Friedrich: Ein Denkmal kehrt zurück
Stundenlang stehen DDR-Bürger in Potsdam vor einer Friedrich-Ausstellung Schlange, mit zahlreichen Gedenksendungen und Gedenkausgaben feiern westdeutsche Medien und Verlage das Jubiläum: Der 200. Todestag des Preußenkönigs Friedrich II, beweist, daß dieser Anekdoten-König und Lesebuch-Held noch immer Streitobjekt und Bezugssymbol der Deutschen ist.
Die Ausstellung »Friedrich II. und die Kunst« im Neuen Palais in Potsdam, mit der die DDR den 200. Todestag des Preußenkönigs feiert, ist zwar ohne offizielle Teilnahme von Staats- und Parteiführung eröffnet worden, doch der Andrang (über 15000 Besucher in den ersten Tagen) annonciert zumindest, daß das Regime dem Bedürfnis der Bevölkerung nach preußischer Vergangenheit Rechnung trägt.
Und diesem Wunsch begegnet die Ausstellung mit einer erstaunlich objektiven »Erbeaneignung« (so der offizielle Ausdruck für nachträgliche Einverleibungen in DDR-Traditionen). Sie steht gleichsam unter einem Motto des sozialistischen Historikers Franz Mehring, der schon 1893 warnte: »In Friedrich den Quell alles Bösen zu sehen, ist der entgegengesetzte Pol derselben Verkehrtheit, die in seiner Person die Quellen alles Guten erblickt.«
Daß die Potsdamer Veranstalter von dem Besucherandrang überrollt und überrascht wurden, geht aus der Tatsache hervor, daß der Katalog erst Ende August vorliegen wird. Oder ist das neopreußische Planwirtschaft?
Eine solche Auseinandersetzung mit Preußens König, wie sie die Ausstellung sucht, wäre in der DDR noch in den siebziger Jahren undenkbar gewesen. Damals war Friedrich die Inkarnation Preußens und Preußen für die SED die Inkarnation des Bösen: Junkertum Militarismus, Wegbereiter des Faschismus.
Es war nur konsequent, daß die junge Staatsmacht der DDR, deren Kernlande die Gebiete Brandenburgs mit denen des von Friedrich so böse gebeutelten und ausgeplünderten Sachsen vereint, zunächst bemüht war, alles Preußische zu löschen und zu tilgen - Ulbricht als Sachsens späte Rache?
So ließ Ulbricht 1950 auf dem III. SED-Parteitag beschließen, das Berliner Schloß am Lustgarten dem Erdboden gleichzumachen, das den Krieg, wenn auch ausgebrannt und am Ostflügel beschädigt, überstanden hatte.
So wurde die Potsdamer Garnisonkirche mit ihrem Glockenspiel ("Üb' immer Treu und Redlichkeit"), in der bis 1945 die Särge des Soldatenkönigs Friedrich
Wilhelms I. und Friedrichs II. standen, 1968 unter dem Vorwand einer radikalen Verkehrsplanung abgerissen - sie war das Wahrzeichen der fritzischen Tradition schlechthin.
Schon 1950 hatte die Ost-Berliner Stadtverordneten-Versammlung auch beschlossen, das berühmte Rauchsche Reiterstandbild Friedrichs von 1851 entfernen zu lassen. Grund für die Entfernung: »weil er gegen Osten reitet«.
Der Umschwung in der DDR-Bewertung Friedrichs, der nach und nach in den Traditionsdienst der »roten Preußen« genommen wurde, markiert denn auch die Wiedererrichtung des Standbildes in Berlin. Friedrich wurde samt Pferd auf ausdrücklichen Wunsch Erich Honeckers zurück nach Berlin verbracht.
Vorsichtiger Umschwung also in der DDR. Nach und nach wurde ein differenziertes Friedrich-Bild entworfen. Entscheidend dabei ist die 1979 erstmals erschienene, mehrmals bearbeitete »Biographie« der Historikerin Ingrid Mittenzwei »Friedrich II. von Preußen«, die über den Zwiespalt der Figur dem König sehr wohl Größe attestiert.
Sie schreibt: »Preußen ist Teil unserer Vergangenheit. Man braucht nur durch einige Städte der DDR zu gehen, vor allem durch Berlin und Potsdam, um dies zu sehen. Auf Schritt und Tritt kann man hier steinernen Zeugen preußischer Geschichte begegnen.« Die Zeit des Wegsprengens der steingewordenen Vergangenheit war also vorbei.
Zu Friedrich stellt die Biographin immerhin die Frage, ob er »gesellschaftlichen Fortschritt« gehemmt oder befördert habe. Die Antwort fällt keineswegs eindeutig aus: »Als Politiker, der in einer Zeit des Übergangs Bestehendes konservieren wollte, errichtete er Barrieren gegen das neue Zeitalter. Aber die Dialektik der Geschichte bewirkte, daß sich Bestehendes nicht mehr ohne Anpassungsfähigkeit und Flexibilität konservieren ließ.«
Was hier den Namen Dialektik trägt, heißt im Buch vorher oft eindeutig Friedrich. Ingrid Mittenzwei verschweigt nicht die aufklärerischen Bemühungen Friedrichs, wie die Abschaffung der Folter, die (zum Scheitern verurteilte) Erleichterung der bäuerlichen Frondienste, die (aus taktisch-politischen Gründen geduldete) Aufhebung der Pressezensur, die Landgewinnung an der Oder, die Gerichtsreform, die »Peuplierung«, das heißt die Ansiedlung Zugewanderter im durch die Kriege entvölkerten Preußen.
