VERLAGE / BERTELSMANN Freundlicher Moloch
Axel Cäsar Springer, 57, habe eine 11. »Macht, die bald mit der des Goebbelsschen Propagandaministeriums verglichen werden kann«, so schrieb vor zwei Jahren Sebastian Haffner und forderte die Enteignung des Hamburger Verlegers. Jetzt teilt der Zeitungsfabrikant freiwillig seine Herrschaft -- und schafft zugleich ein neues Ärgernis. Denn sein Teilhaber, der C. Bertelsmann Verlag aus Gütersloh, ist nun auf dem Weg, größter Verlag der Welt zu werden.
Jahrelang kritisierten, boykottierten und belagerten langhaarige Studenten das Presse-Imperium Axel Springers. Noch am vergangenen Mittwoch beschimpften Studenten den Verleger, der als Zeuge im Prozeß gegen den Berliner Anwalt Horst Mahler erschienen war: »Mörder": »Du feiges Schwein«; »Du Drecksau«.
Zur gleichen Zeit empfing Springer vom Treuhänder eines anderen Langmähnigen einen Scheck. Johannes Mohn, 20, beatleköpfiger Student der Betriebs- und Rechtswissenschaften, 80-Prozent-Inhaber des Konzerns zu Gütersloh, und sein Vater, Bertelsmann-Hausherr Reinhard Mohn, 48 (20 Prozent), haben ein Drittel der Springer AG erworben.
Am Dienstag letzter Woche wurde der Kaufpreis -- 300 Millionen Mark -- dem Konto des Hanseaten gutgeschrieben. Axel Springer, der sich nach Vertragsabschluß in seine Berghütte »Clowny« in den Berner Alpen zurückgezogen hatte, telephonisch zum SPIEGEL: »Ich möchte nun meine Ruhe haben, ich habe sie verdient.«
Springers Ruhe hat ihren Preis: 25 000 Jahre lang hätte einer seiner »Bild«-Leser mit einem Monatseinkommen von 1000 Mark arbeiten müssen, um den Kaufpreis zu verdienen, es sei denn, er hätte 600 mal sechs Richtige im Lotto getippt.
Nur ein fast Ebenbürtiger hat diesen hohen Preis zahlen können: Deutschlands größte Buchfabrik C. Bertelsmann. Zugleich mit dem Abbau eigener Größe verschärfte Springer die Pressekonzentration, die ihm angelastet wurde. Zusammenschluß und Expansion, Zwangsformeln einer kapitalen Marktwirtschaft, haben den einst mittelgroßen Bertelsmann-Verlag, Hersteller gängiger Buch- und Musikware, binnen kurzer Zeit ins Big Business katapultiert.
Dahin brachte ihn Deutschlands wohl höchstdotierter Manager, Dr. Manfred Köhnlechner, 44, der von sich sagt: »Drei Millionen im Jahr wären mir zuwenig.« Der hagere Bevollmächtigte, einst Volontär in der Bundesfinanzverwaltung, steuert das Unternehmen seit zwölf Jahren.
Sein Einfluß ist so groß, daß er selbständig die Verhandlungen mit Springer führte -- der kreislaufschwache Hausherr Mohn weilte derweil in Gran Canaria. In Gütersloh konzentriert sich Familienvater Mohn, drei Kinder, auf die Leitung der Buch- und Schallplattenklubs. Die große Unternehmenspolitik überläßt er seinem Generalbevollmächtigten. Köhnlechner: »Mohn und ich stehen mehr brüderlich zueinander.« Die zwei Brüder Mohns indessen sind auf Anraten des Top-Managers als Anteilseigner aus der Firma verdrängt worden.
Einer Krake gleich, hat das Gütersloher Provinzunternehmen in den vergangenen Jahren seine Fangarme auf alle Zweige der Informations-, Meinungs- und Unterhaltungsmedien gelegt. Reinhard Mohn, literarisch sowenig ambitioniert wie politisch. schickt sich nunmehr an, die Herrschaft der totalen Information aufzurichten: Wort, Bild und Ton, industriell verfertigt und vermarktet in einem umfassenden Medien-Verbund. Schon heute gebietet Vater Reinhard Mohn mit seinem Computer über mehr als 50 Firmen, darunter den größten Buchklub der Welt, die größte Buchdruckerei, den größten Filmverleih. Beispiellos in Europa ist auch Berteismanns elektronisch gespeicherte Adressenkartei, mit deren Hilfe der Verlag seine Bücher und Schallplatten vertreibt. Nach dem Lesering-Modell liefert das Unternehmen Bücher an Kunden in Holland, Österreich, Schweiz, Spanien und Südamerika. Mohn druckt Bücher für die USA und erwarb Exklusivrechte an sowjetischen Musikinterpreten. Mit einer 25prozentigen Beteiligung bei Gruner + Jahr ("Stern«, »Brigitte«, »Jasmin«, »Schöner Wohnen«, »Capital«, »Eltern«, »Twen«, »Gong"), die Mohn 1969 für 80 Millionen Mark in Hamburg kaufte, drang er in das Zeitschriftengeschäft ein.
Jeden Tag spuckt der Bertelsmann-Konzern, dessen »Lesering« allein vier Millionen Dauerkunden hat, 100 000 Bücher aus, Romane, Schlag nach, Lyrik und Kochbuch aus einem Topf. Lexika, Kunstdrucke und Schulbücher sind ebenso im großen Mohnkuchen enthalten wie Filmtheater und -Verleih, Fernseh- und Werbefilmproduktion. Exklusiv unter Vertrag stehen die Schlagersänger Peter Alexander, Udo Jürgens und Hendrik Simons, genannt auch Heintje, deren Platten konzerneigene Produktionsfirmen in Millionenauflagen pressen und verteilen. In einem verlagseigenen Hühnerstall legen eine Million Hennen jährlich 230 Millionen Eier.
Nach Übernahme des Drittels vom Springer-Konzern ("Bild«, »BamS« »Welt«, »WamS«, »BZ«, »Hamburger Abendblatt«, »Berliner Morgenpost«, »Hör zu«, »Funkuhr") ist der Gütersloher an Unternehmen beteiligt, die insgesamt 24 Prozent der Gesamtauflage der westdeutschen Zeitungen und fast 35 Prozent der Zeitschriftenauflage kontrollieren. Der Gesamtumsatz der durch ihn verbundenen Unternehmen erreicht jetzt 2,2 Milliarden Mark. Damit ist Bertelsmann die Klammer für das umsatzstärkste Verlagskonglomerat der Welt. Nach Ankauf der Springer-Anteile läßt der Koloß aus Gütersloh selbst US-Verlage wie Time/Life und McGraw/Hill hinter sich.
