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RECHTSEXTREMISMUS Front der Frustrierten

Zum erstenmal seit 1969 haben Rechtsextremisten wieder Chancen, in den Bundestag einzuziehen. DVU-Chef Gerhard Frey hat sein Ziel, die Republikaner aufzureiben, fast erreicht. Damit wäre seine Partei im Herbst die stärkste Kraft im rechten Spektrum.
aus DER SPIEGEL 19/1998

Die Kameraden, die sich am Vormittag des 1. Mai vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig versammelten, waren vorwiegend jung, männlich und militant. Unter den wehenden Fahnen der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten - Rot-Weiß, wie einst die Banner der Hitlerjugend - beschwor NPD-Chef Udo Voigt, Ex-Hauptmann der Bundeswehr, die »nationale außerparlamentarische Opposition« und den »Kampf um die Straße«.

Das nahmen einige wörtlich. Kämpfer aus dem Dunstkreis der verbotenen Nationalen Liste aus Hamburg und andere rechte Rambos prügelten sich mit der Polizei, bewarfen Beamte und Fotografen mit Steinen und verletzten mehrere.

NPD-Redner hatten zuvor unverhohlen die »nationale Regierung des Jahres 1933« gerühmt und im NS-Stil den »Sozialismus der Tat« propagiert. Rote Parteifahnen mit dem NPD-Kürzel statt des Hakenkreuzes im weißen Kreis, neben Flaggen der Republikaner, rundeten das braune Ambiente ab. Die 6000 Neonazis waren aus allen Teilen der Republik nach Leipzig gekommen, um ein Zeichen zu setzen: Deutschlands extreme Rechte ist seit der Sachsen-Anhalt-Wahl wieder in der Offensive.

Das Signal von Leipzig deckt sich mit einer Prognose der Verfassungsschutzabteilung des nordrhein-westfälischen Innenministers Franz-Josef Kniola. Das »große Potential an Unzufriedenheit«, hieß es nach der Sachsen-Anhalt-Wahl, müsse »auch für Westdeutschland angenommen werden«. Die Rechtsextremen könnten sich im Herbst bei der Bundestagswahl der Fünf-Prozent-Hürde bedrohlich nähern.

Tatsächlich ist die Lage, sollte die DVU bei der Bundestagswahl und den Landtagswahlen in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern antreten, ernster als vor 30 Jahren. 1969, als die NPD beim Marsch auf Bonn mit 4,3 Prozent nur knapp scheiterte, dominierten alternde, frühere Mitläufer des Nazi-Regimes. Heute hingegen sind es vor allem deklassierte und sozialen Abstieg fürchtende Jugendliche und Arbeiter, die offenbar leicht zu gewinnen sind.

Rund drei Millionen Mark hatte die DVU in einen unkonventionellen Wahlkampf investiert. Ohne Kundgebungen und öffentliche Veranstaltungen schlug die Rechtspartei eine geisterhafte Materialschlacht mit flächendeckender Plakatierung durch professionelle Kleberkolonnen, massiven Werbespots ("So wird der Stimmzettel zum Denkzettel") und Flugzeugen, die DVU-Parolen durch den sachsen-anhaltinischen Himmel schleppten.

Von einem konspirativen Logistikzentrum in Halle-Merseburg aus zogen die Kameraden in den Propagandafeldzug ("Laß Dich nicht zur Sau machen"), der dann 16 meist hilf-, sprach- und ahnungslose DVU-Kandidaten zu Landtagsabgeordneten gemacht hat (siehe Seite 32).

Der Funktionärskern, den der egomanische DVU-Chef Gerhard Frey, 65, autoritär dirigiert, besteht nur aus einem halben Dutzend Mitarbeitern. Freys rechte Hand und treuester Paladin ist Bundesvorständler Bruno Wetzel, der als verläßlicher Buchhaltertyp gilt. Geht es darum, aufmüpfige Parteimitglieder an der Basis zu disziplinieren, ist Wetzel stets zur Stelle.

Mehrere seiner Spitzenkader hat Frey von der NPD abgeworben, meist Funktionäre der mittleren Ebene wie den derzeitigen DVU-Pressesprecher Bernd Dröse oder Heinrich Gerlach, Wahlkampfleiter in Sachsen-Anhalt. Dröse intonierte als jungbrauner Liedtexter in den siebziger Jahren in einem Chor der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten mit Klavier und Heimorgel selbstgedichtete Kampflieder im NS-Stil für die »nationale Revolution«.

