PROMINENTE Friedman, Vorsicht!
Beobachtung durch Polizisten ist für Michel Friedman, 47, nichts Besonderes. Wann immer das Multitalent - Rechtsanwalt, TV-Moderator, prominentes CDU-Mitglied und Vize des Zentralrats der Juden in Deutschland - seine Wohnung in Frankfurt am Main verlässt, sind mehrere Personenschützer an seiner Seite. Die Post, die seine Kanzlei erreicht, wird von einem Röntgengerät durchleuchtet.
Doch die Gründlichkeit, mit der sich die Sicherheitskräfte seiner vergangene Woche annahmen, war selbst für ihn neu. Am Mittwoch, Punkt neun Uhr, begehrten mehrere Beamte des Bundesgrenzschutzes samt Spürhund und Durchsuchungsbeschluss Einlass in die Räume seiner Kanzlei in der Jahnstraße in der Frankfurter City. Zeitgleich wurde seine Privatwohnung durchstöbert. Dabei stellten sie drei Päckchen mit Resten eines Kokaingemischs sicher.
Der TV-Moderator, der seine Gäste so gern »scharf und in der Sache schonungslos« (Friedman über Friedman) befragt, muss sich nun selbst unangenehme Fragen gefallen lassen: Hat er Kokain konsumiert, möglicherweise gar andere dazu anzustiften versucht? Und welche Verbindungen hat er zu einer ukrainischen Bande, die junge Frauen nach Deutschland schleust und deren Dienste anbietet?
Peinliche Fragen für einen Mann, der die Öffentlichkeit so liebt und auf keiner Party fehlen darf, wo er sich gewöhnlich mit Moderatorin Bärbel Schäfer zeigt. Doch bedrohlicher als die juristischen Vorwürfe dürfte ihm in der Affäre die Konfrontation mit dem von ihm selbst gepflegten Image werden.
Wie ein Bumerang fliegen Friedman nun seine bildreichen Zitate entgegen, etwa über die Distanzlosigkeit zu seinen Interviewpartnern - »körperliche Nähe führt zu Intensität und Wahrhaftigkeit« - oder über sein wichtiges Konto, »bestehend aus Wahrhaftigkeit«.
Eine Anklage, ein wochenlanger Prozess, der heikle Details seines Privatlebens ans Tageslicht bringt, würden seinen Ruf als unbestechlicher, stets der Wahrheit verpflichteter Mahner ruinieren. »Der Stoff«, urteilt ein Beamter, »dürfte unproblematisch für eine mehrwöchige Serie in der Boulevardpresse reichen.«
Auf die Spuren des Promi-Beaus kamen die Ermittler von der Bundesgrenzschutz-Inspektion »Kriminalitätsbekämpfung« per Zufall. Die Fahnder waren auf der Jagd nach Ukrainern und Polen, die Frauen aus Osteuropa nach Deutschland schleusten. Die Gruppe war den Ermittlern schon früh aufgefallen, weil sie in Berliner Boulevardblättern Anzeigen schaltete. Die Annoncen standen auf den hinteren Seiten, kurz vor dem Sport, und warben für »naturgeile jg. Ukrainerinnen«, 24-Stunden-Service.
Vor allem vertrauenswürdige und zahlungskräftige Kunden hatten die Schleuser im Blick. Im feinen Hotel Inter-Continental fanden die Arrangements zumeist statt. Diskret wanderten entsprechende Kontaktnummern von Hand zu Hand. Pech nur für die Freier: Monatelang wurden die Handys der Zuhälter abgehört.
Sorgsam protokollierten die Grenzschützer den Telefonverkehr und legten Listen der Anrufer an, darunter auch ein Herr, der sich mit einem ominösen Namen meldete: »Paolo Pinkel«.
»Pinkel« hatte eine dunkle, volltönende Stimme und telefonierte offensichtlich von seinem eigenen Handy. Der Rest war Routine für die Ermittler, die das Jagdfieber ergriff: Abfrage des Handyinhabers, Abklären der Identität des Anrufers. Um sicherzugehen, verglichen die Fahnder sogar Stimmproben von »Paolo Pinkel« mit Aufzeichnungen aus dem Fernsehen. Da gab es kaum noch Zweifel: Bei dem Anrufer müsse es sich um Friedman handeln.