Zur Übergröße verhalf dem einstigen Provinzunternehmen der Düsseldorfei' Bankier Ludwig Poullain, Generaldirektor der Westdeutschen Landesbank, der in den letzten Jahren zu einem der mächtigsten Finanziers Westdeutschlands aufgestiegen ist. Das Institut, entstanden aus der Fusion der Rheinischen und der Westfälischen Girozentrale und heute zu einem Drittel im Besitz des SPD-regierten Nordrhein-Westfalen, streckte dem Gütersloher Unternehmen die Millionen für den Springer-Kauf vor. Der 1,90 Meter große Poullain, der ehrgeizig bestrebt ist, den Großbanken den Rang abzulaufen, bot sogar zeitweilig im Handel um die Springer-Anteile mit.
Das Geschäft, das die Branche während der vergangenen Wochen erschütterte, bahnte sich im November vergangenen Jahres an.
Nach der Wahlniederlage der CDU: die Springer um den Einklang mit der politischen Macht brachte, wuchs in Ihm wie bei anderen Unternehmern die Angst vor Mitbestimmung, Konzernaufsicht und höheren Steuern. In internen Gesprächen beschwor der Verleger das Bild des »Titoismus« und »Jugoslawismus« in Westdeutschland.
Mit der Umwandlung seines persönlichen Imperiums in eine Aktiengesellschaft, die Ende letzten Jahres verkündet wurde, bereitete Springer seinen Rückzug vor. Der Vorstand der Axel Springer Verlag AG, Peter Tamm, erläuterte im Auftrag seines Chefs:,, Eine in den letzten Jahren häufig geäußerte Sorge des Verlegers Axel Springer war es, sein Unternehmen könnte für einen einzelnen zu groß werden; die Last der Verantwortung für immer mehr Mitarbeiter, für die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze könnte ein einzelner nicht auf die Dauer allein tragen, wenn er die Grenze seiner Schaffenskraft bedenke.«
Noch deutlicher wurde seine Distanzierung vom Geschäft, als er sein ideelles Grundkonzept wie ein Vermächtnis in die Satzung der AG einzementierte: Wiedervereinigung Deutschlands, Aussöhnung mit den Juden, Antitotalitarismus und freie Marktwirtschaft.
Schon Monate zuvor hatte der Verleger bereits erste Verkaufsgespräche geführt. Den ersten Kontakt knüpfte im Spätsommer letzten Jahres der Schweizer Finanzmakler Walter Blüchert in Lugano, der stets zur Stelle ist, wenn komplizierte Pressetransaktionen ins Haus stehen. Blüchert riet dem Großverleger, Kasse zu machen,
Christian Kracht, als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Springer AG zweiter Mann im Imperium und zunächst als einziger in die Kalkulation eingeweiht, verstand es, Springers Seelenschwankungen einzufangen und weiterzuspinnen. Das Gespinst der beiden Freunde verfing zuerst in Gütersloh.
Bertelsmann-Generalbevollmächtigter Dr. Manfred Köhnlechner legte Springer einen ausgefeilten zweistufigen Finanzierungsplan vor. Doch der Hanseat mochte nicht auf Stottern verkaufen, entdeckte aber auf dem Papier den Finanzier des Bertelsmannes: Ludwig Poullain.
Da Springer bei dem Großbankier latentes Interesse voraussetzen konnte, verhandelte er auch mit dem Sparkassen-80ß. Springer erklärte sich bereit, eine wesentliche Beteiligung an Poullain abzutreten.
Der Plan zerschlug sich. Die Düsseldorfer Landesregierung, die als sogenannter Gewährsträger den Verwaltungsratsvorsitzenden der Westdeutschen Landesbank stellt, stand dem Geschäft ablehnend gegenüber; vor allem wollten die Sozialdemokraten nicht die vier politischen Punkte der Springer-Satzung schlucken, die den Pressekonzern auf seinen politischen Status quo festlegen.
Als Mitte Januar neue Gespräche mit Bertelsmann begannen, trat Poullain wieder in die Rolle des Finanziers zurück. Zuvor waren die Deutsche Bank und die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft, die in Gütersloh ihren Service angedient hatten, bei Köhnlechner abgeblitzt.
Poullain schoß Bertelsmann zum Zinssatz von 9,5 Prozent die für das Springer-Dritte] benötigten 300 Millionen vor. Der Kredit soll später gegen eine Beteiligung am Gütersloher Unternehmen eingelöst werden, denn noch in diesem Jahr will Mohn seine Firma in eine AG umwandeln.
Später soll das Kapital aufgestockt werden, und zwar um einen Betrag, der ausreicht, die Landesbank mit 25 Prozent an der Bertelsmann AG zu beteiligen. Durch Ausgabe von Zertifikaten will Poullain über einen Fonds, den er bereits mit anderen Industriepapieren angereichert hat, seine Kleinsparer beteiligen.
Nur mit Hilfe Poullains und seiner Groschenkunden wurde möglich, was Köhnlechner in der letzten Woche in seinem St. Moritzer Ski-Domizil »Chantarella« so umschrieb: »Der Zwerg Bertelsmann schluckt den Riesen Springer.«
Und er hat noch immer Appetit. Mit Springer hat Köhnlechner, der den 80-Prozent-Anteil des Mohn-Juniors Johannes bis zu dessen 30. Geburtstag treuhänderisch verwaltet, ein Vorkaufsrecht vereinbart. Danach hat Mohn die Möglichkeit, seinen Anteil an dem nominal 75 Millionen betragenden Springer-Kapital um so viel aufzustocken, wie der Hamburger Verleger zu verkaufen bereit ist.
Axel Springer hatte zunächst den Teilverkauf dementieren lassen und später zugestanden, die Anteile würden 1972, zu seinem 60. Geburtstag, auf Bertelsmann übergehen. Bis dahin hält Springer das Mohn-Paket treuhänderisch im eigenen Namen und weisungsfrei.
Als der Hamburger »Stern« berichtete, der Pressezar beabsichtige, Mohn bis zu 74 Prozent der Kapitalanteile zu überlassen, schlug Springer mit einer Einstweiligen Verfügung zurück. Der Verleger und sein Kracht erhärteten ihren Antrag mit eidesstattliehen Erklärungen, in denen es hieß: »Eine Übertragung weiterer Anteile der Axel Springer Verlag AG an das Haus Bertelsmann oder andere ist weder vereinbart noch beabsichtigt, Verhandlungen darüber werden nicht geführt.« Springer bekräftigte in der »Welt": 33 Prozent, »nicht mehr, nicht weniger«.
Springer und Kracht aber verschwiegen, daß der Hamburger Verlagsherr in einem Brief an Reinhard Mohn sehr wohl weitergehende Absichten geäußert hatte. In dem Schreiben unterbreitete er dem Bertelsmann-Verleger ein Vertragsangebot. Danach ist in Aussicht genommen, daß der Gütersloher nach Springers Tod weitere 17 Prozent der Springer-Anteile kaufen und damit die Mehrheit erwerben kann, falls die leiblichen Erben des Hamburgers nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, den Konzern verantwortlich zu übernehmen.
Als der SPIEGEL den Inhalt der Todesfall-Klausel veröffentlichte, beschränkte sich Springer in der »Welt« auf die Erklärung, der Artikel enthalte »falsche und mißverständliche Angaben«.
