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Bosnien Frieden in der Hölle

Die Aufteilung Bosniens scheint beschlossen, aber die Grenzziehung bleibt umstritten. Die Enklaven der Moslems sind nicht überlebensfähig.
aus DER SPIEGEL 35/1993

Man stelle sich vor: Der Brite David Owen und sein norwegischer Begleiter Thorvald Stoltenberg, die Friedensvermittler für Bosnien, gehen im Adriahafen Ploce an Land - zur ersten offiziellen Besichtigung des moslemischen Teilstaats in Bosnien-Herzegowina.

Sie fahren im Dienstwagen nordostwärts, vorbei an salutierenden Uno-Soldaten, die mit dem Rücken zum kroatischen Teilstaat den Straßenkorridor sichern. Wenige Kilometer weiter, zwischen den geknickten Minaretten von Mostar, stehen weißgewandete EG-Emissäre. Sie bewachen die Republikgrenze am Flußufer der geteilten Stadt.

In Sarajevo, wo wieder Blauhelme postiert sind, gibt es nun neun Bezirke mit jeweils eigenen Polizeikräften, nach feingeschliffenem ethnischem Schlüssel aufgestellt. Bis Bihac im nordwestlichsten Teil der moslemischen Republik sind noch 200 Kilometer zurückzulegen und vier weitere Male Grenzen zu passieren.

Was wie ein absurder Alptraum aus den versunkenen Tagen der Kleinstaaterei klingt, entspricht exakt der Friedensformel, auf die Owen und Stoltenberg die drei Parteien im bosnischen Krieg nun endgültig einschwören wollen. Der bosnisch-moslemischen Seite bliebe nur ein Torso des Staatsgebiets: Inseln, die durch verwundbare Korridore miteinander verbunden und von Feindesland umgeben sind - den Republiken der serbischen und kroatischen Kriegsgegner.

»Es ist ein Frieden, der in der Hölle geschlossen wurde«, sagte der EG-Unterhändler Owen, noch bevor die betroffenen Parteien sich Ende voriger Woche beraten hatten. Doch der Plan muß schon an seiner eigenen Kompliziertheit scheitern, an den verschlungenen Grenzen wird weitergekämpft werden.

»Erpressung«, erregte sich der bosnische Vizepräsident Ejup Ganic. »Die Nachricht heißt: Wenn wir nicht zustimmen, werden wir noch heute ausgelöscht. Wenn wir zustimmen, dauert es einen Tag länger.« Bosniens Präsident Alija Izetbegovic skizziert den Standpunkt seiner Regierung zur Zukunft des Dreivölkerstaats: »Wir müssen uns trennen - auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch. Ich denke, am Verhandlungstisch ist es besser.«

Der diplomatische Druck auf die mehrheitlich moslemische Regierung wächst. Sie befindet sich in der paradoxen Situation, als Vertretung der Opfer unter den Augen internationaler Vermittler erneut in Genf mit den Aggressoren um die Flächenanteile im Nachkriegsbosnien feilschen zu müssen.

Was dabei vergessen wird: Keine der Teilrepubliken der geplanten Union ist überlebensfähig. Bis zu eine Million Menschen könnten nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, aus den noch gemischt besiedelten Gebieten würden weitere Bewohner vertrieben. Die Serben und Kroaten werden, allen Uno-Beteuerungen über die Unverletzbarkeit der Grenzen zum Trotz, den Anschluß an ihre angrenzenden Mutterländer suchen.

Das beste Bild vom Umgang der künftigen Nachbarn miteinander konnten sich spanische Uno-Blauhelme machen, die am vergangenen Mittwoch nach über zwei Monaten erstmals Nahrung und Medikamente in den moslemischen Ostteil von Mostar bringen durften. Stundenlang waren sie unterwegs blockiert worden, von kroatischen Frauen und Kindern, die ihnen entgegenschrien: »Ihr füttert Mörder.«

Als endlich der Weg frei war zu den rund 55 000 Eingeschlossenen, erlebten die Helfer erschreckende Szenen. »Das ist das Schlimmste, was ich in diesem Krieg an noch lebenden Menschen gesehen habe«, sagte ein Uno-Mitarbeiter: Die angeblichen Mörder waren abgemagerte, von Darmerkrankungen geschwächte Männer und Frauen, dazu von Granatsplittern verletzte Kinder.

Am anderen Ufer der geteilten Stadt sitzen relativ wohlversorgt die Kroaten, mit Nachschub aus der kroatischen Republik. Sie haben ihre einstigen Kampfgefährten, die Moslems, schon vor Monaten über die jahrhundertealten Brücken der Stadt nach Osten gejagt, wo die nun festsitzen.

Im behelfsmäßigen Krankenhaus kümmern sich drei Chirurgen aus Sarajevo um die Opfer der Artillerie-Angriffe. Die Ärzte sind mit Mauleseln nach Mostar gekommen, weil hier im moslemischen Teil die Not noch schlimmer ist als in der Hauptstadt.

Dem Friedensplan zufolge wird Mostar, die geteilte Stadt, zwei Jahre lang unter EG-Hoheit gestellt. Links blieben dann so lange die Kroaten, rechts die Moslems.

Unklar ist jedoch noch, wem das dazwischenliegende Flußwasser der Neretva gehört, aus dem alle ihre Forellen angelten, als sie sich noch Bosnier nannten. Y

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