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»Freifahrtschein für vermögende Kreise«

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Parteienfinanzierung nach dem Gesetz von 1983 im wesentlichen zu sanktionieren, hat vor allem die Betroffenen positiv überrascht - die Parteien. Christsoziale verlangen jetzt eine Amnestie für Steuersünder; Rechtsexperten verweisen auf den Grundsatz des »milderen Gesetzes": Danach könnten auch Parteispender in schon laufenden Prozessen auf mehr Nachsicht hoffen. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Walther Leisler Kiep empfing die Siegesmeldung auf hoher See. An Bord des Luxusdampfers »Queen Elizabeth 2«, unterwegs nach New York, erfuhr der Schatzmeister der CDU am vergangenen Montag, daß er sich kaum noch Sorgen machen muß - nicht um die Finanzen der Konrad-Adenauer-Stiftung, auch nicht um Spenden für die CDU und vielleicht, wer weiß, noch nicht einmal um die noch unerledigten Spendenprozesse.

Zu Hause, das entnahm Kiep einem Fernschreiben seines Generalbevollmächtigten Uwe Lüthje, stand alles zum besten. Wenige Stunden nachdem der CDU-Politiker in See gestochen war, hatte der Zweite Senat des Karlsruher Verfassungsgerichts seine Grundsatzentscheidungen über das Geld der Parteien und ihrer Stiftungen verkündet. »Beide Urteile«, so kabelte Lüthje seinem Chef, »werden von uns als fast sensationell bewertet.«

Das sind sie wirklich. Weder Gegner noch Verteidiger des von grünen Klägern in Karlsruhe angegriffenen Spendengesetzes konnten damit rechnen, daß das oberste Gericht sich so weit von früheren Grundsätzen entfernen, den Griff der Parteien in die Steuerkasse so großzügig erlauben und die bisher restriktive Rechtsprechung auf den Kopf stellen würde (siehe Seite 21).

Lüthje: »Besser konnte es gar nicht kommen.« Sein Kollege Hans Feldmann, Mitarbeiter des SPD-Schatzmeisters Hans Matthöfer, war »völlig überrascht«. Grünen-Anwalt Otto Schily aber fühlte sich »wie betäubt«.

Die Niederlage der Grünen war vernichtend. Beide Organklagen der Alternativen im Bundestag wies das Gericht zurück und sanktionierte damit die Subventionierung der parteinahen Stiftungen, die nach Ansicht der Grünen eine verdeckte Parteienfinanzierung sind, wie das Spendengesetz, das der Bundestag 1983 mit den Stimmen von CDU, CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen beschlossen hatte.

Erfolg hatte bei Gericht nur die Verfassungsbeschwerde des Grünen-Ratsherrn Wilfried Skupnik. Der Regierungsdirektor im Wissenschaftlichen _(Verfassungsrichter Rinck, Zeidler, ) _(Niebler. )

Dienst des Deutschen Bundestages fand Gehör mit seinem Argument, er fühle sich als Bürger in seinem Verfassungsrecht auf gleiche Teilhabe an der politischen Meinungsbildung verletzt. Denn er könne mit seinem bescheidenen Regierungsdirektoren-Gehalt niemals die gleiche Steuerbegünstigung beim Spenden erzielen wie etwa ein Milliardär Flick.

Skupniks Achtungserfolg - die Verfassungsrichter schränkten den Steuerbonus für reiche Spender ein und legten eine Obergrenze von 100000 Mark fest - wird in einem CDU-Papier aus dem Konrad-Adenauer-Haus ebenso zynisch wie zutreffend kommentiert: »Für ihn bedeutet dies konkret: Er kann von seinem Regierungsdirektorengehalt nun nicht mehr nur 5 Prozent steuerbegünstigt spenden, sondern bis zu 100000 Mark.«

Sonst bleibt alles beim alten. Wie bisher dürfen die Stiftungen zum Wohle ihrer Gründerparteien wirken. Mißbräuchliche Verflechtungen aus der Vergangenheit wurden nur mit einem milden Tadel bedacht. Die beiden Prinzipien für Spender bleiben gleich: Wer um der Parteien Gunst mit Spenden wirbt, der tut dies weiterhin mit staatlichen Steuerprämien. Und: Wer viel hat, erzielt einen höheren Steuervorteil.