Wann immer Bertelsmann die Mehrheit bei Springer zufällt, der neue Informationsgigant, dessen Konturen erst schattenhaft sichtbar sind, lastet bereits auf der Branche, auf Arbeitnehmern und Bertelsmann-Konkurrenten. »Journalisten«, so fürchtet etwa die » Zeit«, deren Verleger Gerd Bucerius mit den Güterslohern schon seit vergangenem Jahr über Gruner + Jahr liiert ist, würden noch weniger als bisher ihren Arbeitgeber wechseln können. Und die »FAZ« schrieb: »Man mag noch so viele Gründe für diese Konzentration anführen -- es ist zuviel an Größe.«
Dies empfanden auch die Gruner + Jahr-Verleger Gerd Bucerius und John Jahr. In der vergangenen Woche trafen sie sich mit Köhnlechner im Zürcher Dolder Grand-Hotel. Sie handelten dem Bertelsmann das Zugeständnis ab, daß Mohn sich bei Gruner + Jahr künftig auf das Kassieren von Gewinnen beschränken müsse. Die Geschäftsführung wird ihm ebenso verwehrt wie das Stimmrecht in der Gesellschafter-Versammlung.
Die Bundesregierung jedoch, deren christdemokratische Vorgängerin schon Springers gigantomanischem Wachstum wie gelähmt zugesehen hatte, tat so, als gingen sie der Fall Bertelsmann und dessen gesellschaftspolitische Folgen nichts an. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des für Pressefragen zuständigen Ausschusses für Bildung und Wissenschaft im Parlament, Ulrich Lohmar, ließ sich sogar zu einer Art Glückwunschadresse an Bertelsmann herbei: Die »festgefahrenen Frontstellungen im deutschen Pressewesen« könnten nun überwunden werden -- »eher und besser, als dies mit gesetzlichen oder anderen staatlichen Maßnahmen möglich wäre«.
Der große Verbund, dem sich kaum noch einer entziehen kann, fügte es, daß Lohmar zugleich Bertelsmann-Autor ist. Sein Sachbuch »Demokratisierung in Deutschland« pries der Verlag in Anzeigen an: »Mut zur Offenheit ist heute selten. Ulrich Lohmar hat ihn.«
Einige Verlagsbosse hingegen argwöhnen, die Bundesregierung habe mit dem politisch farblosen Berteismann einen heimlichen Pakt geschlossen: Die Sozialdemokraten seien bereit, das wuchernde Firmen-Konglomerat zu tolerieren, wenn die Bertelsmanner die SPD-feindliche Linie der Springer-Blätter abschwächen würden. Siegfried Moenig, Generalbevollmächtigter des Heinrich Bauer Verlags ("Quick«, »Neue Revue«, »Neue Post") polterte: »Das wird der rote Super-Konzern. Das haben die in Bonn schon ausgeknobelt.« Verleger Georg von Holtzbrinck ("Deutscher Bucherbund«, »S. Fischer Verlag«, »Christ und Welt"), nach Bertelsmann zweitgrößter Buchverleger der Bundesrepublik, äußerte »Unbehagen vor der Größe und dem politischen Hintergrund der Bertelsmänner«.
Tatsächlich hatte sich Köhnlechner bei den SPD-Spitzen in Bonn und in Düsseldorf vor dem Handel rückversichert.
Nicht allein Bertelsmanns bereits sichtbare Machtstellung im konventionellen Geschäft mit bedrucktem Papier, Schallplatten, Film- und Fernsehstreifen ängstigt die Konkurrenz. Der Riesenwuchs bringt es mit sich, daß der Konzern schon heute die Informationstechniken von morgen plant: Fernseh-Kassetten' auf Magnetband gespeicherte Bildungs- und Unterhaltungssendungen' werden in absehbarer Zeit wie Bücher und Schallplatten auf die deutschen Haushalte verteilt werden, über deren soziale Struktur und Kaufwünsche der Bertelsmann-Computer mehr weiß als viele Marktforscher im Lande. Mit seinem Engagement bei Springer und Gruner + Jahr sicherte sich Köhnlechner bereits jetzt die günstigste Startposition für das Zukunftsgeschäft.
Die »Bewältigung neuer großer Aufgaben« stehe bevor, so hatte Axel Springer im vergangenen Jahr die Umwandlung seines Unternehmens in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft begründet, und zur Erklärung fügte er hinzu: »Insbesondere auf dem Gebiet der audiovisuellen Kommunikationsmittel.«
Dieses fremd klingende Chiffrewort, eine Art linguistischer Stolperdraht, scheint in der Tat geeignet, die vielfältigen Aktivitäten zu verschleiern, die am Anfang eines gewaltigen wirtschaftlichen und technischen Umbruchs auf dem Gebiet der sogenannten Massenmedien stehen.
Mit der Verflechtung von Fernsehproduktionen, Zeitungsredaktionen und Druckmaschinen im Hause Bertelsmann, der Koordination von Plattenstudios und elektronisch gesteuertem Buchversand, mit den Verbund von Heintje und Matthias Walden beginnt nun auch in der Bundesrepublik eine Entwicklung, an deren Ende ein wirtschaftliches Mammutgebilde stehen wird. Amerikanische Soziologen nannten es »die totale Kommunikations-Industrie«.
Dieser Zweig werde, so das US-Wirtschaftsmagazin »Fortune«, »in jeder fortgeschrittenen Gesellschaft die am schnellsten wachsende Industrie« sein. Aber die politischen Folgen wären katastrophal, wenn »die Qualität der Informationen«, die eine solche Mammut-Industrie dann liefern werde, »nicht mehr vertrauenswürdig« und nicht den Bedürfnissen dieser Gesellschaft angemessen sei.
Alle fünf Jahre verdoppelt sich derzeit der Wissensbestand der Menschheit. 30 000 Fachzeitschriften beispielsweise erscheinen regelmäßig, mit stetig wachsendem Umfang. An jedem Tag eines Jahres werden heute in der Welt 500 wissenschaftliche Aufsätze mehr geschrieben als am gleichen Tag des Vorjahres.
Zugleich mit der Informations-Lawine wächst das Bedürfnis nach Informationen. Die klassischen Hilfsmittel, sich in dem Dschungel von veröffentlichtem Material zurechtzufinden -- etwa Bibliographien und Lexika -, versagen schon jetzt; sie sind fast durchweg veraltet, noch ehe sie erscheinen.
Nicht zuletzt der Zwang, die Datenflut zu ordnen, hat jene technische Revolution in Gang gesetzt, die nun zur eigentlichen Triebfeder der weiteren Expansion wird: Moderne Technologien -- von der Computer-Datenbank bis zum Mikrofilmarchiv, vom elektronisch gesteuerten Satz- und Druckverfahren bis zur Nachrichtenübermittlung per Laserstrahl und Satellit -- werden im kommenden Jahrzehnt die Informationsindustrie vorantreiben.
