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Frauen im Untergrund: »Etwas Irrationales«

Unter Westdeutschlands Terroristen -- der Bankier Ponto, ihr 19. Opfer, wurde letzte Woche zu Grabe getragen -- sind Mädchen mittlerweile in der Mehrheit; Frauen führen immer häufiger auch ausländische Mord-Kommandos an. Kriminologen rätseln über die Motive femininer Militanz: »Weibliche Supermänner« -- »Exzeß der Emanzipation«?
aus DER SPIEGEL 33/1977

Als der Rettungshubschrauber startete, gab es nichts mehr zu retten. Jürgen Ponto, Chef der Dresdner Bank, war schon tot -- erschossen mit fünf großkalibrigen Kugeln, und eine davon, abgefeuert unmittelbar an der rechten Schläfe, hatte ihm ein faustgroßes Stück Hirn aus dem Schädel geschlagen.

»Es war ein Fangschuß«, sagt einer der Ermittler vom Bundeskriminalamt (BKA), ein Schuß, der töten sollte. Wer den Killern das Entree verschafft hatte, war über alle Zweifel klar: die Tochter eines Ponto-Freundes, Susanne Albrecht, 26 (siehe Titelbild).

Die Polizeiphotos, die am Abend nach dem Mord über Fernsehen ausgestrahlt wurden, zeigten allesamt Frauengesichter. Gesucht wurden, wegen des Verdachts der Tatbeteiligung oder der Tatunterstützung: Silke Maier-Witt, 27, Sigrid Sternebeck, 28, Angelika Speitel, 25.

Die erste Person, die verhaftet wurde, war eine Frau: Eleonore Maria Poensgen, 23. Sie war von Pontos Witwe als Mittäterin identifiziert worden, brachte aber für die Tatzeit ein Alibi bei. Die ersten Spuren, die vom Ponto-Tatort unmittelbar in die Terrorszene führten, wurden in der Wohnung einer Frau entdeckt: im Frankfurter Appartement der Adelheid Schulz, 22, gesucht schon seit dem Buback-Mord.

Als kurz darauf, am Mittwoch letzter Woche, vier Unbekannte die National-Bank in Essen überfielen, einen Bankkunden niederschossen und 462 870 Mark erbeuteten, war eine Frau die treibende Kraft. Als die Beute eingesackt wurde, heischte sie mit schriller Stimme: »Mehr, mehr! Schneller, schneller!«

Mehr Aufsehen konnten die Terror-Frauen letzthin kaum erregen. Schneller konnten sie den westdeutschen Wohlstandsbürgern kaum plausibel machen, wer nun am Drücker ist.

In der bislang härtesten Phase des westdeutschen Terrorismus, da die Untergrund-Aktionisten Staats- und Wirtschaftsrepräsentanten abzuknallen entschlossen scheinen, spielen Frauen eine makaber hervorragende Rolle. Fast zwei Drittel aller mit Haftbefehl gesuchten Terroristen in der Bundesrepublik sind Frauen, höhere Töchter aus feinen Familien zumeist, die sich mit selbstzerstörerischer Lust in die Niederungen von Mord und Totschlag hinabbegeben haben.

An Bonnie and Clyde erinnert das nun nicht mehr. Eher verursachen die schießenden Frauen Ratlosigkeit, »würgende Beklemmung«, wie die »Frankfurter Rundschau« schrieb, und buchstäblich Knall auf Fall treiben sie wohl auch die gängigen Assoziationen vom Flintenweib empor, das Vorurteil vom Hinterhältigen -- wer käme schon auf den Gedanken, sich zum Meuchelmord mit Blumen anzusagen?

Für die Bonner »Welt« bezeichnete der Umstand, daß die Terroristin Susanne Albrecht sich mit Rosen den Zugang zum Opfer Ponto erschlich, schon eine »äußerste Grenze menschlicher Perversion«. Müsse nun nicht, fragte das Blatt, »jeder Bürger« damit rechnen, daß ihm eines Tages »der gewaltsame Tod in Gestalt eines jungen Mädchens gegenübertritt«?

Klar war Männern wie Frauen, daß hier Mädchen tief aus ihrer angestammten Rolle gefallen waren, Ihre Tat fügt sich nicht ins herkömmliche

* Witwe Ignes Ponto (M.), Sohn Stefan, Tochter Corinna.

Bild von jenem Geschlecht, das im Englischen »the fair sex« genannt wird, das schöne, das anständige, das helle.

Mitte der sechziger Jahre noch hatte sich Weibergewalt vor allem auf der Leinwand und auf dem Papier ereignet: Im Film hantierten, »Viva Maria«, Brigitte Bardot und Jeanne Moreau munter mit MG und Dynamit. Im Comic strip wüteten die »militanten Panthertanten« des Untergrund-Zeichners Robert Crumb, »die Terror schon vor Rauschgift kannten« und -- splang, yargh -- »all diesem bullshit von Weiblichkeit« abschworen.

Heute aber ist Frauen-Militanz weltweite Realität. Gerade dort, wo Guerillas am aktivsten sind, haben Frauen den Finger am Abzug, immer wieder auch drücken sie ab. Daß sich die Terroristin Albrecht mit den Worten »Ich bin"s, die Susanne« beim Opfer Ponto anmeldete, macht nur eine verschlagene deutsche Variante aus.

