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WAHLEN Frühjahrsoffensive

aus DER SPIEGEL 14/1961

Schlag acht Uhr am vorletzten Sonntag betrat Bundespräsident Heinrich Lübke das Stimmlokal in der Don-Bosco-Schule auf dem Bonner Venusberg, steckte um 8.02 Uhr seinen Kommunal-Stimmschein in den Urnenschlitz und ermunterte den Wahlvorsteher Kögler: »Machen Sie die Arbeit so, daß nachher alle Parteien zufrieden sein können.«

24 Stunden später, kaum war das Ergebnis der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen publik, da priesen wie eh und je sämtliche Parteien ihre Erfolge.

Der gewohnheitsmäßig angestimmte Viktoria - Jubel fiel diesmal indessen zu zaghaft aus, um glaubwürdig zu sein - ausgenommen bei der CDU: Des Kanzlers Staatspartei hat die von der SPD in Erbpacht gehaltenen Rathäuser an Rhein und Ruhr zumindest teilweise erobert.

Unter Leitung des nordrhein-westfälischen Innenministers Josef Hermann Dufhues hatte die CDU in Nordrhein-Westfalen einen vergleichsweise harten Wahlkampf geführt und - sie gewann. Während bislang nur 38,2 Prozent des nordrheinwestfälischen Kommunalwahlvolkes die

Christdemokraten wählte, stieg dieser Anteil jetzt auf 45 Prozent. Er näherte sich damit der CDU-Siegesquote bei den letzten Wahlen zum Bundestag; das hatte es auf kommunaler Ebene noch nie gegeben.

Die zeitliche Nähe zu den Bundestagswahlen verleiht dem partiellen CDU-Vormarsch damit die Bedeutung einer erfolgreichen Frühjahrsoffensive, auch wenn Adenauers Niedersachsen-Platzhalter nicht dank eigener Aktivität von 20,5 auf 28,2 Prozent kletterten: Die Hannoveraner Christen zogen ihren Gewinn zum guten Teil aus der dezimierten Deutschen Partei, die auf Bundesebene kaum noch zu dezimieren ist.

Gleichwohl konnte die CDU erstmals den Bann brechen, unter dem ihre Kommunalpolitiker bislang - scheele Blicke

auf die Bonner CDU-Euphorie gerichtet - zu leiden hatten. Sie galten als unattraktive Stiefkinder der Partei, höchstens dafür gut, nachfolgende Bundestags-Siege um so sensationeller erscheinen zu lassen.

Seit den Gemeindewahlen geben sich die CDU-Funktionäre der Hoffnung hin, die Bonn-Wahlen müßten diesmal noch vorteilhafter ausfallen als bisher, wenn schon profane Kommunalwahlen derart ansehnliche Ergebnisse zeitigten. Proklamierte Innenminister Dufhues: »Nun gehen wir mit erhöhtem Optimismus in die Vorbereitungen zur Bundestagswahl.«

Die Siegesstimmung ist um so größer, als selbst ein so hartnäckiger Optimist wie Konrad Adenauer dem Wahlvolk seiner rheinisch-westfälischen Stammlande nicht eine derartige Anhänglichkeit an CDU-Kandidaten zugetraut hatte: Der Kanzler war nicht nach Cadenabbia gefahren, ohne davor gewarnt zu haben, aus erfahrungsgemäß enttäuschenden Kommunalwahlen »allzu weitreichende Schlüsse« für die Entscheidung im Herbst zu ziehen. Dufhues konnte des Kanzlers Pessimismus Lügen strafen.

Zu ihrem Schaden - und entgegen ihrer sonst nur mäßigen Siegeszuversicht - waren die Sozialdemokraten mit Vorschußlorbeeren weit weniger knauserig gewesen: Das Ruhr-Revier galt als SPD-Revier.

