaires exportiert.
In jedem sechsten Land der Welt ist Französisch heute Staatssprache. 1965 wurden mehr als die Hälfte aller Hoden in den Vereinten Nationen -- die 1945 mit nur einer Stimme Mehrheit für Französisch als offizielle Sprache neben Englisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch votierten -- in französisch gehalten.
In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist Französisch bereits die vorherrschende Sprache, und das gaullistische Parteiblatt »La Nation« hofft sogar: »Vielleicht wird auch das immense Imperium Maos Französisch lernen.«
Aber die Erfolge seiner Kulturpolitik genügen de Gaulle nicht mehr. Der General, der »in Quebec den politischen Aspekt der Frankophonie aufgedeckt hat« (so das gaullistische Massenblatt »France-soir"), hielt Ausschau nach neuen Verbündeten -- und fand sie bei jenen, die Frankreich lieben wie er selbst.
»Frankreich, wir lieben dich«, schrien Schweizer Separatisten auf einer Versammlung im Jura. »De Gaulle ist unser guter Papa«, schrieben kanadische Separatisten auf ein Begrüßungsspruchband in Quebec.
Neben den 49 Millionen Franzosen des Mutterlandes und den 900 000 der Übersee-Departements gehören sechs Millionen Franko-Kanadier, vier Millionen belgischer Wallonen, 1,2 Millionen Französisch-Schweizer und mehr als 100 000 französisch sprechende Luxemburger und Italiener zum französischen Kulturbereich.
Während sich ein Teil der Franko-Kanadier von den Angelsachsen, die Mehrheit der Wallonen von den Flamen unterdrückt fühlt, sind es in der Schweiz hauptsächlich die Jurabewohner des Nordwestens, die fürchten, von den Deutsch-Schweizern des Kantons Bern bevormundet zu werden. Sie gründeten deshalb die Separatisten-Parteien »Rassemblement jurassien« und »Bélier«.
Aber erst die Kanadareise de Gaulles, bei der er die Franko-Kanadier als »Teil des französischen Volkes« apostrophierte und die »francité« beschwor, gab frankophonen Volkstums-Fanatikern das Losungswort.
Bereits über ein halbes Dutzend Verbände und Gesellschaften werben für die Ausbreitung von Frankreichs Sprache und Kultur, in Wirklichkeit aber für die »französische Sache« (de Gaulle) in der Welt.
Wirtschafts- und Finanzminister Michel Debré nannte die kulturellen Brüder jenseits der Grenzen »Zweige eines gemeinsamen Baumes«.
Die Brüsseler »La Libre Belgigue« riet darauf der belgischen Regierung, den General ja nicht ins Land zu lassen, »es sei denn, als politischen Flüchtling«.