Die Vereinigung der amerikanischen Buchverleger prophezeite dazu in einer umfänglichen Studie.,, Wir waren gewohnt, von der Buchindustrie zu sprechen, von der Zeitungs- und Zeitschriften-Industrie, von der Rundfunkindustrie -- aber all diese klassischen Barrieren werden nun niederbrechen.«
Für den neuen Informations-Vertrieb ist ein Konzern wie Bertelsmann geradezu prädestiniert. Denn alle Medien sind in seinen vielen Firmen vereinigt (siehe Graphik Seite 103), die der Manager Köhnlechner in den vergangenen zwölf Jahren zusammenkaufte.
Diese Akkumulation von Reichtum vollzog sich in der provinziellen Enge eines Familienbetriebes, auf die deutsche Buchverleger' die durchweg weniger zusammenbrachten als die Gütersloher' auch heute gelegentlich noch gern hochmütig-abschätzend herabblicken.
Das Unternehmen, das über einer Tür seines Stammhauses auf altem Gebälk bis vor wenigen Jahren noch den Spruch »Christ, aller Dinge Anfang, segne Ein- und Ausgang« stehen hatte, wurde 1835 von dem Gütersloher Buchdrucker und Stadtschreiber Carl Bertelsmann, einem evangelischen Eiferer, gegründet. Für eine regionale pietistische Erweckungsbewegung, deren Traktate und Sonntagsblättchen er druckte, wurde der Bertelsmann-Verlag zu »Unseres Hergotts Kanzeley«. Bestseller produzierte das fromme Haus aber auch schon damals: Von einer Liedersammlung mit dem Titel »Kleine Missionsharfe« konnte Carl Bertelsmann zwei Millionen Exemplare absetzen.
Drei Generationen lang existierte Bertelsmann als cm Verlag für theologische Werke, evangelische Missionsliteratur und kirchliche Erbauungsschriften; das Programm wurde mit pädagogischen Lehr- und Jugendbüchern angereichert.
Bertelsmanns Ausbruch in profane Literaturbereiche begann erst 1928, als der damalige Verlagsinhaber Heinrich Mohn auch gängige Unterhaltungsliteratur ins Programm nahm. Erster belletristischer Bertelsmann-Titel: der Dorfroman »Der Teufeispate«. Während des Dritten Reiches verdienten die Mohns vor allem an den Büchern des populären Kriegsschriftstellers P. C. Ettighoffer ("Verdun«, »Nacht über Sibirien"), die eine Gesamtauflage von etwa fünf Millionen erreichten.
Zum Nachfolger hatte Vater Heinrich Mohn eigentlich den ältesten Sohn Sigbert ausersehen und nicht den jüngeren Reinhard, der Bücher nie sonderlich geschätzt hatte und Bauingenieur werden sollte. Aber Sigbert Mohn geriet in russische Kriegsgefangenschaft, Reinhard in amerikanische. Reinhard kehrte früher aus dem Krieg zurück und übernahm anstelle des designierten Nachfolgers die Firma.
Innerhalb zweier Jahrzehnte entwickelte er aus dem Provinzunternehmen für evangelische Erbauungs- und volkstümliche Unterhaltungsliteratur »Deutschlands größten Kulturkonzern« ("Süddeutsche Zeitung"). Sein entscheidender Schritt auf dem Weg nach oben war 1950 -- Reaktion auf die bedrohliche Buchhandelsflaute nach der Währungsreform -- die Gründung des »Bertelsmann Leserings"' des heute größten Unternehmens der Welt für verbilligten Buchkauf im Abonnement.
Das neue System fixierte aber auch jenes unvorteilhafte Bild, das sich die literarische Welt bis heute von Bertelsmann macht.
Zwei Faktoren vor allem prägten dieses Negativ-Image:
1> Die ungewöhnlich aggressiven, hemdsärmeligen Werbe- und Verkaufsmethoden' mit denen der »Lesering« ins Buchgeschäft einbrach, verstimmten große Teile des traditionellen Buchhandels, der sich um Kunden gebracht glaubte; Köhnlechner heute: »Die Sünden der Vergangenheit«;
die Orientierung des »Lesering«-Programms am wenig erlesenen Massengeschmack gab Literaten und Rezensenten Anlaß zu kulturkritischem Abscheu.
Die Sorgen der Sortimenter erwiesen sich mit der Zeit als einigermaßen unbegründet, und Reinhard Mohn ließ auch den konventionellen Buchhandel am Vertrieb seiner »Lesering«-Bücher mitprofitieren; bewiesen ist mittlerweile, daß die Buchgemeinschaften vornehmlich Leserschichten jenseits der klassischen bildungsbürgerlichen Sortimentskundschaft erschlossen haben.
Die Nivellierung macht auch heute noch das »Lesering«-Programm nicht nur für Literatur-Ästheten zu einem Greuel. Der Massenausstoß gängiger Bücher, Schallplatten (und wohl später auch Kassetten) prägt das Weltbild der Bertelsmann-Konsumenten auch politisch -- und zwar gerade dann um so wirksamer, je weniger direkt politische Anstöße gegeben werden.
Als sogenannte Hauptvorschlagsbände -- jene Bücher, die den auswahlunlustigen oder -unfähigen »Lesering«-Abonnenten von Gütersloh zugeteilt werden und Höchstauflagen von mehreren Hunderttausenden erreichen -- kommen nach wie vor nur Titel vom Niveau etwa der Harold-Robbins- oder Johannes-Mario-Simmel-Bestseller in Frage. Aber nicht zu übersehen ist, daß auf der rund 700 Positionen starken »Lesering«-Liste heute neben John Knittels »Via Mala« und Trygve Gulbranssens »Erbe von Björndal« immerhin auch »Die Blechtrommel« und »Lolita«, die »Gesammelten Erzählungen« von Camus und sogar ein Band Samuel Beckett stehen.
Auch renommierte deutsche Verlagshäuser gaben mit der Zeit ihre Vorbehalte gegen die Gütersloher auf und nahmen gern die Gelegenheit wahr, durch Vergabe eigener Titel an den »Lesering« ihren Verdienst aufzubessern.
Nicht selten macht überhaupt erst der Verkauf der Buchklub-Lizenz einen Titel gewinnbringend. Und oft können deutsche Verlage heute die geforderten Lizenzhonorare für internationale Bestseller nur aufbringen, mithin solche geschäftsentscheidenden Titel für sich nur dann erwerben, wenn sie sich vorher die Abnahmegarantie eines großen Buchklubs gesichert haben.
Solange sich Verlage und Buchklubs als verschiedene Sparten gegenüberstehen, mag daraus für die Verlage kein Nachteil resultieren. Wenn es aber zum Konzern-Verbund von Verlagen und Buchgemeinschaften kommt, und dazu auch noch Taschenbuchverlage eingemeindet werden -- wie jetzt bei dem Zusammenschluß Bertelsmanns mit Springers Ullstein-Verlag -- sind natürlich die Firmen mit angeschlossenem Buchklub den freien Verlagen (wie etwa Molden, Kiepenheuer & Witsch oder Hoffmann und Campe) im Konkurrenzkampf um lukrative Copyrights überlegen.
