SPIONAGE / KGB Freund Sascha
Wenn Alexander J. Bogomolow, 46, im Bonner Rheinweg 12 mit einem Gast politische Gespräche führt, dreht er in seinem Wohnzimmer drei Tonträger auf volle Lautstärke: einen Fernsehapparat, einen Rundfunkempfänger Grundig Satellit und einen Dual-Plattenspieler.
Für Bogomolow erfüllt die Geräuschkulisse einen konspirativen Sinn: Er mutmaßt »Meisen« oder »Wanzen« (Geheimdienstjargon für Abhörgeräte) in seiner karg möblierten Wohnung oder Lauscher westlicher Sicherheitsorgane in parkenden Kraftwagen vor seiner Haustür.
Ein Interesse der Abwehr an zumindest einem halben Bogomolow käme in der Tat nicht von ungefähr, denn des Russen Funktion in Bonn ist zwiegeteilt. Offiziell weist er sich als Presseattaché im Range eines Botschaftsrats an der Sowjet-Botschaft in Rolandseck, Koblenzer Straße 28, aus. Inoffiziell bedient er sich seiner diplomatischen Immunität zugunsten eines konspirativ-subversiven Auftraggebers, des sowjetischen Geheimdienstes Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti (Komitee für Staatssicherheit -- KGB; Mitarbeiter: 600 000 bis eine Million; Chef: Juni Wladimirowitsch Andropow; von Amerikas CIA geschätzter Jahresetat für Auslands-Spionage: acht Milliarden Mark**).
Geheimdienst-Offizier Bogomolow untersteht dem 1. Direktorat (Chef: Generalleutnant Alexander M. Sacharowski; hauptamtliche Mitarbeiter: 10 000), dem offensiven Auslands-Nachrichtendienst des KGB, vergleichbar mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst und Amerikas CIA.
Bogomolow, intelligent, witzig und im Bedarfsfall überaus kontaktfreudig, operiert auch im Geheimdienst mehrgleisig: Er nutzt seine Beziehungen zu Politik und Industrie für die Unterabteilung Beschaffung im 1. KGB-Direktorat.
Wie kein zweiter Russe der Bonner Sowjet-Botschaft bewegt er sich leger in bundesdeutschen Gesellschaftskreisen. Hier testet Bogomolow, passionierter Angler und Tontaubenschütze, Gesprächspartner darauf, ob sie für den Moskauer Geheimdienst ergiebig oder als Einflußagenten für die Sowjets ansprechbar sind.
Denn Bogomolow, der Deutsch in mehreren Dialekten spricht, dolmetscht auch die Direktiven der Sektion D »Desinformation« (Chef: Iwan I. Agajanz), einer Spezialeinheit des Moskauer Geheimdienstes zur Verbreitung falscher oder irreführender Informationen im Ausland, zum Vorteil der Sowjet-Politik.
Im Dienste dieses Subversions-Kollektivs unterlief Bogomolow jüngst ein Lapsus linguae, als er den nur für KGB-Hausgebrauch bestimmten Begriff »Desinformation« in die deutsche Öffentlichkeit trug. Durch »desinformierende« Berichte, so der Desinformant am 14. März vor Bonner Journalisten, habe die Bundesregierung Gespräche zwischen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Sowjet-Botschafter Semjon K. Zarapkin entstellt wiedergegeben.
Letzthin brachte Bogomolow die zweckdienliche Version unter Bonner Leute, daß die Kiesinger-Regierung sich amerikanischem Druck beuge. Auf Anweisung der US-Botschaft, so wußte Bogomolow zu berichten, habe das Bonner Auswärtige Amt Kompromißvorschläge Moskaus für die Aufnahme eines deutsch-sowjetischen Luftverkehrs ablehnen müssen.
Der Charme, mit dem der KGB-Offizier Nachrichten zu sammeln und Desinformationen zu streuen versteht, vermag beim Schlagabtausch schnell in Härte umzuschlagen, mit der Tennisspieler Bogomolow auch am Netz eines amerikanischen Klubs in Bad Godesberg imponiert. Daß er nicht immer auf Konzilianz hält, offenbarte der Sowjetmensch Ende letzten Monats, als er im Auswärtigen Amt zu Bonn einen Befehl der Personalabteilung (Chef: Generalmajor Wassilij W. Mosschetschkow) der Moskauer Geheimdienst-Zentrale ausführte.