Häufig befehlen schießende Mädchen über schießende Männer. In der durch zahlreiche Genossen-Liquidierungen bekanntgewordenen »Roten Armee Japan« hat als gefürchtete Chefin Fusako Shigenobu das Sagen. Die palästinensische Luftpiratin Leila Chalid versuchte noch bei ihrer Gefangennahme, in Reiseflughöhe, eine Handgranate zu zünden. In Irland wurde die IRA-Führerin Maire Drumm wie ein gestandener Mafioso im Krankenhaus erschossen. In den USA ging die Millionärstochter Pat Hearst mit MP auf Bankraub. Als Wortführerin der Terroristen in Entebbe trat eine Deutsche auf, die auf jüdische Geiseln »nazistisch brutal« wirkte.

Auch in der Bundesrepublik wirken Frauen heute, wie Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Hans Josef Horchern weiß, keineswegs nur als »Helfer, Informanten, Kundschafter« der Terroristen, sondern auch als »aktive Kämpfer«; einzelne gar sind Manns genug, »nicht nur gleichberechtigt, sondern prägend« zu handeln.

Mittlerweile begehen westdeutsche Frauen mehr als die Hälfte aller terroristischen Straftaten. Für den ehemaligen Verfassungsschutz-Chef Günther Nollau ist »irgendwas Irrationales in dieser ganzen Sache«. Vielleicht, meint Nollau, ist das »ein Exzeß der Befreiung der Frau

Das mag wohl sein. Begleit- und Folgeerscheinungen der Emanzipation jedenfalls zeigen sich auch in der herkömmlichen, der gemeinen Kriminalität, wo Frauen immer häufiger Männerarbeit verrichten. Vorletzten Herbst bereits befaßte sich in Genf ein Uno-Kongreß mit dem, so ein Arbeitspapier, »universellen Problem« wachsender Frauendelinquenz etwa bei Raub, Einbruch, Körperverletzung, aber auch Untreue und anderen White-collar-Taten. So wie sich »der soziale Status der Frauen dem der Männer« annähere, werde »es auch die Zahl und Art ihrer Verbrechen tun«, prophezeite unlängst auch die amerikanische Soziologin und Kriminologin Freda Adler in einer Untersuchung über die »Sisters in Crime«.

Das Uno-Papier wie die Adler-Untersuchung stützen ihre Erkenntnisse über die »dunkle Seite der Bewegung für volle Gleichberechtigung« (Freda Adler) vor allem auf Erhebungen des FBI. Danach wuchs die Zahl der in den USA als mutmaßliche Straftäter festgenommenen Frauen von 1960 bis 1972 fast dreimal so schnell wie die der Männer, schwollen die Anteilsraten der Frauen vor allem bei Raub oder Einbruch unverhältnismäßig stark an. In der Bundesrepublik zeichnet sich ein ähnlicher Trend statistisch erst in Ansätzen ab. Immerhin, beim Raub schnellte der Frauen-Anteil an der Gesamtkriminalität von 4,3 auf 6,7 Prozent empor, und lang ist"s her, daß Zeitungen der Hamburgerin Gisela Werler das Prädikat »erstaunliche Frau« verliehen:

Mitte der sechziger Jahre hatte die Supermarkt-Kassiererin bei 19 Überfällen auf Geldinstitute mitgewirkt. Heute würde eine Gisela Werler kaum Aufsehen machen -- either hat es mehr als ein Dutzend Bankladies gegeben.

Ins gängige Klischee, demzufolge die Frau nicht zur kriminellen Führungskraft tauge und nur in der »sozialen Nahsphäre« (Kriminologen-Jargon) gewalttätig werde, passen längst auch andere Taten nicht mehr -- etwa die jener 21 Jahre alten Pelznäherin, die in Berlin als Haupttäterin und Anstifterin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes und Mordes verurteilt wurde: Zusammen mit einer 28jährigen hatte sie einen Rentner per Judo-Griff bewußtlos gemacht und dann mit einer Krücke totgeschlagen.

Kriminologen wie der Mainzer Armand Mergen zweifeln nicht daran, daß immer häufiger aus »Gangsterbabies Gangsterladies« werden, daß es, so der Münsteraner Professor Hans Joachim Schneider, zwischen dem männlichen und dem weiblichen Kriminalitätsgrad »eine Einebnungstendenz« gibt.

In der politisch begründeten Frauenkriminalität der Bundesrepublik hält dieser Trend an. seit 1968 Gudrun Ensslin samt Genossen zwei Frankfurter Kaufhäuser anzündete. Und beschleunigt setzte er sich fort, nachdem Ulrike Meinhof 1970 den Satz ausgesprochen hatte: »Natürlich kann geschossen werden.«

Sieben Jahre danach gibt es kaum ein gängiges Delikt, das nicht von Untergrund-Frauen begangen worden wäre: Mädchen waren dabei, wenn Papiere gefälscht und Autos gestohlen, wenn Banküberfälle geplant und Brände gelegt wurden. Frauen gaben Verbrechern Quartier, organisierten Waffen wie Sprengstoff und plazierten Bomben.

Im Mai 1970, als Andreas Baader aus dem Gefängnis befreit werden sollte, besorgten zwei Genossinnen die Waffen. Als dann erstmals geschossen wurde, waren Frauen gegenüber dem einzigen männlichen Mitwirkenden, Hans Jürgen Bäcker, vierfach in der Überzahl:

Ingrid Schubert und Irene Goergens drangen bewaffnet in den Lesesaal des Berliner »Zentralinstituts für Soziale Fragen« ein, Ulrike Meinhof sprang mit Baader aus dem Fenster, Astrid Proll wartete im Fluchtwagen.