Bis dahin war der TV-Star lediglich eine Randfigur für die Ermittler und kein Beschuldigter. Das änderte sich erst nach dem 23. April. An diesem Tag schlugen die Fahnder zu und nahmen die Schleuserbande hoch. Seitdem sitzen drei der mutmaßlichen Luden in Berlin in Untersuchungshaft, zwei Ukrainer und ein Pole.
Die Frauen, fast alle illegal in Deutschland, berichteten anschließend freimütig aus dem Alltag des Gewerbes. Und so wurde aus dem Zeugen Friedman der Beschuldigte Friedman - wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Denn in den Akten finden sich neben den Angaben zu diskreten Dienstleistungen auch belastende Aussagen über den vermeintlichen Drogenkonsum des Fernsehmanns.
Schon vor Beginn seines gelegentlichen Spätabendprogramms soll der Kunde aus Frankfurt demnach angeblich ein Päckchen Koks aus der Tasche gezogen, konsumiert und auch den Ukrainerinnen angeboten haben. Die hätten aber, nach eigenen Angaben, abgelehnt - was, wenn die Einlassungen stimmen, sich für Friedman noch als Glücksfall herausstellen könnte. Denn wer - laut Gesetz - Betäubungsmittel weitergibt »oder sonst in den Verkehr bringt«, wird ungleich härter bestraft als jener, der es nur selbst besitzt.
Belasten dürfte Friedman indes, dass bei jenen Abenden offenbar bevorzugt bis zu drei Osteuropäerinnen anwesend waren - und damit mehrere Belastungszeuginnen. Deren Aussagen sollen sich im Prinzip decken und erhärteten deshalb die Verdachtslage. So sicher war sich die Berliner Staatsanwaltschaft, dass die Durchsuchungen in Frankfurt fast nur noch Formsache waren. Dabei fanden die Fahnder die drei Päckchen und baten Friedman zur Haarprobe.
Die Vorstellung, im kühlen Berliner Amtsgericht Tiergarten könnten seitenweise detailreiche Vernehmungen ukrainischer Frauen verlesen werden, muss für Friedman ein Horror sein. So würde ein an sich juristisch unspektakulärer Fall, wie er tagtäglich in deutschen Gerichtssälen verhandelt wird, zu einem öffentlichen Tribunal. Um das zu vermeiden, gab es angeblich bereits Angebote, um zur Einstellung des Verfahrens zu kommen, was Friedmans Anwalt allerdings bestreitet.
Ein Gefängnisaufenthalt droht Friedman ohnehin nicht. Kokainkonsum ist in Deutschland nicht verboten, lediglich Besitz und Erwerb. Der Musiker Konstantin Wecker erhielt bei einer Menge von 1,8 Kilo des teuren Stoffes 20 Monate Haft auf Bewährung.
Doch eine ganz schlichte Frage dürfte Friedman viel härter treffen als jedes richterliche Urteil: Wie konnte sich ein Mann seines Verstandes und seines Bekanntheitsgrades so leichtfertig in eine Situation bringen, in der ihn Damen und Herren aus der Halbwelt jederzeit erpressen können?
Ende letzter Woche standen sowohl der Zentralrat der Juden als auch der für seine Talkshow federführende Hessische Rundfunk zu ihrem Aushängeschild. Gleichwohl wurde Friedmans Sendung vorerst ausgesetzt. ARD-Anstalt wie Zentralrat warnen vor jeder Vorverurteilung. Doch in manche Mahnung mischen sich bereits düstere Töne. In dem Verfahren, orakelt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, Salomon Korn, werde sich nun »zeigen, wie weit wir in Deutschland von der Normalität entfernt sind, ob Michel Friedman behandelt wird wie jeder andere auch«.
Der moderierte am Tag der Durchsuchungen vorerst letztmalig seine Sendung mit Gast Peter Scholl-Latour, bevor er sich ins schöne Venedig zurückzog. Er lehnt jede Stellungnahme ab und greift nun auf Sätze zurück, die er nach eigenem Bekunden so sehr hasst. Auf die Frage, welche Floskel er unerträglich findet, verriet er einmal:"Sie werden verstehen, dass ich mich jetzt noch nicht dazu äußern kann.« STEFAN BERG, HOLGER STARK