GEMEINDEN Freie Fahrt
Für seine sozialistische DDR tut Erich Honecker alles, doch für das kapitalistische Saarland fast genausoviel. Denn das Herz des Arbeitersohnes aus Wiebelskirchen hängt, je älter er wird, um so mehr, an der alten Heimat im Westen.
Aus Heimweh nach der Saar empfängt der erste Mann der DDR im Ost-Berliner Staatsrat mit fürstlicher Leutseligkeit immer mal wieder Leute von daheim, eine Blaskapelle etwa oder gestandene Gewerkschafter, sogar eine Schulklasse hatte schon die Ehre.
Aus Nostalgie ordert Honecker schon mal 659 Hektoliter Neunkirchener Bier »Schloß Privat Pilsener« in Dosen oder ein größeres Sortiment Saarwein für sein Büro. Und aus alter Verbundenheit stellte er dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine bei seinem Besuch im vergangenen November einen Auftrag über 10000 Pkw in Aussicht - gegen alle ökonomische Vernunft.
Da es unbedingt im Saarland hergestellte Ford »Orion« und »Escort« sein sollen, müßte die DDR, bei Dienstleistungen ohnehin eher am Balkan orientiert, für deren Wartung eine weitere Infrastruktur aufbauen. Das wäre dann die dritte nach VW und Mazda, bei denen Honecker in den vergangenen Jahren jeweils 10000 Sonderposten »Golf« und »Mazda 323« bestellte.
Noch mehr verwirrte er die Genossen jetzt mit seiner Zusage an Lafontaine, die Beziehungen zum Saarland mit der ersten deutsch-deutschen Städtepartnerschaft zu krönen. Saarlouis ganz im Westen und Eisenhüttenstadt an der Oder, hart an der polnischen Grenze, sollten Freundschaft schließen.
Das Unternehmen verstößt gegen eherne Prinzipien der ostdeutschen Staatspartei.
Jahrelang wurde den Genossen auf allen Ebenen die Abgrenzung vom westdeutschen Klassenfeind als unabdingbare Voraussetzung für das Wachsen des Sozialismus im eigenen Land eingebleut.
Rund 200 Partnerschaften gingen DDR-Städte bislang im kapitalistischen Westen ein. Freundschaften gepflegt werden etwa mit Straßburg und Stockholm, mit Coventry und Lüttich mit Rouen und Florenz - um bundesdeutsche Städte machten die Delegationen stets einen weiten Bogen. Westdeutsche Annäherungsversuche wurden regelmäßig kühl zurückgewiesen.
Nun müssen die Agitatoren der SED denselben Genossen verklaren, wie sich die vom Staatsratsvorsitzenden verordnete neue Partnerschaft mit der Parteilinie vereinbaren läßt.
Auch Alt-Genosse Werner Viertel ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Unter seiner Leitung reiste in der letzten Woche eine »Gruppe für Frieden und Freundschaft« nach Westdeutschland, um erste zarte Bande zwischen der früheren Festung an der Saar und der Retortenstadt an der Oder zu knüpfen. 16 Jahre lang war Viertel Oberbürgermeister der »ersten sozialistischen Stadt« der DDR, die Ende der vierziger Jahre _(Mit Eisenhüttenstadts ) _(Ex-Oberbürgermeister Werner Viertel (2. ) _(v. r.) und Saarlouis'' Stadtober haupt ) _(Manfred Henrich (2. v. l.), am 21. ) _(Januar. )
als Wohngemeinde für das »Eisenhüttenkombinat Ost« im Bezirk Frankfurt/ Oder auf dem Reißbrett entworfen worden war.
Kaum war Viertel im Westen, brach deutsch-deutscher Jubel über den Mann mit den »guten Beziehungen« zu Honecker (Saarlouis-OB Manfred Henrich) herein. Überall an der Saar wurden die Besucher gefeiert, West-Medien rissen sich um den SED-Mann.
Eins interessierte besonders. Die Ost-Delegation hatte die Grenzstation Marienborn mit Ausreisegenehmigungen passiert, in die handschriftlich der Vermerk »Touristenvisum« eingetragen war. Das wäre, freuten sich die Westdeutschen, doch die Chance für alle Eisenhüttenstädter, ungehindert zu ihren Partnern an die Saar zu reisen.
Als Genosse Viertel dann noch höflich erklärte, solche Reisen mit Touristenvisa seien »durchaus eine Möglichkeit, das so zu gestalten«, gab es kein Halten mehr. In den »Tagesthemen« der ARD hoffte Moderator Hanns Joachim Friedrichs das müsse für die Eisenhüttenstädter »freie Fahrt zum Besuch nach Saarlouis bedeuten«. Der Deutschlandexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Eduard Lintner, forderte in »Bild« SED-Chef Honecker auf, »über seinen Schatten zu springen und dieses Visum für alle DDR-Bürger einzuführen«.
Zu so viel Optimismus besteht kein Anlaß. Ex-Bürgermeister Viertel könnte sich »auch andere Modalitäten« vorstellen, wie seine Mitbürger nach Saarlouis reisen könnten, »um ihre Aufgaben im Rahmen der Partnerschaft zu »erfüllen«.
Überhaupt werde vor Ort alles viel nüchterner betrachtet. »Wir stehen gewissermaßen vor der Verlobung«, meinte Viertel über seine ersten Kontakte. Ende Mai oder Anfang Juni ist erst einmal großes Volksfest in Saarlouis, da werden die neuen Freunde aus dem Osten »kräftig vertreten sein« (OB Henrich). Dafür dürfen die Saarländer bei den Oder-Festspielen im September mitmischen. Im Winter dann könnte die Partnerschaft offiziell besiegelt werden.
Daß sie nicht zum Modell für Deutschland wird, daran lassen SED-Funktionäre keine Zweifel. Sie werden auch dafür sorgen, daß der Städtepakt sich auf Begegnungen von Offiziellen beschränkt und nicht in eine deutsch-deutsche Verbrüderung ausartet - mit Besucherströmen in beiden Richtungen.
Das »Neue Deutschland« rückte am Donnerstag letzter Woche, nachdem der Besuch im West- Fernsehen ausgiebig gefeiert und so den meisten DDR-Bürgern geläufig war, die Dimensionen zurecht: Das Blatt veröffentlichte auf Seite zwei eine knappe Meldung der DDR-Nachrichtenagentur ADN. Darin hieß es schlicht, »eine Delegation der ''Gruppe für Frieden und Freundschaft'' aus Eisenhüttenstadt« - also nicht mal eine offizielle Abordnung der Kommune - habe sich in Saarlouis aufgehalten. »um, ausgehend
von einer Bitte der Stadt, über Möglichkeiten und Wege einer Partnerschaft beider Städte zu beraten«.
Jene Funktionäre im SED-Apparat, denen das ganze Projekt gegen den Parteistrich geht, setzen darauf, daß sich die Angelegenheit durch die Zeitläufe von selbst erledigt. »Wenn Erich mal weg ist«, so ein SED-Mann vorausblickend »dann ist es mit den Sonderbeziehungen zum Saarland wieder vorbei.«
Mit Eisenhüttenstadts Ex-Oberbürgermeister Werner Viertel (2. v. r.)und Saarlouis'' Stadtober haupt Manfred Henrich (2. v. l.), am 21.Januar.