Als die Proll drei Jahre später vor dem Frankfurter Landgericht stand, war die Liste ihrer Taten lang: Mal habe sie, so die Staatsanwaltschaft, geholfen, aus drei Berliner Banken insgesamt 220 000 Mark zu rauben, mal mit gezogener Waffe einen Sparkassen-Eingang in Kassel gesichert, während Komplicen drinnen 60 000 Mark einpackten. Als Astrid Proll schließlich in Frankfurt verhaftet werden sollte, habe sie abgedrückt und zwei Beamte zu ermorden versucht.

Banküberfälle, die bei diesen Terroristen »Enteignungsaktionen« heißen, galten den Anarcho-Frauen bald als Routine. Allein der pharmazeutischtechnischen Assistentin Ingrid ("Ina") Siepmann wiesen Richter die Beteiligung an sechs Raubzügen nach.

Einen besonders hohen Anteil weiblicher Guerilleros machte die Polizei in der Berliner Anarcho-»Bewegung 2. Juni« aus: Ihr gehört etwa die Ex-Kindergärtnerin Inge Viett an, die derzeit wegen Gefangenenmeuterei, wegen eines Sprengstoffanschlags und mutmaßlicher Teilnahme an der Lorenz-Entführung gesucht wird. Sie hatte sich zweimal aus dem Berliner Frauengefängnis absetzen können -- zuletzt im Juli vorigen Jahres mit ihren Komplizinnen Juliane Plambeck, Gabriele Rollnik und der inzwischen wieder gefaßten Monika Berberich. Fahnder-Warnung an die Polizisten: »Vorsicht: Schußwaffe, Eigensicherung beachten!«

Der Gruppe »2. Juni« werden zudem Frauen wie die seit fünf Jahren untergetauchte Angela Luther zugerechnet, die in ihrer Wohnung Waffen lagerte, und die einstige Telephonistin Verena Becker, die, 1975 von den Lorenz-Entführern freigepreßt, nach einer Schießerei in Singen jedoch unlängst wieder festgenommen wurde -- gemeinsam mit Günter Sonnenberg, einem der mutmaßlichen Mörder des Generalbundesanwalts Buback.

Zum »2. Juni« zählt auch Gabriele Kröcher-Tiedemann, die 1973 einen Zivilfahnder anschoß, nachdem sie beim Stehlen von BMW-Nummernschildern erwischt worden war. Sie mußte zwanzig Monate später unter dem Druck der Lorenz-Kidnapper freigelassen werden und trat fortan im Ausland in Aktion; zwei Morde beim Anschlag auf die Wiener Opec-Konferenz gehen nach Ansicht der Fahnder auf ihr Konto.

»Meist die stärkeren Figuren.«

In vielen der Terror-Zirkel und Untergrund-Kommandos, die während der letzten Jahre bombten und raubten, waren Frauen den Männern nicht nur zahlenmäßig überlegen; sie sind, wie der Kölner Soziologe Erwin K. Scheuch schreibt, auch »meist die intellektuell und charakterlich stärkeren Figuren«.

Und wohl auch die radikaleren: Die Erfahrung lehre, notierte schon 1923 der deutsche Kriminologe Hans von Hentig, daß die revolutionäre Frau »den Mann an Entschlossenheit in der Regel übertrifft«. Der britische Botschafter Geoffrey Jackson beobachtete 1971 in monatelanger Tupamaro-Haft, daß unter seinen uruguayischen Bewachern »Frauen die besseren Spieler waren« -- durchweg »kühler und berechnender« als die »aggressiven und emotionalen« Männer.

Gudrun Ensslin etwa, der Sprengstoffanschläge (vier Todesopfer) und 35 Mordversuche angelastet werden, war in der Terrorszene, ähnlich wie die Meinhof, jahrelang »bestimmend« (Verfassungsschützer Horchern). Als Hans-Peter Konieczny, einer ihrer bald abgesprungenen Mitstreiter. ihr begegnete, war er »baff über ihre irren Nerven«; sie war »gelassen, ruhig, beherrscht, ungemein cool«.

Auch den arabischen Guerillas, bei denen sich die Deutschen 1970 drillen ließen, erschien Gudrun Ensslin »really militant«, während sie für die Männer nur Verachtung zeigten: Horst Mahler war in ihren Augen »no leader«, Baader »a coward«.

Der feige Baader konnte in der Gruppe zeitweise gleichwohl den Ton angeben, weil die Führungsfrauen Meinhof und Ensslin (auch seinetwegen) untereinander zerstritten waren. Und: Baader verstand sich auf lautstark betriebenen Psychoterror.

Wenn er von den Frauen kritisiert wurde, habe er. erinnert

sich RAF-Ex-Mitglied Beate Sturm, »seine altbewährte Masche aufgenommen: Er hat geschrien. Dann hat er den markanten Satz gesprochen: »Ihr Votzen, eure Emanzipation besteht darin, daß ihr eure Männer anschreit.« Vorgebracht hat er das in einem Ton, der sich gar nicht beschreiben läßt. Er hat immer getobt«.