Zwar stagniert die Mitglieder-Entwicklung der deutschen Buchklubs schon seit einiger Zeit, was allerdings durch höhere Buchbestellungen der Mitglieder mehr als wettgemacht wird. Jüngere Leser ziehen das billige Taschenbuch der abonnierten Lederrücken-Lektüre vor. Das Anwerben neuer Mitglieder wird immer teurer -- durchschnittliche Anwerbungskosten pro Mitglied früher: 15 Mark; heute: über 50 Mark. Köhnlechner: »Das Inlandsgeschäft ist ausgereizt.« Jetzt erobert der Bertelshauptmann mit seinem »Lesering« die Auslandsmärkte, etwa Spanien und Südamerika.
Der Erfolg des »Leserings« war der Erfolg des Bertelsmann-Vertriebs' der heute von allen Konkurrenten als die spezifisch unternehmerische Leistung des Konzerns gerühmt wird. Mit den sogenannten Drücker-Kolonnen des Buchrings -- rund 400 meist selbständigen Firmen, die vertraglich an Bertelsmann gebunden sind -- boxten sich Mohn und Köhnlechner ab 1956 auch ins Schallplattengeschäft.
Heute besitzt der Konzern vier eigene Musikverlage und eine Schallplattenfirma. Mit jährlichen Garantiesummen bis zu 750 000 Mark, die kein Konkurrent aufbringen kann, banden die Gütersloher die teuersten und populärsten Stars des deutschsprachigen Show-Geschäfts an ihr Unternehmen: Udo Jürgens, Peter Alexander, Mireille Mathieu und Hendrik Simons alias Heintje, die von jeder Langspielplatte im Durchschnitt wenigstens 350 000 Exemplare verkaufen. Und wenn sie gemeinsam auftreten, in der »Stunde der Stars« (so ein Plattentitel), dann klettert die Auflage auf über eine Million.
Dieses Plattenspiel des Konzerns kurbelte Bertelsmanns Expansionsmotor Manfred Köhnlechner an, nachdem die Musikalienabteilung Ariola jahrelang im Unternehmenskonzert durch Mißtöne aufgefallen war. Der promovierte Jurist, der die Tochter eines Textilunternehmers heiratete ("Mein Hobby ist meine Frau") und deren Würzburger Firma (Trachten-Janker Marke Tofana) er aus der Ferne mitsteuert, holte neue Disc-Jockeys und ließ sie Topsinger einkaufen. Von da an lief das Geschäft.
Der Steuer- und Finanzstratege, der nach dem Studium binnen drei Jahren vom Syndikus des Apotheker-Verbandes zum Konzernleiter aufstieg, läßt seinem Management freie Hand. Rund 1000 Führungskräfte entscheiden selbständig in ihren Bereichen. Köhnlechner greift erst ein, wenn die monatliche Kassenübersicht Alarm signalisiert. Selbst verantwortlich zeichnei der Pferdenarr, der hinter seinem Gütersloher Haus einen privaten Reitstall unterhält, nur für Hauptverwaltung, Finanzen, Musik und Fernsehen.
»Was Bertelsmann interessant macht«, so bekannte frei heraus Springers Medien-Wart Fritz Hufen in der »Welt«, »ist das dichte in- und ausländische Vertriebsnetz, die modernen Druckereien, die Dienstleistungsgruppen (Adressenzentrale), die auch in anderen Medien auswertbaren Buch-, Musik- und Filmrechte, die Grundlage für ein ausgedehntes Fernstudium im Medienverbund (als Kassetten-, vielleicht auch später auf dem Wege des Kabelfernsehens), im Universitäts-, im Schulbuchverlag und in den bereits in der Entwicklung stehenden Fernlehrkursen.«
Hufen weiter: »Was sich abzeichnet, ist eine Verzahnung von Presse- und Verlagshäusern in chimborazohaften Ausmaßen.«
Mit Beteiligungen an Filmateliers und mit den Show-Stars von Berteismanns »Ariola«, mit Springers »Hör zu« (die für »Ariola«-Stars Reklame machen kann) und Bertelsmanns Buchklubvertretern, Bertelsmanns TV-Produktionsgesellschaften und den Bilderblättern von Gruner + Jahr verfügt das Elefanten-Kombinat über so weitgespannte »in house«-Kapazitäten, daß keine andere derzeit sichtbare Firmen-Gruppierung aus vergleichbar günstiger Position in den Verbundkampf starten könnte -- ins Rennen um die totale Kommunikation und die TV-Kassette.
Bisher produzieren Verleger bedrucktes Papier, transportieren es mit großem Aufwand in die Nähe des Verbrauchers und warten darauf -- auf dem Buchmarkt zum Teil noch mit riesigen, unwirtschaftlichen Lagerhaltungen -, daß jemand es kauft. In Zukunft, so wird in einer amerikanischen Studie deutlich, wird es genau umgekehrt sein.
So könnte beispielsweise der gesamte Inhalt eines Buches, einer Zeitung oder Zeitschrift, einschließlich aller technischen Angaben für Satz, Layout, Illustration und Herstellung, in einem zentralen Computer gespeichert werden, Und nur wenn ein entsprechender Bedarf gemeldet wird, könnten weit verstreute Herstellungshetriebe, elek -- Ironisch ferngesteuert, die entsprechenden Produkte fertigen. Das ferngelenkte Produktionsband spuckt nacheinander -- »je nach Bedarf -- zehnmal Updikes »Ehepaare«, fünfmal Mitscherlichs »Idee des Friedens«. fünfzig »Jasmin-Hefte und einmal den Rechtschreib-Duden aus und so fort.
Zentralcomputer könnten überdies den gesamten Inhalt von Fachbüchern und Fachzeitschriften speichern; Interessenten aus den verschiedensten Fachgebieten könnten mit sogenannten Computer-Terminals, einer Kombination aus Bildschirm und einer Art Schreibmaschine, die Information -- gegen Bezahlung -- von dort abrufen, ausführlich oder weniger ausführlich. Lexika aller Art würden in der Datenbank kontinuierlich auf dem neuesten Stand gehalten -- und wahrscheinlich überhaupt nicht mehr in Buchform ausgedruckt.
Die Idee der zentralen Datenbank wird in der Tat möglich machen, was die Amerikaner »integrated multimedia publishing« nennen: ein Verbundnetz, in dem, ausgehend von ein und demselben Informationsrohmaterial, Tageszeitungen, Wochenmagazine und Bücher, aber auch TV-Bänder und Bildungsprogramme für Lernmaschinen via Bildschirm produziert und vertrieben werden.
Welche Unternehmensstruktur der sich anbahnende Medien-Verbund erfordert, erkannten frühzeitig die Manager im New Yorker Time-Life-Building. Schon vor Jahren erwarb Time Inc. vier Radio- und fünf Fernsehstationen, dazu eine Kabelfernsehgesellschaft, eine eigene Schallplattengesellschaft sowie ein Computer-Unternehmen. Zur Konzern-Palette gehören außerdem Beteiligungen an Fach- und Schulbuchverlagen, bei Herstellern moderner Lernmaschinen und bei der Film-Firma Metro-Goldwyn-Mayer. Jährlicher Gesamtumsatz des »Time«-Verbundnetzes; mehr als zwei Milliarden Mark.
