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Artikel 47 / 82

»Früher hätte man sich erschossen«

SPIEGEL-Redakteur Joachim Preuß über die Pleite des Grafen Galen und den Unternehmer Esch (IV) *
aus DER SPIEGEL 5/1986

In der Bank des Ferdinand Graf von Galen lassen sich die haarsträubenden Geschäfte, die SMH mit dem Ankauf luftiger Rechnungen aus dem Reich des Dieter Esch betreibt, nicht vollends verbergen. Gerwald Böttcher, der Leiter der Kreditabteilung, stellt öfter spitze Fragen. Die Folge ist, daß sich die Bunker-Mentalität in der Leitung der Bank noch verstärkt: Das gesamte Esch-Geschäft wird Böttcher weggenommen und fortan in Galens Sekretariat von seinem Assistenten Lucius verwaltet.

Als Galen und seine engsten Mitarbeiter, es ist Herbst 82, die Vorhänge dichter zuziehen, ist die Bank hinter der Fassade bereits ruiniert: Die Esch-Kredite belaufen sich inzwischen auf rund 600 Millionen Mark.

Wieder hat in jenen Tagen ein Wirtschaftsprüfer die Chance, hinter die Kulissen zu schauen, und wieder bleibt alles unentdeckt. Galen ist nämlich inzwischen der naheliegende Gedanke gekommen, daß vielleicht ein neuer Partner in seiner Bank die einzige Möglichkeit sein könnte, die Katastrophe abzuwenden. Ein möglicher Kandidat ist der Staat Abu Dhabi, ein anderer der Scheich Salih. Galen beauftragt die berühmte Prüfungsfirma Arthur Andersen damit, den Wert der Bank festzustellen um eine Grundlage für Verkaufsverhandlungen zu haben. Auch Arthur Andersen peilt an der Wahrheit vorbei: 560 Millionen, so kalkulieren die Prüfer, sei die Bank wert.

Die pompöse Fehl-Bewertung der SMH-Bank die Hansen-Chimäre in Bagdad, die Mostazafan-Fata-Morgana, die manipulierten Umsätze und Gewinne bei der Wibau: Zahlen haben in den späten Tagen der Esch-Galen-Beziehung die Beschaffenheit von Sylvester-Raketen, die für Sekunden am Himmel aufleuchten und dann für immer verlöschen.

Der kurze Moment reicht allerdings, um Geld zu verdienen. Die Wibau zum Beispiel läßt ihre Aktionäre, die meist aus dem Dunstkreis der Esch-Crew stammen, durch die Ausgabe von Gratisaktien an den blühenden Geschäften teilhaben. Esch läuft durch sein Büro und ermuntert enge Mitarbeiter: »Jetzt müßt ihr Wibau-Aktien kaufen!« In London versorgt er zwei alte Backgammon-Freunde mit dem Wertpapier. Natürlich verkauft er selbst rechtzeitig, bevor der Kurs der Aktien an der Börse fällt.

Hauptfigur bei den Wibau-Transaktionen ist neben Esch eine der schillerndsten Figuren der ganzen Affäre: Roland Anton Spicka, der Chef der Wibau.

Der gelernte Maschinenschlosser gehörte ursprünglich zur engsten Esch-Kamarilla. Spicka arbeitete bei Zettelmeyer als Konstrukteur als Esch die Firma übernahm. Was die beiden auch Jahre später noch aneinander bindet, als sie sich erkennbar nicht mehr leiden können, ist eine bis heute unaufgeklärte Geschichte.

Ein Indiz liefert später der Ex-IBH-Vorstand Peter Will. Dem vertraut Spicka eines Tages an, daß er Dossiers auf der Seite habe, schließlich habe er »die Schecks unterschrieben«. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Spicka in der allerersten Phase Esch behilflich, die ersten Millionen auf die Seite zu bringen.

Später, als Esch dem Vertrauten die Führung der Wibau überläßt, revanchiert er sich und schenkt Spicka 20000 Wibau-Aktien. Als ihn Mitarbeiter nach dem Grund für die Schenkung fragen, antwortet Esch lediglich, er könne machen, was er wolle. Damit ist Spicka neben Eschs IBH, die 49 Prozent der Wibau-Aktien hält, einer der Wibau-Großaktionäre.

Spicka ähnelt Esch in Herkunft und dem unbedingten Willen, Geld zu machen.

Ihm fehlt hingegen die schnelle Intelligenz seines Vorbilds; ihm geht auch dessen Erziehung durch den weltläufigen Briten Adrian Wordsworth Edwards ab.

Spickas Aufstieg wird von zahllosen Frauen- und Saufgeschichten begleitet, während Esch nur sein Geschäft im Kopf hat. Spicka verteidigt sich später damit, daß die Anregungen für all die kommenden Geschäfte aus der SMH-Bank oder aus der IBH gekommen seien. Das mag schon sein: Nur, er nimmt die Tips gern auf, schließlich will er Esch zeigen, daß er mindestens so gut ist wie der Meister selbst. Daß er mit dem berühmten Grafen Galen zwischen seinen Baumaschinen einherstolzieren, daß er in den Zeitungen über seine verblüffende Erfolgsgeschichte lesen kann, ist ein Triumph, der ihn schier platzen läßt.

So lebt er wohl permanent im gleichen Hochgefühl, das auch Dieter Esch von einem Coup zum nächsten treibt. Das plötzlich riesenhafte Ich des kleinen Roland Spicka verlangt nach allerlei ungewöhnlicher Nahrung.

Von seinen Lehrlingen läßt er sich eine Firmen-Fanfare komponieren. Während einer Baumaschinen-Ausstellung in München mietet er die Bar des Bayerischen Hofes an und bewirtet seine Gäste mit all den Dingen, von denen er glaubt, daß sie die Welt für große Manager bereithält.

Noch drei Wochen vor dem Zusammenbruch lädt er auf sein nahe der Luxemburger Grenze gelegenes Weinschloß Saarfels einige durchaus prominente Bankiers. Und die kommen sogar. Denn anders als der asketische Esch, mit dem nur über Geschäfte zu reden ist, sind Spickas Feste stets auf die elementaren Bedürfnisse eingerichtet.

Der gelernte Schlosser präsentiert sich der Welt, wie alle Klischees vom wildgewordenen Kleinbürger es erzählen. Er fährt einen Ferrari mit 360 PS, wenn er des Mercedes überdrüssig ist. Er läßt sein Luxusauto per Lufthansa nach Singapur fliegen, um vor Ort standesgemäß motorisiert zu sein. Eine Messe in Bagdad besucht er im Privat-Jet. Selbstverständlich fliegt er sonst erster Klasse und steigt in London, wo er öfter zu tun hat, im berühmten Hotel Dorchester ab.

