GEWERKSCHAFTEN / SPARFORDERUNG Frisch weiter
Triumph meldete das Gewerkschaftsblatt »Welt der Arbeit« aus dem Konferenzraum des Düsseldorfer Hotels »Intercontinental": »Ein großer Sprung nach Vorn.«
Der Jubel galt dem Abschluß eines Vertrags, den die Arbeitgeber der Metallindustrie am vorletzten Samstag nach einer drei Tage währenden »olympischen Tarif schlacht« ("Handelsblatt") mit dem Vorsitzenden der IG Metall Otto Brenner unterzeichneten.
Der Düsseldorfer Pakt bestimmt, daß
* die Unternehmer vom 1. Juli an jedem ihrer rund vier Millionen Beschäftigten, der länger als ein halbes Jahr dem Betrieb angehört, für die Dauer von sechs Jahren einen lohnsteuerfreien Betrag von jeweils 312 Mark pro Jahr zahlen. Gesamtkosten acht Milliarden Mark;
* die Arbeitnehmer dieses Präsent bis zum Jahre 1976 nicht anrühren, sondern »vermögenswirksam« auf die hohe Kante legen. Einschließlich Zinsen und Prämien sammeln sie im Sechs-Jahres-Takt 3360 Mark ein.
Doch so gewaltig die Gesamtsumme ist, die Deutschlands Metallindustrielle bis 1976 an ihre Arbeiter und Angestellten steuerbegünstigt auskehren, so gering ist ihre Chance, sich mit dieser guten Tat Ruhe an der Lohnfront zu erkaufen oder die Gewerkschaften von ihren gesellschaftspolitischen Forderungen abzubringen.
Brenner nach der Sitzung: »Es wäre sachlich richtiger, von Sparförderung anstatt von Vermögensbildung zu sprechen. Deshalb können derartige Tarifverträge nur eine Ergänzung eines Gesamtkonzepts der Vermögensbildung darstellen, das vom Gesetzgeber entwickelt werden muß.«
Die Marschrichtung hatte der Metall-Arbeiterführer Anfang Januar auf einer Klausurtagung mit Vertrauensleuten und Bezirksleitern der IG Metall abgesteckt. Die Außendienstler hatten ihrem Chef von einer stark zunehmenden Unruhe in den Betrieben berichtet. Die Beschäftigten in der Metallindustrie murrten darüber, daß ihnen der im letzten Herbst abgeschlossene Lohntarifvertrag nur acht Prozent eingebracht hatte, während etwa die Stahlarbeiter sich durch Kampfaktionen elf Prozent Mehrlohn erstreiken konnten. Selbst Bund, Länder und Gemeinden hatten ihren Kleinverdienern pro Monat einen Hunderter mehr zugestanden.
Da Brenners Metaller jedoch bis Oktober 1970 an den laufenden Lohntarifvertrag gekettet sind, beschloß die Gewerkschaft, die Arbeitgeber auf andere Weise zu erleichtern. Gewitzt nutzte die IG Metall dabei den Weg, den die Unternehmer, an ihrer Spitze der Fabrikant Herbert van Hüllen aus Krefeld, selbst gewiesen hatten. Um das »gefährlichste Experiment« (Arbeitgeberverbände) zu torpedieren, nämlich die Gewerkschaftsforderung nach paritätischer Mitbestimmung, hatten die Arbeitgeber vor Monaten angeboten, den Metallern die im 2. Vermögensbildungsgesetz angepeilten steuerfreien 312 Mark im Jahr künftig als Unternehmer-Präsent zu reichen.
Gewerkschaftschef Brenner nahm die Unternehmer jetzt beim Wort. Er konzipierte einen unterschriftenreifen Vertragsentwurf und lud zu Verhandlungen über den angetragenen 312-Mark-Sondertarif ein. Kernstück des Brenner-Werkes: Die Unternehmergabe darf weder auf die betrieblichen Sozialleistungen angerechnet, noch soll der Sparzuschlag bei der Lohnrunde im Herbst angerechnet werden.
Dieser Brenner-Forderung hatten Herbert van Hüllen und seine Verhandlungskommission zunächst nicht zustimmen wollen. Erst nach 46 Stunden Konferenzdauer (IG-Metall-Sprecher Thönnessen: »Außerordentlich zähflüssig") segneten die Tarifpartner das Sparwerk ein.
Zu der Tatsache, daß die Unternehmer den Sondervertrag im kommenden Herbst nicht gegen neue Lohnforderungen der Gewerkschaften aufrechnen können, mochte sich van Hüllen nicht bekennen. Er ließ nach Vertragsabschluß eine schriftliche Erklärung verteilen, daß »wir diese zusätzlichen Belastungen bei allen Tarifverhandlungen wieder ins Spiel bringen werden«. IG-Metall-Sprecher Thönnessen: »Im Herbst geht es frisch weiter.«