Die enge Verflechtung von Informations- und Unterhaltungsmedien mit elektronischem Potential ist auch Kennzeichen des Bertelsmann-Verbunds. Der perfekte Vertriebsapparat und die Finanzkraft bahnen ihm den Weg in jenes Geschäft, mit dem die Branchen-Mächtigen spätestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts fündig werden wollen: der TV-Kassette.
Zwar ist noch längst nicht entschieden, welches der verschiedenen derzeit in der Entwicklung befindlichen Kassetten-Verfahren sich durchsetzen wird. Kaum eine der Techniken dürfte vor 1972 marktreif sein -- aber die Branche ist aufgeschreckt von der Vorstellung, welche Verbreitungsmöglichkeiten dieses neue Medium bieten und wieviel Geld damit verdient werden könnte, auch wenn der Bertelsmann-General Köhnlechner zunächst noch eine Durststrecke magerer Jahre für das Kassettengeschäft einkalkuliert (siehe Interview Seite 109).
Krimi-Serien, exklusiv in Kassetten gespeichert, werden ebenso ihre Abnehmer finden wie Schlager- -und Opernshows in Starbesetzung: Schallplatten in bewegten Bildern. Kochkurse auf der Spule wären ebenso marktfähig wie Unterweisung in Schwangerschaftsgymnastik oder Blumenpflege; Ballett--Freunde könnten »Schwanensee, fürs Heimkino konserviert, kaufen oder mit einem »Video--Recorder aufzeichnen und wieder und wieder in das Abspielgerät schieben. Endlich hätten auch Pornofreunde, befreit von der Prüderie der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, Freude an ihrem Bildschirm.
Daß die Kassette nicht nur den traditionellen Lehrfilm verdrängen, sondern vermutlich in Großauflage auf breiter Front für die verschiedensten Interessenten Bildung über-mitteln werde, prophezeien die Experten einhellig: ärztliche Fortbildung und Kurse für Programmierer, Physik-Nachhilfe für den Vierzehnjährigen und Lesespiele für das Vorschulalter. Volkshochschule in bewegten Bildern und wirtschaftswissenschaftliche Repetitorien für Examens--Kandidaten. Folgerichtig räumte Professor Hoimar von Ditfurth, vom ZDF beauftragt, ein bundesweites Universitäts-Fernsehen vorzubereiten, vergangene Woche ein, daß diese Art Fernstudium wohl doch nicht den etablierten Fernsehanstalten überlassen bleiben werde: »Die Kassette bietet Bildungsprogramme optimal.«
Rundfunk- und TV-Anstalten fürchten, die Kassettenmacher könnten ihnen mit ihrer Finanzkraft alle zugkräftigen Unterhalter wegengagieren und ihnen damit die Produktionsfreiheit entscheidend schmälern. Ein marktbeherrschender Show-Konzern hätte etwa die Machtposition, Stars nur im Paket-Geschäft zu verkaufen und dadurch politischen Einfluß zu gewinnen. So könnten die öffentlich rechtlichen Anstalten etwa gezwungen werden, Polit-Features eines Konzerns zu senden, um Karajan zu bekommen.
Große und kleine Industrieunternehmen sind aufgebrochen, rechtzeitig den Markt für die Kassetten-Ära zu bereiten: Die Giganten der internationalen Elektro- -und Chemie-Industrie formierten sich mit Verlegern, Filmproduzenten und mitunter auch skurrilen Außenseitern zur Schlacht um Patente und Lizenzen, Kapital und Produktionskapazitäten.
Philips und Grundig verhandeln mit dem japanischen Elektro-Riesen Sony über eine weltweite Norm für TV-Recorder und Kassetten. Die Stuttgarter Robert Bosch GmbH besorgte sich von der Londoner EVR-Partnership die Lizenz für die Herstellung von Abspielgeräten nach dem Verfahren des Columbia Broadcasting Systems (CBS). Überdies schloß Bosch, mit 25 Prozent an der Wiesbadener »Videothek Programm GmbH« beteiligt, mit dem Stuttgarter Schulbuchverlag Klett eine »System--Gemeinschaft«, um »eine moderne technische Entwicklung für neue Methoden der Pädagogik nutzbar zu machen«,
Von Springer und Bertelsmann schließlich könnte sich eine Verbindung anbahnen hinüber zu Philips und Siemens, die an der Magnetband-Kassette arbeiten -- -und zwar auf dem Umweg über die Ateliergesellschaft »Studio Hamburg«, an der die Unterhändler von Springer immer noch Interesse bekunden: »Studio Hamburg« hängt mit der Fernsehproduktionsgesellschaft »Polyphon« zusammen, die ihrerseits zur Hälfte der Deutschen Grammophon gehört, einer gemeinsamen Tochter von Philips und Siemens.
»Mit großem Druck«, so resümierte die fachkundige Korrespondenz »Film-Telegramm«, würden »die Kassetten in den Markt gepreßt«. Und weiter: »Sehr große Geldmittel werden von sehr finanzstarken Firmen in Bewegung gesetzt.«
Wenn die Kassette ein Geschäft wird, dessen ist sich die Branche ängstlich bewußt, hat Bertelsmann die Nase vorn. In seiner Kundenkartei, auf Magnetbändern elektronisch gespeichert, verfügt er über die Adressen der potentiellen Abnehmer. Seine »Lesering«-Illustrierte, Auflage vier Millionen, schafft ihm die Möglichkeit, ohne zusätzliche Kosten schlagkräftig Abonnentenwerbung für die Kassette zu treiben. Bertelsmann Abonnenten-Drücker können schließlich den Bedarf besser abschätzen als jeder Produzent, und der Konzern verfügt über den Vertriebsapparat, der teurer ist als Herstellung und Verwaltung und für den Erfolg eines Produkts entscheidender ist als Qualität und Preis.
Welchen Wert Deutschlands Wirtschaft dem Gütersloher Adressenspeicher und den Vertriebs-Kolonnen beimißt, macht der Umfang der Dienstleistungen deutlich, die Bertelsmann an fremde Unternehmen verkauft. Seit 1966 liefert der Konzern für mittlerweile mehr als 50 Verlage über die elektronische Datenverarbeitung deren Buchauflagen aus.
Mit neun IBM-Schreihautomaten begegnet die Verlagsgemeinschaft »dem wachsenden Mangel an Steno- und Phonotypistinnen« bei anderen Firmen. Bertelsmann: »Die Briefe sind, da automatisch geschrieben, garantiert fehlerfrei«, selbst »individuelle Einschübe« ermöglicht die Korrespondenz-Zentrale.
Großfirmen wie Ford, Olympia, Opel, BBC und die Farbenfabriken Bayer lassen sich von Bertelsmanns »Marketing service« Werbedrucksachen entwerfen, texten, drucken und versenden. Spezialität: »Konfektionierung von Drucksachen«. Kapazität: »praktisch unbegrenzt«.
