MINERALÖL Frost in fremden Betten
Rechtsanwalt Dr. Günter Rosener, 58,
verließ das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg im majestätischen Cadillac, aber nicht als Sieger. Er hatte namens der Internol Mineralöl GmbH, deren Gründer und Geschäftsführer er war, den Offenbarungseid abgeleistet. Beschworenes Barvermögen: 2,24 Mark.
Der Konkursrichter konstatierte eine perfekte Pleite. Neben Verbindlichkeiten in Höhe von rund zehn Millionen Mark fand er »überhaupt keine Aktiven« mehr. Das Unternehmen mußte »mangels Masse aufgelöst« werden.
Die anwaltliche Ölfirma machte mit etwa 1500 Autohändlern zwischen Flensburg und Konstanz aparte Koppelgeschäfte in zwei Zügen:
- Internol nahm ihnen gegen Barscheck alle Gebrauchtfahrzeuge ab, die Käufer neuer Wagen in Zahlung gaben.
- Als Gegenleistung mußten die Partner die Motoren- und Getriebeöle, Fette und Frostschutzmittel Marke Internol kaufen.
Die Offerte der Internol an die Kfz-Branche war in der Tat bestechend: »Räumung Ihres Gebraucht-Fahrzeug-Bestandes.« Internol erwarb »in allen Größenordnungen, von einem Fahrzeug bis zu ganzen Lots«, Motorräder, Personenautos, Omnibusse, Traktoren, Laster und Anhänger »aus jedem Jahrgang und in jedem Zustand«. Obendrein verhieß sie »außergewöhnlich gute Preise«.
Tatsächlich zahlte Internol für die Gebrauchtfahrzeuge bis zu 50 Prozent mehr als den taxierten Wert. Ihre Tochter Automobil- und Maschinen-Verkaufs-GmbH setzte die Altmobile dennoch flott ab: Sie offerierte sie erheblich unter den üblichen Schätzwerten.
Auf diese Weise kassierten die Autohändler für ihre Ladenhüter gutes Geld. Aber auch die Internol-Manager versprachen sich von dem Koppelgeschäft guten Verdienst. Erklärt Dr. Rosener: »Das Geheimnis der alten Mamsell ist der Ölpreis.«
Das Überangebot von Mineralölen drückte den Abgabepreis der Raffinerien, und so sprudelte der Internol genug wohlfeiles Öl ins Haus. Zudem sparte sie den Service- und Zwischenhandelsaufwand, der die Kalkulation der Ölkonzerne belastet. Die Ware, die sie zum Preis der großen Marken abgab, kaufte sie um die Hälfte billiger ein.
Dank dieser gesunden Spanne war es Internol möglich, bei Erwerb und Abgabe der Gebrauchtfahrzeuge vorab Verluste von durchschnittlich 30 Prozent hinzunehmen, zumal die Händler verpflichtet waren, der Firma Ölmengen in ungefähr doppeltem Wert abzukaufen. Zum Beispiel bezahlte Internol für eine Partie Altwagen 40 000 Mark. Ihr Kontrahent bezog dagegen Öl für 80 000 Mark, das er nach und nach abrufen durfte. Desungeachtet ließ sich die Internol bereits bei Kaufabschluß Wechsel über den vollen Rechnungsbetrag geben.
Mithin verfügte Rosener, der sich die Papiere bei den Banken diskontieren ließ, sofort über den Gesamtbetrag, während der Händler bequem in Raten zahlte: Von insgesamt 80 000 Mark löste ein Händler zum Beispiel bei Fälligkeit 10 000 Mark ein, erhielt seine ursprünglichen Wechsel zurück und gab der Internol über die Restschuld neue Akzepte. Somit konnten die Händler ihre Verbindlichkeiten auf mehrere Quartale verteilen.
Die Banken hatten gegen die Stotterwechsel zunächst nichts einzuwenden, zumal sie allein an den Spesen jährlich eine halbe Million Mark verdienten. Das 1959 von Dr. Rosener mit 30 000 Mark »als meine Altersversorgung« gegründete Unternehmen erzielte 1962 einen Gesamtumsatz von 18 Millionen Mark.
Bald allerdings wurde die Staatsanwaltschaft in Frankfurt, wo die Berliner Internol ihre Hauptverwaltung unterhielt, aufmerksam; sie witterte Wechselreiterei. Das Verfahren wurde indes eingestellt, nachdem die Landeszentralbank Hessen die Akzepte gutachtlich als Warenwechsel anerkannt hatte.
Auch die großen Ölkonzerne nahmen Witterung auf, als sie merkten, daß immer mehr »farbengebundene Stationen«, die von ihnen finanziert worden waren, Internol zapften. Die Trusts gingen gegen den Außenseiter mit Wettbewerbsklagen vor. Die Deutsche Shell etwa empfand es als »ungehörig, daß sich Leute, die nichts am Leibe haben, in fremde Betten legen«.