Schily sieht darin eine Klassen-Justiz: »Was da verkündet wurde, ist ein Freifahrschein für die steuerbegünstigte Einflußnahme vermögender Kreise und unternehmerisch Tätiger auf die Politik in dieser Republik.«

Das bedauert auch die SPD. Aber ihr Sprecher Wolfgang Clement, der seit zwei Wochen immer wieder erklären muß, warum die Friedrich-Ebert-Stiftung keine Geldwaschanlage der SPD ist (SPIEGEL 28/1986), konnte seine klammheimliche Freude über das Stiftungsurteil nicht verbergen: »Endgültig seien diese segensreichen Einrichtungen »von dem Odium einer angeblichen verdeckten Parteienfinanzierung befreit«. Erst recht die regierenden Christ- und Freidemokraten deuteten die juristische Niederlage der Grünen als justizpolitische Wende und die Urteile als Ablaß von Spendensünden der Vergangenheit.

Kaum hatte sich die erste Verblüffung über den Richterspruch gelegt, begann in einschlägigen Unionszirkeln wieder das Gerede und Geraune über eine Amnestie für die armen Spender, die angeblich so unschuldig von einer rachsüchtigen Justiz verfolgt werden.

Richard Stücklen von der CSU setzte sich beherzt an die Spitze der Bewegung. Der Bundestagsvizepräsident verlangte einen »Schlußstrich« unter alle noch laufenden Parteispenden-Verfahren »aus moralischen Gründen«. Sein Parteichef Franz Josef Strauß blies ins gleiche Horn. Freilich mochten weder Strauß noch sein Stücklen das heikle Thema im Wahlkampfjahr mit konkreten Vorschlägen ausfüllen. Zu frisch sind auch bei den Bayern noch die Erinnerungen an die Wunden, die sich Politiker bei Amnestie-Versuchen schlugen.

Dadurch gewitzt ging die FDP vorsorglich auf Distanz. Von einer Amnestie will der FDP-Rechtsexperte Detlef Kleinert nichts mehr wissen: »Das sollen alle möglichen Menschen machen, mit wem sie wollen; aber nicht mit mir.«

Jurist Kleinert setzt statt dessen auf die »Einsicht der Gerichte«. Nach dem Urteil von Karlsruhe sei jetzt »der Blick frei, so daß man überlegen kann, wie man mit den Erbschaften aus der Vergangenheit auf eine vernünftige und juristisch einwandfreie Weise fertig werden kann«. Konkrete Ratschläge, etwa an die Adresse des Kollegen Otto Graf Lambsdorff, kann Kleinert nicht geben, »da bin ich zu wenig sachkundig«.

Irmgard Adam-Schwaetzer, Schatzmeisterin der Liberalen, begrüßte den Richterspruch ("Die Zeit der Unsicherheit ist vorbei"), als sei erst jetzt im Spendenbereich Rechtsklarheit geschaffen worden; als habe in all den Jahren zuvor bei Spendern oder Empfängern Ungewißheit geherrscht, was erlaubt und was verboten war.

Möglich allerdings wäre, daß sich das Karlsruher Urteil strafmildernd auf noch laufende Prozesse auswirkt. Die Angeklagten, so der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim, könnten sich auf den Rechtsgrundsatz berufen, daß vor Gericht jeweils das »mildere Recht« ("lex mitior") anzuwenden ist - wie es Paragraph 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) vorschreibt.

Von Arnim: »Was seit 1984 sanktioniert war und nicht mehr strafbar, das sieht doch - selbst wenn der Paragraph 2 StGB formell nicht greifen würde - nach diesem Verfassungsgerichtsurteil in den Augen der Richter plötzlich ganz anders aus.« Der Rechtsprofessor, der zu den entschiedensten Kritikern des Spendengesetzes

zählte und das Verfassungsgerichtsurteil für falsch hält, gibt den Angeklagten in den Spendenprozessen jetzt bessere Chancen: »Die Frage nach dem milderen Gesetz stellt sich massiv.«

Die Bonner Staatsanwälte allerdings denken nicht daran, im Spendenprozeß gegen den früheren Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch und seine Ex-Ministerfreunde Lambsdorff und Hans Friderichs zurückzustecken. Denn ihrer Meinung nach wußten diese Angeklagten genau, welche Gesetze sie umgingen, wenn sie Parteispenden über ominöse Geldwaschanlagen schleusten. Die Hoffnung der Verteidiger schließlich, die Karlsruher Richter könnten die damals begangenen Steuer-Manipulationen durch rechtfertigende Leitsätze gewissermaßen zu »Kavaliersdelikten« stempeln, erfüllte sich nicht.