Der Graf von Galen sagt später im Gefängnis: »Das Stück wird nicht mehr gespielt.« Tatsächlich wären die Rollen in einem szenischen Spiel über entgrenzten Kapitalismus treffend zu besetzen.

Der Emporkömmling Spicka mit dem direkten Zugriff auf die Freuden des Lebens. Der charmante Bösewicht Esch, der davon träumt, eines Tages sogar die AEG zu sanieren und jeder Hausfrau ein Begriff zu sein. Der adlige Bankier, dem die Anerkennung in seinen Kreisen rund um den Globus so wichtig ist, und der Doktorhüte in Washington besorgt, einen sogar dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank. Der Drahtzieher Edwards, der sich auf die älteren Tage langweilt und bei Wohltätigkeits-Veranstaltungen des Polo Club Toronto als freundlicher Spender auftritt. Die düpierten Werktätigen, die nach dem Zusammenbruch auf gekritzelten Listen fünf und zehn Mark sammeln, um die Wachen an den Fabriktoren zu unterstützen. Und schließlich in der zentralen Nebenrolle der würdige Wirtschaftsprüfer Rolf Poppe von der Deutsche Allgemeine Treuhand AG, der versteckt hinter dem pompösen Firmennamen nichts sieht, alles unterschreibt und den Schmierstoff des Stücks liefert.

Eines ist allen gemeinsam: In einer Art kollektiven Wahns hoffen sie, daß »die Wende zum Besseren« eintritt, wie der SMH-Gesellschafter Wolfgang Stryj später sagt.

Die Wende - sie hätte darin bestehen können, ja müssen, daß ein neuer Bauboom

ausbricht und endlich wieder Baumaschinen en masse gekauft werden. Doch dieser Boom kommt einfach nicht - bis heute, gut zwei Jahre nach der SMH-Pleite, nicht.

Da eben sind Galen und seine Kompagnons ein Opfer der allgemeinen Fehleinschätzung geworden: Daß auch das Baugewerbe an Wachstumsgrenzen stoßen könnte, daß die zubetonierte Bundesrepublik nicht mehr wie bisher neue Betonmischer und Asphaltmaschinen braucht - das fand keinen Eingang in die Wachstum-vernebelten Köpfe der Frankfurter Bankiers.

Hinter den Akteuren sind, als das Jahr 1983 beginnt, alle Brücken abgebrochen: Die IBH hat runde 350 Millionen Mark verloren. Die atemberaubende Zahl wird freilich der Öffentlichkeit sorgsam verborgen: Dieter Esch spricht von Verlusten im »unteren zweistelligen Millionen-Bereich«. Argwöhnische Journalisten-Fragen nach Scheingeschäften wehrt er als »boshaft und in sich kreditschädigend« ab.

Da hat er recht. Wenn etwa der Scheich erführe, wie bröckelig der deutsche Pfeiler seines Imperiums steht, wäre das Ende sofort da. Doch der ehemalige Finanzbeamte aus Saudi-Arabien läßt sich vielmehr zu weiteren Geldspritzen überreden.

Für knapp 50 Millionen Mark kauft er nochmals Aktien nach. Adrian Edwards, der Esch-Kompagnon aus Toronto, scheint hingegen eine Nase für die wahre Geschäftslage zu haben: Er verkauft, vertreten durch Dieter Esch, die Aktien. Das ist insofern merkwürdig, als Esch eigentlich einem anderen Aktionär - der britischen Firma Powell Duffryn - versprochen hat, deren Aktien bevorzugt loszuschlagen.

Es ist das zweite Mal, daß Esch IBH-Aktien, die offiziell Freund Edwards gehören, zu barem Geld macht. Ein anderer Interessent aus dem Morgenland, der saudiarabische Scheich Ali Resa, hat bereits 20 Millionen Mark via Schweiz auf die Cayman Islands überwiesen.

Was Ferdinand Graf von Galen im April 1983 tut, deuten später nicht nur argwöhnische Staatsanwälte als eine ähnliche Aktion zur Rettung schiffbrüchiger Millionen. Der Graf schließt mit seiner Frau einen Vertrag: Er tauscht sein Amerika-Vermögen im Wert von gut 15 Millionen Mark gegen die Bankbeteiligung seiner Frau in Höhe von knapp elf Millionen Mark.

Das ist ein bemerkenswert gutes Geschäft. Während die Bank inzwischen astronomische 800 Millionen an Esch und seine Satelliten verpumpt hat, geht es der Rail-X-Ranch im sonnigen Arizona und ein paar amerikanischen Industrie-Beteiligungen des Grafen glänzend.

Zwar reklamiert Galen später, daß der Tausch schon Monate vorher, nach dem Tod seines Schwiegervaters, verabredet war. Aber seine Banken-Gläubiger nehmen ihm das unverfängliche Motiv nicht so recht ab: Sie verklagen Ehefrau Anita, die amerikanischen Millionen herauszurücken.

Der Tausch des Amerika-Besitzes gegen die Anteile an der SMH-Bank ist in den Augen jener Bankiers, die Hunderte von Millionen verlieren, nichts weiter als ein Beiseiteschaffen von verwertbarem Vermögen. Und so was liegt außerhalb der Legalität.

Galen arrangiert den Vermögens-Tausch, als die Lage schon verzweifelt ist. Esch hat inzwischen mitgeteilt, der Mostazafan-Auftrag, der monatelang die große Hoffnung war, »ist zu vergessen«.

Nach außen freilich tun die SMH-Banker, als stehe alles zum besten. Jene fremde Banken, die schon reichlich Geld für den Ankauf von Esch-Forderungen gegeben haben, erhalten Mitte März 1983 einen fröhlichen Brief. Die Kunden der »Finzac«, gemeint sind die Esch-Firmen, »verzeichnen seit Anfang dieses Jahres verstärkte Auftragseingänge«. Und weil die Geschäfte so blühen, werden die Banken gleich darauf aufmerksam gemacht, »daß im Laufe der nächsten Monate« mehr Geld zur Finanzierung derselben nötig werden könne.

