UNO Fronten verkehrt
Der US-Vertreter im Lenkungsausschuß der Uno-Vollversammlung suchte seinen Standpunkt durchzusetzen: Die deutsche Frage müsse auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung assistierte mit entsprechenden Presseverlautbarungen.
Heftig widersprach der sowjetische Delegierte unter Hinweis auf die UN -Satzung*. Aus Ostberlin tönte DDR-Ministerpräsident Grotewohl: Von der Uno habe Deutschland »nicht viel zu erwarten«, zuständig seien allein die vier Mächte.
Der Ostblock wurde überstimmt. Die Vereinten Nationen befaßten sich auf Bonner und Washingtoner Wunsch mit der Deutschland-Frage.
Das war Ende 1951. Heute, zu Beginn der 1962er Herbstsitzung der Uno -Vollversammlung, haben sich die Fronten verkehrt: Die Sowjet-Union plant, die deutsche Frage bei den Vereinten Nationen anzubringen, möglicherweise verbunden mit dem Antrag, Bundesrepublik und DDR gleichzeitig in die Uno aufzunehmen. In Bonn versuchte Bundespressechef Karl-Günther von Hase dagegen am Montag letzter Woche, solche Absichten im Keim zu ersticken.
Von Hase: »Laut geltendem Recht fallen die Lösung der Berlin-Frage und das Problem der deutschen Wiedervereinigung in die Zuständigkeit der vier Großmächte.« Und zu sozialdemokratischen Vorschlägen, eine Sonderkommission der Uno mit Deutschland zu befassen: »Dies würde ... leicht als ein Anzeichen ausgelegt werden können, die vier Mächte ihrer ausschließlichen Verantwortung zu entheben.«
In einem internen Gutachten hatte AA-Staatssekretär Carstens schon vor einigen Wochen einen weiteren Grund für solche Enthaltsamkeit aufgeführt: Zu befürchten sei »das Risiko einer für die Propagandazwecke des Ostblocks ausnutzbaren Diskussion der Deutschland- und Berlin-Frage«.
Tatsächlich haben die Westmächte und die Bundesrepublik bisher keine besonders guten Erfahrungen mit dem Völkerparlament gemacht, wenn es sich, ungeachtet des Artikels 107 seiner Charta, mit deutschen Querelen befaßte.
Zum erstenmal geschah das 1948, während der Berliner Blockade, die von den Sowjets unter anderem damit motiviert worden war, es gelte zu verhindern, daß die neue westdeutsche D-Mark neben der Ost-Mark in den Westsektoren Berlins eingeführt werde.
Die drei Westmächte riefen den Uno -Sicherheitsrat an. Sowjet-Delegierter Andrej Wyschinski legte sein Veto ein: Die Uno sei für Probleme des Besatzungsregimes in Deutschland unzuständig. Jedoch: Wenn man sich über die Gültigkeit allein der Ost-Mark in Westberlin einige, werde die Blockade aufgehoben.
Uno-Generalsekretär Trygve Lie suchte zu vermitteln: Ein Komitee der Vereinten Nationen stellte fest, das Nebeneinander von Ost- und West -Mark in Westberlin, wie es von den Westmächten praktiziert würde, sei tatsächlich unhaltbar. Das Uno-Komitee arbeitete einen detaillierten Vorschlag aus, nach dem die Ost-Währung in ganz Berlin unter Viermächte-Kontrolle gelten solle.
Amerika lehnte den Uno-Vorschlag ab und zog entgegengesetzte Konsequenzen: Im März 1949 wurde die West -Mark zum alleinigen Zahlungsmittel in Westberlin erklärt. Die Blockade ging später - dank direkter sowjetisch amerikanischer Geheimverhandlungen - trotzdem zu Ende.
Ende 1951 riefen die Westmächte die Weltorganisation in deutschen Angelegenheiten erneut an: Eine Kommission der Vereinten Nationen solle feststellen, ob in ganz Deutschland die Voraussetzungen für gesamtdeutsche freie Wahlen bestünden. Der stellvertretende Sowjet -Außenminister Malik verwies auf Artikel 107.
Der US-Delegierte replizierte: Die Behandlung der Blockade Berlins vor der Uno habe einen Präzedenzfall geschaffen. Ein »Besonderer Politischer
Ausschuß der Vollversammlung« beschloß, »offizielle Vertreter der westlichen und östlichen Zonen Deutschlands und der Sektoren von Berlin« zur Berichterstattung einzuladen.
Und so traten nacheinander Heinrich von Brentano als CDU/CSU-Fraktionschef des Bundestages sowie Berlins Regierender Bürgermeister Ernst Reuter gleichberechtigt mit den DDR -Vertretern Lothar Bolz und Friedrich Ebert in Paris vor der Uno auf.
Heinrich von Brentano sicherte einer Uno-Untersuchungskommission alle bundesrepublikanische Hilfe zu, Lothar Bolz war gegen jede Uno-Einmischung und konzedierte allenfalls eine gesamtdeutsche Prüfungskommission unter Viermächtekontrolle. Die Uno-Vollversammlung setzte mit Mehrheit einen fünfköpfigen Ausschuß ein, der die Wahlbedingungen in Deutschland untersuchen sollte.
Beide deutschen Seiten gaben sich zufrieden. Der gesamtdeutsche Bundesminister Jakob Kaiser sah in diesem Beschluß »einen Schritt vorwärts auf dem Weg zur Wiedergewinnung der deutschen Einheit«. DDR-Ministerpräsident Grotewohl hingegen feierte »die Bedeutung des Tages, an dem zum erstenmal eine Regierungsdelegation der Deutschen Demokratischen Republik vor den Vereinten Nationen auftreten konnte«.
Von der Uno-Kommission wollte das Zonen-Regime allerdings nichts wissen. Die Uno-Beobachter warteten 1952 ein halbes Jahr vergebens auf eine Einreisegenehmigung für die DDR und vertagten sich dann auf unbestimmte Zeit - bis heute.
Seither haben sich die Mehrheitsverhältnisse in der Uno-Vollversammlung zu Ungunsten des Westblocks verschoben. Ein russischer Antrag auf Behandlung der Deutschland- und Berlin -Frage könnte durchaus eine Mehrheit finden.
Die SPD möchte deshalb, um einem ungünstigen Votum der Vollversammlung zuvorzukommen*, »die Verletzung der Menschenrechte (in Berlin und an der Zonengrenze) durch ein Gremium der Vereinten Nationen untersuchen lassen«. Erläuterte Partei-Vize Herbert Wehner: »Für den Fall, daß diese Frage dort von anderer Seite unter ganz anderen Vorzeichen präsentiert wird, ist es gut, wenn die Uno-Mitglieder auch gleichzeitig über das grauenhafte Unrecht an der Mauer Bescheid wissen.«
Das Auswärtige Amt dagegen fürchtet laut Carstens-Denkschrift, ein solcher Schritt könnte überhaupt erst den Anstoß dafür geben, daß die Uno sich mit dem Gesamtkomplex der Deutschland- und Berlin-Frage befaßt. »Eine sachliche Beschränkung der Diskussion eines UN-Gremiums auf die Details der Menschenrechtsverletzungen erscheint ausgeschlossen.«
* Artikel 107 der Uno-Charta: »Durch keine Bestimmung dieser Charta sollen Maßnahmen ungültig oder ausgeschlossen werden die als Folge des Krieges durch die verantwortlichen Regierungen ergriffen oder veranlaßt werden gegenüber einem Staat, der ... Feind ... gewesen ist.«
Deutsche Vertreter Reuter, Brentano vor der Uno (1951): Seit zehn Jahren vertagt