Bis zum Wahlsonntag war der SPD die Genugtuung geblieben, das bittere Brot der Oppositions-Bänkler jedenfalls nicht in den Parlamenten von 24 nordrhein-westfälischen Städten verzehren zu müssen. Dort schien ihr die absolute Mehrheit kraft Tradition sicher.

Über Nacht gingen nun 13 dieser Bastionen verloren. Gelichtet kehrten die SPD-Fraktionen in ihre Rathäuser zurück; die absolute Mehrheit war, perdu: Selbst in weiland knallroten Hochburgen wie Essen und Wuppertal hatten gegenüber den Kommunalwahlen von 1956 etwa 40 Prozent mehr Städter für die CDU als für die SPD optiert.

Da sich der Ruhr-Proletarier alter Schule offenbar so nachhaltig zum Bourgeois gemausert hat, daß er auch politisch konvertierte, kam die weiche Welle der SPD nicht an. Der vornehm gewordene Fritz Steinhoff, früher auf schwere Säbel eingepaukt, focht leichtes Florett à la Brandt - und verlor.

Der Jubel im SPD-Lager fiel denn auch wenig überzeugend aus. Quengelte der SPD-Pressedienst: »Im großen und ganzen ... kann die SPD ... mit dem Ergebnis zufrieden sein.«

Willy Brandt, eben an Kennedy gestärkt, versicherte in Bonn, der Stimmenanteil der SPD biete »eine ausgezeichnete Ausgangsposition für die uns noch bevorstehende Auseinandersetzung«.

Der SPD-Vorstandssprecher Franz Barsig mußte freilich vor drei überdimensionalen Schautafeln mit roten und schwarzen Kurven demonstrieren, was dem Publikum zwar hinlänglich bekannt war, was zur Interpretation der jüngsten SPD-Schlappe aber gänzlich irrelevant ist. Barsig: »In beiden Ländern zusammen sind wir stimmenmäßig die stärkste Partei.«

Unbefangen verglich Barsig das Ergebnis der Kommunalwahlen mit den, Resultaten der Bundestagswahlen von 1957 und den letzten Landtagswahlen, nicht aber mit den Kommunalwahlen des Jahres 1956.

Aus der Barsig-Perspektive hat die CDU in den beiden Bundesländern seit der letzten - Bundestagswahl über 1,5 Millionen Stimmen verloren und die SPD mehr als 500 000 Stimmen gewonnen.

Da der Arithmetiker Barsig zwar richtig, aber auch listig rechnet, solange er die Kommunalwahlen von 1956 geflissentlich ignoriert, zeigten seine Schaugebilde auch nicht an, daß die wachsenden Prozente der SPD - jedenfalls in den nächsten Jahren - so wenig in die Regierung verhelfen können, wie die von Barsig berechneten CDU-Verluste Konrad Adenauer in die Opposition zu versetzen vermögen, denn die erfahrungsgemäß höhere Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen wird vornehmlich der CDU zugute kommen.

Sogar einige der bisher okkupierten Bürgermeister-Posten in den Großstädten Nordrhein-Westfalens kann die SPD nur behaupten, wenn sie die Gunst der stabil gebliebenen FDP gewinnt.

Die Freidemokraten nämlich, einst zerstritten und bereits totgesagt, haben die unterminierten liberalen Stellungen gehalten und in Nordrhein-Westfalen sogar 10,2 Prozent Wahlstimmen kassiert, gegenüber 9,6 Prozent im Jahre 1956. FDP-Mende und FDP-Weyer: Der »Aufstieg der FDP« habe sich nunmehr erneut bewiesen.

Die Kommunalpolitiker der Partei mußten sich jedoch erst beim Bundesparteitag in Frankfurt Rat holen, wie sie sich daheim in den Rathäusern zu verhalten hätten: Am Tage nach der Wahl legte sich noch kein Freidemokrat auf Schwarz oder Rot fest.

Verlierer Brandt, Barsig: Doch gesiegt?

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