Die Bankiers schicken den Brief ab, obwohl der Esch-Vize Hoppe gerade drei Wochen vorher noch einmal in einem seiner »Aide memoires« die katastrophale Lage auch dem Grafen Galen klargemacht hat: Ein »technisches Konzept ist nicht erkennbar«, »ein koordiniertes Finanzwesen ist zu entwickeln«, »das Vertriebskonzept ist zu ändern«, Fertigungsstätten quer über den Globus sollten »aufgelöst« oder »eingemottet« werden. Dann beziffert Hoppe die Verluste der Gruppe für die Jahre 1981 bis 1983 auf 800 bis 850 Millionen.

Hoppe bombardiert den Grafen ständig mit neuen Papieren, die immer gespenstischere Geschichten erzählen. Bei der Neuerwerbung Terex etwa sei die Lage der Terex-Fabrikationsstätten in Brasilien »völlig unübersichtlich«. In den ersten drei Monaten des Jahres seien zwei Maschinen verkauft worden, die IBH hafte hingegen für 97 Millionen Mark Bankschulden. Die Geschäfte der Wibau, schreibt Hoppe ein andermal, seien schlichtweg »katastrophal«.

Währenddessen beweist Hans Hermann Münchmeyer in Hamburg eiserne Nerven. Anders jedenfalls ist sein Auftritt am 18. April in der Hamburger Landeszentralbank nicht zu deuten;

denn jene Dummheit, die Galen später für sich in Anspruch nimmt, gehört nicht zu den Wesensmerkmalen des Hanseaten.

Gemeinsam mit seinem Generalbevollmächtigten, dem Grafen von Hardenberg, legt Münchmeyer im Büro des Hamburger Landeszentralbank-Chefs Wilhelm Nölling seine Bilanz vor. Münchmeyer, auf das beige Präsidenten-Gestühl placiert, berichtet von hervorragenden Ergebnissen. Als Nölling ihn nach faulen Krediten fragt - Wertberichtigungen nennt der Fachmann dies -, murmelt Münchmeyer lediglich: »Pelze, Pelze.«

Aus alten Hengst-Zeiten schleppt die Bank ein paar kränkelnde Rauchwaren-Händler durch die Bücher. Über Esch fällt kein Wort.

Eine Familienfeier der Münchmeyers, die aus jenen Wochen überliefert ist, läuft makellos nach den üblichen Stammesriten ab. Im Gobelin-Saal des Hotels »Vier Jahreszeiten« an der Hamburger Binnenalster versammeln sich Kaufleute, Bankiers und Reeder, um Alwin Münchmeyers 75. Geburtstag in der gebotenen Würde zu feiern. Erst später erinnern sich Teilnehmer feixend eines chinesischen Sprichworts, das Sohn Hans Hermann in seine Rede auf den Patriarchen einflicht: »Wende dich der Sonne zu, dann läßt du den Schatten hinter dir.«

Einer, für den es wichtig wäre, mehr zu wissen, hat immer noch keine Ahnung, wie hoffnungslos bankrott Esch und Galen inzwischen sind: Scheich Salih. Im Gegenteil, noch einmal gelingt es, den Wohltäter zu einer Geldspritze zu überreden.

In einem komplizierten »Rotationsgeschäft«, wie es im Jargon der Finanzakrobaten heißt, reicht der Scheich 160 Millionen heraus. Dafür kauft seine Tochterfirma Malark den Maschinenpark der Hanomag und noch ein paar andere überflüssige Geräte aus dem Esch-Reich auf. Die Maschinen bleiben da, wo sie sind, auf dem Fabrikhof in Hannover. Die ganze Aktion findet nur auf dem Papier statt und bedarf überdies noch einiger Extra-Vorkehrungen, weil das Zins-Verbot des Korans dem Scheich die direkte Kreditvergabe untersagt.

Hat der Präsident der Bundesbank einen siebten Sinn, ahnt er die Katastrophe, auf die sein Freund Galen zusteuert?

Ende Juni ist Karl Otto Pöhl bei den Galens auf Schloß Assen, wo es gilt, die Erstkommunion von Ferdinand junior feierlich zu begehen. Bei einem kleinen Spaziergang nimmt Pöhl den Grafen zur Seite und fragt ihn, ob im Falle einer Pleite all diese schönen Besitzungen unter den Hammer kämen. Graf Ferdinand bestätigt das und geht mit einer lockeren Bemerkung über den Hintergrund der Frage hinweg. Sein Verteidiger wird die Szene später als Beleg dafür schildern, daß Galen ahnungslos in das Desaster geschlittert sei.

Die Galen-Gehilfen Stryj und Lampert, die mit der täglichen Abwicklung der abenteuerlichen Geschäfte zu tun haben geraten spätestens in diesen Wochen so tief in den Strudel, daß sie später auf der Anklagebank sitzen werden.

Stryj erfährt auf einem Flug nach Syrien von einem Wibau-Mitarbeiter, daß die Umsätze der Firma um mindestens 100 Millionen gefälscht sind. Er unternimmt nichts Ernsthaftes.

Lampert schreibt Anfang Juli an die Westdeutsche Landesbank einen verfänglichen Brief. Die WestLB hat auch Geld für den Ankauf der Forderungen gegeben, und Lampert erzählt eine märchenhafte Geschichte über die Mostazafan-Geschäfte. Da das Geschäft nie stattgefunden hat, ist das Geld aus der Rechnung noch nicht bezahlt. Lampert beruhigt die Bankiers: Die Verkäufe seien im wesentlichen im zweiten Halbjahr 1982 getätigt und daher erst bis Ende 1983 fällig.

Es ist der 22. Juli, als sich die Lage dramatisch zuspitzt: Endlich sind die Wirtschaftsprüfer Reiner Wetzel und Peter Lust aufgewacht. Die Treuhand-Vereinigung berichtet dem IBH-Aufsichtsrats-Chef Gerd Schaeidt »existenzbedrohende Verluste« und weigert sich, die Bilanz des Jahres 1982 zu unterschreiben.

Mit dem Brief der Wirtschaftsprüfer beginnt die letzte, die heiße Phase des Dramas. Esch, Galen und die Handvoll Eingeweihter müssen nun an zwei Fronten den drohenden Zusammenbruch abwehren: Für Esch muß nochmals neues Geld besorgt werden, gleichzeitig darf von den hektischen Bemühungen kein Laut nach außen dringen.

Zuerst muß die mißtrauische Bankenaufsicht in Schach gehalten werden. Anfang August ist Galens Adlatus Lucius wieder in Hamburg bei dem Landeszentralbank-Chef Nölling. Er rettet sich mit einer halben Beichte: Zum erstenmal erzählt ein SMH-Abgesandter, daß die Bank aus Luxemburg Kredite an Esch gegeben hat. Allerdings sei alles streng in den gesetzlichen Grenzen abgelaufen.