In einem 166 Seiten starken Katalog bieten die Gütersloher überdies Spezialadressen-Sammlungen sowohl von eigenen Kunden als auch von Kunden anderer Firmen feil, die etwa von Weinhändlern oder Pelzversandhäusern erworben werden. So verfügt Bertelsmann über Anschrift, Stand und Namen von einer Million Bundesbürgern, die bereits einmal Kunde eines großen Versandhauses für Ehehygiene waren. Die Erotikon-Ahnehmer wurden von Bertelsmann ausgeliehen und erhielten Werbebriefe von Fernkurs-, Bekleidungs-, Kachelofen- und Briefmarken-Verkäufern.
Bei der »Interlogic«-Gesellschaft, an der außer der Reinhard Mohn OHG auch das Meinungsforschungsinstitut Emnid und zwei weitere Partner (alle 25 Prozent) beteiligt sind, reicht die Denkhilfe für andere Firmen weit in den unternehmerischen Bereich hinein. »Interlogic« -- »eines der größten Rechenzentren der Bundesrepublik« (Bertelsmann) -- bestimmt beispielsweise den besten Standort für die Filialen einer Handelskette, errechnet Absatzprognosen mit optimaler Lagerstreuung und bewertet die Verkaufserfolge von Vertreterkolonnen. Rationalität und Standardisierung reichen bis in die letzte Verästelung des Konzerns, der in alle Verlagsbereiche expandiert, wo laut Auskunft des Computers Geld zu verdienen ist. Konzernschmied Köhnlechner steckt laut Auskunft eines Geschäftsfreundes »nie eine Mark in ein Geschäft, bei dem nicht zwei herauskommen
Auch die kleinste Unternehmens-Einheit wird nach den computerisierten Methoden des Big Management organisiert, selbst Mohns Hühnereier-Fabrik »Hennengold« im rheinhessischen Weinbaugebiet zwischen Nierstein und Worms. »Hennengold«-Chef Friedrich Walter, 43, Duzfreund des Generalbevollmächtigten Köhnlechner bestimmte schon den Standort seiner mittlerweile vier Farmen nach ökonomisch-mathematischen Maßstäben.
Walter gebietet über eine Million Hennen (Weiße Leghorn) und 250 Beschäftigte. Die zementgrauen Baracken stehen auf einem ehemaligen Odland, einem zugeschütteten Flußbett des Altrheins. Die Verbindungsgänge in und zwischen den Hühnerställen sind so ausgedehnt, daß sie nur per Fahrrad bewältigt werden können.
Die Ausbeutung der Hennen wird nach verhaltenspsychologischen' technologischen und steuerlichen Erkenntnissen optimiert. So haben die Hühnerexperten am Rhein herausgefunden, daß am besten vier Hennen in einem Käfig untergebracht werden. In größeren Verbänden nämlich würde die hierarchische Hack-Ordnung der Hühner einen Teil. der Belegschaft frustrieren und damit die Legeleistung drücken. Das Vier-Hennen-Haus hingegen sichert den größtmöglichen Eierausstoß. Köhnlechner: »Wenn Bonn drei Hennen in einem Käfig vorschreiben würde, müßten wir unsere Farm schließen.«
Futterzufuhr wie Produktabfuhr werden von Fließbändern besorgt. Die Hennen sehen nie ein anderes Lebewesen als ihresgleichen -- weder Hahn noch Mensch. Die Eier werden, auf Förderbändern elektronisch gezählt und gesteuert, zur vollautomatischen Packmaschine (Stundenleistung: 25 000) befördert. Walter: »Wir fahren direkt von der Henne in die Packung.«
Die Hennen, die mit 28 Wochen in ihre Käfige kommen, erreichen ihre Spitzenleistung in der 32. Woche. Der anschließende Leistungsabfall wird durch den mit der Beleuchtung imitierten Tag- und-Nacht-Rhythmus abgebremst: Die anfängliche tägliche Lichtdauer von zehn Stunden wird mit zunehmendem Alter der Hennen auf 16 Stunden gesteigert. Walter: »Sonst haben die Tiere den Eindruck, es wird Herbst, und bekommen die Mauser.«
Der ewige Sommer der Bertelsmann-Hühner dauert freilich nur 14 Monate. Dann werden sie -- als kurzlebiges Wirtschaftsgut steuerlich voll absetzbar -- als Lebendvieh verkauft. Walter: »Eine eigene Schlächterei rentiert sich für uns nicht.«
Dennoch wird auch der Federvieh-Zweig des Konzerns nach Bertelsmanns Hausrezepten abgerechnet. Schon jetzt wird der ebenfalls per Förderband gesammelte Dung zu hochwertigen Düngemitteln verarbeitet. Aus Hühnerdung läßt sich aber auch Fischfutter herstellen -- und noch mehr. Walter: »Da ließe sich auch ein hochwertiges Nahrungsmittel für Wiederkäuer draus machen, aber das darf man ja gar nicht laut sagen.«
Nur eines stört den Hennenwart Walter. Sein Millionen-Anhang, mit dem ei einen Jahresumsatz von 40 Millionen Mark macht, will sich nicht gänzlich normieren lassen: »Was sie legen, muß ich in sieben Größensorten teilen -- das macht den Eierhandel zu einem harten Geschäft.«
in Köhnlechners Reich zählen nur standardisierte Maße und das Gesetz von den sinkenden Grenzkosten der Großproduktion. Die Generalisierung dieses Prinzips in allen Bereichen des Informations- und Unterhaltungswesens schafft jene Gefahren, die der Meinungsfreiheit von der Gewerbefreiheit drohen.
»Was lange Zeit als Phrase gegolten hat«, so erkannte eine amerikanische Presse-Studie, »erhält nun, da wir in diese Ära einer beispiellosen Konzentration eintreten, eine neue Bedeutung: das Problem der Informationsfreiheit.«
»Oh, wie könnte das alles schick sein, wenn wir nur zwei Büchertypen zu produzieren hätten«, so Bertelsmann-Druckchef Kühnberger. Die täglich 100 000 Bücher, die vom Druckhaus Mohn von 2000 Leuten auf 100 Offset-Druckmaschinen hergestellt und auf Buchfertigungsstraßen meist vollautomatisch gefalzt, geheftet und gebunden werden, kommen nämlich immer noch in 16 verschiedenen Standardformen und bis zu hundert verschiedenen Spezialformaten heraus.
Damit ist der »Traum des Chefs« (Kühnberger) -- 70 Prozent aller Bücher in einem einzigen Format -- noch immer nicht Wirklichkeit: Bislang benötigt Bertelsmann für 60 Prozent seiner Bücher immer noch zwei Formate.
Der Trend zum Einheitsformat ist nicht aufzuhalten. Denn auch der neunstockige Büchersilo (Fassungsvermögen: acht Millionen Exemplare), in dem ein einziger Kranführer die kulturelle Fracht für ganze Landstriche verstaut, ist auf Norm-Maße eingerichtet.