Gefürchtet am Hofe Frey ist das »Zettelsystem«. Statt in persönlichen Gesprächen übermittelt der menschenscheue Multimillionär Mitarbeitern gern Anweisungen und Tadel auf maschinegeschriebenen DIN-A5-Zetteln. Die Frey-Bediensteten ertragen solch wohldosierten Liebesentzug meist still, nur wenige haben gekündigt.

Der DVU-Parteiapparat arbeitet faktisch als Anhängsel von Freys rechtsradikalen Verlagen. 1958 erwarb der damals 25jährige Sproß einer Kaufmannsfamilie aus dem Bayerischen Wald die »Deutsche Soldaten-Zeitung«. Sie war anfangs von Bundespresseamt und US-Geheimdienst finanziert worden, um frühere Wehrmachtssoldaten für Nato und Westbindung zu gewinnen.

Frey nannte das Blatt 1963 in »Deutsche National-Zeitung« um und erwarb 1986 noch die »Deutsche Wochen-Zeitung« von einem früheren NPD-Verleger. Mit einer wöchentlichen Auflage von 140 000 sind die Frey-Blätter nach wie vor die größten Medien der extremen Rechten, noch vor der neurechten »Jungen Freiheit«, deren verkaufte Auflage nicht mal einen Bruchteil erreicht.

Seine Verlage führt Frey als Familienunternehmen. Frau Regine hat Prokura und ist neben Ehemann Gerhard und Tochter Michaela Geschäftsführerin in den drei Frey-Firmen, dem DSZ-Druckschriften- und Zeitungs-Verlag, dem FZ Freiheitlichen Buch- und Zeitschriftenverlag und der DSZ-Druck GmbH.

Sohn Gerhard Frey junior, 29, der im familieneigenen FZ-Verlag ein chauvinistisches Werk über »Polens verschwiegene Schuld« publiziert hat und als Reisekader häufig in Schlesien missioniert, gilt als designierter Nachfolger des Vaters in der Verlagsleitung.

Mit Schlagzeilen wie »Bald 30 Millionen Ausländer?« und »Vor Masseneinwanderung von Ostjuden« versorgt Frey senior wöchentlich ein Publikum von Altnazis über Fremdenhasser bis zu militanten Skinheads mit ideologischer Munition. Die derben chauvinistischen Töne hinderten den Verleger allerdings nicht, politische Partner und Weggefährten im seriös-konservativen Lager zu gewinnen.

Enge Kontakte pflegte Frey jahrzehntelang zum früheren bayerischen CSU-Fraktionschef und ehemaligen bayerischen Innenminister Alfred Seidl, zum renommierten Juristen Theodor Maunz, Mitverfasser des angesehensten Grundgesetzkommentars, und zu Reinhard Gehlen. Gehlen war bis 1968 Chef des Bundesnachrichtendienstes, vorher wirkte er im NS-Regime als Chef des Geheimdienstes »Fremde Heere Ost« im Generalstab des Heeres.

Bis 1987 rief Frey beständig zur Wahl der Union, insbesondere der CSU, auf. 1983 plädierte er gar für die Wahl der FDP. Kurz vor den Bundestagswahlen 1994 schilderte er in seinen Kampfblättern den drohenden Untergang des Abendlandes durch eine rot-grüne »Machtübernahme« so schauerlich, daß den Lesern als naheliegender Ausweg nur die Wahl der Unionsparteien blieb.

Gleichzeitig schaffte es Frey durch geschickte Manöver immer wieder, der Union rechte Konkurrenzparteien vom Hals zu halten. Zeitweilige Allianzen mit der NPD endeten stets mit bösen Zerwürfnissen. Die finanzschwache NPD geriet im Sog aufwendiger Wahlkämpfe mehrmals an den Rand des Ruins.

Zwei Wochen vor der letzten Bundestagswahl führten ein überraschendes Têteà-tête und ein gemeinsames Kommuniqué von Frey und Republikaner-Chef Franz Schönhuber zu dessen Sturz. Die Reps erlitten mit einem Ergebnis von 1,9 Prozent der Zweitstimmen eine Niederlage, von der sie sich bis jetzt nicht wieder erholt haben.