Als die Öltitanen die Prozesse in Gang brachten, erschienen unversehens auch den Banken die Stotterwechsel der Internol suspekt. Klagt Dr. Rosener: »Die Banken beurteilten die Akzepte plötzlich zurückhaltender.«
Aus einem Wechselpaket von 150 000 Mark diskontierte beispielsweise die Frankfurter Metropole-Bank Rittershaus, Becker & Co nur 30000 Mark und retournierte die restlichen Papiere über 120 000 Mark kühl mit dem Bemerken, die Bonität des Schuldners erscheine zweifelhaft.
»Innerhalb von zehn Tagen«, erinnert sich Dr. Rosener, drosselten die Bankers »wie auf Verabredung« den Geldstrom dramatisch auf ein Minimum. Er erkannte die »scheußliche Situation": »Da hatten wir gerade die hundert Tage Frost, und die Ölabnahme stagnierte.«
Vergebens ließ Dr. Rosener seinen Bankers »wegen der Unterbrechung des Prolongationsrhythmus eine Warnung zugehen«. Als im April 1963 die Knospen sprangen, platzten auch die ersten Wechsel.
Inzwischen hatten die Raffinerien die Belieferung des In Not geratenen Unternehmens eingestellt, und in Unkenntnis des strengen Wechselrechts vermeinten Internol-Kunden, sie brauchten nun, da sie kein Öl erhalten hätten, auch die ihnen von den Bänken präsentierten Akzepte nicht einzulösen.
Schon krächzte der Pleitegeier, da überraschte Dr. Rosener die Ölgläubiger mit der frohen Kunde, Internol befinde sich in der »Umfinanzierung« und »Konsolidierung«. Der »besonders marktgerechte Gedanke des Geschäfts« erfordere es, noch »die nächste Woche« und immer nochmal »die nächsten 14 Tage«, stillzuhalten, dann flösse wieder Öl.
Als im Herbst 1963 die Blätter fielen, welkte in Dr. Rosener die Hoffnung auf eine zügige Sanierung: Die ihm von einem bayrischen Finanzmakler vermittelte Zusage der Ölscheiche von Kuwait, die Internol wieder aufzupäppeln, entpuppte sich als Windei.«
Trotzdem zeigte sich der Berliner Anwalt, der bereits 1955 als Aufsichtsratsvorsitzer der Vereinigten Textilfabriken AG (VTF) eine fulminante - Insolvenz zelebriert hatte, ungebrochen.
In schweren Stunden fand der Jurist Trost und Rückhalt bei seinem Geschäftsfreund Hermann Pfeifer, der auch schon den Konkurs aus der Nähe kennt. Der Öl und Chemiekaufmann hatte 1955 mit dem unvergessenen Millionär von Rhöndorf« Karl Schmitz unter anderem ausgetretene Schuhe und abgewetzte Plünnen aus US-Beständen verhökert. Schmitz türmte in dunkler Nacht vor seinen Gläubigern; Pfeifer blieb - und fallierte.
Den hilflos im Wechsel-Bad, paddelnden Ölkaufleuten wurde überraschend Hilfe vom Berliner, Konkursrichter zuteil: Nachdem der Geschäftsmann Dr. Rosener den Kassenbestand von 2,24 Mark beeidet hatte, bestellte das Gericht den Notar Dr. Rosener zum Liquidator in eigener Sache.
Als Liquidationsgehilfe fungiert Hermann Pfeifer, der in Brüssel eine Internol-AG betreibt. »Ohne Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit noch einer Verpflichtung unsererseits« unterbreiteten die Ölkaufleute den Geschädigten der Internol-GmbH dieser Tage einen »Vorschlag, der es Ihnen erlauben wird; wieder alle Forderungen, die Sie dieser Gesellschaft (Internol) gegenüber haben, tilgen zu können«.
Dieses »Wiedergutmachungsgeschäft« denkt sich Dr. Rösener so: Wer bei der Internol beispielsweise Öl für 70 000 Mark gekauft hat, ohne es zu bekommen, soll jetzt über die Benelux-Interpol die doppelte Menge erwerben und dann »vom jeweiligen Rechnungsbeträg 35 Prozent in Abzug bringen«, bis die alten Guthaben glattgestellt sind.
Dr. Rosener: »Die erste halbe Million Mark haben wir auf diese Weise schon aus der Welt.« Pfeifers Echo: »Wir haben ein gemeinsames Interesse... den guten Namen der Interpol-Produkte auf dem internationalen Markt zu erhalten.«
Interpol-Geschäftsführer Rosener
Mit 2,24 Mark im Wechsel-Bad