Die beiden neuen Offset-Rotationsmaschinen, zu denen Bertelsmann in Kürze weitere zehn hinzukaufen will, werden die Standardisierung der Bücherformate noch beschleunigen. Denn erst bei Mindestauflagen von 50 000 bis -- je nach Format -- 500 000 Exemplaren können diese modernen Schnelldruckmaschinen rentabel arbeiten. So erzwingt die Technik in weiten Verlagsbereichen konsequenten Verzicht auf Vielfalt und oft auf Qualität.
Der Großverbund von »Bild« und »Stern«, Schlamm und Haffner, der es künftig möglich machen wird, daß Bertelsmann, wenn Springer Schadenersatz vom »Stern« erstreitet, Geber und Empfänger der Schmerzensgelder ist, kennzeichnet den Zustand der Marktwirtschaft im Mediengeschäft.
Der Fall ist bereits anhängig. Springer hatte dem »Stern« mit Schadenersatz gedroht, Strafanträge gegen »Stern« -Redakteure gestellt und eine Einstweilige Verfügung erwirkt, weil das Blatt behauptet hatte, er wolle mehr als nur 33 Prozent an Bertelsmann verkaufen. In der vergangenen Woche erwiderte der »Stern« die Einstweilige Verfügung mit dem Vorwurf. der Großverleger habe den Gerichtsbeschluß mit einer falschen eidesstattlichen Versicherung erstritten. Springers Behauptung, der Verkauf von werteren Aktien an die Gütersloher sei weder beabsichtigt noch vereinbart, sei unrichtig; der Verleger habe für den Fall seines Todes sehr wohl ein weitergehendes Angebot unterbreitet.
Springer-Vertrauter Kracht fand sich in der vergangenen Woche zu Vergleichsgesprächen mit Vertretern des »Stern« ein. Die Verhandlungen scheiterten, weil die Redakteure nicht bereit waren, den Vorwurf zurückzunehmen, Springer habe objektiv eine falsche Erklärung an Eides Statt abgegeben.
Die Deformation der Meinungsbranche, in der bald jeder einem gehört, ist freilich nicht allein das Zwangsergebnis von Markt und Technik. Bertelsmann dankt seine neue Größe dem Entschluß Springers. einen Teil seiner Macht in Geld aufzuwiegen.
Seit der Bundestagswahl im Herbst vergangenen Jahres trägt sich der Zeitungsherr' seit längerem an einer Schilddrüsen-Erkrankung leidend, mit dem Gedanken, Teile seines Konzerns anderen zu überlassen. Der Grollbankier Ludwig Poullain und der Gutersloher Großwesir Köhnlechner -- die beiden einzigen Interessenten, die in Frage kamen -- hatten in Springer einen schwankenden Verhandlungspartner: Mit seiner Stimmung wechselten die Prozente: Mal wollte er alles verkaufen, mal nur ein Viertel, mal bot er 90 Prozent dann wieder mal nur 48 und 60 und 33 Prozent.
Spuren von Unsicherheit und Pessimismus wurden schon im Rezessionsjahr 1966 sichtbar, als Springers Versuch, ins Fernsehen einzusteigen, gescheitert war und der Verleger anfing: sich über das »Millimetergeschäft der Tageszeitungen« Sorgen zu machen. Das Defizit seiner »Welt« etwa wuchs auf zehn Millionen jährlich, weil mit der Konjunktur die Stellenanzeigen schrumpften. Zur gleichen Zeit geriet die »Hör zu« -- vorübergehend -- in ein Anzeigen-Tief.
Springer versuchte das Millimeter-Risiko seiner verlegerischen Monokultur zu mildern, deren große überregionale Objekte keine fest umrissene Zielgruppe hatten. Seiner »Hör zu« und »Bild« stellte er neuerworbene und neugegründete Populär-Periodika, die auch den Anzeigenwünschen der Marketing-Werber mehr entsprachen, zur Seite: »Eltern« und »Jasmin«.
Die neue Gründerzeit wurde von Bonn beendet: Die Bundesregierung ließ durch Expertenkommissionen die zunehmende Konzentration auf dem Pressemarkt untersuchen, den Springers 19 Zeitungen und Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 17,5 Millionen Exemplaren damals beherrschten. Springer, selber Kommissar, zerstritt sich mit seinen Kollegen in der Kommission, als diese gezielt ein Korsett aus Auflagen- und Marktbeschränkungen gegen den Hamburger Pressezar entwarfen.
Springers Reaktion: Er warf Ballast ab. Nach und nach leichterte er den Konzern. Die Münchner Neugründungen »Eltern« und »Jasmin« wie das Pärchen-Blatt »twen« landeten schließlich bei Gruner + Jahr, das Teenager-Magazin »Bravo« und die Soraya-Postille »Das Neue Blatt« gingen an den Hamburger Heinrich Bauer Verlag, das Fußball-Fachblatt »Kicker« an einen Sport-Verlag in Nürnberg und die Fachzeitschriften »Bauwelt« » »Adhäsion«, »Echo« und »Oberfläche« aus der Berliner Konzern-Filiale an den Gütersloher Bertelsmann-Konzern.
Die Proteste der Studenten ("Springer-Presse, halt die Fresse!"), die Druck- und Verlagshäuser Ostern 1968 belagerten, strapazierten den Großverleger mehr, als aus den selbstgerechten Reaktionen seiner Blätter erkennbar wurde.
Schließlich habe auch die lauter werdende Forderung der Arbeitnehmer nach Teilhabe am Profit, so vermutet Verleger John Jahr, Springer das Unternehmer-Dasein verleidet. Jahr: »Ich meine, die Zeit des Privatbesitzers im altkapitalistischen Sinn gibt's doch gar nicht mehr. Und das wird also langsam auf uns zukommen -- und warum auch nicht -, daß die Mitarbeiter mitverdienen und auch teilnehmen, wenn Gewinn da ist, Springer läßt sich das aber nicht gefallen, weil er eben Alleinherrscher sein will.«
Studenten und Gewerkschaftler, Konzentrationsgegner und SPD-Wähler leisteten freilich nur einem anderen Giganten Geburtshilfe.
Der neue Moloch gibt sich freundlich. Die Bertelsmänner haben für ihre Mitarbeiter ein Gewinnbeteiligungsprogramm entworfen. Es sichert der Belegschaft die Hälfte des Profits -- nach Abzug eines Kapitalzinses von zwölf bis 15 Prozent für den Verleger. Außerdem ist ein Versorgungswerk für alte Autoren vorgesehen. Demonstrativ sprach sich Manager Köhnlechner auch für redaktionelle Mitbestimmungsmodelle aus.
Der freie Wettbewerb unter gleichen Bedingungen und die Chance für jeden, im Markt zu bestehen, hat nach dem großen Schluck, den die Gütersloher taten, nahezu ein Ende gefunden. Es ist jene Marktwirtschaft, von der Axel Springer einmal sagte: »Nur Verbrecher, Narren oder Utopisten können bereit sein, sie gegen bewiesenermaßen schlechtere, unfähigere Systeme auszutauschen.«