KARRIEREN Fröhliche Enthaltsamkeit
Entspannt sitzt Peer Steinbrück, 58, in einem Berliner Café und spricht über Politik. Er lächelt, er zieht an einem Zigarillo, er könnte einiges erzählen.
Er könnte etwa von seiner Hoffnung sprechen, dass Gerhard Schröder seine derzeitige Wahlkampflaune behält. Dass die Union weiter schwächelt. Dass es wenigstens zu einer Großen Koalition reicht.
Doch der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat sich fröhliche Enthaltsamkeit verordnet. Was er von einer Großen Koalition hält? »Dazu ist doch alles gesagt.« Wäre es reizvoll, Finanzminister zu werden? Steinbrück steckt sich einen neuen Zigarillo an. Interesse am Job des Vizekanzlers? Steinbrück bestellt ein Gläschen Weißwein. Will er seine politische Karriere als oppositioneller Hinterbänkler im Düsseldorfer Landtag beschließen? »Das habe ich damit nicht gesagt.« Am liebsten möchte er über das Filmmuseum am Potsdamer Platz reden, das er gerade besucht hat.
Steinbrück ist bester Laune. Am 22. Mai hat er spektakulär verloren, hat damit den Kanzler dazu gebracht, Neuwahlen anzustreben - und steht dennoch womöglich vor einem gewaltigen Karrieresprung.
Kommt es zu einer Großen Koalition zwischen Union und Sozialdemokraten, würde er mit einiger Wahrscheinlichkeit zum mächtigsten Mann der SPD aufsteigen - als Vizekanzler einer schwarz-roten Regierung. Er hätte dann beste Chancen, bei der folgenden Wahl Kanzlerkandidat zu werden.
Steinbrück weiß, was für ihn spricht. Er hat Erfahrung als Ministerpräsident, als Wirtschafts- und als Finanzminister. Und die innerparteiliche Konkurrenz? SPD-Chef Franz Müntefering sieht sich nicht als Mann der Exekutive. Otto Schily und Peter Struck genießen zwar den Respekt der Partei, aber der Innenminister ist 73 Jahre alt, der elf Jahre jüngere Verteidigungsminister gesundheitlich nicht in bester Verfassung.
Für Steinbrück wäre es eine überraschende Wende, denn sein Start als Ministerpräsident liegt erst knapp drei Jahre zurück und war turbulent. Als fachkundig, aber leicht erregbar galt er damals, als knochentrockener Pragmatiker den einen, als unberechenbarer Rambo den anderen. Im Mai 2003 hätte er fast die rot-grüne Koalition in Düsseldorf gesprengt. »Peer der Schreckliche«, spotteten Genossen, die ihm mangelnde Integrationsfähigkeit vorwarfen. Am Ende bat ihn gar der Kanzler, sich zu mäßigen.
Der gebürtige Hamburger zeigte sich einsichtig. Er fand den Frieden mit den Grünen, mit der eigenen Partei und womöglich gar mit sich selbst.
Jedenfalls hat er gelernt, die Stimmung der Genossen aufzunehmen. Vertrat er einst beinhart die Agenda 2010 ("Das geht doch alles nicht weit genug"), sagt er heute: »Ich bin für einen leistungsfähigen Staat.« Für Schröders Reformen wirbt er immer noch, aber seine Aussagen werden immer sozialdemokratischer: »Kündigungsschutz, Tarifautonomie, Mitbestimmung - da kann es für die SPD keine Abstriche geben.«
Nun, zur Zwangspause verurteilt, wartet er ab. Macht Wahlkampf oder flaniert mit seiner Frau durch Berlin, schlendert über den Kurfürstendamm, wird in der Parteizentrale auf dem Weg zu Müntefering gesehen. Bespricht sich im Kanzleramt mit Schröders Amtschef Frank Walter Steinmeier. Und wäre der Kanzler an diesem Tag in Berlin gewesen, hätte er auch den getroffen.
Schröder und Müntefering haben ihn fest in ihre Personalplanung einbezogen. Bereits am Abend der Wahlniederlage vom 22. Mai belobigte ihn der Parteichef öffentlich: »Er hat eine tolle Arbeit geleistet. An ihm hat es ganz sicher nicht gelegen.« Ein paar Tage später versicherte ihm Schröder: »Wir brauchen Leute wie dich.«
Zudem bat ihn der Kanzler, für den Bundestag zu kandidieren. Steinbrück wies das Anliegen freundlich zurück: »Nichts für ungut - ich bin kein Mann der Legislative.« Doch gleichzeitig machte er deutlich, dass er seine politische Karriere noch nicht für beendet hält: »Wenn ihr meint, ihr könnt mich nach dem 18. September in Berlin brauchen - dagegen spricht nichts.« HORAND KNAUP