Die Bürokratie der Bankenaufsicht in Berlin, die von Nölling Bericht erhält, braucht drei Wochen, um noch einmal formell in Frankfurt nach den Krediten zu fragen. Die Antwort kommt mit »vorzüglicher Hochachtung« und ist gelogen: Die Luxemburger Kredite beliefen sich auf 51 Millionen Mark. Galen und seine Leute unterschlagen eine Null.

Ungerührt gehen die SMH-Bankiers noch einmal ein paar andere Banken um Geld für die Wibau an. Am 26. September unterzeichnen Spicka und ein SMH-Bediensteter einen 70-Millionen-Poolkredit. Unter anderem stecken die WestLB und die Continental Illinois Bank aus Frankfurt jeweils zehn Millionen Mark in die Phantom-Firma. Als Sicherheiten sollen wieder Forderungen dienen. Und, man ahnt es, wieder taucht eine Rechnung der Mostazafan Foundation aus dem weiten Reich des Ajatollah Chomeini auf.

Zu diesem Zeitpunkt ist das von besonderer Dickfelligkeit: Esch selbst hat in einer seiner raren Notizen, die Galen, Lampert und Stryj abzeichnen, das Geschäft endgültig für tot erklärt.

Doch zu diesem Zeitpunkt ist offenkundig alles möglich. Drei Tage später

erscheint im offiziellen Bundesanzeiger ein Prospekt, der die Einführung neuer Wibau-Aktien an der Börse vorbereiten soll. Das Zahlenwerk, das selbstverständlich keinen Anhaltspunkt für die luftigen Geschäfte der Wibau liefert, stammt von Galen-Helfer Lucius. Der Graf selbst läßt seine Anwälte später entschieden zurückweisen, daß er als Börsenpräsident Einfluß auf den Gang der Dinge genommen hat.

Wieder zwei Tage später gelingt es den fleißigen SMH-Akquisiteuren, noch einmal ein paar frische Millionen aufzutreiben. Die Sparkasse Hagen und die Stuttgarter Bank, wie auch die Stadtsparkasse Frankfurt und die Türkiye IS Bankasi tappen in die Falle.

In jenen Tagen, als die SMH-Bank mühselig neue Millionen für Esch zusammenkratzt, weilt Anita von Galen in Washington. Auf einer Cocktail-Party eilt sie mit offenen Armen auf den Dresdner-Bank-Vorstand Manfred Meier-Preschany zu. MP ist einigermaßen überrascht: Das Verhältnis zu den Galens ist nicht so herzlich, wie die Gräfin in diesem Moment tut. Sie hätte ihn in den vergangenen zwei Jahren falsch behandelt, räumt die Gräfin ein und gibt sich alle Mühe, den Großgläubiger der SMH-Bank milde zu stimmen. Es wird nur noch wenige Wochen dauern, bis Meier-Preschany den tieferen Sinn des Party-Auftritts versteht.

Während,dessen mühen sich Esch und Galen im Dauereinsatz, den Zusammenbruch der IBH abzuwenden. Zunächst versucht Esch noch, die Wirtschaftsprüfer von ihrem Brief an den Aufsichtsrats-Vorsitzenden Schaeidt abzuhalten. Als das nicht gelingt, erzählt er dem väterlich Vertrauten - Schaeidt ist einer der wenigen, die Esch hat -, daß die Prüfer natürlich im Irrtum seien.

Als der Brief bei Schaeidt eintrifft, bittet der die Prüfer nach Bad Reichenhall in seinen Urlaubsort, um die Lage mündlich zu erörtern. Die Prüfer bringen einen trostlosen Bilanzentwurf mit. Sie wollen ihr Testat erst dann unter das Zahlenwerk setzen, wenn General Motors auf 200 Millionen Mark verzichtet; es sind zwei Raten für den Terex-Kauf von dem Esch immer behauptet hat, daß er seine Firma nicht belaste. Außerdem verlangen Wetzel und Lust eine Kapitalerhöhung über 100 Millionen Mark.

Wieder einmal zeigt es sich, daß Dieter Esch in der Krise am besten ist. Er überredet General Motors, denen freilich auch nichts anderes übrigbleibt, das Geld zu stunden. Am 24. August abends, pünktlich zur Krisensitzung in der Mainzer IBH-Zentrale, trifft per Rapidfax aus USA die Genehmigung ein.

Über das New Yorker Anwaltsbüro Cleary, Gottlieb Steen & Hamilton läßt GM-Vizepräsident Alan Smith wissen, daß Wechsel über 44 und 38 Millionen Dollar nicht bezahlt werden müssen.

Über die Kapitalerhöhung, die der Scheich, die Galen-Bank, der britische Aktionär Babcock und Esch aufbringen sollen, kann sich die Runde hingegen noch nicht einigen. Auch zwei Wochen später, als sich die Gemeinde bei der Babcock in London trifft, hakt es immer noch. Es dauert weitere drei Wochen, bis am 27. Oktober im Mainzer Hilton-Hotel die Kapital-Erhöhung verabredet wird.

Statt 150 Millionen werden es allerdings nur 110 Millionen Mark. Jeweils 50 Millionen sollen der Scheich und Galen einschießen.

Es kommt noch zu einer skurrilen Situation, als die Abgesandten des Scheichs von Galen eine besondere Sicherheit für die 50 Millionen ihres Mandanten verlangen. Galen soll Wertpapiere in einem Schließfach hinterlegen, für das beide Parteien einen Schlüssel haben. Nur gemeinsam soll das Schatzkästlein zu öffnen sein.

Mit der Glaubwürdigkeit des Präsidenten der Frankfurter Wertpapierbörse ist es nicht mehr zum besten bestellt.

Die fehlenden zehn Millionen soll Dieter Esch einbringen. Doch der behauptet kühl, nichts zu haben. Galen und Esch gehen kurz vor die Tür. Als sie zurücckommen, ist verabredet, daß Galen, woher auch immer, die zehn Millionen für Esch in den Topf werfen soll.

Das alles passiert am Donnerstag, dem 27. Oktober 1983. Als die Runde auseinandergeht, wird beschlossen, daß nun die Rechtsanwälte die mündlichen Vereinbarungen in ihre Sprache übersetzen sollen. Doch dazu kommt es nicht mehr: Ferdinand Graf von Galen dämmert es, daß er allein nicht weiterkann.