Auch Freys Offensive zur diesjährigen Bundestagswahl kennt vor allem einen Verlierer: die Reps, die mit Freys finanziellen Ressourcen nicht mithalten können. Nach ihrem Debakel in Sachsen-Anhalt (0,7 Prozent der Zweitstimmen) steht die 1983 gegründete Rechtspartei vor dem Zerfall. Der Landesverband Sachsen-Anhalt befindet sich faktisch bereits in Auflösung.

Eine schmachvolle Niederlage droht den Republikanern damit auch in ihrem Stammland Bayern, wo am 13. September, zwei Wochen vor dem Urnengang zum Bundestag, gewählt wird. Zum erstenmal will die DVU im konservativen Südstaat kandidieren und die neben Baden-Württemberg letzte Hochburg der Reps schleifen.

Dabei soll auch der frühere Rep-Chef Schönhuber Schützenhilfe leisten. Den Rechtspopulisten eint mit Frey der Wunsch, die Republikaner, die er 1995 verließ, bis zur Bedeutungslosigkeit kleinzukriegen. Zunächst war er nur zu einer taktischen Allianz mit dem DVU-Chef bereit, um frühere Rep-Wähler zum Wechsel zu bewegen, zierte sich aber, wie von Frey gewünscht, als Parteiloser für die DVU in Bayern zur Wahl anzutreten: »Ich bin 75 Jahre, da fällt einem so ein Entschluß nicht leicht.« Am vergangenen Freitag stimmte er dann zu, für die Europawahlen im Juni zu kandidieren, in Sachen Bundestagswahl überlegt er noch.

Der inzwischen zum außerparlamentarischen Seniorpaten jungrechter Radikalinskis avancierte Schönhuber träumt gern in rechten Kampfblättern wie dem Strategieorgan »Nation und Europa« von einer antikapitalistischen Jugendrevolte unter nationalistischen Vorzeichen. »Eines Tages«, prophezeit der Altvordere, würden in Ostdeutschland »junge Arbeitslose die Nobelhotels stürmen und den feinen Leuten die Butter vom (Kaviar-)Brot nehmen«.

Mit solch sozialrevolutionären Neigungen in der Tradition Gregor Strassers kann Frey allerdings wenig anfangen. Ihm ist außerparlamentarischer Aktionismus fremd. Und wichtiger als Parteipolitik oder Weltanschauung war ihm ohnehin stets das Geschäft.

Gute Umsätze macht Frey seit langem mit dem Devotionalienhandel, etwa den Memoiren von Reichsjugendführer Artur Axmann ("Das kann doch nicht das Ende sein"), mit Videofilmen wie »Die Landser der deutschen Wehrmacht« und Kassetten mit »Liedern, die wir einst sangen«.

Als besonders lukrativ erwies sich der Vertrieb von Gedenkmedaillen zu Ehren »großer Deutscher«, etwa von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess und dem Sturzkampfflieger Hans-Ulrich Rudel. Die Münzen ließ der Verleger in Feingold für 220 Mark pro Stück anfertigen und verkaufte sie für den doppelten bis dreifachen Preis.

Die Masse seines Vermögens aber, das ehemalige Frey-Mitarbeiter auf mehr als 500 Millionen Mark taxieren, hat Frey durch Immobiliengeschäfte erworben. »Der hat«, spottet ein Ex-Mitarbeiter Freys in dem für das DVU-Milieu typischen Antisemitismus, »ungefähr soviel wie der Bubis.«

Vor allem in München und Berlin besitzt Frey zahlreiche mehrgeschossige Mietshäuser, etwa in den Hauptstadt-Bezirken Charlottenburg und Neukölln. Anfang der neunziger Jahre hatte sich in Berlin eine Mieterinitiative in Frey-Häusern gebildet, die dem Rechtsverleger überhöhte Mieten und Pfusch bei der Mängelbeseitigung vorwarf.

Seither ist Frey offenkundig vorsichtig geworden, erneute Beschwerden von Mietern blieben seither aus. Liquide Mittel in Millionenhöhe gewann Frey seit Anfang der neunziger Jahre durch den Verkauf mehrerer seiner Berliner Mietshäuser. Durch den Preissprung nach der Wende wurde Frey, der sich jetzt zum Beschützer der Benachteiligten in den neuen Bundesländern aufschwingt, in hohem Grade zum Vereinigungsgewinnler.