Getriezt hat Baader die ihm intellektuell überlegenen Frauen selbst noch in ihrer Stammheimer Haft. So fingen Fahnder Bruchstücke von Botschaften Baaders an »G u. U« -- gemeint: Gudrun und Ulrike- ab, in denen die Adressatinnen als »fürchterlich desorientierte Schweine« beschimpft werden, die »inzwischen eine Belastung geworden« seien. »Wiederholt«, berichten Vollzugsbeamte, habe Baader nachts getippte Meinhof-Manuskripte ("Das ist doch alles Scheiße") am nächsten Morgen zerrissen.

Andere Gruppen wiederum wurden mit offenbar ganz ähnlichen Mitteln zumindest zeitweise von Frauen beherrscht. Der Untergrundkämpfer Götz Tilgener etwa beschwerte sich 1974 brieflich bei der »2. Juni«-Anführerin Ilse Jandt: »Deine Autorität ist ständig fühlbar.«

Die Jandt -- der Mord an dem »Verräter« Ulrich Schmücker vorgeworfen wird -- verhindere »demokratische Verhältnisse« in der Gruppe. Tilgener sah sich, wie er mit »artigen Grüßen« schrieb, unablässig »Deiner Stär-

* Oben: Brigitte Bardot und Jeanne Moreau in »Viva Maria; unten: von Robert Crumb, deutsche Version: »Die militanten Panthertanten«.

ke konfrontiert -- Stärke jedoch nicht im revolutionären Sinn ... sondern Stärke im Sinn des Faschismus«.

An Mutmaßungen über die Motive, aus denen Mädchen-Militanz erwächst, mangelt es nicht. Viele Erklärungsversuche freilich muten abstrus an, und Polizisten, aber auch Psychologen und Publizisten erscheinen oft hilflos, wenn sie die Ursachen solcher Frauen-Kriminalität zu ergründen suchen.

Sexuelle »Hörigkeit« steht als Motiv besonders hoch im Kurs -- umstritten ist allerdings oft, wer wem verfallen ist. Ergiebiger mutet ein Erklärungsversuch des Psychoanalytikers Friedrich Hacker an: Nur mit der Waffe, dem klassischen Symbol der Männlichkeit, und nur mit besonderer Härte hätten die weiblichen Gruppenmitglieder die Vorstellung verwirklichen können, »gänzlich emanzipierte Frauen« zu sein. Sie produzierten sich, -meint Soziologe Scheuch, als »weibliche Supermänner

»Studentinnen rutschen leichter in so was hinein.«

Die Knarre im Kosmetikkoffer -- derlei markiere mithin den endgültigen »Bruch mit der abgelehnten Weiblichkeit« (Scheuch). Tatsächlich war etwa für die RAF-Ideologin Ulrike Meinhof eines der bekämpfenswerten Prinzipien in der westlichen Gesellschaft die »Spaltung des Volkes in Männer und Frauen«. Und romantisches Amazonen-Verständnis von der Waffengleichheit der Geschlechter im Untergrund bezeugt auch Beate Sturm, -das einstige BM-Mädchen: »Eines fand ich damals Klasse -- daß man als Frau wirklich emanzipiert war, -daß man manche Sache einfach besser konnte als die Männer. Wir haben uns einfach stärker gefühlt.«

Welche Frauen (aber auch Männer) besonders häufig in den Anziehungsbereich der Anarchos geraten, haben Wissenschaftler präzise ermittelt: Neun von zehn Guerilla-Führern, fand der US-Politologe Richard Clutterbuck heraus, haben eine überdurchschnittliche Ausbildung absolvieren dürfen; sie stammen aus Familien, die zumindest über Mittelklasse-Einkommen verfügten. Viele empfanden, so Clutterbuck, Schuldgefühle wegen ihres Wohlstands und ihrer Privilegien, die sie ohne eigenes Zutun erworben hatten.

Die Lebensläufe der meisten westdeutschen Terroristinnen stützen die Clutterbucksche Aussage: Überrepräsentiert sind Frauen, deren Väter Manager sind (etwa Ingrid Schubert), Rechtsanwalt (Susanne Albrecht), Offizier (Margrit Schiller), Architekt (Astrid Proll) oder Kaufmann (Hanna Krabbe).

Viele dieser Frauen nahmen während ihrer Studienzeit Kontakt zur Szene auf. »Wenn man«, sinniert Beate Sturm, »mit 14 Jahren schon in der Fabrik steht und selber genug damit beschäftigt ist, sich seiner Haut zu wehren, dann ist es gar nicht so leicht, noch für andere einzutreten.« Als Studentin indes rutsche man leichter »in so etwas hinein«.

Am rapidesten rutschen, so scheint es, Intelligente mit idealistisch geprägter Erziehung. Von »hochbegabten jungen Menschen«, erklärt der Kasseler Kriminologe Gustav Nass, werde »die Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und desillusionierender Realität ... stärker erlebt und erlitten als von anderen«. Und, so Scheuch: »Je ethisch anspruchsvoller die Elternhäuser, je stärker die Sensibilisierung für Ungerechtigkeiten, um so extremer und vor allem um so plötzlicher der Ausbruch.«

»Ich habe die

Kaviarfresserei satt.«

Ulrike Meinhof etwa hatte mit Renate Riemeck eine Frau von intensiver Religiosität als Pflegemutter. Bevor sich die spätere Terroristen-Chefin um Politik kümmerte, wollte sie Nonne werden. In den Untergrund ging die linke Verlegerfrau, nachdem ihr bewußt geworden war, daß sie in ihrer Villa im Hamburger Nobel-Viertel Blankenese, so ihre Ziehmutter, »eine Lüge gelebt« hatte.