Seine Einsichtsfähigkeit mag freilich durch den Umstand beschleunigt werden, daß ihm die Prüfer vom privaten Bankenverband auf den Fersen sind. Die Herren drängen darauf, einen Blick in die Luxemburger Bücher werfen zu dürfen. Galen hat das einfach verboten. Juristisch kann ihm da keiner, aber peinlich ist die Verweigerung schon. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich im wispernden Bankgewerbe herumspricht, wie verzweifelt der Graf seine Taschen zuhält.

Am Tag nach der turbulenten Sitzung in Mainz geht Galen zur Beichte.

Für die wirklich wichtigen Dinge in der Welt des Geldes gibt es dafür in Deutschland nur eine Adresse: die Deutsche Bank. Galen sucht Robert Ehret, den Geldhändler des größten deutschen Kreditinstituts, auf.

Was er Ehret allerdings erzählt, läßt nicht darauf schließen, daß Galen das ganze Ausmaß des Debakels verstanden hat. Er bittet den Geldhändler der Deutschen Bank um 160 Millionen Mark. Damit hofft Galen, jedenfalls die deutsche SMH-Bank zu retten.

Ehret erzählt den Staatsanwälten später einen Lehrsatz des Bankgewerbes für derartige Situationen: Wenn jemand komme und 20 Millionen Mark haben wolle, sei klar, daß in Wahrheit nicht einmal 40 Millionen reichten. Immerhin verspricht der Bankier, daß die Revisionsabteilung der Deutschen Bank über das Wochenende Galens Bücher überprüfen werde.

Die Spürhund-Abteilung der Bank, das stellt sich heraus, verdient ihren guten Ruf. Mit 480 Millionen Mark beziffert sie das Loch in der deutschen SMH-Bilanz nahezu korrekt. Was offenkundig den Wirtschaftsprüfern der Bank entgangen war, finden die Könner der Deutschen Bank ohne größere Schwierigkeit heraus: viele der Rechnungen, die Galens Bank von Esch gekauft hat, gehören längst in den Reißwolf. Da stehen etwa seit zweieinhalb Jahren Forderungen an syrische Kunden in den Büchern, von denen nur noch ein Narr glauben kann, daß sie jemals bezahlt werden - wenn es diese Kunden überhaupt gibt.

Ehret alarmiert Friedrich Wilhelm Christians und Wilfried Guth, die beiden Sprecher der Bank. In ihrer traditionellen Telephon-Konferenz am Sonntagnachmittag informieren die beiden ihren Aufsichtsrats-Chef Franz Heinrich Ulrich. Dessen Reaktion verdeutlicht noch einmal das ewige Dilemma des Dieter Esch: Ulrich weiß mit dem Namen des Wirtschafts-Wunderknaben zunächst nichts anzufangen.

Am Montag ist klar, daß die Deutsche Bank dem Grafen nicht helfen kann - oder will. Allenfalls die Großgläubiger gemeinsam könnten noch etwas retten. Während Christians mittags schon den Präsidenten des privaten Bankgewerbes mit der bösen Botschaft an dessen Schreibtisch aufschreckt, unternimmt Galen den allerletzten Versuch. Er ruft Thomas Wegscheider, den Chef der Bank für Gemeinwirtschaft, an und bittet ihn abends um sechs in seine Bank.

Wegscheider hat dem Grafen 40 Millionen Mark gepumpt. Mit dem gleichen Betrag steht die Badische Kommunale Landesbank zu Buch. Den Bakola-Chef Hans-Jörg Mauser kann Galen nicht auftreiben.

Spitzenreiter in der Gläubigerliste mit 92 Millionen Mark ist die Dresdner Bank. Der Vorstand hat sich an dem Montag gerade in das bankeigene Ausbildungszentrum nach Königstein verkrochen, um in Ruhe den Fortgang der Geschäfte zu planen.

Kurz nach halb zwei klingelt dort in der Taunus-Anlage das Telephon. Galen möchte jenen Herrn sprechen, den seine Frau, als könnte sie hellsehen, ein paar Wochen vorher in Washington so freundlich begrüßt hat. Meier-Preschany muß sich erst bei seinem Kollegen Wolfgang Röller erkundigen, wieviel Geld die Dresdner Bank bei Galen im Feuer hat. Dann sagt auch er zu, abends in die SMH-Bank zu kommen.

Dort findet eine gespenstische Veranstaltung statt. Bei Dunkelheit wirken die Aubergine-Farben, in denen Anita die Bank dekoriert hat, besonders düster. An einem U-förmigen Sitzungstisch nehmen auf der einen Seite Ehret, Meier-Preschany und Wegscheider Platz.

Ihnen gegenüber sitzen Stryj und Lampert. Ein paar Stühle weiter zieht Hans Hermann Münchmeyer, nahezu ständig schweigend, an seiner Pfeife;

Ferdinand Graf von Galen aber scheint immer noch nicht verstanden zu haben, was passiert ist: Er setzt sich ein paar Stühle neben die drei Gläubiger, als hätte er mit den drei Kollegen auf der anderen Seite des Tisches nichts zu tun.

Zunächst passiert gar nichts. Eine peinliche Stille lastet über den Sieben. Schließlich blickt Galen auf Lampert und sagt: »Hans, erläutere du mal.«

Lampert zieht einen kleinen Zettel hervor und beginnt stockend, die Details zu erzählen. Unwirsch bitten die drei Gläubiger um schriftliche Unterlagen die auch prompt gereicht werden.

Die anschließende Diskussion gestaltet sich überaus schwierig. Die Runde verhakt sich in Einzelfragen. Lampert ist noch nervöser als sonst. Stryj rührt sich nicht. Münchmeyer beschäftigt sich mit seiner Pfeife. Galen redet nur, wenn er gefragt wird. Sonst beschränkt er sich darauf, Lampert in den Mittelpunkt zu rücken: »Hans, wie war das noch mal?«

Kein Zweifel, der »Finanzingenieur« Lampert, wie ihn ein Bankier später nennt, kennt die Einzelheiten am besten. Jedenfalls erweckt Galen den Eindruck.

Abends um zehn geht die Runde auseinander. Den drei Gläubigern ist klar, daß sie ihr Geld zur Rettung der SMH-Bank einsetzen müssen. Aber das allein wird niemals reichen. Sie beauftragen die unglückliche Galen-Crew, den Bundesbank-Chef Pöhl noch am gleichen Abend zu alarmieren.

