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FÜRSORGEPFLICHT Frist vom Oberst

aus DER SPIEGEL 43/1966

Als der Fremdling die Stube betrat,

fand die Hausfrau, das treffende Wort. »Das Ist«, so erläuterte sie ihrem arglosen Gatten, Bundeswehrmajor Günther Hoffmann, »der Herr von der Krankenkasse.«

Dem Herrn war die Wohnung der Hoffmanns im rheinland-pfälzischen Baumholder wohlvertraut. Es war nicht seine erste Visite, und stets klebte er amtliche Siegel an die Möbel der Offiziersfamilie, mal unter ein Biedermeier-Sofa, mal hinter eine Empire-Kommode.

Gerichtsvollzieher Bernhard Schwarz, von Ulrike-Dorothea Hoffmann in der Not zur Krankenkasse abkommandiert, pfändete regelmäßig für die Gläubiger der Soldatenfrau.

Dem Major blieb's verborgen, nicht so den Nachbarn - sie alarmierten die Truppe. Und obgleich ohne Schuld, ließ ihn jüngst die Bundeswehr bitter büßen: Wegen des fahrlässigen Finanzgebarens der Hausfrau

- änderte der Befehlshaber des Wehrbereichs IV (Mainz), Generalmajor Christian Schaeder, eine dienstliche Beurteilung Hoffmanns von »voll befriedigend« in »befriedigend« um,

- sah sich Hoffmann nach einem Gespräch mit seinem direkten Vorgesetzten, Oberst Heinz von Schönfeldt, Kommandant des Truppenübungsplatzes Baumholder, zu dem Versprechen genötigt, sich von der Lebensgefährtin zu trennen.

Was der Oberst tat, um die Ehre eines Kameraden zu retten, ist für den SPDBundestagsabgeordneten Wilhelm Dröscher »in jedem Fall verwerflich- und zu verurteilen«.

Dröscher, von der Majorsfrau um Beistand gebeten, in einem Protestbrief an den Bonner Wehrbeauftragten Matthias Hoogen: »Der Vorgesetzte hat seine Fürsorgepflicht weitgehend verletzt, wenn wegen seines Vorgehen§ aus einem so geringen Anlaß die vom Staat vorrangig geschützte Ehe zu zerbrechen droht.«

Zumindest aber nahm der Kommandant seine Fürsorgepflicht ungewöhnlich ernst. Durch Gerüchte über die Schulden der Majorin beunruhigt, steuerte von Schönfeldt im Dezember letzten Jahres den Lebensmittelladen von Paul Rech in Baumholders Poststraße an und begehrte Auskunft, wie hoch wohl die Hoffmanns in der Kreide seien. Die Frau des Kaufmanns schlug nach: »Es ist alles bezahlt.«

Dann beschaffte sich der Detektiv in Uniform beim Amtsgericht der rheinland-pfälzischen Garnisonstadt die Genehmigung, den zuständigen Gerichts*vollzieher hören zu dürfen. Bernhard Schwarz gestand ("im Wege der Amtshilfe") freimütig, er sei in der Wohnung der Hoffmanns ständiger Besucher.

In der Wohnung des Obersten erschien noch am gleichen Abend Frau Ulrike-Dorothea. Von der Kaufmannsfrau über die Ausspähung ihrer Kundengeheimnisse informiert, war sie gekommen, um ihrem »Erstaunen Ausdruck zu geben«. Von Schönfeldt erklärte: Als Staatsdiener sei ihr Mann auch für das moralische Ansehen seiner Ehefrau haftbar. Dann, bei einem Glas Südwein, holte er noch ein Geständnis heraus: Auch beim Bäcker und beim Metzger, so gab die Besucherin zu, hätten »Unregelmäßigkeiten bestanden«.

Schließlich bat die Majorsgattin unter Tränen den Obersten, »die Sache für sich zu behalten«, und von Schönfeldt versicherte: »Ich setze Ihnen eine Frist bis zum 15. Januar. Wenn Sie bis dahin alles geregelt haben, erfährt Ihr Mann kein Wort.« Mit einem Handkuß war Frau Hoffmann entlassen.

Acht Wochen lang hielt sich der Oberst an sein Versprechen. Dann, Anfang Februar, fand Major Hoffmann Im Briefkasten eine Aufforderung seines Chefs, nebst Schuldenerklärung bei ihm anzutreten. Frau Ulrike-Dorothea hatte keineswegs in der gesetzten Frist ihre Geldangelegenheiten vollends bereinigt; von Schönfeldt sah sich an sein Gelübde nicht mehr gebunden.

Der Major: »Ich wußte nur von Verpflichtungen in Höhe von 5000 Mark. 1400 Mark waren noch für die neue Waschmaschine und ein Rest von 3600 für den Renault 16 zu zahlen.« Sein Oberst aber wußte mehr: »Ihre Schuldenerklärung ist falsch, etwa 2000 Mark sind nicht aufgeführt.«

Im vertraulichen Gespräch fuhr der Kommandant schweres Geschütz auf: Darauf bedacht, dem geschätzten Offizier und Jagdkameraden Hoffmann weitere Widrigkeiten zu ersparen, legte er ihm nahe, Frau Ulrike-Dorothea den Abschied zu geben. So jedenfalls empfand es der Major: »Ich fühlte mich unter Druck gesetzt.«

24 Stunden lang ließ von Schönfeldt seinem Major Bedenkzeit. Und 24 Stunden lang wütete im Hause Hoffmann ein handfester Familienstreit. Schließlich kapitulierte Frau Ulrike-Dorothea: »Ich bin bereit zu büßen.«

Der Oberst protokollierte den Entschluß seines Kameraden, sich nach dem Abitur des Sohnes Gerhard von seiner Frau »zu trennen ... und möglicherweise ... in späteren Jahren ... in beiderseitigem Einvernehmen die Scheidung, zu beantragen«.

Doch die Bußfertigkeit von Frau Ulrike-Dorothea währte nur wenige -Tage. Nach nächtlichen Telephonaten mit dem in Aachen weilenden Mann revidierte sie ihren Trennungsentschluß.

Dem Major war es so recht, doch sein Oberst wähnte sich hintergangen. Unverzüglich schickte von Schönfeldt den Vorgang Hoffmann an seinen Mainzer Befehlshaber, Generalmajor Christian Schaeder.

Pfarrerssohn Schaeder fand, der Major habe seiner Frau allzu viel Spielraum in Gelddingen gelassen und mithin »sein soziales Ansehen, seine dienstliche Leistungsfähigkeit und seine moralische Zuverlässigkeit schuldhaft untergraben«. Dann drückte er die Note in einer kurz zuvor verfaßten Beurteilung Hoffmanns eins tiefer.

Zum ersten November wird der Major, der zur Zeit herz- und zuckerkrank im Truppen-Lazarett Koblenz liegt, nach Siegen versetzt. Ob freilich Im Westfälischen seine Ehe- und Geldangelegenheiten besser gestellt sein werden, steht dahin.

Denn Frau Ulrike-Dorothea sieht noch kein Ende des Schreckens: »Ich glaube, das ist krankhaft bei mir. 1948, als es nichts gab, habe Ich immer geträumt, ich ginge ganz groß einkaufen. Trotz bester Absichten kann ich meinem Mann nicht versprechen, daß der Gerichtsvollzieher nicht wiederkommt.«

Kommandant von Schönfeldt

Gelübde beim Südwein

Befehlshaber Schaeder

Note gedrückt

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