ENGLAND Frettchen im Sack
Seinem kaum zu bändigenden blonden Haarschopf verdankt er den Spitznamen »Tarzan«, Karikaturisten zeichnen ihn gern, wie er sich im Lendenschurz an Lianen fortschwingt. Dabei trägt er im wirklichen Leben Maßanzüge, und zur Downing Street 10 ließ er sich stets im dunkelblauen Jaguar chauffieren.
Dort allerdings, im Amtssitz der autoritären Premierministerin Margaret Thatcher, galt der gepflegte Herr mit dem abenteuerlichen Beinamen als politischer Außenseiter. Michael Ray Dibdin Heseltine, Verteidigungsminister des Vereinigten Königreichs, bot der Eisernen Lady gelegentlich die Stirn und sagte zuweilen auch schon mal: »No, Prime Minister.«
Vorigen Donnerstag dokumentierte er seinen Widerspruch - er trat zurück. 70 Minuten nach Beginn der ersten Kabinettssitzung im Jahre 1986, um 11.10 Uhr, trat Heseltine allein aus dem Haus Nummer 10. Ohne Mantel schlenderte er den halben Kilometer von der Downing Street zum Verteidigungsministerium zurück. Dort schrieb er seine Rücktrittserklärung.
Sie wurde, so urteilte die BBC, ein »Totalangriff auf Margaret Thatchers Regierungsstil«. Die Regierungschefin, so Heseltine, sei launisch; sie führe das Kabinett bewußt irre, ihr Sekretariat manipuliere Sitzungsprotokolle.
Heseltine sah seine Zeit als abgelaufen an, als Frau Thatcher auf der Donnerstagssitzung
durchsetzte, daß ab sofort alle Aussagen über die Zukunft des maroden britischen Hubschrauber-Herstellers Westland vom Amt der Premierministerin autorisiert werden müßten.
»Er sagte: ''Hier kann ich nicht bleiben'', packte seine Papiere zusammen und verließ den Kabinettsraum«, berichtete George Younger, zum Zeitpunkt von Heseltines Demission noch Minister für Schottland, aber zwei Stunden später neuer Verteidigungsminister, über den Auszug seines Vorgängers.
»Das ist die bislang größte politische Sensation in Frau Thatchers Amtszeit«, wertete der private Fernsehsender »Channel Four« den Abgang. Der konservative Abgeordnete Michael Mates bedauerte Heseltines Ausscheiden als »große Tragödie für die Regierung«. Aber die Tory-Minister scharten sich erst einmal um ihre attackierte Führerin. »Michael hat zu emotional gehandelt« urteilte Außenminister Geoffrey Howe.
Die Labour-Opposition kündigte harte Fragen an, wenn das Unterhaus in dieser Woche wieder zusammentritt. SDP-Chef David Owen warf der Premierministerin vor, entgegen britischem Verfassungsgebot »im Präsidialstil« zu herrschen.
Gegen diesen Stil hatte Minister Heseltine in den vergangenen Wochen opponiert. Vordergründig ging der Streit um ein abgewirtschaftetes britisches Unternehmen: Sollte die Regierung eingreifen oder der Markt allein den Fall lösen, sollte England Hilfe in Europa oder in Amerika suchen?
Tatsächlich aber hatte der Verteidigungsminister die Autorität der Regierungschefin herausgefordert. Denn Heseltine setzte eine Auseinandersetzung fort, die Frau Thatcher- »ich nehme an daß wir alle einer Meinung sind« - in ihrem Kabinett längst abgeschlossen glaubte.
Allein der Vorstand und die Aktionäre des Hubschrauber-Herstellers Westland, so ihr Verdikt, müßten darüber entscheiden, ob ein US-Unternehmen oder eine europäische Gruppe die bedrohte Firma retten solle.
Heseltine aber agitierte weiter öffentlich für Westlands Zusammengehen mit einem europäischen Konsortium, dem die Firmen Aerospatiale (Frankreich), Agusta (Italien), Messerschmitt-Bölkow-Blohm (Bundesrepublik) sowie British Aerospace und GEC (Großbritannien) angehören.
Der Verteidigungsminister war bei seinen europäischen Kollegen im Wort, mit denen er Kooperationsprojekte verabredet hat. Nach einer Übernahme durch den amerikanischen Hubschrauber-Giganten Sikorsky, eine Tochtergesellschaft der »United Technologies Corporation«, der sich Italiens Fiat angeschlossen hat, so ließ Heseltine verbreiten, würde die Firma Westland künftig nur noch »Blech zusammenkloppen«.