In religiösem Ambiente, in einer Klosterschule, ist Astrid Proll groß geworden. Gudrun Ensslin wuchs in einem schwäbischen Pfarrhaus auf; sie zählte,

Mit Ehemann Klaus-Rainer Röhl beim Deutschen Derby in Hamburg.

glaubt ihr Vater, zu jenen Kindern, »denen der Übergang von pubertärem Erschrecken über Unrecht und Erlogenheit der Gesellschaft zu einem gesellschaftlichen Engagement in der Bundesrepublik mißlang«.

Ob freilich soziale Betroffenheit schließlich auch kriminelle Energie freisetzt -- dies hängt nach Ansicht von Terrorforschern von einer Vielzahl individueller Komponenten ab; allgemeingültige Aussagen scheinen kaum möglich. Auslöser seien, formuliert Scheuch vage, »typischerweise Enttäuschungen bei der Suche nach menschlicher Spontaneität« -- zuweilen genügt Zwist mit Eltern oder Ehepartnern.

Die von der Frankfurter Kriminologin Helga Einsele registrierte »absolute Inzucht« der Untergrund-Gruppe, die dann Zuflucht bietet, beschleunigt in der Regel noch die Abkehr von gesellschaftlichen Normen (siehe Interview Seite 28). »Man sitzt sich zu nah auf der Pelle«, beobachtete der »2. Juni«-Mann Tilgener, und verliere dabei »den Blick für die Realität«.

Bei der Ponto-Heimsucherin Susanne Albrecht summierten sich, so scheint es, gefahrbringende Faktoren. Die Tochter eines wohlhabenden Hamburger Seerechtsanwalts und einstigen CDU-Abgeordneten in der hanseatischen Bürgerschaft verlebte im vornehmen Stadtteil Othmarschen eine wohlbehütete Kindheit. Auffällig war an ihren Jugendjahren -- wie Scheuch bei anderen Terroristen feststellte -- »in erster Linie das Ausmaß, in dem sie konventionellen Maßstäben für achtenswertes Verhalten entsprachen«.

Zum Bekanntenkreis des international renommierten Fachjuristen Dr. Hans-Christian ("Krischi") Albrecht zählten neben Studienfreund Ponto auch Kriegskameraden wie der heutige »Hamburger Morgenpost«-Chef Conrad Ahlers, der letzte Woche in seinem Blatt bezeugte, die Eltern der Susanne Albrecht hätten »alles versucht«, um deren »Abgleiten zu verhindern« -- »aber das Schicksal ließ sich nicht aufhalten«.

Die Tochter, ausgebildet auf einer Waldorfschule, besuchte zwar noch 1973, zwei Jahre nach ihrem Abitur, gemeinsam mit ihrer Freundin Corinna Ponto, 23, Frankfurter Banker-Partys und Empfänge. Aber sie ließ damals schon vernehmen, sie habe »die Kaviarfresserei satt«.

Im selben Jahr war die Pädagogik-Studentin dabei, als Linke ein Abbruchhaus in der Hamburger Ekhofstraße besetzt hielten -- darunter der spätere Stockholm-Attentäter Karl-Heinz Dellwo. Derlei Bekanntschaften, so scheint es, leiteten Susanne Albrechts langen Marsch in die Militanz ein.

Im niedersächsischen Bentheim wurde sie, im November 1973, vorübergehend festgenommen: In einem Wagen, in dem sie mitfuhr, fanden sich Waffen. Dann wirkte sie an Hausbesetzungen im Frankfurter Westend mit. Nach dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm traf die Kripo auf Susanne Albrecht in der Wohnung des Tatbeteiligten Dellwo; sie stellte sich als dessen Verlobte vor.

An der belgischen Grenze brauste sie mit ihrer Freundin Silke Maier-Witt der Paßkontrolle davon -- die Pässe ließen sie zurück, den Wagen, von heißer Ware gesäubert, hinter der Grenze stehen. Mit einem Ausweis auf den Namen »Susanne Albrecht« wurde das BM-Mädchen Ilse Stachowiak gefaßt, ein Strafverfahren gegen die Hamburger Anwaltstochter aber wurde eingestellt: Susanne Albrecht wollte von dem Mißbrauch ihrer Papiere nichts gewußt haben.

Für die Staatsschützer rangierte die Hamburgerin, obwohl sie der »Beobachtenden Fahndung« (BeFa) unterlag, eher als Randfigur, und von den familiären Beziehungen zwischen den Albrechts und den Pontos wußten die Beamten eh nichts. Ende Juni verschwand die Anwaltstochter aus Hamburg, gleichzeitig verloren die Staatsschützer auch ihre Kombattantinnen Silke Maier-Witt, Angelika Speitel und Sigrid Sternebeck, allesamt einst für BM-Anwalt Croissant aktiv und zuletzt in Hamburg mit Susanne Albrecht in Kontakt, aus den Augen. Höhere Tochter fragt nach den Alarmanlagen.

Daß sich Susanne Albrecht in Anarchistenkreisen umtrieb, davon wußte wiederum der Bankier Ponto nichts. Sie wurde weiterhin, so beschrieb es Generalbundesanwalt Rebmann, »als Patenkind behandelt«, wenngleich dem Bankier bewußt war, daß die Hamburgerin »ganz weit links« dachte.

