FILM-TRAUUNG Frevel im Hause Gottes
In der vor allem von ihm selbst entwickelten Methode, aus Anlaß publikumswirksamer weltlicher Ereignisse mit einem Kommentar aus kirchlicher Sicht hervorzutreten und dadurch dezent an die Existenz der Kirche zu erinnern, hat es der Theologie-Professor Dr. Helmut Thielicke DD. (SPIEGEL 52/1955) nachgerade zu einer gewissen Perfektion gebracht.
Mag eine Genfer Konferenz zu Ende gehen, mögen Heimkehrer aus der Sowjetunion eintreffen oder Zuschauer beim Autorennen überfahren werden - stets begleitet Helmut Thielicke, Direktor des Seminars für systematische Theologie an der Hamburger Universität, das Geschehnis mit einem Leitartikel, einer Schrift, einem Brief, einer Broschüre oder einem Kernspruch. So hat denn auch inzwischen der Katalog seiner Werke, einschließlich größerer Zeitschriftenaufsätze, den stattlichen Umfang von über 200 Titeln erreicht.
Vor acht Wochen entdeckte nun der 47 Jahre alte Gottesmann bei der Lektüre seiner Abendzeitung eine kurze Notiz, die ihn zu einem neuen ungewöhnlichen Vorstoß inspirierte. Diesmal - fühlte sich Thielicke bemüßigt, öffentlich gegen einen Amtsbruder zu polemisieren: In einem ganzseitigen Aufsatz, der unter der Überschrift »Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist ...« Anfang des Monats im »Sonntagsblatt« des niedersächsischen Landesbischofs Hanns Lilje erschien, attackierte der Professor einen Pastor namens Friedrich Meier.
»Wenn ich die Überzeugung hegen könnte, daß es sich um einen irrenden Bruder handelt«, begründete Thielicke seinen publizistischen Auftritt, »so hätte ich es für richtig gehalten, mit ihm selber zu sprechen. Ich kann mir aber bei einem auf christliche Mündigkeit Anspruch erhebenden Menschen einfach nicht denken, daß er die Tragweite seines Tuns nicht hätte überblicken können. Sollte das doch der Fall sein, so hat er sich damit sachlich für sein Amt disqualifiziert. In beiden Fällen halte ich ein Weiteramtieren in derselben Gemeinde nicht für möglich.«
Was nach Ansicht des Theologen Thielicke die Entfernung des »irrenden Bruders« aus dem Amt erforderlich macht, ist »etwas Unerhörtes ... ein Frevel im Hause Gottes«, der am Vormittag des 15. Juli in der schmucken Kirche des holsteinischen Ortes, Malente-Gremsmühlen geschah:
An jenem Tage war der Filmregisseur Volker von Collande ("Ein Mann vergißt die Liebe"), den die Berliner »Arca«-Produktionsgesellschaft für ihren Heimatfilm »Hochzeit auf Immenhof« verpflichtet hatte, bei Bild 86, Kamera-Einstellung 417 angelangt. Das Drehbuch schrieb vor:
»In der Kirche. Jochen von Roth (Paul Klinger) und Margot Hallgarten (Karin Andersen) stehen als Brautpaar am Altar. Der Landpfarrer spricht. Er steht vor den beiden am Altar.«
Kurz vor Drehbeginn dieser Szene erinnerte sich Regisseur von Collande, daß er für die Rolle des Pfarrers, der die Filmtrauung vollziehen sollte, noch keinen geeigneten Schauspieler gefunden hatte. Mit dem ausgeprägten Sinn eines Filmmannes für das Naheliegende trug er dem Malenter Pfarrer Friedrich Meier an, selbst die Rolle des Geistlichen zu übernehmen. Pfarrer Meier, der unter den Geistlichen im Bezirk der Landeskirche Eutin zu den fähigsten zählt, zeigte sich nun nicht nur angenehm davon berührt, daß das Malenter Gotteshaus Millionen von Kinogängern in Agfa-Color gezeigt werden sollte. Er glaubte in dem Angebot weitere positive Momente zu entdecken. Bei gelegentlichen Kinobesuchen sei ihm aufgefallen - erläuterte er später -, daß im Film meistens katholische Trauungen gezeigt werden. Es könne mithin nicht schaden, wenn auch einmal das schlichte Bild einer evangelischen Zeremonie auf der Leinwand erscheine.
Vorsichtshalber rief er noch seinen Vorgesetzten an, den Landespropst Wilhelm Kieckbusch in Eutin, um sich zu vergewissern, daß die Leitung der Landeskirche gegen seine Schauspielerei keine Bedenken habe. Meiers Besorgnis erwies sich jedoch als unbegründet; der Propst war von der Filmidee gleichermaßen angetan und riet: »Das machen Sie man ruhig ...«
So zelebrierte denn Pastor Meier, der in seiner Sakristei geblieben war, bis Kameramann Fritz Arno Wagner den Altar richtig ausgeleuchtet hatte, die Trauung zwischen dem Filmpaar Paul Klinger und Karin Andersen genau so, wie er es stets tut, wenn Malenter Brautleute heiratswillig vor seinen Altar treten. Als er mit dem Satz endete, »Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes - Amen«, winkte Regisseur von Collande zufrieden ab. Die Aufnahme war ohne Probe gelungen.
