Fünf Minuten nach zwölf
(Nr. 1-2/1972, SPIEGEL-Titel »Bankraub in Deutschland")
Ihr aktueller Bericht zeigt recht deutlich die Entwicklung des Bankraubes auf. Leider bemühten Sie nicht weiterhin Ihre Sachlichkeit, als es um die Auslegung der statistischen Zahlen ging, und bagatellisierten die wachsende Brutalisierung unserer Gesellschaft. Warum soll ein schwitzender, unentwegt Baldriantropfen schluckender Verbrecher, wie Vicenik, nicht »in der Lage sein, den Abzug seiner Pistole zu betätigen? Ich bin der Meinung, daß ein nervöser Verbrecher weit gefährlicher ist als einer. der die Lässigkeit und Kaltblütigkeit eines James Bond besitzt.
Göttingen HENNING SCHULTZ
Die Hauptursache der rapid ansteigenden schweren Kriminalität ist zuerst in der sinkenden Schlagkraft der Kripo zu suchen. Als Frontkriminalist und Vertreter von gründlichen Reformen habe ich schon vor zehn Jahren die sinkende Schlagkraft der Kripo untersucht. Sie hat eine ganze Anzahl von Ursachen -- Ursachen, die schon längst beseitigt sein müßten. Bankraub mit Geiselnahmen in München und Köln, der Fall Erpressung mit Geisel Albrecht, nicht zuletzt aber die bedenklich sinkende Aufklärungsziffer zeigen, daß es bei der Kripo bereits fünf Minuten nach zwölf Uhr ist. Die westdeutsche Kripo hat zu viele Schwerbelastete heute noch in führenden Stellungen, sie hat zuviel Hineinschwätzer in den Staatsanwaltschaften, sie hat zuviel Gscheidle in den Zentralen und viel zuwenig gutausgebildete, gutbezahlte Kriminalisten an der Verbrechensfront.
Selb (Bayern) SEPP BERANEK
Kriminalkommissar i. R
Daß der SPIEGEL die Bundesrepublik nicht als Verbrecherparadies ansieht, ist vernünftig. Doch wo er beim Thema »Gewalt« ins juristische Detail geht und Kriminologen gegen Strafrechtler auszuspielen sucht, wird die Geschichte etwas unsauber. Daß die Begriffswelt des Strafrechtlers keinen Unterschied zwischen Gewaltanwendung und Gewaltandrohung zuließe, ist falsch. Richtig ist, daß der Gesetzgeber in etlichen Fällen (zum Beispiel Paragraphen 249, 253, 240 StGB) die Drohung mit und die Anwendung von Gewalt gleichermaßen für strafwürdig hält. Das Problem ist hier nicht der Gewaltbegriff, sondern die Überlegung, in welchen Fällen ein Verhalten die gleichen strafrechtlichen Konsequenzen wie die Gewaltanwendung haben soll.
Neustadt (Rhld.-Pf.) WALTER MANNHARDT
Wie wär's, wenn wir das Leben und die Freiheit über das Geld, sprich Erfolg, stellen würden, denn was bedeutet einem befreiten Menschen (so viel) Geld?
Köln GÜNTER EBBING
Es ist offensichtlich, in welch starkem Maße gesellschaftliche Verhältnisse Einfluß nehmen auf Form und Umfang krimineller Akte. Überdeutlich zeigt sich auch, wie stark die vom kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem propagierten Leitbilder ("Hast du was, dann bist du was!") und Konsumanstöße kriminelle Akte (hier: Bankraub) letztlich motivieren. Bleibt zu hoffen, daß dieses Netz von Bedingtheiten einmal ausführlicher durchleuchtet und unserem Law-and-order-Mitbürgern und Ballermann- Fetischisten gleichsam als Denkanstoß vorgesetzt wird.
Bonn FRANK BERGER
Im Falle der akuten Bedrohung einer Geisel sollte sofortige Erstürmung des Tatortes erfolgen, sonst theoretisch unbegrenzte Belagerung. An technischen Mitteln sollten dafür die Zutrittsmöglichkeiten allein für Polizeibeamte zu den Geldinstituten unter taktischen Gesichtspunkten verbessert werden: Einbau zusätzlicher Spezialtüren oder -fenster. Diese Maßnahmen verhindern keinen Banküberfall, aber sie würden -- konsequent angewandt -- die grausamen Auswüchse gegenüber beliebigen Unbeteiligten an der Wurzel treffen.
Bremen KLAUS JÜRGEN TEIGELER
In den Titelgeschichten, wo vor langer Zeit einmal historische Analysen und politische Informationen gegeben wurden, findet man heute nur noch Sensationsberichte. Die Fälle Albrecht und der Kölner Bankraub sind ohne Zweifel eines Berichtes wert, aber nicht, um oberflächlich Ereignisse aneinanderzureihen; von Ihrer Zeitschrift erwarten wir die Analyse des symptomatischen Charakters.
Göttingen MARIE-LUISE METGE
Die zunehmende Respektlosigkeit just der deutschen Kriminellen vor dem Amt für Öffentliche Ordnung ist faszinierend.
München HORST SCHLÖTELBURG
Die von ihnen zitierte Bankraub-Analyse des Instituts für Kriminologie der Universität Freiburg ist wohl kaum deshalb veraltet, weil sich das Erscheinungsbild der Tat innerhalb weniger Jahre so grundlegend verändert hat. Dafür gibt es -- auch bis in die allerjüngste Zeit -- kaum stichhaltige Hinweise. Diese Untersuchung dürfte deshalb veraltet sein, weil sie jenem Fehler fast aller kriminologischen Forschung erliegt: nämlich von den gefaßten beziehungsweise abgeurteilten Tätern auf sämtliche -- also auch die nicht gefaßten Täter
zu schließen. Eine Sekundäranalyse, gefertigt von einer Arbeitsgruppe des Soziologischen Instituts der Freiburger Universität, ergab deutliche Hinweise. daß bei den damals nicht gefaßten Tätern die Profis mit exakter Tat- und Fluchtplanung, Teamarbeit und -- erstaunlicherweise -- Erbeutung hoher Geldbeträge überwiegen. Diese Merkmale, die Sie einer neuen Ära des Bankraubes zuschreiben, waren also früher schon längst vorhanden -- nur eben für die 50 Prozent der eher professionellen Bankräuber, denen es gelang, sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Für die offizielle Kriminologie also Bankräuber, die sich in nichts von den schnell gefaßten Amateuren unterscheiden.
Freiburg RÜDIGER SPIEGELBERG
Einziger Lichtblick der Tragi-Komödie »Kölner Bankraub«, daß wenigstens die Ganoven noch Zutrauen zur Deutschen Mark haben.
Siegburg NORBERT ZYLKA