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HAUPTSTADT Frösche im Sumpf

Die Berliner CDU gleicht einem Trümmerfeld. Wie Warlords kämpfen Kreisfürsten um ihre Macht - eine Wahlniederlage im Herbst ist kaum abzuwenden.
aus DER SPIEGEL 3/2006

In der Ecke des Casinos im Berliner Abgeordnetenhaus - hinter einem Pfeiler, als wollte er sich verstecken - sitzt der Abgeordnete Peter Kurth. Er trägt einen feinen grauen Anzug, eine kantige Brille und deutliche Abscheu über die eigenen Leute. Kurth, 45, war einmal das moderne Gesicht der Hauptstadt-CDU, er war Finanzsenator - und er hätte das Zeug zum CDU-Spitzenkandidaten bei den Abgeordnetenhaus-Wahlen im September. Aber er ist schwul, und das ist in der CDU Berlins nicht gut so.

Mindestens als ebenso großer Nachteil hat sich erwiesen, dass er intelligent ist, zu weltgewandt für eine Partei, die auf ihren Kiezcharakter so stolz ist. Kurth, Vorstand bei einem großen Unternehmen, kandidiert deshalb nicht mehr. Als Nachruf auf seine Partei hat er eine alte Weisheit parat: »Wer den Sumpf trockenlegen will, darf die Frösche nicht fragen.«

Ingo Schmitt, 48, ist einer dieser Frösche: Er hat gestrampelt, getreten, sich aufgeblasen und ist immer oben geblieben. Der Mann aus Berlin-Charlottenburg saß zehn Jahre im Abgeordnetenhaus, war neun Jahre Staatssekretär im Berliner Senat, Europa-Abgeordneter, seit vergangenem Jahr ist er Bundestagsabgeordneter. Er ist Landeschef der Berliner Union. Aber was noch wichtiger ist: Er ist der Kreisverbandschef von Charlottenburg-Wilmersdorf - und damit der wichtigste Warlord unter den sich stets bekriegenden Kiezfürsten der Partei.

Beim Neujahrsempfang des befreundeten Union-Clans von Berlin-Spandau, in einem verrauchten Kellergewölbe der Zitadelle, kündigte der Mann mit der messerscharfen Kante am Nackenhaar und der weggesibbelten Eberhard-Diepgen-Locke vor der Stirn gleich zwei Siege an: den der deutschen Elf bei der Fußball WM und den seiner Union bei den Wahlen. Die zechstarke Basis antwortete mit »prost Ingo«.

Irgendwo zwischen den Welten des schicken Kurth und denen des prolligen Schmitt ist jenes pechschwarze Loch, in dem gerade die Union Berlins untergeht, die einst knapp 50 Prozent in der Stadt holte. Bis Ende vergangener Woche wusste Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nicht, wer im Herbst gegen ihn antreten wird: Friedbert Pflüger, 50, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, der sich am Freitag mit Berliner Unions-Stammesfürsten traf? Oder doch Nicolas Zimmer, der 35-jährige CDU-Fraktionschef, der wirkt wie ein nicht zu Ende geschnitzter Pinocchio?

Nun helfen Parteichefin Angela Merkel und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bei der Kandidatensuche. Doch selbst wenn Pflüger, der bei einer Wahlniederlage allerdings nicht als Oppositionsführer zur Verfügung stehen will, antritt - die Debatte über den Zustand der Union in der Hauptstadt wird die Gesamtpartei nicht mehr los.

Joachim Zeller, Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, studierter Slawist, hat seine speziellen Erfahrungen gesammelt. Zwei Jahre war der Seiteneinsteiger CDU-Landeschef, dann gab er entnervt auf. Für ihn ist die verzweifelte Kandidatensuche der Union gleich doppelt symbolisch: Einerseits zeige sie die Schwierigkeit, in einer auseinanderdriftenden Stadt einen Repräsentanten von außen zu finden. »Wer kann schon gleichzeitig Dahlem, Marzahn, die neue Mitte und Kreuzberg vertreten?« Andererseits lege sie auch strukturelle Probleme der Partei offen, in der viele Kreischefs das Eigeninteresse ihrer Stadtviertel vor das Gesamtinteresse stellten - und der Landeschef mangels eigener Machtinstrumente zusehen muss.

Getreu dem eigentlich aus der DDR stammenden Motto »Kader entscheiden alles« bestimmen regionale Delegiertenversammlungen, nicht Basis oder Landesparteitage, wer zur Abgeordnetenhaus-Wahl antreten darf. Und dort sind Kreischefs wie Michael Braun aus Steglitz-Zehlendorf die Fürsten, die jeden Landeschef und dessen Vorschläge ausbremsen können. Und so wissen Kurzzeit-Landeschef und Schöngeist Christoph Stölzl oder Ossi Zeller allerlei dubiose Geschichten zu erzählen. Sie handeln von Absprachen, nächtlichen Anrufen, Treffen in Hinterzimmern, die letztlich das Mittelmaß kultivieren. So wurde 2001 ein Spitzenkandidat Wolfgang Schäuble verhindert und jetzt Klaus Töpfer abgeschreckt.

Die Folgen sind bei Treffen wie dem Neujahrsempfang der Abgeordnetenhaus-Fraktion zu besichtigen: Als hätte es keine Wiedervereinigung und keinen Umzug der Bundesregierung nach Berlin gegeben, werden hier weder Bundespolitiker gesichtet noch prominente Ost-Berliner Parteimitglieder wie Lothar de Maizière.

Dafür aber macht die Geschichte von einem Geheimplan die Runde, der nur Berlins CDU einfallen kann. Man wolle die Wahl gar nicht gewinnen, sondern dem SPD/PDS-Senat den Milliarden-Schuldenberg getrost überlassen. So könne man in Ruhe einen Bürgermeisterkandidaten aus den eigenen Reihen für die Wahlen 2011 aufbauen. STEFAN BERG

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