FRONTBERICHT
Mit dem Bericht von Gerhard Mauz über Ermittlungen gegen deutsche Admirale des Zweiten Weltkrieges haben Sie meiner Ansicht nach auch ein Stück »unbewältigte Vergangenheit« aufgegriffen. Selbst der Unterzeichner, der den ganzen Krieg mitmachte, muß gestehen, daß manches neu ist, was hier aufgezeigt wurde. So hat mich die Bemerkung überrascht, daß Todesurteile gegen Offiziere der Billigung des Staatsoberhauptes bedurften.
Nicht ganz teile ich aus diesem Grunde die Ansicht, daß man vielleicht dem damaligen Staatsoberhaupt (Dönitz) nachsagen könnte, einen anderen Maßstab bei Offizieren der Marine angelegt zu haben als bei den anderen Wehrmachtsteilen. Dazu folgendes Erlebnis:
Am Morgen des 5. Mai 1945 gegen acht Uhr früh ging der Krieg auf dem Flugplatz Leck nahe der dänischen Grenze für uns zu Ende. Kurz vorher sprengten wir die uns noch verbliebenen Flugzeuge. Anschließend gingen wir in Gefangenschaft, wo wir von der RAF unter Kontrolle gehalten wurden. Einige Tage nach dem 5. Mai - es kann so um den 9., 10. und 11. Mai gewesen sein - hieß es eines Morgens: »Antreten!« Wir marschierten zum Flugplatz, wo sich in der Zwischenzeit vielleicht 1200 bis 1300 Soldaten versammelt hatten, und nahmen im Karree Aufstellung. Nach der üblichen Warterei, bei der die tollsten Vermutungen über schnelle Heimkehr, Auslieferung an die Sowjets und so weiter diskutiert wurden, erlebten wir eine Riesenüberraschung.
Von links nahte ein Feldgeistlicher, dahinter ein ganz junger Soldat, rechts und links flankiert von je
drei mit Karabinern bewaffneten Luftwaffensoldaten. In dem Karree angekommen,
wurde der junge Soldat vor einer Flugzeugbox aufgestellt, ein Offizier im Range eines Hauptmanns trat vor, erzählte etwas von Fahnenflucht, Disziplin und Manneszucht, erteilte das Feuerkommando, und dieser junge Mensch wurde fast eine Woche nach Kriegsende (wohlgemerkt: in diesem Abschnitt erfolgte die Kapitulation am 5. Mai 1945) erschossen.
Was war geschehen? Hinterher erfuhren wir es. Am 4. Mai 1945 (die Engländer hatten Hamburg genommen und standen vor Neumünster, die Russen standen kurz vor Lübeck, aus dem Norden fluteten die Truppen nach Deutschland zurück) hatte am Nachmittag der junge
Leutnant den Versuch unternommen, mit einer Maschine zu starten, um, wie bekannt wurde, in das von Amerikanern und Engländern besetzte Gebiet zu fliegen. Der Grund, ein Wunsch, den wir alle hatten: nur nicht in russische Gefangenschaft zu kommen! Durch einen Reifenschaden bekam er das Flugzeug aber nicht vom Boden ab. Das weitere läuft dann nach einem eingefahrenen System ab: Fahnenflucht, Tatbericht, Kriegsbericht, Erschießung.
Ich hatte nie von Sühne um diesen meiner Ansicht nach glatten Mord gehört. Die Begründung, daß man noch viele Zivilpersonen, die auf der Flucht waren, retten wollte, wie Sie in Ihrem Bericht bei den Marineoffizieren betonen, kann hier nicht zutreffen.
Zwanzig Jahre nach Kriegsende liest und hört sich manches anders an, insbesondere, wenn man die Begründung derjenigen hört, die heute bei den, Staatsanwaltschaften angeklagt und verfolgt werden. Ich bin auch sicher, daß es in diesem von mir geschilderten Fall nicht an plausiblen Erklärungen fehlen würde. Die offizielle Begründung der Fahnenflucht war natürlich für den 4. Mai gegeben; aber eine Woche nach Kriegsende hätten die Verantwortlichen der Truppe immerhin begreifen müssen, daß der Krieg zu Ende war, daß genug Menschen gestorben waren.
Ich sehe noch immer diesen jungen Menschen vor mir, nicht mehr Kind, noch nicht ganz erwachsen; ich sehe aber auch immer wieder die, die Freude am Töten empfanden. Es sind die, die heute um Gnade bitten, Gnade, die sie anderen zu geben nicht bereit waren. Zugegeben, daß es einzelne waren, die den Wert eines Menschenlebens selbst nach Kriegsende nicht richtig beurteilen konnten. Aber gerade weil es Einzelfälle sind, sollte nichts unterlassen werden, um dem Recht Geltung zu verschaffen.
Gelsenkirchen JOSEF LÖBBERT
SPD-MdB
Löbbert