Doch Galen schläft noch eine Nacht, bis er schließlich seinen Freund offiziell von der Lage unterrichtet. Die SMH-Leute, das zeigt sich auch in der nächsten Zeit, scheinen erst langsam zur Kenntnis zu nehmen, was eigentlich passiert. Es ist, als ob sie aus einem Traum aufwachen, in dem die Wirklichkeit von schönen Hoffnungen verschleiert war. Als Tage später der Bankenpräsident Schroeder-Hohenwarth in die auberginefarbenen Hallen kommt, um Galen und seine Mit-Geschäftsführer offiziell abzusetzen, leistet das Quartett zunächst immer noch Widerstand.

Den letzten Beweis für die gestörte Wahrnehmung liefert an jenem Montagmorgen Hans Lampert. Gegen 13 Uhr ruft er den Luxemburger SMH-Filialleiter Kurt Näfken an und beauftragt ihn, möglichst viel Geld bei anderen Banken zu leihen. Näfken kommt die Order merkwürdig vor. Daß die Zentrale Geld ohne jede Begrenzung verlangt, hat es noch nicht gegeben: Er ignoriert den Befehl.

Schon vorher hat Lampert seine Frankfurter Geldhändlerin Martina Gohla angerufen und sie beauftragt, »einen hohen LZB-Saldo zu fahren«.

Übersetzt heißt das: Die Bedienstete soll nun, wie Näfken, Geld bei anderen Banken besorgen. Als der Gohla-Kollege Jürgen Conradi sich eine Viertelstunde später noch einmal vergewissern will, gibt Lampert noch einmal Anweisung: Conradi solle möglichst viel Geld besorgen, sich nicht um Zinsverluste kümmern und im übrigen auch in der Hamburger SMH-Filiale Bescheid sagen, daß dort ebenfalls angeschafft wird.

Was dann passiert, trägt Lampert nicht nur eine Extra-Anklage vom Staatsanwalt, sondern auch den besonderen Zorn der Bankenwelt ein. Die bankrotte SMH besorgt sich auf den letzten Drücker 70 Millionen Mark. Zwar ist das Geld nur für einen Tag geliehen. Aber da am nächsten Tag Allerheiligen ist, im Süden der Republik also nicht gearbeitet wird, bleiben die Bayerische Vereinsbank und die Bayerische Landesbank mit 25 beziehungsweise zehn Millionen Mark hängen. Wutschnaubend nennt Vereinsbank-Chef Maximilian Hackl Lamperts Verzweiflungsaktion später »Kreditbetrug«.

Lampert wird sich damit verteidigen, daß auf den SMH-Konten der örtlichen Landeszentralbank ein gesetzlich unzulässiges Loch bestanden hätte, das durch schieren Zufall und unabhängig von Esch entstanden sei, dafür hätte das Geld beschafft werden müssen. Doch Martina Gohla sagt aus, daß sie ihren Chef beruhigt hätte: Bei der LZB sei alles in Ordnung gewesen.

Es bleibt nur eine Erklärung: Hans Lampert rudert das Geld in der wahnwitzigen Hoffnung herein, für eine irgendwie geartete Rettung besser gepolstert zu sein. Der feste Glaube an die Wende zum Guten, den Dieter Esch wie ein Magier in den SMH-Bankiers verankert hat, ist eben nicht so schnell zu erschüttern.

Tags darauf, als Galen Karl Otto Pöhl ins Bild gesetzt hat, läuft die Stützungsaktion unter der Leitung von Inge-Lore Bähre an, die nachts in der Bundesbank endet.

In dieser Nacht werden all jene Banken gerupft, die das Pech haben, Galens Bank zehn Millionen und mehr gepumpt zu haben. Einige Tage später unternimmt es Schroeder-Hohenwarth, die vergleichsweise milden Gaben der Kleingläubiger einzusammeln.

Für diesen Abend hat sich der Bankenpräsident beim ZDF angesagt: Der damalige Wirtschaftsredakteur Friedhelm Ost will Schroeder-Hohenwarth zu dem schauerlichen Bankenkrach einvernehmen.

Der geplante Fernseh-Auftritt erweist sich für Schroeder-Hohenwarth als hilfreich für die Bearbeitung der widerstrebenden Gläubiger. In die Bundesbank nämlich, wo die Runde tagt, will der _(1983 bei der Verleihung der ) _(Ehrendoktorwürde in der ) _(Georgetown-Universität. )

Pöhl-Adlatus Rüdiger von Rosen die Fernsehleute nicht reinlassen. Also muß Schroeder-Hohenwarth ins ZDF-Studio nach Mainz.

Dem Bankenpräsidenten gelingt es, den Termindruck auf die Gläubiger zu übertragen. Wenn das Fernsehen ruft, das sehen sie ein, muß Schroeder-Hohenwarth die frohe Botschaft mitbringen können, daß alle helfen, die drohende Katastrophe abzuwenden.

Als Inge-Lore Bähre noch einmal große wie kleine SMH-Gläubiger um sich schart, ist das Gröbste geschafft: Die Banken verzichten auf ihr Geld und bewahren damit die deutsche und womöglich die internationale Finanzwelt vor einer unübersehbaren Gefahr.

Lediglich die quengelige Badische Kommunalbank, genannt Bakola, handelt der gestrengen Frau Bähre ein paar Millionen ab. Der »Ritt über den Bodensee«, wie Schroeder-Hohenwarth sagt, hält noch ein paar Tage an, weil im Moment nicht zu sehen ist, wieviel von dem Geld, das Galen und seine Leute an Esch gegeben haben, tatsächlich verloren ist. Am Ende beziffern Fachleute die Summe auf 750 Millionen Mark.

Während der gesunde Teil der SMH-Bank später an die Londoner Lloyds Bank verkauft wird, gehen Eschs Firmen Stück für Stück, mit wenigen Ausnahmen, in den Bankrott. Als erste erwischt es die Wibau.

Deren Konkursverwalter Wilhelm Schaaf braucht einen DIN-A4-Zettel und zwei Tage, um herauszufinden, was den Wirtschaftsprüfern über die Jahre entgangen ist: »Sehr viel Luft.«

Gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk Pfeil macht sich Schaaf daran, von den chaotischen Geschäften des Roland Spicka zu retten, was zu retten ist. »O Kuweit, o Syrien«, beschreibt Pfeil jene besonderen Tatorte, in denen die Rechercheure die luftigen Geschäfte rekonstruieren.

Sie spüren per Zufall eine Betonpumpe, von der niemand etwas weiß, in einem amerikanischen Zoll-Lager auf. Eine Pumpe, die angeblich in Bagdad verkauft ist, wird in Zypern wiedergefunden. Eine riesige Asphalt-Anlage schwimmt gerade über den Atlantik in Richtung Amerika. Ihr fehlt aber die nötige US-Elektronik, um den Kunden zu gefallen.