In den letzten Monaten suchte sie wieder engeren Kontakt zu den Pontos, meist über deren Tochter Corinna, mit der sie sich öfter traf. Mal erschien die Anwaltstochter in abgewetzten Jeans, mit zotteligem Haar und gab an, sie sei auf dem Weg nach Basel. Dann wieder reiste sie angeblich aus Paris an, des besseren Entrees wegen in elegantem Kleid, die Lippen geschminkt, mit Lidschatten. Sie machte, so die Ermittlungen, »ganz auf höhere Tochter«.

Da war nichts, was Verdacht auslöste. Arglos blieb Corinna Ponto selbst bei einem Treffen Anfang Juli im Frankfurter Flughafenrestaurant, als Susanne sie beiläufig nach den Sicherheitsvorkehrungen auf dem elterlichen Anwesen fragte: »Alarmanlagen, Hunde?«

Kein Argwohn also, als es am Samstag um 17.00 Uhr in Oberursel bei Frankfurt, Oberhöchstadter Straße 69, klingelte. Pontos Fahrer Mayer öffnete von der Küche aus über die elektrische Schließanlage das Gartentor und sah drei Personen durch den Park auf den Hauseingang zukommen: eine junge Frau in braunem Rock und geblümter Bluse, die Haare gekräuselt -- Mayer erkannte erst aus der Nähe Susanne Albrecht; eine zweite Frau, in gelbem Kostüm und mit gelbem Kopftuch; daneben ein junger Mann, blond, im grauen Flanell.

Daß es nicht eine freundschaftliche Aufwartung wurde, sondern sich »chaotische Verhältnisse« einstellten. nahm Frau Ponto wahr, als im Nebenraum ihr Mann die Besucher unvermittelt, im Ton halb verblüfft, halb verärgert, anfuhr: »Sind Sie denn wahnsinnig?« Als sie durch die Schiebetür trat, sah sie ihren Mann im Handgemenge mit dem Fremden, der eine Pistole in der Hand hatte. Da zog auch noch eine der beiden Frauen, es fielen Schüsse.

Die Kripo rekonstruierte den Tathergang so: Aus zwei Pistolen der Marke »Star«, Kaliber .45 (US-Maß, entspricht 1,1 Zentimeter), wurden fünf Schüsse abgegeben, aus einer wurde viermal gefeuert, mit der anderen einmal geschossen. Ponto wurde, von vorne und seitlich, in die Hand getroffen, in die Brust, eine Kugel streifte Arm und Oberkörper. Beim Abwenden drang eine Kugel in den Hinterkopf, und zum Schluß, das ergaben die Untersuchungen, setzte jemand die Pistole an die Schläfe und drückte ab.

Für die örtlichen Polizeidienststellen war es zunächst schlicht »Mord durch eine Bekannte«. Und Aufschlüsse über die alsbald bekannte Susanne Albrecht wollten zunächst auch nicht gelingen: Der Computer des hessischen Landeskriminalamts ist für Personenauskünfte nur über den Schlüssel »Geburtsdatum« zugänglich. Das wiederum war nicht bekannt und am Samstagnachmittag auch nicht so schnell zu ermitteln.

Im nachhinein stellt es sich für Hessens Polizeiobere als böse Panne dar, nicht beizeiten das Bundeskriminalamt förmlich eingeschaltet zu haben -- das BKA hatte die Albrecht-Daten auf Lager. BKA-Fahnder, so heißt es in Hessen, gingen denn auch auf eigene Faust an ihre Bestände, als sie per Zufall in der ZDF-»heute«-Sendung -- es war inzwischen 19.00 Uhr -- von Ponto-Mord und Albrecht-Mitwirkung hörten.

Offen allerdings, wieweit solche Pannen das Ermittlungsresultat schmälerten. Denn die lokalen Fahnder waren bereits um 17.18 Uhr, acht Minuten nach dem Mord, am Tatort. Schon zehn Minuten später war Ringfahndung im 40-Kilometer-Umkreis um Oberursel eingeschaltet, Streifenwagen fuhren an sämtlichen wichtigen Verkehrsknotenpunkten auf. Auch die Täter-Autos waren bald sichergestellt.

Als Fluchtauto entpuppte sich ein Ford Granada, der in Unterliederbach, etwa 15 Autominuten vom Tatort entfernt, abgestellt worden war. Auf dem Rücksitz lag eine Cordjacke mit Blutflecken, Blut des ermordeten Ponto. In einem Waldstück bei Steinbach, nur 1600 Meter weg von der Ponto-Villa, entdeckte ein Spaziergänger einen VW-Bus mit geblümten Vorhängen -- für die Fahnder die Bestätigung, daß der Bankier entführt und dann in ein »Volksgefängnis« gebracht werden sollte.

Den glattesten Zugang zu Tätern und Hintermännern aber versprach noch die Identifizierung der Eindringlinge durch Angehörige des Hauses Ponto. Um das Geheimnis der jungen Frau in gelbem Kleid und gleichfarbigern Kopftuch sowie des jungen Mannes im grauen Flanell zu lüften, reichten Vernehmungsspezialisten vom Bundeskriminalamt der Witwe und dem Fahrer Jürgen Pontos Konterfeis aus der Lichtbildsammlung mutmaßlicher Terroristen. Und jedenfalls die Dame in Gelb schien alsbald enttarnt: Ignes Ponto und Fahrer Mayer waren absolut sicher, Eleonore Poensgen, 23, erkannt zu haben.

