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ÖSTERREICH / KIRCHE Freudige Genugtuung

aus DER SPIEGEL 7/1957

Auf dem Boden Österreichs laboriert der Vatikan zur Zeit an einem Experiment, das zum Modell für die Haltung der Katholischen Kirche Westdeutschlands werden könnte, falls die kommenden bundesrepublikanischen Wahlen mit einem Sieg der Sozialdemokraten enden. Österreichs Kleriker versuchen nämlich diskret, die Spuren einer tiefverwurzelten antisozialistischen Vergangenheit von ihren Talaren zu bürsten.

Förderer dieses ungewöhnlichen Experiments ist der neue katholische Erzbischof von Wien, Dr. Franz König, der im Sommer des letzten Jahres dem verstorbenen Kardinal Innitzer auf den Wiener Erzbischofs-Stuhl gefolgt war.

Schon die Wahl des maßvollen König hatte offenbart, daß einflußreiche Kreise des Vatikans die österreichische Kirche von dem Odium befreien wollen, den sozialistischen Arbeitern feindlich gesinnt zu sein. Der niederösterreichische Pfarrer König hatte bereits im Vorkriegs-Österreich die unheilige Allianz bekämpft, die der Klerus mit dem faschistischen Dollfuß-Regime eingegangen war.

Auch nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich waren dem Kirchenmann König Bedenken gekommen, ob die von Kardinal Innitzer praktizierte einseitige Bindung an die christdemokratische Österreichische Volkspartei den Interessen der Kirche dienen würde. Mit den Sozialisten war der Klerus erneut verfeindet: Gegensätzliche Auffassungen über die Gültigkeit des zwischen Kanzler Dollfuß und dem Vatikan abgeschlossenen Konkordats verhinderten jede Annäherung zwischen Sozialisten und Kirche.

Mißtrauisch beobachtete König die Umgebung des Kardinals, in der man durchaus geneigt schien, es wegen der Konkordatsfrage zu einem Kulturkampf in Österreich kommen zu lassen. Doch der Vatikan legte sein Veto ein: Als Innitzer im letzten Jahr starb, wurde nicht der von ihm protegierte Kuadjutor Jachym, ein Vertreter der Kulturkampf-Tendenzen, sondern Franz König sein Nachfolger.

Der Vatikan hatte triftige Gründe, dem neuen Erzbischof grünes Licht zu freundlichen Verhandlungen mit den Sozialisten zu geben. Ohne die Mitarbeit der Sozialistischen Partei, die Österreich gemeinsam mit der Volkspartei regiert, kann der Vatikan nicht hoffen, den alten Konkordatsvertrag - und sei es auch in einer erheblich revidierten Fassung - unter Dach und Fach zu bringen.

Das österreichische Episkopat begann allmählich, seine starre antisozialistische Haltung aufzugeben. Der Erzbischof knüpfte Verbindungen zu sozialistischen Politikern an, die auch bereit waren, in ihrer Partei für eine Aussöhnung mit der Kirche zu wirken.

Die neue Haltung des Klerus zur Sozialistischen Partei wurde zum erstenmal deutlich, als die Bischöfe Österreichs am 18. Oktober des letzten Jahres einen Hirtenbrief erließen, in dem es hieß: »Bei dem Aufbau der Arbeitswelt sind zwei Systeme hervorgetreten, die eindeutig abzulehnen sind. Es sind dies der liberale Kapitalismus und der Kommunismus... Der gemäßigte Sozialismus strebt eine sozialere Gesellschaftsordnung an. Das ist gut.«

Befriedigt lobte der sozialistische Politiker Pittermann, der bis dahin stets die parteipolitische Einseitigkeit der Kirche attackiert hatte: »Ich möchte meiner freudigen Genugtuung Ausdruck geben, daß erstmalig der ernsthafte Versuch unternommen wird, dem demokratischen Sozialismus Gerechtigkeit werden zu lassen.«

Knappe drei Monate später hatten Österreichs Sozialisten noch größeren Anlaß zur Genugtuung. Als der Bundespräsident Theodor Körner, ein leidenschaftlicher Sozialist, im Januar unter dem Glockengeläut aller Wiener Kirchen zu Grabe getragen wurde, erwies ihm die gesamte hohe Geistlichkeit Österreichs die letzte Reverenz.

Hinter dem Sarge Körners schritten die Bischöfe, die Superioren der Franziskaner-Familien in schwarzen und braunen, die Zisterzienser in weißen Kutten. Als die zwölf Schüsse des Ehrensaluts über dem Grab verhallt waren, segnete Erzbischof Dr. Franz König den toten Taufscheinkatholiken: »Seine Seele möge ruhen in Frieden!«

Die erfolgversprechenden Kontakte zwischen Sozialisten und Kirche haben nun den Klerus zu einem Zugeständnis beflügelt, zu dem sich bisher keine Kirchenleitung in einem von christdemokratischen Parteien regierten Land bereit fand. Die österreichischen Kleriker versprachen, bei den nächsten Wahlen auf ihre Gewohnheit zu verzichten, katholische Wähler zur Entscheidung für eine christliche Partei aufzurufen. Österreichs katholische Kirche versprach, parteipolitisch neutral zu sein.

Die Kirche wird schon in den nächsten Monaten Gelegenheit haben, ihr Versprechen einzulösen. Am 5. Mai sollen die Österreicher ihren neuen Bundespräsidenten wählen, und an diesem Tage wird sich ein Experiment bewähren müssen, das auch der CDU - freudige Klerus Westdeutschlands kaum ignorieren kann.

Wiener Erzbischof König Kirchliche Gerechtigkeit...

... für den demokratischen Sozialismus: Begräbnis des Bundespräsidenten Körner

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