Chaos, das stellt sich bald heraus, herrscht nicht nur in der Wibau. Es dauert nicht lange, bis Staatsanwälte in Hanau und Koblenz umfangreiche Ermittlungsakten anlegen; die Stichworte aus dem Strafgesetzbuch lauten: Betrug, Untreue, Beihilfe dazu.

Neben Esch und Spicka stehen Dutzende von Mitarbeitern, Anwälten und Wirtschaftsprüfern auf den Listen. In Frankfurt geraten die SMH-Chefs und eine Vielzahl von Helfern in der Bank unter Verdacht.

Ende Januar des Jahres 1984 läuft eine gigantische Durchsuchungsaktion ab. Insgesamt 300 Beamte filzen Firmen und Privathäuser. In 70 Gebäuden sammeln Staatsanwälte, Kripo-Beamte der diversen Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts Beweise ein.

Besonders mager fällt die Beute in einem prachtvollen Wohnsitz in Niedernhausen-Wildpark im Taunus aus: Bei Horst-Dieter Esch finden die Beamten »nicht einmal das Abiturzeugnis oder die Freischwimmer-Urkunde«, wie ein Staatsanwalt sagt.

Besser ist die Beweislage bei Roland Spicka. Ihn erwischt es als ersten Ende Januar: Er wird verhaftet. Esch hingegen, der immer noch Journalisten für späte Rechtfertigungen zu erwärmen versucht, weilt währenddessen in Amerika.

Als er zurückkommt, zeigt er sich völlig überrascht, daß die Staatsanwälte auch ihn verhaften. Was hat er schon getan, daß es in der weiten Welt des Kapitalismus nicht zugelassen wäre? »Er hat kein Rechtsgefühl«, erklären unabhängig voneinander verschiedene Mitarbeiter.

Paragraphen, Juristerei - all das sind für Dieter Esch allenfalls die Ampeln im Straßenverkehr: Wer es eilig hat, und einen anderen Zustand kennt er nicht, fährt auch bei Rot über die Kreuzung. Sein New Yorker Anwalt David Sabel wunderte sich zum Beispiel darüber, daß Esch nie Interesse für die komplizierten Terex-Verträge zeigte.

Er hat wohl während der Jahre seines Aufstiegs oft genug erlebt, daß eine Rechts-Barriere auch wieder durch einen findigen Juristen beseitigt werden konnte. Paragraphen sind keine Grenzen, sondern lediglich lästige Hindernisse.

Die Staatsanwälte erklären sich Eschs Rückkehr nach Deutschland damit, daß er nur seine Fünf-Millionen-Villa im Taunus verkaufen will. In Wahrheit glaubt Esch wohl eher, daß ihm keiner kann. Auch als er im Gefängnis sitzt, ist er zunächst felsenfest davon überzeugt, daß er nicht verurteilt wird.

Als das Hanauer Landgericht ihn acht Monate später für seine Verwicklungen in die Wibau-Geschäfte doch zu dreieinhalb

Jahren Haft verurteilt, erscheint er zwar etwas blasser und schlanker als gewohnt im Gerichtssaal. Aber den Eindruck des reuigen Sünders macht Dieter Esch nicht. Wie sollte er auch, schließlich läuft der Prozeß ab, als führte er Regie.

Daß er eine Strafe bekommt, ist ihm inzwischen klar. Das Verfahren selbst allerdings gerät zur Farce. Esch und sein Anwalt Egon Geis haben sich mit dem Staatsanwalt und dem Hanauer Richter Josef Worms schon vorher auf einen kurzen Prozeß geeinigt. Das Verfahren ist in drei Stunden erledigt, und Esch kennt sein Urteil schon. Dafür legt er ein Pro-forma-Geständnis ab dem im Gerichtssaal nicht zu entnehmen ist, was er eigentlich verbrochen hat.

Als Esch im Lauf der kurzen Verhandlung auch die kargen Bekenntnisse wieder einsammelt - eigentlich hält er sich immer noch für unschuldig-, bedarf es schon der gehörigen Dickfelligkeit des Richters, darüber hinwegzuhören. Josef Worms hat sich nun mal auf einen kurzen Prozeß eingerichtet, gleichgültig, was der Angeklagte für seine Freunde, die Journalisten, da noch alles erzählt.

Es muß Dieter Esch in seinem Urteil über die Rechtswissenschaften bestätigen, daß sein etwas tölpeliger Ex-Mitarbeiter Roland Spicka ein paar Monate später zu immerhin sechs Jahren und neun Monaten verknackt wird.

Er selbst wird bald in den offenen Strafvollzug überführt. In der Frankfurter Freßgasse wird er bei einem Journalisten-Stammtisch gesichtet. Wenn er das Gefängnis verläßt, steht ihm der Daimler zur Verfügung. Seine Frau fährt wie immer zweimal wöchentlich nach Düsseldorf zum Einkaufen.

Erst später, als die Staatsanwälte Esch noch einmal im schweizerischen Zug und in Toronto nachsetzen, muß er wieder fest in den Bau: Die Verfolger finden Hinweise auf verschwundene Millionen und können so eine Fluchtgefahr besser begründen.

Ferdinand Graf von Galen hat es nach dem Ende seiner Karriere zunächst mit Widersachern zu tun, die beträchtlich rascher zugreifen als die Justiz: Die Banken wollen, zumindest zu einem Teil, ihre Millionen zurück.

Sei es aus Verwirrung, sei es absichtlich, erregt der Graf zunächst den Verdacht, seine Vermögensverhältnisse kaschieren zu wollen. Kurz nach der dramatischen Allerheiligen-Nacht nehmen Schroeder-Hohenwarth und Meier-Preschany Galen beiseite. Sie wollen wissen, ob er in den zwölf Monaten vor seiner Pleite Vermögen auf seine Frau übertragen hat. Der Graf antwortet mit einem unzweideutigen Nein.

Schroeder-Hohenwarth fragt nach, ob »da nicht etwas im Oktober gewesen« sei. Eilfertig korrigiert Galen: » Das war schon im April.« Da unwahrscheinlich ist, daß der ehemalige Börsenpräsident nicht bis zwölf zählen kann, und da Bankiers überdies ständig die Erfahrung machen, daß in der Stunde der Pleite auch geradlinigste Menschen gefährdet sind, werden Galens Vermögensverhältnisse überaus penibel gefilzt.