Die spätere Gegenüberstellung mit der mittlerweile Inhaftierten untermauerte den Verdacht. Eleonore Poensgen, zusammen mit sechs ähnlich aussehenden und gleichermaßen gelb gewandeten Mädchen jedem der beiden Zeugen mehrfach vorgeführt, wurde jeweils exakt ausgemacht.

Doch zu der vorbehaltlosen Aussage der beiden Zeugen stand nicht nur das Leugnen der Gefangenen in Widerspruch. Es zeigte sich nämlich überdies, daß Eleonore Poensgens Alibi keinerlei Lücken aufwies.

Schritt für Schritt vermochte sie ihr Tun und Treiben der 48 Stunden vor und nach der Tat zu belegen. Danach war die Verdächtige, gerade vom Italienurlaub zurück, zur Tatzeit Straßenbahn gefahren. Zusammen mit einer Freundin sei sie unterwegs zu einer Geburtstagsparty in Frankfurt-Sachsenhausen gewesen. Das kann auch die Freundin bezeugen und angeblich nicht nur sie: Die Poensgen-Verteidiger fahndeten nach dem Straßenbahnfahrer, der den Mädchen beim Umsteigen an der Hauptwache -- fünf Minuten vor dem Mord -- eigens noch einmal die Tür öffnete; und eine 60jährige Mitfahrerin -- von beiden in ein Gespräch über Äbbelwoi gezogen --

* Polizeidemonstrationen. Oben: Die Bombe, konstruiert von BM-Helfer Dierk Hoff, wird unter Umstandskleidung getragen und nach Deponierung durch einen bis dahin gefalteten Aufblasballon ersetzt. Unten: Nach Verhaftung Monika Berberichs entdeckter Handtascheninhalt.

könnte laut Verteidigung auch noch Zeugnis geben.

Gleichwohl, nach siebenstündiger Verhandlung in Karlsruhe erließ der für den Fall zuständige Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Haftbefehl. Das geschah nicht ohne Bedenken. Denn Eleonore Poensgen, die schon einmal im Rahmen einer bundesweiten Fandungsaktion verhaftet war und dafür 1234,82 Mark Haftentschädigung erhielt, kam von vornherein durchaus auch als Opfer eines »furchtbaren Mißverständnisses« (so ihr Vater) in Frage.

Die Lichtbild-Prozedur nämlich, bei der die Verdächtige identifiziert wurde, verlief so:

* Zur Auswahl wurden die vorsortierten Photos von 20 Mädchen präsentiert;

* nur eines der 20 Mädchen ähnelte nach Größe und Beschreibung der Poensgen, und zwar auffallend, die übrigen dagegen wichen deutlich ab;

* daß beiden Zeugen die Bilder der Verdächtigen in alphabetischer Reihenfolge gezeigt wurden und Eleonore Poensgen jeweils vor der ähnlich aussehenden Album-Nachbarin rangierte, schuf Verwechslungsgefahr.

Neue Erkenntnisse, alte Bekannte.

Denn daß die beiden Zeugen sich, wie bewußt auch immer, auf das als erstes von zwei gezeigten, einander stark ähnelnden Mädchenporträts fixiert haben könnten, bleibt plausibel, wenn auch Ignes Ponto am Donnerstag letzter Woche nochmals mit dem Photo der anderen Dame konfrontiert wurde und weiter darauf beharrte, die erste, Eleonore Poensgen, sei es gewesen.

Diesen zweiten Griff in ihre Identifizierungsmappe taten die Ermittler des Bundeskriminalamts, nachdem sieh Hinweise verdichtet hatten, die andere kleine Brünette könne womöglich doch dichter an der Tat sein, als es zunächst scheinen mochte. Sie heißt Adelheid Barbara Schulz und hat bei den Staatsschützern ein langes Register.

In jüngerer Zeit taucht sie immer häufiger in ersten Kreisen der Anarcho-Szene auf. Zu den Hamburger Hausbesetzern im Umfeld der späteren Stockholm-Attentäter gehörte sie ebenso wie zu der Gruppe um den Untergrund-Advokaten Siegfried Haag, der bis zu seiner Verhaftung im letzten Jahr als Spitzenkader galt. Das Mädchen soll Freundin des mutmaßlichen Buback-Mörders Christian Klar sein und den Karlsruher Attentätern eine Absteige angemietet haben.

Und letzte Woche fanden sich die Spuren der Schulz wiederum: Am Dienstag hatte die Polizei in der Wiener Straße zu Frankfurt-Oberrad ein offenbar von Anarchisten als konspirative Wohnung genutztes Hochhaus-Appartement ausgehoben. Und dieser Unterschlupf war von einer Christa Ziegler angemietet worden -- die bald darauf als Adelheid Schulz entlarvt und forthin mit Vorrang zur Suche ausgeschrieben wurde.

Mit dem Auftauchen von Adelheid Schulz im Umfeld der Ponto-Fahndung begann für die Ermittler ein Erkenntnisprozeß, bei dem sich nacheinander wohlbekannte Handschriften, Tat-Raster und Individuen der derzeitigen Anarcho-Szene herausschälten. Rasch zunehmend wies die Fahndung zu immer größeren Dimensionen der Bluttat.

Es stellte sich heraus, daß die Terroristen in ihrer Planung weit gegriffen hatten. Am 6. Juli etwa sprachen beim Weltwirtschaftsarchiv am Hamburger Neuen Jungfernstieg zwei Herren namens »Müller« und »Fall« vor und erbaten Unterlagen über den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto.