Auch Freys Verhältnis zu seiner Partei ist mehr von Geschäftssinn als von geistiger Führung geprägt. Die DVU finanziert Frey durch Kredite, die Partei steht bei ihrem Vorsitzenden mit über acht Millionen Mark in der Kreide. Während viele DVU-Wähler in der ideologischen Tradition der NSDAP von der »Brechung der Zinsknechtschaft« träumen, mußten die DVU-Mitglieder allein 1996 Zinsen in Höhe von 418 000 Mark in die Privatschatulle ihres Chefs zahlen.

Die DVU als Partei völkischer Zinsknechte ist nicht nur wirtschaftlich einträglich. Sie verhindert auch, daß Frey von Widersachern aus den eigenen Reihen als Parteichef gestürzt wird. Die Frondeure würden nur eine überschuldete Parteiruine erben.

Auch bisherige Fraktionen der DVU in den Landtagen von Bremen und Schleswig-Holstein taten sich durch eigenwilliges Finanzgebaren hervor und zerfielen noch vor der Halbzeit der Legislaturperiode.

Die Kieler DVU-Fraktion schaltete über Monate hinweg in Freys »Deutscher Wochen-Zeitung« Anzeigen im Gesamtwert von 181 975 Mark und orderte für rund 100 000 Mark Frey-Blätter. Die Bremer DVU-Parlamentarier bestellten nicht nur Zehntausende von Frey-Zeitungen. Ein Abgeordneter kaufte sich aus Fraktionsmitteln eine Waschmaschine, deklariert als Aktenvernichter. Sogar Gartenmöbel, falsche Zähne, Damen-Oberbekleidung und eine Brille für die Ehefrau erwarb der DVU-Mann mit Steuermitteln.

Was bleibt, ist das Fazit einer Studie im Auftrag der Bremer Grünen über den Mißbrauch des Parlaments durch die DVU nach der Wahl 1991. Bei den Rechten könne man sich auf nichts mehr verlassen als »auf die Spaltungsenergie als Folge der Führerideologie«. Sobald einer auftauche, »der nicht nur lesen, sondern auch schreiben kann«, gelte der »sofort als Konkurrent für den jeweiligen Chef«.

Den Zerfall der Reps im Osten und das Fehlen von Strukturen bei der DVU stimmen die dritte Kraft der Rechten für die Zukunft zuversichtlich. Die NPD, die derzeit gezielt DVU-Veranstaltungen infiltriert, hofft, langfristig die Trümmer von Reps und DVU einsammeln zu können. NPD-Bundesvize Jürgen Schön: »Viele Leute, die etwas tun wollen, kommen schließlich zu uns.«

Keine andere rechte Kraft hat so junge Anhänger wie die NPD und ist so straff organisiert. Ein absehbares schwaches Ergebnis bei den Bundestagswahlen angesichts der Konkurrenz der DVU kann die Kaderpartei NPD mit bereits 4500 Mitgliedern leichter verkraften als andere rechtsextreme Formationen.

Auf wie viele Stimmen die Rechten kommen, wenn für die Bundestagswahl eine Focussierung der Wähler auf die DVU erreicht wird, ist umstritten. Sicher ist, daß die Front der Frustrierten bei manchen fremdenfeindlichen Parolen bereits gesellschaftlich mehrheitsfähig ist.

Erschreckt warnt PDS-Wahlkampfleiter André Brie die Funktionäre seiner Partei, daß nach einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie rund 60 Prozent der ostdeutschen Wähler der nationalistischen Forderung »Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche« zustimmen.

Und wie weit das rechte Protestwählerpotential bundesweit in traditionelle Stammreviere der SPD hineinreicht, zeigt eine Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Darin bekannten von 1000 gewerkschaftlich organisierten Jugendlichen aus Ost und West je nach Region 32 bis 41 Prozent, sie seien »rechts oder eher rechts«.

Bundesweit schätzt der Mainzer Politologe Jürgen Falter das Reservoir der Rechtswähler gar auf 20 Prozent. Wie viele davon mobilisiert werden können, glauben die NRW-Verfassungsschützer, kommt auf den Wirbel an, der entfacht werde. Es bestehe die Gefahr, daß »die Partei mit den einfachsten, primitivsten und radikalsten Losungen die meisten Stimmen auf sich zieht«.

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