KRANKENGELD Frommer Zug
Was der ärztlichen Wissenschaft bislang verborgen blieb, entdeckten fünf medizinische Laien: Einem Mann, dem wegen einer akuten Lungenentzündung vom Arzt strikte Bettruhe verordnet wird, kann eine Wallfahrt nicht schaden. Die fünf Richter des Bundesarbeitsgerichts in Kassel gaben der Klage eines Verputzers auf Zahlung des Krankengeldzuschusses statt, den sein Arbeitgeber verweigert hatte.
Der Bauarbeiter - Name, Herkunft und Dienstherr wurden in der Arbeitsgerichtentscheidung nicht genannt - hatte sich eine Lungenentzündung (Pneumonie) zugezogen und war von seinem Hausarzt unverzüglich ins Bett geschickt worden. Das Krankenlager, so ordnete der Mediziner an, dürfe der Patient in den nächsten 17 Tagen äußerstenfalls dann verlassen, wenn ihm ein Besuch in der nahegelegenen Arztpraxis unumgänglich erscheine.
Doch der Arbeitsmann war nicht gesonnen, es mit ärztlichem Beistand allein bewenden zu lassen. Vier Tage lang hütete er das Bett, dann stand er hustend auf und begab sich auf eine Wallfahrt zur Gnadenstätte »Zum Heiligen Blut« in das Odenwaldstädtchen Walldürn. Erst zwei Tage später kehrte er wieder heim ins Bett. Dort verblieb er dann bis zur letzten Stunde seiner ärztlich anerkannten Arbeitsunfähigkeit:
Just in den Tagen, da der Patient in Walldürn weilte, hatte der Arbeitgeber bei einer Stichprobe das Krankenbett leer vorgefunden. Er meinte, wer pilgere, könne auch arbeiten, und strich dem Wallfahrer den gesamten Krankengeldzuschuß (252 Mark).
Der so Verkürzte pilgerte vor das Arbeitsgericht, sein Recht auf die Bittfahrt zu erstreiten. In der ersten Instanz wurde er abgewiesen. Das Gericht sah in der Wallfahrt einen Verstoß gegen die Pflicht des Arbeitnehmers, nichts zu tun, was seine Genesung gefährden kann.
Der Bauarbeiter ging in die Berufung, und tatsächlich betrachtete das Landesarbeitsgericht Frankfurt die Sache von höherer Warte. Es gestand ihm den Zuschuß für die Krankheitstage zu. Nur für die Dauer der Wallfahrt müsse er auf das Geld verzichten. Denn in diesen beiden Tagen sei er nach eigenem Bekenntnis nicht krank im Bett, sondern weitab vom Krankenlager gut zu Fuß gewesen. Statt der geforderten 252 Mark sprach das Berufungsgericht dem Kläger 210 Mark Krankengeld zu. Der Maurer legte Revision ein.
Das Bundesarbeitsgericht mochte der Theorie der Vorinstanz, die die Krankheit für die Dauer der Pilgerfahrt ausgesetzt hatte, nicht folgen. Auch während dieser Zeit, so das Kasseler Bundesgericht, sei der Patient ernstlich krank gewesen.
Zwar bejahten Deutschlands oberste Arbeitsrichter die Rechtspflicht des Patienten, »alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern konnte«. Den folgerichtigen Schluß aber, daß eine Pilgerfahrt einem an Lungenentzündung Leidenden durchaus abträglich - und damit schlechthin rechtswidrig - ist, mochte das Gericht nicht ziehen. Da der Patient trotzdem fristgemäß genesen, dem Arbeitgeber mithin kein Schaden entstanden sei, entschieden die Richter, daß ein »arbeitsvertragswidriges Verhalten ... während zweier Krankheitstage nicht geeignet ist, den Verlust des Krankengeldzuschusses nach sich zu ziehen.
Abschließend versäumte es das Gericht nicht, seine Erkenntnis von der arbeitsrechtlichen Unbedenklichkeit einer Wallfahrt im Krankheitsfall grundsätzlich zu vertiefen. Der Zuschuß, so heißt es, darf nur dann gestrichen werden, »wenn der Arbeitnehmer die Zeit seiner Erkrankung zur Begehung strafbarer oder anderer sittlich oder rechtlich zweifelsfrei zu mißbilligender Handlungen« nutze.
Mithin: Was einem Kranken nützt oder schadet, ist keine Frage der Medizin, sondern eine der Sittlichkeit
Wollfahrtsziel in Walldürn
Arbeitsrechtlich unbedenklich