Ebensowenig wie ihre als »Hamburger Allee 142« aufgegebene Adresse vor Ort stimmten allerdings die Namen der beiden Herren. Schriftproben im nachhinein erweisen vielmehr einen der beiden als Willy Peter Stoll, Kanz-

* Mit Croissant-Robe, während des Stockholm-Prozesses am 6. Mai 1976 vor dem Düsseldorfer Gerichtsgebäude.

leigehilfe bei Croissant, per Haftbefehl gesucht wegen eines illegalen Schweizer Waffenkaufs gemeinsam mit dem mutmaßlichen Buback-Mörder Günter Sonnenberg.

Die Tatfahrzeuge beim Ponto-Mord schließlich waren nach klassischer Baader-Meinhof-Manier behandelt -- gestohlen und mit den nachgeprägten Kennzeichen tatsächlich zugelassener Wagen gleichen Typs versehen (Doublette).

Die Wohnung Wiener Straße war unmöbliert nach Art der mittlerweile zahllosen BM-Matratzenlager: Auf Nutzung in letzter Zeit deuteten nur wenige Spuren, diese allerdings mit verfänglicher Aussagekraft.

Neben Fingerabdrücken und Haarresten fanden sich zwei leere Patronenhülsen. Sie waren aus einer der beiden neunschüssigen »Star«-Pistolen abgefeuert worden, mit denen Ponto erschossen worden ist.

Doch nicht nur am Beispiel der Adelheid Schulz glauben die Ermittler, nach den Frankfurter Funden den Bogen zwischen den Morden an Buback und Ponto schlagen zu können. Ein anderer Fund scheint, weit brisanter noch, erstmals ganz konkret auf Tatverwicklung solcher Rechtsanwälte hinzuweisen, die im Gegensatz zu ihren untergetauchten Kollegen offiziell als Strafverteidiger wirken.

Denn bei Schulzens in der Wiener Straße stellte die Polizei auch die Kopie eines amtlichen Schriftstücks sicher, bei dem es um Details der Verlegung Günter Sonnenbergs ging -- mithin womöglich aus Anarchistensicht um Stoff für Befreiungspläne. Das Originalschreiben liegt bei den Prozeßakten, und so sehen sich Sonnenbergs juristische Vertreter, die letzte Woche noch in der Bundesanwaltschaft »Schreibtischmörder« ausmachten (so der Frankfurter Anwalt Weidenhammer laut dpa), unvermittelt selbst verdächtigt.

Dreißig Terroristen für ein Volksgefängnis.

Hochgestellte Ermittler vermuten, der Frankfurter Unterschlupf sei als Volksgefängnis für Jürgen Ponto ausersehen gewesen. Denn daß eine Geiselnahme nach Lorenz-Vorbild geplant war, steht nach Polizeieinschätzung fest. Der vorhangbewehrte VW-Bus paßt da ganz ins Bild, und noch fehlt die Entschlüsselung des in Haags Papieren gefundenen Tatplan-Kürzels »Big Money«. Big Money -- der Anschlag auf einen Großbankier?

Zeugen beobachteten, daß dem verdächtigen Ford Granada mit hannoverschem Kennzeichen große Besetzung entstieg -- vier Personen. Wie denn überhaupt der Kreis der direkt oder mehr weitläufig an der Tat Beteiligten weit über die fünf derzeit hauptverdächtigen Mädchen hinausgehen durfte, sollte die Wiener Straße wirklich als Volksgefängnis und Jürgen Ponto als »Big Money«-Opfer ausersehen worden sein.

Als Aktive bei einem solchen Unternehmen würden neben den Entführern Fahrer für die verschiedenen Flucht- und Gefangenentransportwagen gebraucht, ferner: Gefangenenbegleiter mit ärztlichen Kenntnissen (zur Verabreichung von Betäubungsmitteln), ferner: Versteckbewacher, Abschirmer, Unterhändler. Auf bis zu 30 Beteiligte schätzen Staatsschützer den Personalbedarf einer Geiselabsicherung ä la Lorenz.

So viele Hilfswillige allerdings brächte die neuerdings wieder erstarkte Anarcho-Szene allemal auf. Denn die Vielzahl der Zirkel, die sich den bisher schlagstärksten Zentralen (siehe Graphik Seite 30) mittlerweile angelagert haben, ist auch in den Stäben von Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Politischen Kommissariaten kaum noch durchschaubar.

Systematische Abschottung gegen Ausspäher hat den Bombern Luft verschafft gegenüber ihren staatlichen Verfolgern. Folgenschwerste Wissenslücke der Staatsschützer: Das Rekrutierungssystem der Stadtguerilleros ist nur noch schwer zu überblicken. Im dunkel bleibt zumeist das Verwechselspiel, wann und für wie lange im gutbürgerlichen Dunstkreis ein Sympathisant zum Helfer und ein Helfer zum Aktivisten wird.

Die höhere Tochter eines Tages als Politkillerin -- das ist der real gewordene Alptraum. Aus seinen Nischen in der Industriegesellschaft kann ein derart getarntes Mordsystem unvermutet, kaum parierbar zuschlagen.

Es wird -- darüber sind Bonner Politiker und ihre Staatsschützer einig -- noch viele Opfer fordern, Ponto war das neunzehnte.

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