Schon zweimal hatten die Bonner Russen an das AA eine ungewöhnliche Forderung gestellt: eine Kopie des deutschen Polizeiberichts über den Unfalltod des sowjetischen Geheimdienstchefs in der Bundesrepublik, Juni Nikanorowitsch Woronzow, vom 25. Februar auf Kölns Militärringstraße (SPIEGEL 12, 13/1969).
Zunächst bat der Sowjet-Gesandte Alexander P. Bondarenko das Auswärtige Amt um den Report; dann fragte Botschafter Zarapkin sogar * Sowjet-Botschafter Semjon K. Zarapkin.
** Der US-Geheimdienst Central Intelligence Agency hat einen Jahresetat von sechs bis acht Milliarden Mark.
Außenminister Willy Brandt nach dem Kölner Polizisten-Protokoll.
Doch die AA-Beamten mochten nicht übereilt reagieren, denn nach ihren Erfahrungen überläßt auch Moskaus Miliz ihre internen Berichte nicht deutschen Diplomaten. Schließlich erschien Bogomolow im AA-Gebäude Wörthstraße 3, jedoch nicht etwa, um bei dem für Presseattachés zuständigen Vortragenden Legationsrat Dr. Jürgen Ruhfus vorzusprechen. KGB-Offizier Bogomolow drang vielmehr zum amtierenden Leiter der zweiten Politischen AA-Abteilung, Ministerialdirigent Ulrich Sahm, durch und forderte diesen in hartem Ton auf, endlich den Tatbericht aus Köln auszuhändigen.
In einer Verbalnote gab das AA dem lästigen Drängen letztlich nach, und KGB-Mann Bogomolow ermöglichte der Moskauer Geheimdienst-Bürokratie, die Akte Woronzow mit einem deutschen Unfallbericht zu schließen und den toten Residenten endgültig »abzuschalten« (Geheimdienstjargon).
Bogomolow empfand den Verkehrstod Woronzows, der mit Alkohol im Blut einen deutschen Autofahrer gerammt hatte, als persönliches Leid, denn der Bonner KGB-Chef und sein Mitarbeiter waren gute Freunde. Eine Geste des Trostes wurde Bogomolow indes zu Ostern von einem Deutschen zuteil, der sich gern seiner Duzfreundschaft mit dem Russen rühmt: Georg-Volkmar Graf Zedtwitz von Arnim, 43, Direktor der Stabsabteilung »Information« des Essener Krupp-Konzerns und Verfasser des Buches »Tu Gutes und rede darüber«.
Der Graf von der Ruhr tat Gutes, als er Gesprächspartner Bogomolows aus der potentiellen Gefahr befreite, von dem früheren Pionieroffizier der Roten Armee gesengt zu werden. Jahrelang entbot Bogomolow (Zedtwitz: »Mein Freund Sascha") Rauchern Feuer aus einem Instrument, aus dem lange Flammen schlugen.
Seit Ostern ist der Feuerteufel von Bonner Cocktailpartys und aus Agenten-Treffs verbannt. Eilfertig bietet Bogomolow zierliche Flammen aus einem goldenen Dunhill-Feuerzeug (Wert: 180 Mark) mit gravierten kyrillischen Buchstaben AJB. Bogomolow: »Von meinem Freund Zedtwitz.«
Doch diesmal ist dem Grafen gar nicht recht, daß »Sascha« über das Gute auch redet, denn mittlerweile gilt bei Krupp die enge Bindung zwischen dem Stabsdirektor »Information« und dem Geheimdienst-Offizier »Desinformation« als recht suspekt. Zedtwitz zum SPIEGEL: »Die mögen das hier nicht mehr so sehr,«
Die Gefahr wird sich wenden. Denn Moskaus KGB-Zentrale bereitet als Folge des Todes und der Enttarnung ihres Bonner Residenten Woronzow sowie der Bloßstellung anderer Agenten ein Revirement ihres geheimen Netzes in der Bundesrepublik vor. Dann wird auch Bogomolow nach fast dreijähriger Spionage-Aktivität mit Ehefrau Dr. Bogomolowa und Sohn Nikita, 17, vom Rhein an die Moskwa heimkehren.