Dem widersprach Handels- und Industrieminister Leon Brittan. Er konterte jede Heseltine-Äußerung mit einer Gegenerklärung und befürwortete schließlich die amerikanische Westland-Lösung. British Aerospace soll er gar aufgefordert haben, »im nationalen Interesse« aus dem europäischen Konsortium auszuscheiden.
Die beiden Kabinettskollegen gingen bald »wie Frettchen im Sack« (Oppositionsführer Neil Kinnock) aufeinander los. Bei ihrem Kampf flog das Gesetz über Amtsgeheimnisse »in Fetzen« ("Economist"), weil Heseltine- und Brittan-Anhänger auch nicht davor zurückschreckten, Auszüge aus vertraulichen Schreiben in die Öffentlichkeit zu bringen.
England erlebte das einmalige Schauspiel einer offenen Auseinandersetzung um politischen Einfluß und wirtschaftliche Macht im normalerweise streng geheimen Bereich der Rüstungsindustrie.
Denn ebenso wie die Politiker wandten sich auch die beiden Konsortien an die Öffentlichkeit. So verkündeten mal die Europäer, mal die Amerikaner, daß sie wieder eine Million Pfund dazugelegt und damit den Konkurrenten im Wettstreit um den Einstieg bei Westland überboten hätten.
In ganzseitigen Zeitungsanzeigen forderte der Westland-Vorstand die 12000 Aktionäre auf, für Sikorsky/Fiat zu stimmen, weil die Firma sonst »schweren Schaden« erleiden werde. Aerospace-Direktor Raymond Lygo vom europäischen Konsortium kritisierte die proamerikanische PR-Aktion: »Westland schmeißt mit Geld um sich wie besoffene Matrosen. »
Das öffentliche Gerangel ihrer Minister brachte schließlich Margaret Thatchers Autorität in Gefahr. Denn die Regierungschefin wirkte angesichts der Rebellion ihres Verteidigungsministers unentschlossen, ja sogar hilflos.
Das konservative Massenblatt »The Sun« machte gar den »Anfang vom Ende der Margaret Thatcher« aus und den »Beginn von Michael Heseltines Kampagne um ihre Nachfolge«.
Heseltines Rücktritt scheint solche Prognosen zu bestätigen. Kenner der konservativen Partei meinen, im Kabinett sei »Tarzan« zwar ein Ärgernis für Frau Thatcher gewesen, als freier Unterhaus-Abgeordneter aber könne er für sie zur Gefahr werden. Im Parlament und in der Partei, so verkündete Heseltine denn auch nach seinem Rücktritt, werde er künftig um so aktiver werden.
Geld verdienen muß er nicht. Mit Immobilien-Transaktionen und im Verlagsgeschäft machte Heseltine Millionen. Sein Hauptinteresse freilich lag stets woanders. »Michael«, so berichtet ein Bekannter aus früheren Unternehmer-Jahren, »erzählte mir, daß er an Geschäften nicht interessiert sei. Er brauche nur Geld, um politisch Karriere machen zu können.«
Die hatte ihren ersten Höhepunkt 1966, als er ins Parlament gewählt wurde. Unter Edward Heath setzte er sich als Luftfahrtminister von 1972 bis 1974 für europäische Projekte in der Flugzeugindustrie ein. Der 1979 an die Macht gekommenen Thatcher-Regierung diente Heseltine zunächst als Umweltminister, ehe er 1983 das Verteidigungsressort übernahm. Der fast 1,90 Meter _(In einem Westland-Helikopter. )
große Politiker wirkt aristokratisch, obwohl er sich gelegentlich als Showman offenbart.
Friedensdemonstranten trat der Verteidigungsminister einmal im gefleckten Kampfanzug gegenüber. Er trug stets die Uniformjacke, wenn er Truppen besuchte - in der englischen Provinz oder auf den fernen Falkland-Inseln -, und ließ sich gern am Maschinengewehr oder hoch auf dem Panzer photographieren.
Als Verteidigungsminister in einer Tory-Regierung zu dienen, sagte er Donnerstag nach seinem Rücktritt, sei eine Ehre und ein Privileg. Doch schon seit langem hat Heseltine einen anderen Posten im Visier.
In seiner Studentenzeit in Oxford hatte der heute 52jährige einmal einen Plan für sein Leben aufgestellt. Das Ziel für den 55jährigen lautete: Downing Street Nummer 10.
In einem Westland-Helikopter.