Die Verfassungsrichter haben sich weder zur Frage des milderen Rechts noch dazu geäußert, ob Parteispenden als Betriebsausgaben absetzbar sind. Die Bonner Staatsanwaltschaft sieht deshalb, so ihr Sprecher Johannes Wilhelm, keinen »Anlaß, von der bisherigen strafrechtlichen Bewertung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Parteispenden abzuweichen«. Die beiden Gerichtsentscheidungen halten die Bonner Fahnder weder von weiteren Ermittlungen gegen die Friedrich-Ebert-Stiftung noch vom Fortgang des Spendenprozesses ab.

Der frühere SPD-Justizminister Jürgen Schmude, der gemeinsam mit seinem Vorgänger Hans-Jochen Vogel den ersten Amnestieversuch im Dezember 1981 zu Fall brachte, stellt sich auf die Seite der Ankläger: »Diejenigen, die auf dubiosem Wege Parteien finanziert haben, können sich weder auf Rechtsunklarheit berufen und auf ihren guten Glauben noch darauf, daß diese Praxis vom Gesetzgeber im Jahre 1983 und jetzt vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden sei.« Eine amnestieähnliche Wirkung der Urteile für Gesetzesverstöße sieht Schmude nicht.

Dafür sehen die Kassierer besseren Zeiten entgegen: Die Akquisition von Spenden dürfte ihnen leichter werden. Die vom Gericht gezogene Schranke von 100000 Spender-Mark stört sie nicht. »In der Praxis«, so heißt es in dem internen CDU-Papier, »stellt diese Regelung für die Finanzierung der CDU keine Erschwernis dar.«

Was zunächst wie eine Beschränkung aussieht, entpuppt sich rechnerisch als Erweiterung der Möglichkeiten. Auszug aus der CDU-Analyse: »Wenn früher der Bezieher eines 100000-DM-Brutto-Einkommens nur 5 Prozent, nämlich 5000 DM, steuergünstig spenden konnte, so kann er heute sein gesamtes Bruttoeinkommen und Vermögen steuerbegünstigt hingeben.«

Erst bei einem Jahresverdienst von zwei Millionen (bei Verheirateter, vier Millionen) hindert die vom Gericht gesetzte Hürde. Doch da juristische Personen ebenfalls spenden dürfen, läßt sich der Steuervorteil vervielfachen.

Wie das Gericht auf die 100000-DM-Grenze kam, vermag Kiep-Helfer Lüthje sich »einfach nicht zu erklären«. Sein SPD-Kollege Feldmann hingegen macht die Grünen haftbar: Deren Anwältin Mechtild Düsing habe diese Summe auf Befragen des Gerichts als verfassungsrechtlich hinnehmbar bezeichnet. Feldmann: »Dieses Ei haben sich die Grünen selbst ins Nest gelegt.«

Ein weiteres Ei müssen sie noch erbrüten: Grüne Realos und Fundamentalisten haben den Streit darüber aufgenommen, ob sie - wie Schily es vorgeschlagen hat - als Konsequenz aus dem Stiftungsurteil eine eigene, selbstverständlich alternative, Stiftung gründen sollen, um an die Staatsknete zu kommen.

Grünen-Schatzmeister Hermann Schulz rät zur Vorsicht: »Wir können jetzt nicht mit dem Persil-Schein des Verfassungsgerichts hingehen und es morgen genauso machen wie die anderen.« Bundestags-Rotarier Heinz Suhr dagegen: »Wir wären doch dumm, wenn wir das Geld nicht nähmen.« Fünfzehn bis achtzehn Millionen könnte eine solche Stiftung nach Suhrs Berechnungen am Anfang bekommen; wenn sie erst einmal arbeite, noch viel mehr.

Sogar einen Namen hat der Abgeordnete schon im Kopf: »Heinrich-Böll-Stiftung«. Mit der Familie des 1985 gestorbenen Schriftstellers wurde gesprochen, Suhr: »Die sind einverstanden.«

Mit gemischten Gefühlen betrachtet der Sprecher des Bundesvorstands, Michael Schroeren, das Hin und Her: »Der Karlsruher Spruch ist eine Einladung an die Grünen zur Prostitution.« Das Fatale, so Schroeren: »Die Grünen werden die Einladung wohl annehmen.«

Verfassungsrichter Rinck, Zeidler, Niebler.

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