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FREIE KONKURRENZ

aus DER SPIEGEL 14/1971

Das Bild zeigt Langhaarige, die mit Marx und Mao vorwärts stürmen. Der Text sagt, was Lufthansa davon hält: »Verlaßt unser Land. Mit 25 Prozent Ermäßigung.«

Dieses Angebot Ist ein knauseriges, ein Lufthansa-Angebot. Bisher galt bei Demonstrationen von Studenten und anderen ungewaschenen Leuten noch immer das großzügigere Anerbieten unserer gewaschenen Bürger: »Haut doch ab nach drüben. Wir zahlen euch noch die Fahrkarte.« Und das ohne Prozent-Knickerei. Wie will Lufthansa ihr schwachprozentiges Angebot überhaupt einlösen? Fliegt sie nach Moskau? Fliegt sie nach Peking? Fliegt sie nach Havanna? Nein!

Und ihr »Verlaßt unser Land«-Aufruf ist ja auch gar nicht -- wie sogar Springers »BZ« mißdeutet -- als »Appell an den »Geht-doch-zu-Ulbricht-Instinkt« gemeint. Lufthansa klopft den Demonstranten sogar auf die Schulter, sagt -- das freilich viel kleiner gedruckt: »Man kann gegen euch sagen, was man will. Immerhin habt ihr einiges erreicht.« Lufthansa will lediglich die Dinge -- umsatzfördernd -- zurechtrücken: »Da man aber unzweifelhaft Dinge objektiver beurteilen kann, wenn man sie gesehen hat«, gibt sie jungen Leuten »25 % Ermäßigung«.

Schade, die Dinge in Moskau, Peking und Havanna objektiv zu beurteilen, dazu kann Lufthansa den jungen Leuten keine Möglichkeit geben. Doch ihr »Verlallt unser Land«-Prospekt bietet statt dessen viel schönere Reisen: nach Teheran, nach Athen, nach Johannesburg, nach Rio de Janeiro, damit die Studenten endlich einmal den persischen Schah, die griechischen Obristen, die südafrikanische Apartheid, die brasilianischen Folter-Methoden objektiver beurteilen können.

Und im Lufthansa-Flug über Südamerika, wenn die Studenten bei Kaviar und Gänseleber sitzen, bietet die Lufthansa-Speisekarte auch hochwertige Geistesnahrung. »Lieber Leser!« steht da auf der Karte der Südamerikalinie, »sofern Sie ein Bürger der westlichen Welt sind, fordern wir Sie hiermit eindringlich auf, dem nächsten Marktplatz, auf den Sie Ihren Fuß setzen, eine Minute zu widmen, In dieser Minute wird Ihnen bewußt, daß dieser Markt ein Symbol der Wirtschaftsform ist, der Sie Ihren sozialen Standard, Ihren Wohlstand verdanken ...«

Der Leser, dessen Blick vielleicht gerade über einen der malerischen Slums Lateinamerikas schweift, erfährt beim Weiterlesen der Lufthansa-Speisekarte. »Die Märkte des Mittelalters waren das Modell ... Der Eigennutz des einzelnen sorgte in der Summe für einen automatischen Ausgleich der Interessen aller. Die freie Konkurrenz wurde zum Motor der Entwicklung.«

Und während sich unten die Erfolge des freien Marktes in Südamerika überzeugend den Blicken der Reisenden darbieten, hilft ihnen die Lufthansa weiter, die Dinge objektiver zu beurteilen als bei Marx- und Mao-Demonstrationen. Für die Lufthansa-Speisekarte geht es nämlich in unserer Wirtschaftsordnung genauso unkompliziert und vorbildhaft zu wie im Mittelalter: »Auf den Märkten von einst ging es um Apfel und Ei. Auf den Märkten von heute, den Messen und Börsen, geht es um Industrie-Erzeugnisse und Aktien. Angebot und Nachfrage regeln sich über Telefon und Fernschreiber ... Das Ansehen, die Geltung, das Prestige bilden sich in freier Konkurrenz.«

Nun könnte es freilich böswillige Studenten geben, die den Lufthansa-Aufruf »Verlaßt unser Land« übelnehmen und vielleicht -- die freie Konkurrenz im Sinn -- einen Gegenaufruf veröffentlichen. Etwa so: »Verlaßt unser Land nicht mit der Lufthansa. Wenn ihr von Hannover nach Damaskus wollt, fliegt mit der BEA für 51 Mark nach Berlin und von Berlin-Schönefeld mit DDR-Interflug für 299 Mark weiter nach Damaskus. Ihr spart gegenüber dem Lufthansa-Preis von 788 Mark volle 438 Mark. Und so spart ihr fast überall: nach Addis Abeba 464 Mark, nach Khartum 576 Mark. Und sogar nach Teheran 380 Mark. Wollt ihr aber nicht unser Land verlassen, wollt Ihr nur von München nach Hamburg, dann fliegt doch mit BEA von München über Berlin nach Hamburg und zurück: Ihr spart 94 Mark.«

Otto Köhler

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