Noch vor dem Nikolaustag bitten zwei Abgesandte der Banken, verstärkt durch einen Notar, den Grafen zur Bestandsaufnahme. Vor den Herren ist nichts sicher: »Bis zu den goldenen Manschettenknöpfen« graben sie, wie Galen sich später beklagt, man könne sich gar nicht vorstellen, »wie die auf mein privates Vermögen aus waren«.

Das Trio birgt unter anderem zwei tibetanische Silbertöpfe, sechs Gewehre und zwei Empire-Marmorvasen im Wert von zusammen 30000 Mark. Mit 50000 Mark veranschlagen sie zwei Stühle Ludwigs XV., den gleichen Preis setzen sie für 50 Eßzimmerstühle an. Sechs Sofas drei Lampen und der Wagenpark werden ausgeräumt: Neben dem Bentley gehört dazu ein Toyota Tercel und ein etwas angejahrter Jeep.

Die Villa in Frankfurt, ein Millionenbauwerk in allerbester Lage, ist ebenso hin wie die umfangreichen Ländereien im Westfälischen. Als sollte der Wandel der deutschen Sozialstruktur ausgerechnet am Grafen Galen seinen symbolischen Ausdruck finden, kauft später ein Fleischgroßhändler die über 1000 Hektar umfassenden Wälder und Wiesen für 32 Millionen Mark.

Den Stammsitz der Familie, das Wasserschloß »Haus Assen«, kann

Galen gerade noch für seinen Vater retten.

Am Ende sammeln die Banken über 50 Millionen Mark ein. Zusammengerechnet mit jenem Firmenvermögen, das ohnehin in der Bank steckt, kostet die Lektüre des »Handelsblatt«-Artikels an jenem Herbstmorgen des Jahres 1979 und der darauffolgende Anruf bei Dieter Esch den Grafen runde 100 Millionen Mark.

Der Münchmeyer-Clan, darunter die niedersächsische Wirtschaftsministerin Birgit Breuel, verliert ihre Kommandit-Beteiligung in Höhe von knapp 37 Millionen Mark. Beim privat haftenden SMH-Geschäftsführer Hans Hermann Münchmeyer greifen die Bankiers insgesamt acht Millionen ab. Der Familiensitz der Münchmeyers am Luusbarg im Hamburger Elbvorort Falkenstein, ein mehrere hunderttausend Quadratmeter großer Wald- und Villenbesitz, bleibt unangetastet. Vater Alwin hat ihn schon Jahre zuvor in weiser Voraussicht den Enkeln vermacht.

Die beiden Galen-Gehilfen Stryj und Lampert trifft das Desaster am härtesten. Beide haben ihre Kapital-Einlagen zum Teil durch Kredite finanziert und sitzen auf hohen Schulden, als die Bank zerbricht. Bei ihnen können die Banken-Gläubiger nichts holen.

Die stets aufgeweckte Deutsche Bank macht sich wenigstens noch die Schaffenskraft des Finanz-Fachmanns Hans Lampert zunutze. Lampert bekommt den Auftrag, einer Frankfurter Autostyling-Firma, die der Deutschen Bank Geld schuldet, auf die Füße zu helfen.

Der ehemalige SMH-Geschäftsführer muß seine neue Tätigkeit kurz vor Weihnachten des Jahres 1984 abrupt beenden: Die Staatsanwaltschaft läßt ihn am 16. Dezember in seinem Haus in Kronberg verhaften und nach Darmstadt in Untersuchungshaft bringen. Gleichzeitig wird Stryj, der ebenfalls in dem Taunus-Prominentenort wohnt, zu Hause festgenommen und in der Justizvollzugs-Anstalt Frankfurt-Hoechst einquartiert.

Ferdinand Graf von Galen hat laut Haftbefehl keinen »festen Wohnsitz in der Bundesrepublik« - schließlich haben die Banken all seine Immobilien requiriert, und Galen hat das Jahr auf der Ranch in Arizona sowie bei Freunden in Mallorca und Paris zugebracht. So kommt er auch am 16. Dezember mit einer Linienmaschine aus Paris, um einer Vorladung zur Vernehmung zu folgen.

Der Frankfurter Staatsanwalt Lutz van Raden glaubt aber inzwischen soviel Belastungsmaterial gegen Galen gesammelt zu haben, daß er fürchtet, der Graf werde das letzte Mal in Deutschland gewesen sein, wenn er die Vorwürfe erst erfährt.

So wird Galen schon beschattet, als er vom Flughafen ins Hotel Interconti fährt. Die Verfolger lassen ihn die Koffer auspacken und in Ruhe zu Mittag essen. Als Galen vom Hotel zu seinem Anwalt fahren will, stoppen die Beamten das Taxi. Kurz nach 16 Uhr nehmen sie den Grafen in der Guiolettstraße am Rande des Frankfurter Bankenviertels fest.

Galen ist empört, daß die Fahnder glauben, er könnte sich einfach davonmachen. »Aufgrund meines traditionellen Ehrgefühls«, sagt er beim Haftprüfungstermin, »gehört es zu meiner Art, mich Vorwürfen zu stellen.«

Durch einen seiner Verteidiger läßt er später mitteilen, daß er in Freiheit den Ermittlern viel nützlicher sein könnte: Schließlich habe er selbst das allergrößte Interesse daran, genau festzustellen, warum seine Bank eigentlich zusammengebrochen sei.

Für diese überraschende Sicht der Dinge hält der Frankfurter Staatsanwalt Udo Scheu, der später den Prozeß führt, eine Erklärung aus der Kriminologen-Wissenschaft bereit: »Der Eierdieb weiß, daß er geklaut hat. Bei Wirtschaftsstraftätern gibt es das Phänomen, daß sie sich stets als Opfer der Umwelt empfinden.«

Der Scheu-Kollege van Raden weiß jedenfalls den Standesunterschied seiner Kundschaft gebührend zu würdigen. Als er Ende Mai des Jahres 1985 die Anklage gegen Galen, Lampert, Stryj, Münchmeyer und Lucius fertig hat, besorgt er sich in einem Papiergeschäft auf der Frankfurter Zeil auf eigene Kosten ein paar Bögen Papier: Die Anklage in einem der spektakulärsten Kriminalfälle der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte wird bunt eingebunden - auberginefarben, wie die von Gräfin Anita ausgesuchten Teppiche des Bankhauses Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co.

Ende _(Zu Prozeßbeginn am vergangenen ) _(Donnerstag. )

1983 bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde in derGeorgetown-Universität.Zu Prozeßbeginn am vergangenen Donnerstag.

Joachim Preuß
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