Als 1981 in West-Berlin die große Preußenausstellung stattfand, deren heimlicher Held der absolutistische Aufklärer Friedrich war, offenbarte das Publikumsinteresse
auch im Westen (ähnlich wie jetzt in Potsdam), daß offensichtlich etwas lange Verdrängtes wieder ins öffentliche Bewußtsein wollte - hier die verdrängte preußische Tradition.
Auch in der Reeducation-Zeit der ersten Nachkriegsjahre in den westlichen Besatzungszonen war Friedrich Persona non grata, wirkte der Nazi-Propaganda-Trick vom Dreigestirn Friedrich-Bismarck-Hitler negativ nach. Noch im Krieg, 1941, hat Thomas Mann in den USA gefragt, wie weit man zurückgehen müsse, um das »good old Germany of culture and learning«, das gebildete, kulturell hochstehende Deutschland also, zu finden.
Seine rhetorischen Antworten: »Hinter Wilhelm den Zweiten? Hinter Bismarck? Selbst hinter Fichte und Hegel? Am Ende hinter Friedrich von Preußen oder gar hinter Luther, der stark nazistische Elemente aufweist?« Da ist sie wieder, die Linie Friedrich-Bismarck-Wilhelm II.-Hitler, in die Vergangenheit verlängert zu Luther.
Der erste Bundespräsident, der Liberale Theodor Heuss, fühlte sich noch 1952 durch das von der »amerikanischen Propaganda« angeprangerte Triumvirat Friedrich-Bismarck-Hitler verärgert: »Darauf könnten sie jetzt eigentlich verzichten!«
Für die Gegenwart ist Friedrich vor allem ein großer Medien-Rummel, veranstaltet zum Jubiläumsjahr. ZDF und ARD schlagen gleichermaßen zu. Die ARD sendet, unter anderem, am 17. August ein »Rendezvous mit dem Alten Fritz« aus dem Schloß Charlottenburg.
Das ZDF überträgt am 16. August live den Festakt (ebenfalls aus dem Schloß Charlottenburg), zu dem der Bundespräsident sprechen wird, um Preußens König auch als Aufklärer und Reformator zu würdigen. Insgesamt ist Friedrich fünfmal Held von ZDF-Sendungen.
Auch der Buchmarkt feiert Friedrich opulent. Allein 15 Titel stellt das »Börsenblatt« zusammen, darunter die Biographie der DDR-Historikerin Ingrid Mittenzwei (Pahl-Rugenstein), die Bildbände »Friedrich als Bauherr« bei Siedler, »Friedrich der Große. Bilder und Gegenbilder« bei Herder, die reich bebilderte, große Biographie von Pierre Gaxotte als Neuausgabe bei Ullstein, die Lebensbilder von Christian Graf von Krockow und Karl-Heinz Jürgens bei Lübbe und den Band der Bertelsmann-Lexikothek »Friedrich der Große«. Rudolf Augsteins 1968 bei Fischer erschienene Auseinandersetzung »Preußens Friedrich und die Deutschen« erscheint neu bearbeitet, als Jubiläumsausgabe bei Greno.
Die ausführliche Neubeschäftigung gilt einer Gestalt, mit der sich die nationale Neugier, die nationale Verklärungs- und Enthüllungssucht am ausführlichsten beschäftigt haben.
Neben dem staufischen Kaiser Friedrich I., der als Barbarossa im Kyffhäuser auf seine nationale Stunde wartet, war der Alte Fritz auch der deutsche Anekdoten- und Lesebuchkönig.
Seine entscheidende, einschneidende historische Tat: Er ist, 1740, also noch im Jahr seiner Thronbesteigung, in Schlesien eingefallen, hat dieses österreichische Gebiet im Ersten Schlesischen Krieg bis 1742 erobert, im Zweiten Schlesischen Krieg (1744/45) glanzvoll behauptet und schließlich im Siebenjährigen Krieg nach unendlichen Opfern, Niederlagen und Verlusten behalten können, weil die gegen ihn bestehende Koalition aus Österreichern, Sachsen, Russen, Schweden und Franzosen durch den Tod seiner Widersacherin, der Zarin Elisabeth, und der Thronbesteigung seines Bewunderers Peter III. (noch ein »Mirakel des Hauses Brandenburg") zerfiel, der mächtige Gegner Rußland mit ihm Waffenstillstand schloß.
Friedrich hat den Krieg um Schlesien provoziert und vom Zaun gebrochen, weil nach dem Tod des Kaisers Karl VI. (er hatte nur eine Tochter, Maria Theresia) die habsburgische Monarchie in Erbfolgestreitigkeiten zu zerfallen drohte, wie Friedrich hoffte. Er wollte sich sein Teil aus den Trümmern sichern und riskierte dafür den Krieg.