Zurück in Hamburg, lobte Regisseur von Collande: »Der Pastor hat zauberhaft gesprochen. Die Szene ist so geschmackvoll und so würdig dargestellt, wie es sich die Kirche nur wünschen kann. So etwas von sauber und echt in der Ausstrahlung, und dabei unkompliziert - das kann uns niemals einer von den Burschen aus der Branche machen ...«
Nun wäre alles das einer breiteren Öffentlichkeit verborgen geblieben, wenn nicht Thielicke die kleine Notiz über das Wirken des Pfarrers vor der Kamera in seiner Abendzeitung gelesen hätte. Sechs Wochen lang
wartete der Professor, »daß im kirchlichen Blätterwald irgend etwas zu rauschen begänne oder daß hinter kirchenbehördlichen Wänden irgendwelche deutlichen Töne von Entrüstung hörbar würden«. Als jedoch nichts dergleichen geschah, fühlte sich Thielicke - als »jemand, der in einem öffentlichen Amt verantwortlich christliche Ethik zu treiben hat und ein Lehrer der Kirche ist« - verpflichtet, den schon vorsorglich vorbereiteten Aufsatz an Bischof Liljes »Sonntagsblatt« zu senden.
»Welche Lohengrin-Aufführung könnte sich wohl einen echten Schwan leisten?«, schrieb Thielicke. »Natürlich ist er aus Pappe ... Aber die Manager der Mädels vom Immenhof können sich einen echten Pfarrer leisten ...« Thielicke warf dem Malenter Pastor vor, als »talartragender Mannequin« über den Laufsteg gegangen zu sein und »ein Übersoll an zeremoniellem Zauber« erfüllt zu haben: »Denn er hat sich für eine Situation hergegeben, die gar nicht ernst gemeint war, die nicht einmal einen irregeleiteten Ernst hatte, sondern die reines Theater war.«
»Wie«, fragt Thielicke, »wird sich wohl das nächste Brautpaar fühlen, das an diesen entweihten Altar tritt? Wird es nicht mit der Anfechtung kämpfen müssen, daß auch sein Traugelübde nicht ganz ernst gemeint, daß es ein frommes Spiel sei, und daß man dieses Spiel ja abbrechen könne, wenn einem die Lust woandershin steht?«
Auch die Überlegung des Geistlichen Meier, er werde durch sein Auftreten vor der Kamera die schlichte evangelische Trau-Zeremonie dem Bewußtsein eines Publikums einprägen, das im Kino vornehmlich katholische Eheschließungen sieht, schien dem Professor Thielicke verfehlt: »In welcher Art wird hier mit dem Katholizismus umgegangen: 'Die katholische Konkurrenz überflügelt uns in Film-Trauungen!' Also auch hier, am traurigsten Punkt, bricht der Paritätsfimmel aus. Wir müssen zeigen, daß wir auch etwas zu bieten haben!«
Schließlich glaubte der Professor Thielicke, am Ende seiner Kritik nicht auf die Frage verzichten zu sollen, »von welchem Stoff die Silberlinge gewesen sind, die von den Gästen der Filmhochzeit beim Ausgang vermutlich in die Opferbüchsen gelegt oder dem Pfarrer für seinen Kasualienfonds gegeben worden sind. Waren sie aus Theaterblech oder Pappmache - oder waren sie wirklich - von Silber?«
Angesichts dieser massiven Attacke fühlte sich »Area«-Produktionschef Fiebig veranlaßt, dem bedrängten Pastor Meier zu Hilfe zu eilen. Treuherzig verkündete er, die Trauung in der Kirche zu Malente sei keineswegs - wie Thielicke behauptete - »reines Theater« gewesen, sondern vielmehr eine von der Kamera belauschte »echte Hochzeit«. Produktionschef Fiebig verlautbarte, was bis dahin wenige wußten: Die Schauspieler Paul Klinger und Karin Andersen, die in dem Film »Hochzeit auf Immenhof« das glückliche Paar spielen, hatten sich im bürgerlichen Leben bereits vor zwei Jahren standesamtlich trauen lassen. Vor der Kamera, erklärte Fiebig, hätten sie nun die kirchliche Trauung nachgeholt.
»Paul und Karin waren glücklich«, erläuterte die »Arca«-Herstellungsleiterin Carola Bornée, »sie sagten sich, jetzt holen wir die kirchliche Trauung gleich nach. Paul und Karin baten den Standphotographen sogar, die Hochzeitsszene gleichzeitig mit der Handkamera zu filmen - als bleibende Erinnerung.«
Das Argument der nachvollzogenen »echten Trauung« vermochte den Theologen Thielicke nicht zu beeindrucken. Er wies darauf hin, daß weder eine Urkunde vorgelegt noch das Aufgebot bestellt worden war und daß die Trauung auch nicht in das Kirchenbuch eingetragen wurde. Es sei eben doch nur ein Spiel gewesen.
Thielickes Aufsatz mit dem dröhnenden Vokabular des Leitartikels hat gleichwohl den verschreckten Pastor noch nicht um sein Amt gebracht. Obwohl der Professor das Weiteramtieren seines Kirchenbruders »nicht für möglich« hielt, wird der Pfarrer Meier, der sich von dem Schreck und von einer Stirnhöhlenvereiterung zur Zeit in Bad Salzuflen erholt, auch weiterhin seine Gemeinde betreuen. Landespropst Wilhelm Kieckbusch ist nach den Kirchengesetzen der einzige, der ihn abberufen könnte. Und der Propst hat schon mit fester Stimme erklärt, der Amtsbruder Meier bleibe: »Ich trage die Verantwortung, und ich trage sie gern.«
Pastor Meier, Filmbrautpaar: »Der Landpfarrer spricht«
Theologe Thielicke
Gegen »talartragende Mannequins«