Die Zeitgenossen und Bewunderer Friedrichs, der als Kronprinz ein Freund der Aufklärung war und in Rheinsberg einen musischen wie philosophischen Freundeskreis um sich versammelte, waren durch seinen Einfall in Schlesien und seine Überfälle auf Sachsen schockiert und enttäuscht.
In der Tat sollte sich an den Gegensätzen im Wesen Friedrichs die geschichtliche Auseinandersetzung entzünden. Als er 1712 geboren wurde, herrschte noch sein Großvater, Friedrich I., ein Herrscher, ganz vom Vorbild des Sonnenkönigs berauscht, der in Berlin mit den Festen und Schranzen eines aufwendigen Hofstaats prächtig und teuer regierte.
Sein Sohn, der jähzornige, pietistisch frömmelnde und hausväterlich sparsame Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., pumpte nach seinem Regierungsantritt 1713 alles Geld in sein Heer: er vermeinte, das in Gebiete weit im Westen wie weit im Osten zerrissene Land nur so sichern zu können.
Seinen Sohn hat er barsch und brutal bis zur Persönlichkeitszerstörung erzogen. Überliefert ist, daß er einmal, als er ihn in aller Öffentlichkeit gedemütigt hatte, ihm auch noch vorhielt: er, der Vater, würde sich getötet haben, hätte ihn sein Vater ebenso behandelt.
Die gescheiterte Flucht (im roten Rock), die anschließende Bestrafung, bei der er der Hinrichtung seines Freundes und Fluchthelfers Katte in Todesfurcht zusehen mußte, ist Gegenstand der Friedrich-Legende von den grausamen Lehrjahren eines Königs. Fast alle Biographen führen seine Arroganz und Menschenverachtung, seine Fähigkeit zur Verstellung und machiavellistischer Heuchelei auf diese kruden Jugenderlebnisse zurück. Der zum Soldatenberuf gepreßte Kronprinz hatte sich bis zum Tod des Vaters (gegen hohe Schulden) eine 3000 Bände umfassende Bibliothek angeschafft, umgab sich mit Aufklärern und Schöngeistern, musizierte, dichtete, schrieb einen »Antimachiavell«.
Einmal auf den Thron gelangt, setzte Friedrich voll auf die militärische Tradition seines Vaters, der aus Preußen eine die Zeitgenossen in Schrecken versetzende Militärmaschinerie gemacht hatte.
Daß die militärische Aggression Grundbestand seines Handelns war, geht schon aus dem Brief des Kronprinzen an Carl Dubislav von Natzmer hervor, worin er Preußen als ungefestigten Staat beschrieb, der Annexionen lebensnotwendig brauche. Und dieser Wesenszug prägt auch sein Zweites politisches Testament von 1768, das, von den Hohenzollern unter Verschluß gehalten, erst in der Weimarer Republik veröffentlicht wurde. Es spricht unumwunden davon, daß man Kriege heimlich beabsichtigen, friedliche Gesinnungen aber zur Schau tragen müsse.
Bei den Widersprüchen zwischen seiner aufklärerischen Philosophie und seinen militärischen Ambitionen siegte (wie konnte es in den vier Kriegen, in die er sich verwickelte, anders sein?) im Zweifelsfall das Militärische.
So hat der König, der sofort nach Amtsantritt die Folter abschaffen ließ, Deserteure mit der grausamen Strafe des Spießrutenlaufens bestraft - er brauchte seine Armee, und er mußte die Todesfurcht seiner Soldaten besiegen.
So hat der »Bauernbefreier« Friedrich, der in seinem Staate keine Sklaven haben wollte, die Fronarbeit der Bauern (außer auf seinen Domänen) nicht reduzieren können, weil die Adeligen, die sein Offizierskorps stellten, ihm drohten, sie könnten sonst ihre Söhne nicht zum Militär abstellen.
So hat er, der die Pressezensur in Berlin aufhob, ("Gazetten dürfen nicht genieret werden"), sie im Krieg sehr schnell wieder aus Rücksicht auf Allianzen ausgeübt.
Daher hat der Historiker Theodor Schieder in seiner Friedrich-Biographie ("Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche") wohl sicher recht, wenn er sagt, Friedrichs Antimachiavellismus (also das Aufklärerische Humane, Fortschrittliche sei nur eine »in die intellektuellen Bereiche seines Charakters eingedrungene Bildungsschicht«, während der Machiavellismus (also alles Kriegerische, Gewalttätige, jegliche Moral Beiseitestellende) Friedrichs eigentliche »Naturkraft« gewesen sei.
Der königliche Kriegsherr, der strenge Drill und Exerziermeister, der unerbittliche Schlachtenlenker Friedrich, er obsiegte stets über den Musensohn, den Aufklärer, den Philosophen auf dem Königsthron. Er war der erste Diener seines Staates, aber sein Staat war ein Moloch, der alles verschlang.